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feinperlig. die musik-literarische Kolumne: Radio in Deutschland – eine Spurensuche

In seiner mittlerweile fünften feinperlig. Kolumne nimmt sich Musikjournalist Johannes Martin die Geschichte der deutschen Radiolandschaft vor!

Diese Kolumne fasst die hundertjährige Geschichte des Rundfunks in Deutschland zusammen – von den ersten Funksendungen über bewegte Zeiten in BRD und DDR bis hin zur digitalen Gegenwart.

Video Killed The Radio Star?

Video Killed the Radio Star“ – so hieß es im 1981er-Megahit der Band The Buggles, an dem auch Trevor Horn und der Kult-Filmmusikkomponist Hans Zimmer mitwirkten. Doch diese düstere Prophezeiung hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet. Der Rundfunk hat in über hundert Jahren – von den ersten Funkversuchen bis zur heutigen digitalen Landschaft – immer wieder seine Wandlungsfähigkeit bewiesen und unsere Gesellschaft in vielfältiger Weise geprägt.

Geschichte des Radios in Deutschland

Auf den Grundlagen der drahtlosen Telegrafie, wie sie Pioniere wie Heinrich Hertz, Guglielmo Marconi und Nikola Tesla legten, fand in Deutschland am 24. Dezember 1906 die erste öffentliche Rundfunksendung statt. Doch erst in den 1920er-Jahren entwickelte sich das Radio zum Massenmedium. Am 29. Oktober 1923 begrüßte der Direktor der neugegründeten Radiogesellschaft, Friedrich Georg Knöpfke, seine Hörerschaft mit den Worten:


„Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle im Vox-Haus auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt.“

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Die Nutzung des Rundfunks basierte anfangs auf einem Gebührensystem, das von den ersten Empfängern nur zögerlich angenommen wurde. Doch bereits gegen Ende der 1920er-Jahre wuchs die Zahl der Hörer auf über drei Millionen an. Das Programm der Weimarer Republik bot eine ausgewogene Mischung aus Unterhaltung, Kultur und Bildung. Während der NS-Zeit wurde der Rundfunk dann strukturell modernisiert und als Propagandainstrument umfunktioniert. Joseph Goebbels bezeichnete ihn als „das allermodernste und allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument überhaupt“ – und mit dem „Volksempfänger“ brachte er kostengünstige Radiogeräte in die deutschen Haushalte.

Nach dem Zusammenbruch des sogenannten „Tausendjährigen Reiches“ im Jahr 1945 übernahmen die Alliierten die Frequenzen und errichteten zentral organisierte Rundfunksender nach heimischen Vorbildern – wie etwa der britischen BBC. Daraus entstanden später der Sender Freies Berlin (SFB), die Rundfunkanstalt Berliner Rundfunk in der DDR, der „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ (RIAS) sowie der Nordwestdeutsche Rundfunk Hamburg (NWDR).

Rundfunk in der Bundesrepublik

Mit der Einführung des UKW-Bands in den 1950er-Jahren verbesserte sich die Klangqualität der Übertragungen deutlich, sodass Musiksendungen – neben dem wichtigen Format des Hörspiels – an Bedeutung gewannen. Mit Rock’n‘Roll und Beatmusik drangen nun ganz neue und zum Teil aufrührerische Klänge in die heimischen Kinderzimmer. Noch in den 1960er-Jahren ermahnte ein Nachrichtensprecher seine Hörer: „Bitte stellen Sie Ihren Empfänger auf Zimmerlaustärke!“


Mit dem Einzug des Fernsehens verlor das klassische Radio vorübergehend an Relevanz. Erst in den 80er-Jahren erlebte der Rundfunk eine neue Blütezeit: Mit der Einführung privater Sender wuchs die Vielfalt an Formaten, und regionale Angebote wurden zunehmend populär.

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Rundfunk in der DDR

Auf der anderen Seite der Mauer diente der Rundfunk in erster Linie als Propagandainstrument. Gleichzeitig war er für viele DDR-Bürger ein Tor zur Außenwelt – sei es durch heimlichen Empfang westlicher Sender oder durch Programme wie DT64, das 1964 als Jugendsendung ins Leben gerufen wurde und ab März 1986 als eigenständiger Sender täglich von 13 bis 24 Uhr sendete.


Der Rundfunk war Zeuge und Mittler bedeutender Ereignisse – vom legendären Fußballspiel am 4. Juli 1974, dem Wunder von Bern, über den ersten Deutschen im All bis hin zur Wiedervereinigung 1989. Doch der Rundfunk war nicht nur Sprachrohr der Politik, sondern auch Sprungbrett für Moderatorinnen und Moderatoren. Bekannte Namen wie Frank Elstner, Jan Böhmermann, Linda Zervakis, Marion Brasch und Jürgen Kuttner stehen exemplarisch für Karrieren, die im Radio begannen.

Und heute?

Die heutige Radiolandschaft ist vielfältig und hybrid. Klassische Rundfunksender existieren neben Streaming-Plattformen, Podcasts und On-Demand-Formaten. Dadurch hat sich das Radio von einem linearen Medium zu einem flexiblen, individualisierbaren Angebot entwickelt.
 Trotz der Kritik an den Rundfunkgebühren und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Allgemeinen sowie der fortschreitenden Digitalisierung, der Rundfunk ist robuster, als ihm nachgesagt wird: Er bietet sowohl Nischeninhalte als auch massenkompatible Unterhaltung und erreicht sein Publikum über unterschiedlichste Kanäle – und das bei vergleichsweise geringen Produktionskosten. Trotz aller technologischen Veränderungen bleibt der Rundfunk ein verbindendes Element, das gemeinsames Erleben ermöglicht, ohne ständige Aufmerksamkeit einzufordern.


Eines steht fest: „Video killed the Radio Star“ war ein Trugschluss. Während das Musikfernsehen spätestens in den 2000er-Jahren von den Bildschirmen und schließlich aus den Köpfen der Menschen verschwand, bleibt das Radio der eigentliche Gewinner.

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Doch inmitten dieser digitalen Vielfalt stellt sich die Frage: Finden sich junge Menschen überhaupt noch im linearen Radio wieder? Oder fehlt es schlicht an Formaten und Inhalten, die ihre Lebenswelt und Mediennutzung ernst nehmen?

Wo ist hier der Krach? Radio in Deutschland

Eine spannende Spurensuche zu genau diesem Thema haben Melanie Gollin und Martin Hommel mit ihrem Projekt „Wo ist hier der Krach? – Radio in Deutschland“ unternommen. Die beiden Musikjournalist:innen haben mit Programmmacher:innen in fünf europäischen Ländern und in Australien gesprochen und sie gefragt, wie genau sie das machen, wovon man sich in Deutschland schon vor langer Zeit verabschiedet hat: gutes öffentlich-rechtliches Musikradio. Absolut hörenswert!

feinperlig.“ ist eine musikalisch-literarische Kolumne von Johannes Martin, die sich an seine seit 2022 laufende gleichnamige Interviewreihe anschließt. In dieser spricht er mit Künstler*innen, Verleger*innen, Booker*innen und anderen Persönlichkeiten in der deutschen Kulturlandschaft. Durch die jetzt schriftliche Version dieser Reihe bekommt seine Kolumne und seine Einordnungen der musikalischen Kulturlandschaft endlich auch ihren Platz.

Fotocredit: Johannes Martin

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