In seiner vierten feinperlig. Kolumne knüpft Johannes Martin an seine letzte Kolumne an, in der es um die Berliner Clubs- und Kulturszene und ihre Herausforderungen und Chancen geht. Denn ein Grund, warum Clubs und Venues seit einigen Jahren verstärkt strugglen, ist das Ticketing und die Strukturen dahinter. Er hat sich deshalb gefragt: wie setzt sich so ein Ticketing überhaupt zusammen? Wie hat es sich in den letzten Jahren verändert und warum? Und wieso ist Newcomer*innen unterstützen wichtiger denn je geworden?
Ticketing – Wie setzt sich ein Ticketpreis zusammen?
Konzerte sind ein zentraler Bestandteil der Popkultur. In den letzten 20 Jahren haben sie im Kontext schwindender Verkaufszahlen für Tonträger sogar an Wirtschaftskraft und kultureller Relevanz gewonnen. Für Musikliebhaber der sogenannten E- und U-Musik* ist das Live-Erlebnis ein unvergesslicher Moment. Seit Jahren bin ich selbst begeisterter Konzertbesucher. Beim letzten Umzug stieß ich auf eine Kiste mit teilweise vergilbten Tickets aus drei Jahrzehnten. Darunter echte Helden. Die abgegriffenen Kartonstreifen sind jedoch nicht nur schöne Erinnerungsstücke, sondern Zeugnisse einer Ära, in der Eintrittskarten noch erschwinglich waren.
Wer in den 1980er-Jahren ein Konzert von Bruce Springsteen besuchen wollte, musste in der Bundesrepublik gerade einmal rund 28 D-Mark bezahlen. In der ehemaligen DDR war das Ticket sogar noch günstiger: 19,95 Mark plus 0,05 Mark Kulturbeitrag. Heute wirkt diese Preisspanne fast utopisch. Im Jahr 2023 kosteten Karten für Springsteen-Konzerte in Deutschland bis zu 500 Euro, in den USA wurden sogar Preise von 5.000 US-Dollar für sogenannte „Platin-Tickets“ aufgerufen. Doch wie gestaltet sich so ein Ticketpreis? Und wie kam es dazu, dass die Preise mittlerweile in astronomische Höhen geschnellt sind?

Musiker*innen, Booking-Agenturen und Konzertveranstalter kalkulieren für eine Konzerttournee mit Produktionskosten, Honoraren, Reisekosten, Hallenmieten, Caterings und der Promo. Daraus ergibt sich ein Grundpreis von, sagen wir mal, 30 Euro: Zunächst kommen 10 % Vorverkaufsgebühr hinzu, also 3 Euro. Darauf folgt eine Systemgebühr von 1,50 Euro sowie eine Online-Gebühr von 2,50 Euro. Am Ende zahlt der Konsument 37 Euro, obwohl der ursprüngliche Ticketpreis nur 30 Euro betrug. Hinzu kommen oft noch Versandkosten, Steuern und ein möglicher Werbekostenzuschlag, der die Karte um weitere Euros verteuern kann. Bei Premium-Tickets steigen die Gebühren sogar weiter an. Die unter dem Label „Platin-Tickets“ vermarkteten Karten suggerieren exklusive Vorteile wie VIP-Zugänge oder spezielle Services.
Ein zentraler Treiber der explodierenden Preise ist das sogenannte Dynamic Pricing. Dieses Preismodell, das aus der Luftfahrt oder Hotellerie bekannt ist, passt Ticketpreise dynamisch an die Nachfrage an. Ist die Nachfrage hoch, steigen die Preise in Echtzeit. Großkonzerne wie Ticketmaster setzen diese Algorithmen ein, um ihre Gewinne zu maximieren. Das führt dazu, dass Tickets innerhalb von Minuten astronomisch teuer werden können. Für Fans ist dieses System oft frustrierend, da man praktisch gezwungen wird, Tickets sofort zu kaufen, bevor die Preise explodieren.

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Ein Vergleich illustriert die Preisentwicklung über die Jahre:
1980er Jahre: Konzertticket (Bruce Springsteen): 28 DM (~14 Euro).
2000er Jahre: Durchschnittlicher Ticketpreis für größere Acts: ca. 50–80 Euro.
2023: Preise für Top-Acts wie Springsteen, Beyoncé oder Taylor Swift: 200–500 Euro, teilweise bis 5.000 US-Dollar für dynamisch bepreiste Tickets.
Kleine und mittelgroße Venues haben dagegen kaum Einfluss auf die Preisgestaltung. Sie vermieten ihre Säle und stellen Dienstleistungen gegen festgelegte Entgelte bereit. Ihre Gewinne generieren sie auch aus Barumsätzen und gelegentlich aus Gebühren für den Merchandise-Verkauf.
Die eigentliche Macht liegt bei großen Konzernen wie CTS Eventim, Live Nation, Anheuser-Busch oder Disney, die durch ihre Monopolstellungen die Konditionen diktieren. Diese Multikonzerne lassen den Veranstaltern und Locations nur wenig Spielraum, um faire Preise für die Besucher*innen zu ermöglichen. Darüber hinaus erweitern sie kontinuierlich ihr Einflussgebiet und ihre Profitquellen. Neben ihren Kerngeschäften – Ticketverkauf und Eventmanagement – besitzen sie große Arenen, betreiben Booking-Agenturen und sind aktiv an der Börse beteiligt. Dieses diversifizierte Geschäftsmodell macht das Live-Geschäft zu einem der lukrativsten und wachstumsstärksten Standbeine in der Musikindustrie.
Während Großkonzerne massive Gewinne erzielen, kämpfen kleinere Acts oft ums Überleben. Das zeigt sich in der paradoxen Situation, dass Konzerte von Stars wie Billie Eilish in Minuten ausverkauft sind, während kleine Bands Touren absagen müssen, weil sich ihre Fans keine 20-Euro-Tickets leisten wollen oder können. Für Top-Acts spielt die Exklusivität eine zentrale Rolle: Fans sind bereit, hohe Preise zu zahlen, um Teil eines einmaligen Erlebnisses -und im Stadion- mit dabei zu sein. Gleichzeitig fehlen vielen kleinen Künstlerinnen die Ressourcen, um in einem hart umkämpften Markt zu bestehen. Diese Entwicklung gefährdet nicht nur die kulturelle Vielfalt, sondern erschwert auch jungen Bands und unabhängigen Künstlerinnen den Aufbau einer nachhaltigen Karriere.
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Im kommenden Juni macht der mittlerweile 75-jährige Bruce Springsteen auf seiner Stadiontournee Halt in Berlin, Frankfurt und Gelsenkirchen. Die Eintrittspreise liegen zwischen 190 und 600 Euro. Da stellt sich schnell die Frage, ob man das gesamte Budget in ein bis zwei Giga-Konzerte investiert oder lieber kleinere Venues und lokale Festivals besucht.
Immer seltener erhalte ich den Eintritt zum Konzert mit einem Hardticket. In den meisten Fällen wird der Einlass digital abgewickelt. Die Freude am Konzertbesuch ist geblieben. Ich freue mich auf Gigs von Anna B. Savage im Rough Trade Record Store, Ditz im Lido sowie Zaho de Sagazan im Metropol in den kommenden Wochen in Berlin. Die kleineren Konzerte sind oft günstiger und bieten darüber hinaus ein persönlicheres Erlebnis. Damit unterstützt man die lokale Musikszene, setzt ein Zeichen gegen die Übermacht der großen Konzerne – und entdeckt immer wieder spannende neue Musik. 😊
*Die Begriffe E-Musik (ernste Musik) und U-Musik (unterhaltende Musik) stammen aus einer älteren Differenzierung der Musik, die besonders in Deutschland verwendet wurde. Diese Trennung ist heute eher historisch und wird in der modernen Musikwissenschaft kritisiert, weil sie die Vielfalt und Hybridität vieler Musikstile nicht abbildet. Trotzdem bleibt die Kategorisierung als konzeptioneller Rahmen bestehen.
Anspieltipps
Dirty Little Secrets / Geheimnisse der Musikindustrie / Folge 3: Die verschwundene Firma (S01/E03), 31.05.2023
TRACKS: Warum Konzerttickets immer teurer werden – und immer mehr Touren ausfallen | ARTE
„feinperlig.“ ist eine musikalisch-literarische Kolumne von Johannes Martin, die sich an seine seit 2022 laufende gleichnamige Interviewreihe anschließt. In dieser spricht er mit Künstler*innen, Verleger*innen, Booker*innen und anderen Persönlichkeiten in der deutschen Kulturlandschaft. Durch die jetzt schriftliche Version dieser Reihe bekommt seine Kolumne und seine Einordnungen der musikalischen Kulturlandschaft endlich auch ihren Platz.
Fotocredit: Johannes Martin
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