independent music magazine

Till Otter im Interview: »Ich brauchte diesen Song selbst«

Wie klingt die Hoffnung auf wärmere Tage und den Frühling, einen Neuanfang und ein Danach? – Till Otter beantwortet diese Fragen mit dem Song Eure Blumen, der letzten November erschien. Während sich their letzte EP Morgentau (2021) mit their Depressionserkrankungen auseinandersetzt, handelt Eure Blumen nun von einem Neuanfang. Passend dazu unterstreicht der neue Synth-Pop-Sound den von Hoffnung und Mut handelndem Song und macht Lust auf mehr. Letzte Woche haben wir mit Till über Eure Blumen gesprochen, wie es them im letzten Jahr erging und warum they den Song selbst gebraucht hat.


Eure Blumen ist für mich ein Liebesbrief an all die aktuelle Popmusik, die mir zeigte, wie mein Leben und wie ich sein kann. An all die Musik, die mir Hoffnung gab und mich spüren ließ: Es gibt ein Danach.“

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.

Inhalt laden


Till Otter im Interview


Julia: Hi Till! Schön, dass wir heute miteinander quatschen. Magst du dich kurz vorstellen, für alle Menschen, die dich noch nicht kennen? 

Till: Hi! Mein Name ist Till und ich bin Musiker, ansässig in Köln. Ich mache Musik die man, glaube ich am ehesten als deutschsprachigen, theatralischen Pop bezeichnen könnte. 

Julia: Eine wichtige Frage zu Beginn, wie geht es dir? 

Till: Gut, gut. Ich habe nicht so viel geschlafen, weil das Dschungelcamp gestern sehr aufwühlend war. *lacht* Das hat mich ein bisschen mitgenommen, aber ansonsten geht es mir gut. Ich bin gut ins neue Jahr gekommen und alles läuft so, wie es soll. 

Julia: Das ist schön zu hören! Du hast im November letzten Jahres deinen neuen Song Eure Blumen veröffentlicht. Eine Hoffnungs-Hymne, für die man in dieser grauen Jahreszeit sehr dankbar ist. Möchtest du kurz erzählen, was deine Gedanken hinter dem Song waren?

Till: Das ist schön zu hören. Das war auch der Gedanke dabei, diesen Song im Winter zu releasen, wenn alles so trist und trüb draußen ist und man dann einen Song hat, der einem fröhliche Frühlings- und Sommergefühle vermittelt. Aber der Song bedeutet mir selbst auch sehr viel. Erstmal ist es für mich ein Song nach meiner EP, die sich sehr stark mit Depressionen, die ich hatte, auseinandergesetzt hat. Es ist ein Song, der aufbricht in eine hoffnungsvollere und positivere Zukunft – mal ein fröhlicher Song mit einem glücklicheren Sound. Gegen Ende meiner EP hatte sich das schon langsam angebahnt, aber ich wollte einfach mal irgendeinen Song haben, der nicht komplett depri ist. Ich brauchte diesen Song selbst, einer der mir gute Laune und Mut macht. Das ist Eure Blumen geworden.

Gleichzeitig ist es für mich der Song gewesen, der sich mit meinem alten Coming Out auseinandergesetzt hat und nun auch mit meinem Neuem. Ich habe mich nämlich mit 20 oder 21, jedenfalls spätestens bei meiner Familie, als homosexuell geoutet und vor allem in den letzten paar Jahren gemerkt, dass ich immer noch sehr viel internalisierten Kram zu verarbeiten hatte und mir selbst auch gar nicht erlaubt habe, aufzublühen und die Person zu sein, die ich eigentlich sein will und sein kann. Ich glaube, dass steckt auch im Song mit drin – das Ausbrechen aus Erwartungen. Am Ende dieser Entwicklung stand nun mein zweites Coming Out als non-binär. Ich sehe den Song jetzt in einem anderen Licht, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich langsam von sehr vielem frei mache, was mich lange Zeit eingeschränkt und belastet hat. 


“Denn die Blumen die aus meinen Narben wachsen,
ergeben sicher einen schönen Strauß.”


Julia: Die Gefühle, die du gerade beschrieben hast, kommen im Song auch ziemlich gut rüber. Man hat einen gewissen Übergang gesehen, von deiner letzten EP Morgentau hin zu Eure Blumen. Der letzte Song der EP beginnt mit „Aus meinen Wunden wuchsen Blumen“ – wie ich finde ein sehr schöner und cleverer Übergang. Ich mag aber vor allem die Blumen-Matapher total gern.   

Till: Kleiner Funfact! Ich hatte selbst vergessen, dass ich diese Zeile im Song Morgentau geschrieben hatte.

Julia: *lacht* Echt jetzt? 

Till: Ja, ich habe dann kurz bevor der Song rauskam, vier oder fünf Wochen vorher, nochmal die EP und eben diese Zeile gehört und war so, what? Ich habe dann mit ein paar Freund:innen geredet und gefragt, ob denen das aufgefallen ist. Die haben auch gedacht, dass sei mit Absicht gewesen.

Julia: Okay, funny! Es passt auch einfach gut. Du bist zwar schon kurz darauf eingegangen, aber war das Schreiben des Songs für dich eine Art Erlösung?

Till: Ich hatte vor allem in der Zeit nach der EP eine Schreibblockade. Mehr Leute sind auf mich und meine Musik gestoßen, gerade wegen der EP, und damit wuchs der Druck in mir, dass ich etwas machen wollte, was diesen Leuten auf jeden Fall gefallen wird. Ich bin dann erstmal gar nicht weitergekommen und habe mich aber irgendwann davon losgelöst und zu mir selbst gesagt, dass ich einfach Musik mache, auf die ich Bock habe. 

Ich weiß nicht, ob ich das Wort Erlösung benutzen würde, aber abseits des Schreibens hat mir gerade das Hören des Songs Freude bereitet und mich auf eine Art und Weise beruhigt. Letztes Jahr war bei mir viel los mit Stress, einer Angststörung und Panikattacken, die aufgetreten sind und mit denen ich vorher noch keine intensiven Erfahrungen gemacht habe. Deswegen habe ich den Song auch einfach selbst gebraucht.

Julia: Du hattest ja eben schon gesagt, dass der Song nicht kurz vor Release entstanden ist. Wie lange hat der Entstehungsprozess denn gedauert? 

Till: Vincent, mit dem ich meine EP produziert habe, und ich haben an mehreren Songs und Ideen gleichzeitig gearbeitet. Das heißt, es hat sich schon über eine gewisse Zeit gezogen. Wir haben auch ein bisschen gebraucht, um den Sound zu bekommen, den ich haben wollte. Aber als sich der gefunden hat, ging es flott. Der Text stand auch relativ schnell. Ich glaube im Februar haben wir die Vocals recorded und im März/April kam das Mixing. 

Julia: Wo du gerade den Sound ansprichst, da hat sich auf jeden Fall was geändert. Ich würde mal sagen, weniger Melancholie und mehr Euphorie. Wird es bald nochmal traurig?

Till: Es gibt ja schon Songs, die geschrieben und fast fertig sind. Teilweise sind die auch trauriger und düsterer. Es sind aber trotzdem keine Songs wie Apokalypse Wow, in denen irgendwelche Weltuntergangsbilder gezeichnet werden. Die Songs sind ein bisschen realitätsnäher und sehr viel direkter geschrieben. Und auch wenn sie düsterer sind, werden sie definitiv mehr Fun sein. I don’t know. Sie wiegen nicht mehr so schwer wie die, die ich bisher geschrieben habe, glaube ich.

Julia: Speaking of fun… Du hast vor kurzem dein Musikvideo zu Eure Blumen veröffentlicht und scheinst beim Dreh großen Spaß gehabt zu haben. Was hat es eigentlich mit dem gelben Mantel auf sich? War das Zufall?

Till: *lacht* Nein, das war kein Zufall. Ich habe lange überlegt, was ich da anziehen kann und hatte dann irgendwann die Idee, die sich dann auch im Artwork der Single wiederfindet – mit der Sonnenblume. Ich dachte mir eine Sonnenblume ist ganz schön, die reckt sich immer dahin, wo die Sonne scheint und das ist auch irgendwie das Bild des Songs. Ich fand die Idee mit dem Regenmantel eigentlich ganz nice, weil ich so die Farben der Sonnenblume angenommen habe – grüne Joggingshose und gelber Regenmantel. Passte dann gut, als wäre ich selbst in den Farben von einer Sonnenblume aus dem Berliner Blumenacker rausgekommen, den wir da gebaut haben.

Julia: Hast du auch schon live getragen!

Till: Der Mantel ist mein favourite piece of clothing aktuell. Der macht mich sehr, sehr glücklich, muss ich sagen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden


Julia: Was sind denn deine Lieblingsblumen? Das muss jetzt gefragt werden.

Till: Ohh, ähhm…

Julia: Meine ist die Sonnenblume. Hehe. 

Till: Ja, irgendwie komme ich mir auch doof vor, wenn ich jetzt nicht Sonnenblume sage. *lacht* Andererseits wäre es auch ein bisschen langweilig. Ähm, warte kurz. Ich muss einmal sichergehen, dass ich nicht die Falsche sage. *googelt* Ach, das ist sie doch! Hyazinthe. Ich sage Hyazinthe. Die sind doch schön.

Julia: Sehr gute Wahl! Du hast es eben schon angesprochen, aber dann können wir davon ausgehen, dass weitere Releases dieses Jahr kommen? Möchtest du was verraten?

Till: Wir haben ein paar Akustikversionen von Songs aufgenommen, die ich schon released habe. Die werden nach und nach in den nächsten Wochen eintrudeln. Es wird wahrscheinlich im Laufe des Jahres eine Reihe an Singles erscheinen, die aber nicht unbedingt an ein EP-Konzept gekoppelt sind. Es sind halt eher einzelne Songs, die auch gut für sich stehen. Ich kann natürlich noch nicht verraten, wann sie erscheinen. Nach der Morgentau EP war es ja erstmal eineinhalb Jahre still und das wird dieses Mal nicht so sein.  

Julia: Ich stelle mir „Eure Blumen“ live richtig gut vor. Wie sieht deine Besetzung auf der Bühne aus? 

Till: Das ist eine Sache, an der ich gerade arbeite. Ich hatte im Dezember das Glück, relativ spontan für die Künstlerin Sofia Portanet im Gleis 22 in Münster Support spielen zu dürfen. Da habe ich mit Vincent, mit dem ich auch produziere, relativ flott ein Live-Setup gebastelt, was gut funktioniert und auch Spaß gemacht hat. Aktuell werde ich entweder alleine oder zu zweit oder zu dritt auftreten. Mir liegt auch viel daran, dass so viel wie möglich von den Instrumenten live gespielt wird und wenig vom Band kommt. Gleichzeitig muss man natürlich gucken, wie viel davon umsetzbar ist.

Julia: Hast du einen Wunsch für dieses Jahr, hinsichtlich deiner Musik, was du gerne erreichen würdest?

Till: Ja, da habe ich mehrere. Erstmal würde es mich sehr dolle freuen, wenn am Ende diesen Jahres mehr Leute meine Musik hören. Das wäre sehr schön. Und wenn es die Leute glücklich macht und ihnen Freude bringt, weil auch dafür mache ich Musik. Mein zweiter Wunsch ist sehr spezifisch, aber in Köln gibt es das Artheater und dort gibt es das Artheater Basement. Ich finde beides super toll! Da habe ich letztes Jahr bei der c/o pop Festival viele tolle Gigs gesehen, die mich sehr glücklich gemacht haben. Das ist meine Dreamlocation und es wäre ein Traum dort mal zu spielen und ich hoffe, dass das irgendwie in naher Zukunft passieren wird. Ich würde da sehr gerne eine sehr volle, schwitzige, laute und wilde Show spielen. 

Julia: Ich drücke die Daumen! Die letzte Frage ist bei uns immer eine untold story, also eine Geschichte oder Anekdote, die du noch nie irgendwo erzählt hast. Was wäre deine untold story?

Till: Es gibt wahrscheinlich Milliarden… Aber Ende letzten Jahres wurde ich ganz lieb von Lisa-Marie auf Instagram angeschrieben. Sie hat mir erzählt, dass sie sehr gerne malt und angefangen hat eine Leinwand zu bemalen, die von der Morgentau EP inspiriert ist. Ihr Ziel war es, ein Bild zu machen, dass man nur versteht, wenn man die EP gehört hat. Und diese Leinwand hat sie mir geschickt. *zeigt mir die Leinwand*

Julia: Wow? Das sieht mega aus! Crazy. Großes Kompliment. 

Till: Das ist auf jeden Fall richtig toll! Ich habe die EP ja während der Pandemie veröffentlicht und dadurch auch wenig direktes Feedback bekommen, weil man einfach nicht so viele Leute gesehen hat. Man hat dann immer das Gefühl, alles verpufft im Netz. Das war für mich total schön, weil da eine Person auf meine Musik gestoßen ist und ihr anscheinend so viel Freude gemacht hat, dass sie angefangen hat eine Leinwand zu bemalen. Das war einer meiner Happy Moments aus 2022. 

Julia: Das ist wirklich ein schöner Abschluss!

Till: Das stimmt!

Julia: Ich danke dir für das schöne Gespräch, Till! 

Till: Ich danke dir und freue mich!


Fotocredits: Moritz Holstein

related articles
musikvideo der woche
YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

new untold releases

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.

Inhalt laden

jahresrückblicke 2023
adventskalender
untoldency presents
artists to watch 2024
all of the untold

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.

Inhalt laden

untold pop up shows
YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden