Nach dem nischigen Blues-Rock der 80er und einem sehr spannenden Eintauchen in Britpop und seine Entwicklungen widmet sich unser Kolumnist Johannes Martin in seiner musikalisch-literarischen Reihe „feinperlig“ nun mit einem sehr aktuellen Thema: die Berliner Clubs und Kulturszene und ihre derzeitigen Herausforderungen und Chancen.
Clubs! Clubs! Clubs! – Eine Bilanz
Der Tag der Clubkultur, organisiert von der Clubcommission Berlin, würdigte kürzlich eine Woche lang Kulturbetriebe und Kollektive für ihre Arbeit. Diese Anerkennung ist dringend nötig, denn die Berliner Clubs und Konzerthäuser stehen vor ständigen Herausforderungen. Die Gründe hierfür sind vielseitig und erfordern einen differenzierten Blick: Gentrifizierungsfaktoren spielen eine Rolle, aber es gibt noch weitere Gründe, warum Clubs zunehmend in Schwierigkeiten geraten. Die Berliner Kulturszene befindet sich in einem Dilemma – oder, besser gesagt, in einem Transformationsprozess. Doch Krisen bieten auch Chancen.
Die „Wilde Renate“: Abschied oder Neubeginn?
Im Spätsommer 2007 erlebte ich die Eröffnung des Clubs Salon zur Wilden Renate in Berlin-Friedrichshain aus einer ungewöhnlichen Perspektive – vom vierten Stock des Hauses aus, in dem die Renate gerade mühsam errichtet wurde. Es wurde geschweißt, gemauert und verputzt; Möbel und Utensilien wurden verräumt. Ich sanierte eine Wohnung in jenem vierten Stock und feierte die legendäre Eröffnungsfeier mit. Der Club sorgte schnell für Aufsehen: Die dunklen, ehemaligen Wohnflächen versprühten einen wilden, abenteuerlichen Charme, irgendwo zwischen Privatparty, Technokeller und Geisterbahn mit Federboa. Ich half gelegentlich an der Bar aus. Allmählich wurden die Wochenenden länger und die Abstände zwischen den Partys kürzer. Zwischendurch gab es eine Kunst-Performance oder einen Videodreh. Die pulsierenden Beats jener Nächte ließen eine angemessene Wohnatmosphäre kaum zu – also zog ich wieder aus. Doch den Club liebe ich bis heute.
Nun, Ende 2025, wird die Wilde Renate den Standort an der Stralauer Allee aufgeben. Der Mietvertrag wurde nicht verlängert, und die Betreiber hoffen, an einem neuen Standort weitermachen zu können. Das Gebäude steht im Bereich des geplanten Bauabschnitts der A100-Autobahn, doch der Bau ist bis heute nicht begonnen worden. Eigentümer ist der umstrittene Immobilieninvestor Gijora Padovicz, der auch das Watergate an der Oberbaumbrücke in Kreuzberg vermietet.
Watergate: Das Ende einer Ära
Das Watergate wird Ende 2024 seine Türen schließen. Clubbetreiber Ulrich Wombacher erklärte in der Berliner Zeitung, dass steigende Energie- und Mietkosten sowie die Folgen der Corona-Pandemie zu dieser Entscheidung führten. „Nach Covid hat das Geschäft nicht mehr richtig Fahrt aufgenommen. Menschen haben sich während der Pandemie andere Beschäftigungen gesucht, und die Art, Musik zu konsumieren, hat sich verändert“, so Wombacher.
Kulturbrauerei: Eine Bastion sieht sich gefährdet
Die Kulturbrauerei, eine Bastion der Berliner Kulturszene, scheint nach 32 Jahren ebenfalls bedroht. Seit dem Verkauf des Geländes an einen privaten Investor im Jahr 2012 stehen die Kulturmieter unter wachsendem Druck. Die aktuelle Immobilienfirma Aroundtown fokussiert sich auf Renditen, was die Mietpreise steigen lässt und zahlreiche Kulturbetriebe in ihrer Existenz bedroht.
About Blank: Konflikte und Polarisierung
Auch das About Blank erlebt schwierige Zeiten. Die Betreiber engagieren sich seit Jahren für Feminismus, Antirassismus und Antisemitismus. Doch die angespannte Lage rund um den Israel-Palästina-Konflikt hat zu Spannungen geführt. Aktionen wie „Raves for Palestine“ und BDS-Kampagnen verstärken die Polarisierung in der Szene.
Ein Blick auf die Ursachen: Von Gentrifizierung bis Pandemie
Die Ursachen für die Probleme der Berliner Clubs und Kulturbetriebe sind vielfältig. Neben steigenden Energie- und Mietkosten spielen gesellschaftliche und politische Faktoren eine Rolle. Die Folgen des Krieges, steigende Ticketpreise und nicht zuletzt die Kürzungen im Bundeshaushalt 2025 erhöhen den Druck. Obwohl der Kulturetat insgesamt um 50 Millionen Euro auf 2,2 Milliarden erhöht werden soll, ist vor allem die Förderung der freien Szene bedroht. Der Verbund von Spielstätten, bisher mit 5 Millionen Euro gefördert, soll künftig leer ausgehen.
Eine massive Krise initiierte die Corona-Pandemie, die die Kulturszene schlagartig zum Stillstand brachte. Trotz Rettungspaketen fiel es vielen Clubbetreibern schwer, sich nach Monaten der Zwangspause und mit steigenden Kosten zu stabilisieren. Einige gaben auf. Die Clubcommission forderte daher, „Clubkultur als integralen Bestandteil der Berliner Kulturszene anzuerkennen und zu fördern“. Doch nach einem kurzen Aufschwung brachen die Besucherzahlen in vielen Clubs ab Herbst 2023 erneut ein.
Positive Beispiele: Wo die Zukunft liegt
Auch in angespannten Zeiten gibt es immer wieder positive Entwicklungen, die zeigen, dass die Szene in Bewegung bleibt. Einige Clubs haben hybride Ansätze gefunden und sich den neuen Bedingungen erfolgreich angepasst. Der Anomalie Art Club in der Storkower Straße etwa bietet ein vielseitiges Programm von Clubnächten über Kunstausstellungen bis hin zu Workshops und zieht damit ein breiteres Publikum an. Aus dem Haubentaucher wurde MAAYA, ein neues Kulturzentrum, das „afrikanische und afrodiasporische Kunst und Kultur feiert“. Die Zukunft am Ostkreuz hat nach der Schließung des alten Standorts eine Vorhaltefläche für die geplante A100 in der Nähe der Wilden Renate gefunden. Die Neue Zukunft bietet dort „Kino, Kunst, Konzerte und Kneipe“ an. Auch die Anerkennung der Berliner Technokultur als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe setzt ein symbolisches Zeichen.
Neue Wege gehen
Nun ist es an uns, auf dieser Vielfalt aufzubauen. Seit den 2000er- und 2010er-Jahren wurde der Clubszene oft der „Ausverkauf“ durch Tourismus und Billigflieger attestiert. Heute, im Strudel der Gentrifizierung, braucht es neue Wege. Ein Blick nach London oder New York zeigt, dass die Clubkultur dort immer schon einem härteren Konkurrenzkampf ausgesetzt war und weniger auf staatliche Fördergelder hoffen durften. Vielleicht ist dies der Moment, um in Berlin freie Kunst und safe spaces neu zu definieren und Themen wie Awareness und Identität in den Vordergrund zu stellen. Gerade weil die Touristenströme abnehmen, besteht jetzt die Chance, Strukturen für eine nachhaltige, lokale Kultur zu schaffen – das setzt jedoch gezielte Förderungen voraus.
Die Clubkultur spiegelt die Vielfalt, die Herausforderungen und die Bedürfnisse unserer Gesellschaft wider. In einer Zeit, in der unsere Demokratie zunehmend unter Druck steht, sollten wir die Gelegenheit nutzen, Kulturräume neu zu denken und zu stärken. Für eine Kultur, die Menschen zusammenbringt, inspiriert und verbindet.
Shownotes / Quellen:
https://taz.de/Gruender-verlaesst-Interessenverband/!6041713
https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/corona-kultur-1735378
MAAYA Berlin – I am because we are
Berlin Techno ist immaterielles Kulturerbe
Clubcommission Berlin – Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter e.V.
„feinperlig.“ ist eine musikalisch-literarische Kolumne von Johannes Martin, die sich an seine seit 2022 laufende gleichnamige Interviewreihe anschließt. In dieser spricht er mit Künstler*innen, Verleger*innen, Booker*innen und anderen Persönlichkeiten in der deutschen Kulturlandschaft. Durch die jetzt schriftliche Version dieser Reihe bekommt seine Kolumne und seine Einordnungen der musikalischen Kulturlandschaft endlich auch ihren Platz.
Fotocredit: Johannes Martin