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“Might Delete Later”: RAZZ schaffen auf ihrer EP eine Momentaufnahme unserer Generation

Endlich gibt es neue Musik von RAZZ! Die EP „Might Delete Later“ ist am 18. Juni erschienen und beinhaltet sechs Songs, wovon drei bereits vorher als Singles released wurden. Was sich zuerst anhört als hätten die Jungs ihre alten Songs etwas zu lange mit Weichspüler im Schongang gewaschen, ist im Kern aber noch genau das, was die Band ausmacht: facettenreicher Indie-Rock mit Tiefgang – und dafür lieben wir sie doch!


Was die Generation Y gerade beschäftigt

Anfang des Jahres hat Jule eine Review zur ersten Single der EP, „1969 – Conrad“, geschrieben und auf ein drittes Album von RAZZ spekuliert. Naja, ein Album ist es dann doch nicht geworden, dafür aber sechs verdammt gute neue Songs. Die EP „Might Delete Later“ erinnert an das Meme „felt cute, might delete later“, dass unter allen Social Media-Junkies mittlerweile schon zur Alltagssprache zählt. Im Interview mit gestromt erklärt Niklas, Sänger der Band, dass der Gedanke hinter dieser Floskel Inspiration für die EP war. Damit nehmen sich die Jungs den Druck ein ganzes Album produzieren zu müssen und sehen die EP vielmehr als Momentaufnahme des RAZZ-Sounds, so wie er jetzt gerade ist. Ich finde das ist ein ziemlich gutes Statement. Dieser Anti-Perfektionismus-Gedanken sollte viel mehr Platz in der Musikwelt finden und würde wahrscheinlich auch so einigen Künstler:innen zugute kommen.

Drei Jahre kam keine neue Musik von RAZZ, auch wenn die Band in der Zwischenzeit nicht auf der faulen Haut lag, sondern fleißig mit live spielen, proben und neue Songs schreiben beschäftigt war. Trotzdem kommt mir das dann doch irgendwie nach einer langen Zeit ohne Input vor. Das ist doch der perfekte Anlass ist, um mal wieder ein bisschen im alten Fangirl-Koffer zu kramen, damit ihr auch wisst, was mich (hoffentlich) qualifiziert, über die neue EP von RAZZ zu urteilen.


Kurzer Ausflug in die Historie von Anna’s Fangirl-Koffer

Ich verfolge die Musik der vier Jungs aus Schöninghsdorf schon seit 2013. Damals haben sie auf dem Abifestival gespielt, was vermutlich außerhalb des Emslands (RAZZ’s & meine Heimat) kein Mensch kennt, und noch nicht mal ihre erste offizielle Single veröffentlicht. 2017 habe ich sie dann auf dem Altstadtfest meiner Heimatstadt gesehen und lauthals in der ersten Reihe „Youth and Enjoyment“ und „Let It in, Let It Out“ mitgegrölt, nichtsahnend, dass ich mir diesen Platz auf zukünftigen Konzerten deutlich härter erkämpfen muss. In meinem Fangirl-Koffer befindet sich auch noch ein Interview aus 2018, wo ich mit Niklas auf dem Rocken am Brocken (ganz tolles Festival) ein bisschen Emsländer:innen bonding time hatte – schön war’s. Naja, was ich hier eigentlich nur deutlich machen wollte: RAZZ begleitet mit schon seit so einiger Zeit.

Jetzt aber mal zurück zum Thema: die EP „Might Delete Later“. Wie anfangs schon erwähnt, wirkt der Sound zu Beginn etwas verändert, irgendwie leichter und sanfter. Was mir aber direkt auffällt, ist die Liebe zum Detail. Die zeigt sich darin, dass ich bisher bei jedem Hören der EP ein neues kleines Detail entdeckt habe – sei es in den Texten oder im Sound. Sind euch z.B. bei „Constant Flow“ schon die Schläge bei 2:34 min. aufgefallen, die den Übergang in den rockigen Part des Songs ankündigt? Mir ist das zumindest erst beim fünften Hören aufgefallen. Schauen wir uns die Songs also mal im Einzelnen an.


Singles mit viel Hit-Potential

Might Delete Later“ beginnt mit „1969 – Conrad“, dem Song, der als erste Single der EP schon im Dezember 2020 veröffentlicht wurde. Es ist auch der Song, der mich am meisten an den gewohnten RAZZ-Sound von „With Your Hands We’ll Conquer“ und „Nocturnal“ erinnert. Es ist auch der Song, der mich alleine in meinem Zimmer zu Lockdown-Zeiten so tanzen lässt, dass mein Nachbar in der unteren Etage wahrscheinlich ziemlich viel Hass gegenüber dem Song entwickelt hat. „Fassungslosigkeit, Wut und Resignation par excellence in einen Song umgewandelt. (Dazu) Gitarrenriffs, sanfte Synthies, sehr geile Bass-Highlights und Drums, die mich sofort mitreißen“, schreibt Jule im Januar in ihrer Review zum Song und ich finde mich jetzt – im Juli – immer noch in diesen Worten wieder und kann mich also nur anschließen.


„lately, I feel so small“

Zweiter Song, zweite Single der EP: In „Like You“ geht es um die Unzufriedenheit mit der Umwelt und mit sich selbst – eben der Wunsch, so zu sein wie jemand anderes. Thematisch schließt der Song damit sehr gut an „1969 – Conrad“ an und wirkt für mich wie eine Art Perspektivenwechsel mit dem Fokus auf sich selbst und das eigene infrage stellen. Der Titel hat echtes Ohrwurm-Potential. Kein Wunder also, dass der Song als Single genauso gut funktioniert wie als Teil der EP. Dennoch ist „Like You“ keine reine Pop-Nummer, durch Drums und Gitarren wird der rockige Vibe aufrechterhalten.

Constant Flow“ kommt deutlich experimenteller daher. Der Song beginnt relativ langsam, aber so ab 2:30 min. kommen die gewohnten Gitarrenriffs für die ordentliche Portion Rock wieder dazu. Ich muss sagen dieser Song hat es mir irgendwie angetan. An ihm bleibe ich momentan am meisten hängen. Auch hier zieht sich das Thema der inneren Zerissenheit, Orientierungslosigkeit und Unzufriedenheit weiter durch. Die gewohnte Wärme der Stimme von Sänger Niklas gibt dem Ganzen in diesem Song meiner Meinung nach einen ganz besonderen Tiefgang und macht nachdenklich. Die Zweiteilung des Songs unterstützt die Thematik musikalisch perfekt. Dieser Song hat zudem so viele kleine Details, das ich gar nicht aufhören mag nach neuen Kleinigkeiten zu suchen. Ich lieb’s einfach!


Unangenehme Gefühle müssen ausgesprochen werden

Der nächste Song heißt „Ocean (without any waves)“. Textlich bleibt der Track im Kosmos der EP. Der Orientierungslosigkeit der vorherigen Songs folgt die nüchterne Feststellung, dass man oft leider einfach im Dunkeln tappt ohne etwas dagegen tun zu können. Ich bekomme ein Gefühl vom aufgeregt sein, wenn ich den Song höre. Irgendwie ruft es eine innere Wut in mir hervor, gemischt mit einer guten Portion Frust. Und das meine ich gar nicht negativ, ich liebe es, wenn Songs solche Gefühle in mir hervorrufen. Passend zum EP-Release hat RAZZ auch eine live session zu „Ocean (without any waves)“ auf ihrem YouTube Kanal veröffentlicht, die dem Song noch einmal seinen ganz eigenen vibe gibt. Ich finde hier kommen vor allem die Gitarrenparts noch mehr heraus und lassen den Track etwas atmosphärischer auf mich wirken.

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Bei all dem Lob kommt wohl jetzt der etwas unangenehmere Teil: Meine erste Kritik. Aber hey, was wäre eine gute Review, wenn sie nur positiv wäre? Wahrscheinlich nur halb so gut, deswegen hier jetzt meine ehrliche Meinung. Track Nummer fünf, „Reverberating“, geht für mich leider total unter auf der EP. Er fügt sich zwar textlich und musikalisch perfekt in das Gesamtbild ein, aber kratzt für mich leider sehr knapp an der Linie, aber der mich ein Song langweilt. Ok, Langeweile ist vielleicht ein sehr starkes Wort in der Musikwelt, aber sagen wir es mal so: Es ist kein Song, den ich bewusst anmache, weil er mir im Kopf hängen geblieben ist. Mehr möchte ich zu dem Song auch eigentlich gar nicht sagen, weil ich die EP insgesamt schon ziemlich liebe und mir das selbst nicht zerstören will. Also wieder zurück zum Positiven.


„Say, why do we keep falling in dreams? Where we land, where we go, I don’t know“

Den Abschluss macht „Game“, ein Song, der ebenfalls vorab als Single zu hören war und mich die getrübte Stimmung durch den vorherigen Song wieder vergessen lässt. Naja, nicht komplett, denn „Game“ ist eher so vom Typ nachdenkliche, langsame Nummer, der es aber trotzdem schafft gute Laune in mir hervorzurufen. Der Text ist wieder einmal sehr nachdenklich und lässt viel Raum für eigene Interpretation – perfekt für mich, ich liebe es nämlich Songtexte zu überinterpretieren, werde euch an dieser Stelle aber mal verschonen. Grob gesagt geht es in „Game“ über die Frustration einer immer wiederkehrenden Situation, dessen Ausgang man schon kennt, aber ihr trotzdem nicht entkommt. Der RAZZ-Rock hält sich hier etwas zurück – keine Sorge nicht komplett. Der Song ist eher ruhig und simpel zu Beginn, die Gitarre steigert sich gegen Ende im Einklang mit Text allerdings etwas weiter in die Thematik rein. Perfekte Kombi und ein schöner Abschluss der EP!

Mein Fazit zu „Might Delete Later“ ist also (wie erwartet) sehr positiv. Es gibt eigentlich nichts, was mich auf der EP stört, denn „Reverberating“ fügt sich gut in den Lauf der Songs ein, catcht mich halt einfach als einzeln stehender Song nicht. RAZZ zeigen sich etwas erwachsener und atmosphärischer im Vergleich zu ihren vorherigen Alben, aber beweisen zugleich, dass sie ihren Sound gefunden haben. RAZZ 3.0 gefällt mir sehr und ich bin gespannt, was noch so kommt!

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Fotocredit: Martha Friedel

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