Es gibt wenig Künstler*innen, die uns so begeistern wie Mulay. Zu ihrer damaligen Debüt-EP schon bei uns im Interview hat die Alternative-R&B Musikerin aus Berlin nun ihr langerwartetes Debüt-Album LAVENDER veröffentlicht. Ein intimes Heartbreak-Album, was so viel mehr behandelt als nur schmerzhaften Liebeskummer. Es geht um toxische Liebe, Enttäuschung und die Kraft wieder zu selbst zu finden. Aus Verletzung schöpft Mulay Stärke und Empowerment, und verpackt all das in ein Gesamtkunstwerk, das uns tief berührt. Über all das und viel mehr haben wir mit ihr gesprochen.
Mulay im Interview
Anna: Hey Mulay, das letzte Mal haben wir uns 2021 zu deiner Debüt-EP ANTRACYTE gehört. Seitdem ist sehr viel passiert. Wie hast du die die letzten Jahre wahrgenommen?
Mulay: Wow, das ist eine umfangreiche Frage. Die Zeit ist einerseits unglaublich schnell vergangen, andererseits ist auch unglaublich viel passiert. Wenn ich an meine Debut-EP und den Entstehungsprozess denke, wird mir bewusst, wie sehr ich als Mensch und Künstlerin seitdem gewachsen bin. Ich habe viele Erfahrungen dazu gewonnen und gelernt, meinen Instinkten, Visionen und Skills noch mehr zu vertrauen. Mit meiner ersten Vinyl “Antracyte/Ivory“ habe ich mir einen Traum erfüllt. Und auch andere Meilensteine erreicht, wie meine erste eigene Tour zu spielen. Ich bin unglaublich dankbar für alles, was ich in den letzten Jahren umsetzen konnte. Für all die inspirierenden Menschen, die mir begegnet und zu Freunden geworden sind. Obwohl ich langsam spüre, dass ich seither keine wirkliche Pause eingelegt habe und nach dem Album erstmal neue Kräfte tanken muss, fühlt es sich dennoch wie ein Anfang an: Mein erstes Album, auf das hoffentlich viele weitere folgen.
Anna: In dieser Zeit hast du auch dein Debütalbum LAVENDER geschrieben. Wie hast du bemerkt, dass die Zeit reif für ein Album war?
Mulay: Für mich war von Anfang klar, dass ich sobald wie möglich ein Album machen wollte. Ich bin selbst ein großer Fan von und habe großen Respekt vor dem Album als Kunstform. Ich höre lieber Alben von Anfang bis Ende durch, als Playlists.
Besonders liebe ich dabei in die Welt und den Kopf eines Künstlers eintauchen zu dürfen. Auf emotionaler und kreativer Ebene sich selbst zu entdecken und inspiriert und berührt zu werden. Man kann nur soviel von sich in einen Song stecken. Ein ganzes Album bietet da etwas mehr Raum, verschiedene Seiten und Perspektiven zu beleuchten und in mehr Dimensionen zu reflektieren.
„Nichts und niemand kann meine Kreativität aufhalten.“
Anna: Ein Album schreiben ist ja nochmal was ganz anderes. An welchen Dingen bist du während dieser Zeit gewachsen? Was hat dir besonders Spaß gemacht?
Mulay: Es ist wirklich ein unglaublich intensiver Prozess, auf so vielen Ebenen… Ich denke, das Schreiben der Songs hat mir auf der einen Seite erlaubt, mich von sehr viel Schmerz und Wut zu befreien. Es war eine Form der Katharsis, die mir geholfen hat, all diese Emotionen raus- und loszulassen. Auf der anderen Seite habe ich in Jule Minck und Elie Zylberman zwei neue, unglaublich talentierte kreative Partner gefunden und sehr viel Spaß und Inspiration aus der Zusammenarbeit mit ihnen geschöpft.
Ich glaube, eine der größten Herausforderungen dieses Projekts war, dass ich unglaublich viele Aufgaben gleichzeitig übernehmen musste, um meine Vision trotz fehlenden Fundings irgendwie umzusetzen. Dadurch war ich praktisch gezwungen, auf vielen Ebenen über mich hinauszuwachsen und mehrmals über meine eigenen Grenzen zu gehen. Dem mentalen Druck – den man sich einerseits aus Leidenschaft und Perfektionismus selbst macht, andererseits aber auch durch den Zeitdruck, Deadlines einzuhalten – standzuhalten, war eine echte Übung in Resilienz. Daran bin ich definitiv gewachsen. Es hat mich erneut darin bestärkt, dass nichts unmöglich ist und nichts und niemand mich und meine Kreativität aufhalten kann.
„Step by step by step…“
Anna: LAVENDER ist sehr persönlich, voller intimer Einblicke in einen sehr schmerzvollen Heartbreak, aber auch in eine sehr toxische Beziehung. Was waren die Phasen, durch die du während und nach der Trennung gegangen bist?
Mulay: Da es bei der Erfahrung, die LAVENDER verarbeitet, nicht nur um einen Heartbreak, sondern auch um eine für mich traumatische Erfahrung geht – was oft zusammenwirkt, jedoch sehr unterschiedliche Gefühle und Gedanken auslöst –, musste ich beide getrennt für sich verarbeiten. Auf der einen Seite war da der Schmerz und die Sehnsucht nach einem Menschen, den ich vermisste und die Erinnerung an eine gemeinsame Zeit, die ich betrauerte. Auf der anderen Seite standen das Unverständnis über das Verhalten dieser Person mir gegenüber, das Unverständnis mir selbst gegenüber, wie ich mich so täuschen lassen konnte, und schließlich die Wut über beides und die gesamte Situation.
Wenn ich den Verarbeitungsprozess in Phasen beschreiben müsste, würde ich sagen, erst kam die Depression, das Tief-in-sich-Blicken, dann die Erkenntnis, den Fokus für eine Weile auf mich selbst, mein Innenleben und meine Bedürfnisse zu legen. Dann kam die Verarbeitung durch das Schreiben und die Musik, die Ablenkung durch kreative Arbeit. Und dann das nach und nach Loslassen: weniger an die Person denken, weniger Sehnsucht, mehr Wut. Mich selbst wieder stärker spüren und neu sortieren, was ich möchte und was nicht, was ich brauche und was nicht. Schließlich ging es darum, Teile von mir loszulassen, die mir nicht mehr guttaten und durch Therapie und das Album eine Art Katharsis zu erreichen. Step by step by step…
„It’s my superpower.“
Anna: Du hast vielem Luft gelassen, was sich angestaut hat. Was hat dir geholfen, die toxische Beziehung zu verlassen?
Mulay: In meinem Fall ging das alles zum Glück sehr schnel. Im Sinne von “lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende”. Erst war alles zu gut um war zu sein und sehr schnell unglaublich intensiv und dann ist das Kartenhaus zusammen gefallen. Ich wurde mit Fakten konfrontiert, die mir das wahre Gesicht der Person gezeigt und damit keine andere Wahl gelassen haben. Es war so als wäre ein Schleier gefallen und plötzlich erblickt man alles in einem anderen Licht. Die Realität der letzten Monate stellt sich als Inszenierung heraus und der Traum wir zum Albtraum.
„Dated keine Künstler.“
Anna: Wie hast du dich selbst auf dieser Reise wiedergefunden?
Mulay: Ich glaube, das Schwierigste ist, dass man Vertrauen in seine eigene Wahrnehmung und Instinkte verliert. Man hat jemanden so nah an sich rangelassen und vertraut und dieses Vertrauen wurde missbraucht. Zum Glück habe ich sehr gute Freunde, auf die ich mich verlassen kann, die für mich da waren, mich unterstützt haben. Und zum Glück habe ich die Musik und das Schreiben, das mir einen direkten Draht zu meinem Unterbewusstsein gewährt und stets dabei hilft in mich selbst einzuchecken. Mich künstlerisch auszudrücken hilft mir dabei mich daran zu erinnern, wer ich bin und meine innere Stärke zu spüren. It’s my superpower.
Anna: Was sind Sachen, die du aus diesem gesamten Prozess gelernt hast? Für dich persönlich, aber auch für andere.
Mulay: Dated keine Künstler. Haha.
Ich habe über mich selbst gelernt, dass meine Empathie zwar eine Stärke ist, ich aber auch lernen muss, mich selbst zu schützen, damit diese nicht ausgenutzt wird. Außerdem habe ich erkannt, wie wichtig es ist, mich selbst zu nähren und mir das zu geben, was ich sonst in anderen suche.
In vielen Gesprächen über diese Erfahrung habe ich festgestellt, wie viele Menschen ähnliche Erlebnisse teilen und wie verbreitet toxische Dynamiken sowie emotionaler und sogar physischer Missbrauch sind. Das hat mir wirklich die Augen geöffnet. Wichtig ist dabei, sich bewusst zu machen, dass man keine Schuld trägt, wenn einem Unrecht widerfährt. Und dass man dem Impuls widerstehen sollte, sich selbst dafür verantwortlich zu machen. Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass Opfer von Manipulation zu werden nichts mit Schwäche oder Naivität zu tun hat – es kann wirklich jedem passieren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns austauschen und offen über unsere Gefühle und Erfahrungen sprechen. Ohne Scham, sondern mit Stolz und neu gewonnener innerer Stärke.
„Musik ermöglicht es mir, schmerzhafte Erfahrungen in etwas Schönes zu verwandeln.“
Anna: Du empfindest Verletzlichkeit als Stärke – warum?
Mulay: Ich hab das Gefühl durch das Schreiben und Performen meiner Songs, Verletzlichkeit zulassen und in Stärke umwandeln zu können. Oft kann ich meine tiefsten Gedanken und Gefühle ehrlicher auf Papier bringen, als sie auszusprechen. Die Musik hilft mir, all das nach außen zu tragen und auszudrücken, was mir sonst schwerfällt, mit meiner Außenwelt zu teilen – paradoxerweise, weil ich mich damit zu verletzlich fühlen würde. Die Musik ermöglicht es mir, diese Gefühle zu transformieren, die schmerzhaftesten Erfahrungen oder düstersten Gedanken in etwas Schönes zu verwandeln, etwas Kraftvolles, das im besten Fall sogar andere berührt und bestärkt. Was vorher mit Scham bedeckt war und tief vergraben werden sollte, wird nun zum leuchtenden Schmuck. Sichtbar für alle und entwaffnend für jeden, der dachte, darin Munition zu finden. ‚Turning tears into diamonds‘ eben.
Anna: Deine Musik drückst du auch weiterhin sehr visuell aus – Videokonzepte und Styling spielen eine große Rolle beim Release deiner bisherigen Singles und das merkt man. Was macht dir am meisten Spaß beim Drehen und Entwickeln eines Musikvideos?
Mulay: Am meisten Spaß macht wahrscheinlich der Dreh selbst, denn das ist der Moment, in dem die Vision, die man so lange im Kopf entwickelt und gesponnen hat, endlich in die Realität umgesetzt wird. Zum ersten Mal fügen sich dann alle Bausteine und Details, die man geplant und vorbereitet hat, zusammen.
Ein großer Teil des Spaßes liegt natürlich auch in der Zusammenarbeit mit anderen. Ob es um das Styling, die Produktion, das Casting oder den Dreh selbst geht – ich bin immer unglaublich dankbar, so vielen talentierten und inspirierenden Menschen zu begegnen, die mich unterstützen. Für dieses Projekt habe ich einige Aufrufe auf Social Media gemacht, z. B. für das Casting oder für Behind-the-Scenes-Fotografie, und ich war überwältigt von den Reaktionen. So viele Menschen wollten Teil des Projekts sein, was für mich eine unglaublich schöne und bestärkende Erfahrung war. Gerade als jemand, der sehr viel alleine macht, hat es mir noch einmal vor Augen geführt, was für eine tolle Community ich hinter mir habe, die jeden Dreh zu etwas besonderem gemacht haben.
„I hope you love it as much as I do.“
Anna: LAVENDER ist bald draußen und nicht mehr nur deins. Freust du dich aufs Loslassen des Albums? Was kommt jetzt?
Mulay: Es ist ein ganz komisches Gefühl… Einerseits kann ich nicht darauf warten endlich loszulassen und die Vinyl in meinen Händen zu halten. Andererseits geht damit auch ein unglaublich langer Prozess zu Ende und ein unglaublich großes Projekt findet seinen Abschluss. Es ist auf jeden Fall befreiend und ich bin sehr dankbar für die Erfahrung, für alles, was ich daraus mitnehmen durfte und stolz das Ergebnis endlich mit der Welt zu teilen. Der Gedanke, dass es bald zum ersten Mal von Menschen gehört wird ist verrückt! I hope you love it as much as I do.
Danach werde ich versuchen mal ein bisschen Urlaub zu machen, da die letzten Jahre dafür entsprechend keine Zeit war und 2024 dann LAVENDER auf die Bühne bringen und touren. Allgemein wieder mehr Live spielen, natürlich neue Musik machen, neue Projekte realisieren, sich vllt mal wieder verlieben und weiter wachsen. Als Mensch und als Künstlerin.
Anna: Die letzte Frage bezieht sich bei uns immer auf eine untold story, etwas, das du in noch keinem Interview erzählt hast. Hier ist dein space, alles loszuwerden, was du möchtest.
Mulay: ‚You called it end game and I believed you, I blame myself because I didn’t mean to, it’s so unlike me, like to keep things lightly, thought I brushed it off, but I still pictured you beside me.‘ – Diese Phrase hatte ich in meinem Handy, als ich in Paris mit Elie und Jules an Songs arbeitete. Ich wollte daraus einen Song namens End Game machen, der sehr dunkel und beatlastig sein sollte.
Eines Tages, als wir im Studio waren, schien die Sonne, und wir entschieden, eine Pause einzulegen und in den Park zu gehen. Wir nahmen die Akustikgitarre mit, legten uns ins Gras, schauten den Wolken zu und improvisierten. Plötzlich nahm die Musik eine folky Richtung und alles passte – die vorbeiziehenden Wolken, die warmen Akkorde. Zurück im Studio versuchten wir, diesen Moment nachzustellen – erst kläglich, dann ein wenig erfolgreicher.
Es war bereits Nacht, als die Gitarrenaufnahme lief. Ich schrieb und schrieb, und es floss einfach nur aus mir heraus. Ich machte eine schnelle Aufnahme mit dem Handy, um die Idee festzuhalten, bevor wir Schluss machten. Als ich sie im Flugzeug nach Hause wieder anhörte, war ich schockiert, wie schön sie war. Direkt nach meiner Ankunft in Berlin setzte ich mich an den Computer und nahm Demo-Vocals auf. Als ich die Vocals editiert hatte und den Song hörte, weinte ich – jedes Mal. Solche Momente passieren mir selten. Ich entschied, die Vocals nicht noch einmal aufzunehmen. Der Song war genau so, wie er sein sollte. Eine Spiegelung meines Innersten, eine Umarmung an mich selbst und hoffentlich jeden der in hörte.
Fotocredit: Lotte Thor, Tilo Wandelt