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Japanese Breakfast feiert auf „Jubilee“ die Verarbeitung ihrer Krisen

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Im Leben von Michelle Zauner aka Japanese Breakfast gab es in den letzten Jahren einiges zu verarbeiten. Persönliche Ängste, ihre Identität als Migrantin in den USA und zuletzt die Krebserkrankung und der Tod ihrer Mutter waren Treibstoff für die musikalische Entwicklung auf ihren letzten beiden Alben. Nun scheinen die Rückschläge überwunden. Auf dem neuen Album „Jubilee“ kann Zauner wieder optimistisch in die Zukunft schauen. Und für ihr anhaltendes Glück ist die ikonische Musikerin bereit zu kämpfen.

Irrungen und Wirrungen sind in meinem Musikgeschmack eigentlich nichts Neues. Wenn mich etwas sofort catcht, dann ist es entweder schräger Post-Punk oder richtig süße Popmusik. Letzteres war es auch hier – ich hatte vorher offen gestanden noch nie etwas von Japanese Breakfast gehört, aber die erste Single „Be Sweet“ hat mich umgehauen. Schade eigentlich, dass man keine CDs mehr kauft. Denn meine Vorfreude war in etwa so wie damals; vor’m Provinz CD-Laden die Cellophan-Folie mit den Zähnen aufknabbern, um schon auf der Busfahrt nach Hause das Album in den Discman zu schmeißen. Ich wurde nicht enttäuscht! Ich sag euch, warum.

It’s a rush!

Wie könnte man ein „Jubilee“ am besten feiern, wenn nicht mit einem großen Fest? Das gehört ja irgendwie auch zusammen. Der Opener „Paprika“ vermittelt dieses Gefühl mit rollenden Marching-Snares, die wie bei einer großen Parade zum Festplatz führen. Durch die nach und nach hinzukommenden Bläser, versetzt mich der Song in genau diese feierliche Stimmung an einem lauen Sommerabend. Hier werden quasi die Vorbereitungen für das anstehende Jubiläum getroffen. Lichterketten werden aufgehängt und Bowle ausgeschenkt. So, dass der ausgelassenen Feierei nachher nichts mehr im Wege steht. Hoch die Tassen!

Doch zunächst hätte Japanese Breakfast in den Lyrics gerne noch ein paar Fragen beantwortet: Wie fühlt es sich wohl an, immer im Mittelpunkt zu stehen? Wenn alle an deinen Lippen hängen und jedes Wort nur so aufsaugen? Gut vorstellbar, dass Michelle Zauner sich diese Fragen hier selbst stellt. Denn nur wenige KünstlerInnen können sich wahrscheinlich der Sucht nach Aufmerksamkeit und einer wachsenden Egozentrik entziehen. Vor allem, wenn der Erfolg parallel (und natürlich absolut verdient) dazu wächst. Michelle Zauner ist nämlich nicht nur Musikerin, sie ist seit kurzem auch Bestsellerautorin in den USA. Und auch wenn man sich gar nicht so sehr im Glanzlicht des Narzissmus gefällt, ist es schwer, sich der Sucht zu stellen. Ein Erklärungsversuch? Zumindest eine Einsicht.

“Oh it’s a rush!
It’s a rush!
But alone it feels like dying
All alone I feel so much”

Tell the men I’m coming

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Die Popkomponente, nur echt mit der Bassdrum auf der 1 und der Snare auf der 2, kommt auf dem Album natürlich auch nicht zu kurz. Das zu Anfang schon erwähnte „Be Sweet“ ist ein absoluter Hit. In den 80ern hätte Cyndi Lauper den Beat wahrscheinlich auch gepickt und damals einen Chartbreaker draus gemacht. Knackiger Bass, super viel Hall auf den Drums und Gitarren mit Choruseffekt. Geht da überhaupt noch mehr 80er? Heute ist das ein hübsches Zitat an ein mutiges und super interessantes Jahrzehnt. Was übrigens, je älter ich werde, auch für mich musikalisch immer interessanter wird. Keine Ahnung was da los ist.

Dass der Optimismus in das musikalische Schaffen von Michelle Zauner Einzug erhalten hat, ist bei „Be Sweet“ sofort spürbar. Kann eine kaputte Beziehung noch mal wieder funktionieren? Ja! Im Song bietet sie Versöhnung an, zählt ihre Vorzüge auf und bittet um Höflichkeit und Respekt. Das alles aber mit dem Selbstbewusstsein einer modernen Frau. Und nicht um jeden Preis. Sie selbst beschreibt die Motivation für den Song so:

“After spending the last five years writing about grief, I wanted our follow up to be about joy. For me, a third record should feel bombastic and so I wanted to pull out all the stops for this one.“

The fear of an oven left on

Aber jetzt noch mal kurz zurück zu den Momenten, die noch ein bisschen wehtun. „Kokomo, IN“ ist ein wirklich herzzereißender Song über eine Fernbeziehung. Ebenfalls etwas retro instrumentiert, versprüht der Song eine bittersüße Melancholie. Jede*r, die*der schon mal eine Fernbeziehung erlebt hat, kann bezeugen, wie zerrissen man sich da fühlt. Selbst wenn es nur 2 1/2 Stunden Bleifuß über die A3 sind und nicht wie im Song eine Fernbeziehung ins Ausland. Mein Herz wird jedenfalls schwer, wenn ich mir vorstelle, dass ein geliebter Mensch so unfassbar weit weg ist. Auf einmal ist alles ungewiss. Vermissen ist dann gleichzeitig Schmerz und Linderung. Japanese Breakfast fängt das alles perfekt in den Lyrics ein. Nichts schockt Körper und Geist so heftig, wie die kurze Ungewissheit, ob man den Ofen auch wieder ausgemacht hat, bevor man gegangen ist. Mit diesem Gefühl vergleicht Japanese Breakfast die Angst des Getrenntseins und erzählt die Geschichte aus der Perspektive des*der Zuhausegebliebenen:

„I know they deserve you too
And maybe I’m not that worthy“

Um wie bei „Paprika“ ein bisschen auf das Thema Selbstoptimierung einzugehen, präsentiert uns Zauner dann „Slide Tackle“. Eine Drummachine, ein Synthesizer und ein wirklich sexy Saxophonsolo, mehr braucht der Song gar nicht. Er flowt und grooved entspannt vor sich hin. So kann Motivation also auch klingen? Eine schöne Abwechslung zu den sonst manchmal so aggressiven Powersongs. Und ich liebe einfach, wie sie sich selbst von unerwünschten Gedanken abbringen möchte, indem sie sie einfach „weggrätscht“ — „Don’t mind me while I’m tackling this void“.

A billion dollar bunker for two

Ein richtiges Highlight ist dann der Song „Savage Good Boy“ auf der zweite Hälfte des Albums. Aus der Sicht eines sehr reichen Mannes beschreibt Japanese Breakfast die Versuche, eine Frau für sich zu gewinnen. Da ist der Kloß im Hals ja eigentlich schon obligatorisch. Aber es kommt noch dicker, denn hier geht es nicht nur um Gepose und Angeberei. Dieser Mann hat zusätzlich auch noch Wahnvorstellungen und macht der Angebeteten eine Offerte, die er für unwiderstehlich hält: die drohende Apokalypse könne man ja zusammen in seinem „billion dollar bunker“ verbringen. Er habe alle Vorkehrungen getroffen. Ich finde den Text aus verschiedenen Gründen großartig: es ist zunächst mal ein ironisches „fuck you“ an alte, weiße, reiche Männer. Männer die glauben, sich alles erkaufen zu können und darauf auch noch stolz sind. Und weiter ist es eben auch ein sehr kluger Wink in Richtung Gesellschaft, wenn man sich die steigende Zahl von Anhängern verschiedenster Verschwörungsmythen anschaut.

Gegruselt habe ich mich dann noch mal richtig, als ich gelesen habe, dass der Titel „Savage Good Boy“ tatsächlich der Headline eines Artikels über bunkerkaufende Millionäre entstammt, der sie zu diesem Song inspiriert hat. OMG, es ist also alles real!? So abgedreht der Song auch durch die schrillen hochgepitchten Vocals und das zweistimmige Gitarrensolo wirken mag, holt uns die Message auf den traurigen Boden der Tatsachen zurück. Ja, die Welt ist wirklich so scheiße. Ein kleines Lichtlein ist allerdings das Musikvideo zum Song, wenigstens da können wir uns kurz an der bittersüßen Rache des bezirzten Geschöpfs erfreuen.

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There’s nothing left to fear, at least there’s that

Wisst ihr, um einen Neuanfang zu feiern und mit einem Jubiläum die Vergangenheit in Ehren zu halten, muss man mit eben dieser allerdings erst einmal abschließen. Ein gutes Beispiel dafür könnte der Song „In Hell“ sein. Auch wenn ich nicht weiß, wen Michelle Zauner hier besingt und vermisst, und überhaupt, ob es ihre eigene Geschichte ist. Der Song widmet sich einem der schwierigsten Themen unserer Gesellschaft: einen Menschen durch die Krankheit begleiten, wenn es sein muss die Maschinen abschalten und Abschied nehmen. Auch hier sind die Lyrics hochemotional und direkt. Ich bin eigentlich gar nicht so ein empfindsamer Mensch, aber der Song ist nach „Kokomo, IN“ schon der zweite auf dem Album, bei dem es mir ganz anders wird. Und mir wird bewusst, dass Optimismus nicht unbedingt bedeutet, strahlend und quietschfidel durchs Leben zu gehen. Sondern dass Akzeptanz und echte Verarbeitung dafür schon ausreichen.

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Auffallend ist, dass eigentlich kein einziger Text auf „Jubilee“ fröhlich pfeifend rumnervt. In allen Texten finden wir eine Ernsthaftigkeit, die erst durch den Kontext und im Gesamten einen optimistischen Blick in die Zukunft ergibt. Auch beim letzten Song „Posing for Cars“ ist das der Fall. Kennt ihr diese amerikanischen Filmszenen: die*der ProtagonistIn sitzt alleine in der Bar, betrunken, am Boden zerstört? Und auf der Bühne sitzt eine Musikerin mit Gitarre und spielt einen traurigen Song? So klingt „Posing for Cars“ für mich. Auch in diesem Stück wird etwas verarbeitet, diesmal ist eine Trennung. Faszinierend ist für mich glaube ich die plakative Ehrlichkeit der Lyrics in Verbindung mit der simplen Gitarrenbegleitung. Cool, dass der Song bis zum Ende des Textes absolut ohne Schlagzeug und sonstige Krachmacher auskommt. Und sich dann langsam wiegelnd in einen Jam samt hingebungsvollem Gitarrensolo, übrigens auch von Zauner gespielt, entfaltet.

Fazit

Bei vielen KünstlerInnen aus diesem Genre wird oft und gerne von einem „interessanten Popentwurf“ gesprochen. Nur hier ist das kein Entwurf mehr. “Jubilee” ist fertig. Damit meine ich natürlich nicht, dass es kein Potenzial zur Steigerung mehr gibt. Aber es ist stimmig, es trifft den Zeitgeist und es ist inhaltlich gehaltvoll. So stelle ich mir Pop vor! Klar, es gibt durchaus für meinen Geschmack auch 1,2 Skips auf dem Album. Aber das ist eher ein Zeichen für Vielfalt und Bandbreite, die im Pop ja eine wesentliche Rolle spielen.

Ich habe mich richtig in die Welt von Japanese Breakfast entführt gefühlt, obwohl ich mit vielen der Themen eigentlich wenig Berührungspunkte habe. Das lag auf jeden Fall an den berührenden Texten, aber auch an der Art wie Michelle Zauner die Worte performed. Ich kenne zwar weder sie, noch kann ich ihre Schicksalsschläge mangels eigener Erfahrungen nachvollziehen, aber sie hat sich mir gegenüber verständlich gemacht. Und ich glaube, ich habe sie auch verstanden. Unbedingt auch probieren!

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Fotocredit: Peter Ash Lee

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