Es gibt so viele Künstler:innen, die Musik machen, die berührt. Es gibt aber auch ein paar, bei denen berührt nicht nur die Musik, sondern alles drum herum auch. Mulay ist so eine Künstlerin. Vom Songwriting bis hin zur visuellen Umsetzung ihrer Musik ist alles um Mulay ästhetische Kunst. Jahrelang hat sie Erfahrungen gesammelt, um sich nun selbstbewusst und selbstreflektierend mit ihrem Soloprojekt zu verwirklichen. Ihre Debüt-EP ANTRACYTE kam Ende Januar raus und ist geprägt von sowohl ehrlichen, teils verletzlichen Songs als auch von empowernden. Wir haben sie für euch im Interview.
Mulay im Interview
Anna: Hey! Freut mich sehr, dass das geklappt hat! Seit ein paar Tagen ist deine Debüt-EP ANTRACYTE draußen. Wie fühlst du dich?
Mulay: Es ist ein komisches Gefühl, nach einer so langen Reise, einem so langen kreativen Prozess nun quasi am Ziel angekommen zu sein. So sehr ich mich natürlich darüber freue, mein Debut nun endlich mit der Welt zu teilen, wurde mir, so kitschig es klingt, nochmal bewusst, dass der Weg das eigentliche Ziel ist. Ich bin stolz auf das, was mein Team und ich gemeinsam geschaffen haben. Ich bin unglaublich dankbar für all die Unterstützung, die diese EP überhaupt möglich gemacht hat und für all die Erfahrungen die ich auf dem Weg sammeln konnte. Jetzt heißt es Loslassen und auf zu Neuem. ANTRACYTE is all yours now.
Anna: Als Newcomerin bist du ganz frisch in der Szene, vielleicht kannst du dich ganz kurz vorstellen? Welche Musik inspiriert dich und wen könnte deine Musik inspirieren?
Mulay: Ich bin Mulay, Sängerin, Songwriterin, Produzentin, Performerin und lebe seit drei Jahren in Berlin. Mich inspiriert Musik, die mich berührt, mich bewegt, die Genregrenzen überschreitet, Neues schafft, sich authentisch anfühlt. KünstlerInnen wie FKA Twigs, Sevdaliza, SZA, James Blake, Frank Ocean und viele andere, die ihre ganz eigene Ästhetik kreieren und diese in mehreren Dimensionen kommunizieren, durch Klang, Bild, Performance… Ich selbst liebe es, interdisziplinär zu arbeiten und mit Künstlern aus unterschiedlichen Bereichen zu kollaborieren und sich gegenseitig zu inspirieren. Ich möchte Menschen auf eine Reise mitnehmen, in der ein Jeder sich verlieren und selbst entdecken kann. Ungefilterten Gefühlen Ausdruck verleihen, Stärke in Verletzlichkeit zeigen, mich selbst und mein Umfeld reflektieren und damit einen Jeden inspirieren, der sich darin wiederfindet.
„Für meine künstlerische Entwicklung war diese Zeit unglaublich wertvoll.“
Anna: Bevor du 2020 deine Solokarriere gestartet hast, warst du auch schon musikalisch aktiv. Du warst viel mit Producer Moglii unterwegs, und unter Anderem live in Tokio und den Niederlanden gespielt. Wie haben diese Erfahrungen dich geprägt? Ich stell mir das alles sehr aufregend vor.
Mulay: Das waren definitiv alles wichtige Erfahrungen, die mich als Mensch und Künstlerin geprägt und den Weg für meine Solokarriere geebnet haben. Nach der Schule habe ich in Holland Jazz & Pop Musik studiert und dort meine erste Band „YXC“ gegründet. Ich fing gerade an, meine eigenen Songs zu schreiben und hatte die Möglichkeit, diese in der Band gemeinsam zu arrangieren und vom kreativen Input der anderen zu profitieren. Ich hab erste Live Erfahrungen gesammelt genau wie Erfahrungen im Bereich Booking, Management und Creative Direction. Wir haben damals alles selbst gemacht und ich als Kopf der Band hab viele Jobs übernommen. Für meine künstlerische Entwicklung war diese Zeit unglaublich wertvoll, da ich ohne Druck Dinge ausprobieren und meine eigene Stimme als Künstlerin finden konnte. Die Mitglieder meiner damaligen Band sind noch heute ein wichtiger Bestandteil meines musikalischen Teams.
Moglii habe ich auch zu der Zeit in Holland kennengelernt. Er war in der Stadt, um einen Freund zu besuchen, der an meiner Uni studiert hat. Der hat ihn dann zufällig auf ein Konzert meiner Band mitgenommen. Wir kamen ins Gespräch und fast zwei Jahre später hat die lang geplante Kollaboration begonnen. Ich bin unglaublich dankbar für die Erfahrungen, die ich mit Moglii auf der Bühne machen konnte. Wir waren sehr viel zusammen unterwegs und hatten immer eine gute Zeit. Erinnerungen an die ich besonders jetzt, wo Festivals und Live Konzerte so weit weg erscheinen, gerne zurückdenke. Ich hoffe sehr darauf, bald wieder auf der Bühne stehen und Musik live mit Menschen teilen zu können.
„Sie haben mir die Zeit gegeben, meine Vision zu schärfen bis ich sie klar kommunizieren konnte.“
Anna: Wie hat diese Zeit das beeinflusst, was du jetzt solo machst? Hast du Sachen gelernt, die du jetzt anwenden kannst oder fühlst du generell, dass du dich dadurch auch weiterentwickelt hast?
Mulay: Ich hab damals wichtige Erfahrungen gesammelt, die mir in erster Linie das Selbstbewusstsein gegeben haben, meine Vision als Solo Künstlerin umzusetzen. Ich hatte schon immer eine starke Vorstellung was Klang- und Bild- Ästhetik angeht und habe auch schon immer Persönliches durch Songwriting verarbeitet. Daher lag der Schritt in Richtung Solokarriere nahe. Die Zeit mit meiner Band und die Erfahrungen mit Interdisziplinären Projekten, wie der Klang- und Videoinstallation „Poem of a Cell“, mit der ich beispielsweise in Tokyo aufgetreten bin, haben mir erlaubt zu wachsen. Sie haben mir die Zeit gegeben, meine Vision zu schärfen bis ich sie klar kommunizieren konnte. Außerdem hatte ich durch mein Studium das Glück vielen, talentierten, kreativen Menschen zu begegnen, die mich dazu inspiriert haben, andere Perspektiven einzunehmen und Genregrenzen der Kunst zu durchbrechen.
„ANTRACYTE beschäftigt sich mit dem Thema Betrug, Schuld, Verurteilung und dem Verlieren und Neufinden seiner Selbst.“
Anna: Auf ANTRACYTE sind eine handvoll wirklich guter Lieder versammelt. Was verarbeitest du inhaltlich auf den einzelnen Songs?
Mulay: ANTRACYTE beschäftigt sich mit dem Thema Betrug, Schuld, Verurteilung und dem Verlieren und Neufinden seiner Selbst. Die EP steht somit für den Abschied eines alten- und die Wiedergeburt eines neuen-Ichs. Es geht um das Scheitern, unter dem Druck von außen, einem bestimmten Bild zu entsprechen. Es geht aber auch um die ehrliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstbild und den Weg zur Selbstliebe, weiblicher Selbstbestimmung und sexueller Freiheit.
ANTRACYTE gibt den Auftakt zur EP und fängt einen Moment der Selbstoffenbarung ein nachdem man Geliebte betrogen und verletzt hat. Man ist sich seiner Schuld bewusst und gibt sich seinem Schicksal hin. Der Song repräsentiert das erste Kapitel der Geschichte „the death of innocence and the birth of a villain“.
PHOENIX ist aus einer weiseren Stimme im Rückblick auf das Geschehene geschrieben. Es steht für die Wiedergeburt und Erinnerung daran, dass es oftmals unsere Fehler sind, die uns formen. Die dunklen Zeiten, die wir überstehen, ermöglichen uns, über uns hinaus zu wachsen.
MEDUSA repräsentiert die Dunkelheit. Es geht um die Konfrontation mit den Konsequenzen des eigenen Handelns, um die Erfahrung von Abweisung, Schuld, Selbstzerstörung und einem verzweifelten Ruf nach Aufmerksamkeit.
SHAME steht für das Licht am Ende des Tunnels. Es ist die innere Stimme, die einen aus der Dunkelheit führt, die Erkenntnis, den Weg zu Selbstakzeptanz und bedingungsloser Selbstliebe.
PSYCHOPATH ist das Outro der EP und handelt von der Sehnsucht danach geliebt zu werden, entgegen jeder Vernunft. Es ist der einzige Song, der nicht auf meiner persönlichen Erfahrung, sondern der einer Freundin beruht. Er repräsentiert abschließend die Schönheit der Verletzlichkeit und die Dualität der Gefühle, die alle Songs vereint.
Anna: Hast du einen Lieblingstrack oder einen, der dir besonders viel bedeutet?
Mulay: Es wäre wahrscheinlich MEDUSA, da er mich am längsten begleitet hat. Obwohl er von einer sehr dunklen Zeit in meinem Leben erzählt, steht er heute für mein persnliches Wachstum als Mensch und als Künstlerin. Ich könnte ein Album rausbringen mit all den Versionen, in denen MEDUSA existiert hat, bevor ich endlich das Gefühl hatte, den richtigen Kontext gefunden zu haben. Als ich MEDUSA geschrieben habe, war ich ziemlich depressiv. Ich erinnere mich, wie absurd es sich angefühlt hat, den Song das erste Mal auf der Bühne zu singen. Ich hab über meinen tiefsten Schmerz gesungen, während ich genau das durchlebt und dafür Applaus bekommen hab. Wenn ich den Song heute höre oder performe, wird mir bewusst, dass ich mich jetzt nicht mehr so fühle. Ich werde daran erinnert, wie viel ich durch diese Zeit über mich selbst gelernt habe und wie viel stärker und weiser sie mich gemacht hat.
„Es ist mir wichtig, mich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen.“
Anna: Du setzt bei deiner Musik auch ganz viel Fokus auf das Künstlerische drum rum. Von eindrucksvollen Musikvideos zu art installements und ästhetischen Fotoshoots: Musik scheint für dich immer auch mit etwas Visuellen verbunden zu sein. Was möchtest du damit ausdrücken, warum ist dir das so wichtig?
Mulay: Musik ist für mich schon immer stark mit visuellen Ideen verbunden. Oft entstehen diese zeitgleich und ich habe bereits beim Schreiben eines Songs Bilder im Kopf. Daher ist die Visuelle für mich ein natürlicher, organischer Teil meines kreativen Prozesses und einfach eine weitere Möglichkeit mich auszudrücken. Ich liebe es, konzeptuell mit mehreren Ebenen und Dimensionen zu arbeiten mit dem Ziel, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen. Es ist mir wichtig, mich selbst und meinen kreativen Ausdruck nicht zu limitieren und mich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen. Interdisziplinäre Kollaboration und gegenseitige Unterstützung als Creative Community ist für mich einer der wichtigsten Aspekte der Arbeit, die ich machen möchte und die größte Quelle an Inspiration.
Anna: Das Musikvideo von „SHAME“ zum Beispiel strotzt vor Frauenpower und ist sehr schön anzusehen – fühlt sich nur vom Zuschauen sehr empowernd an. War das auch die Message, die du mit dem Song verbreiten wolltest?
Mulay: Auf jeden Fall. Die gesamte EP und die Geschichte, die sie erzählt, basiert auf meiner persönlichen Erfahrung, kann jedoch auch allgemeiner als Erfahrung einer Frau interpretiert werden. Es ist eine Ebene, die immer Teil meines künstlerischen Ausdrucks sein wird. Ich erlebe die Welt als Frau. In der Welt, in der wir leben, bedeutet das, oftmals mit anderen Maßstäben gemessen zu werden. SHAME habe ich aus der Perspektive einer inneren Stimme geschrieben, die einen daran erinnert, sich selbst eine bessere Freundin zu sein. Es geht um das Streben nach Selbstakzeptanz, danach seinen eigenen Weg zu gehen, anstatt sich Erwartungen anderer anzupassen. Daher wollte ich für das Video eine diverse Gruppe starker, inspirierender Frauen zusammenbringen, die diese Journey repräsentieren. Die Frauenpower an dem Tag war allgegenwärtig. Natürlich bedeutet das nicht, dass die Message allein für Frauen gilt, sondern für jeden, ganz gleich welches Geschlecht oder welcher Identität.
„Die Geschichte hat mit wenig Schlaf, Games und zwei Liter Eiscreme zu tun.“
Anna: Auch wenn deine EP jetzt gerade erst raus kam – kannst du uns schon verraten, auf was man sich von dir dieses Jahr noch freuen kann?
Mulay: Ich habe im letzten Jahr während des Lockdowns einige neue Songs geschrieben und hatte das Glück für ein paar spannende Kollaborationen mit Künstlern ins Studio zu gehen. Es werden also auf jeden Fall erstmal ein paar Features kommen, auf die ich mich schon sehr freue. Ich werde den gefühlt endlosen Lockdown 2021 nutzen, um an meiner nächsten EP zu arbeiten und wer weiß…. the journey has just begun.
Anna: Die letzte Frage ist eine „untold story“: eine Geschichte hinter einem Song oder Ähnliches, die du so noch nie in einem Interview erzählt hast. Kannst du da was mit uns teilen?
Mulay: Als ich mit meinem Gitarristen Jascha den Song SHAME geschrieben habe, stand nach zwei Tagen Session das gesamte Instrumental. Nur was die Vocals anging, fühlte sich noch keine meiner Ideen zu Melodie und Text richtig an. Ich blieb die ganze Nacht wach bis es gegen 5:00 morgens Klick machte, die Inspiration mich überkam und der Song nach ein paar Minuten fertig war. Der Ursprung der Idee, die mich über mehrere Ecken und Gedankenstränge zum finalen Titel und Inhalt von SHAME geführt hat, liegt in der Geschichte des Vorabends meines Gitarristen, seinem Zustand am Tag darauf und einem Telefonat das wir hatten. Die Geschichte hat mit wenig Schlaf, Games und 2 Liter Eiscreme zutun…. Da es aber nicht meine Geschichte ist, werde ich nicht mehr dazu sagen, aber ihr könnt euch ja eure eigenen Theorien zusammenreimen. Ohne sie wäre SHAME vielleicht nicht entstanden. Our brain works in mysterious ways…
Falls euer Interesse geweckt ist – hier könnt ihr euch ANTRACYTE anhören:
Fotocredit: Kanaan Brothers, Ali Kanaan, Gianna Shamone