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feinperlig. die musik-literarische Kolumne: FRÜHLING BIS SOMMER – Meine Woche mit Stella Sommer

In seiner sechsten feinperlig. Kolumne war Musikjournalist Johannes Martin eine Woche lang im Bann des neuen Albums von Die Heiterkeit.

Als Berliner habe ich lange Zeit mit einer gewissen Eifersucht auf die Hamburger Musikszene geschaut. Blumfeld, Bernd Begemann, Kettcar, Die Braut haut ins Auge, Tocotronic – und später dann Die Heiterkeit. All diese Bands transportierten ein Gefühl von diskursivem Pop, von eleganter Melancholie, Ironie und Widerstand. Eine Art Verlorensein mit Haltung. Ich habe dieses Gefühl gesucht – und in der Hansestadt gefunden.

Die Heiterkeit

Von Stella Sommer und Die Heiterkeit hörte ich zum ersten Mal 2015. Das Doppelalbum Pop & Tod I + II mit dem Eröffnungssong Die Kälte sprach mich sofort an. Schon die Eröffnungszeile ging mir durch Mark und Bein: „Da wo ich wohne, ist es immer kalt, kalt, kalt.“ Und mir – paradoxerweise – wurde warm zumute. Heute ist Sommer die alleinige Stimme und kreative Kraft hinter Die Heiterkeit. Ihr aktuelles Album Schwarze Magie hat mich überrollt. Im besten Sinne. Im Zeitraum der Albumveröffentlichung sollte ich eine kurzweilige Woche mit Stella Sommer verbringen.

Von Frühling bis Sommer

Im Frühling falle ich traditionsgemäß in eine leichte Melancholie – ausgerechnet dann, wenn alle anderen aufblühen. Während Berlin aus allen Nähten platzt vor Parkromantik, Picknickdecken und Biergartenseligkeit, möchte ich mich manchmal einfach verkriechen. In meine Höhle, unter die Decke, ins eigene Innenleben. Musik hilft da. Die richtige Musik – und Stella Sommer liefert genau das.

Aufgewachsen in St. Peter-Ording, gründete die Musikerin 2010 Die Heiterkeit in Hamburg, zunächst als Trio. Vier Alben folgten in wechselnder Besetzung, Umzug nach Berlin, außerdem drei englischsprachige Soloalben und ein Nebenprojekt namens Die Mausis mit Max Gruber alias Drangsal. Schwarze Magie ist nun die Rückkehr zum Bandprojekt.

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Schwarze Magie

Musikalisch orientiert sich das Album mit Anklängen am Great American Songbook, Elvis, Folk, frühen Country, Cohen und Baez – aber auf ganz eigene Weise. Musik, die sich nicht aufdrängt, aber fesselt. Die Musik flattert in düsterer Eleganz, gespickt mit feinem, manchml bittersüßem Wortwitz. Stella Sommers sonore Stimme erinnert mich manchmal an Patti Smith, ist aber vor allem eines, unverwechselbar. Alles ist wie mit feinem Pinselstrich gemalt – inklusive der Produktion von Moses Schneider, der der Platte eine angenehm unaufgeregte Tiefe verleiht. Das ganze Projekt wirkt fast zwanghaft durchdacht.

Fischtage

Bei der Buchpremiere von Charlotte Brandis Romandebüt „Fischtage“ im Maschinenhaus in Berlin traf ich Stella Sommer – wir wurden uns kurz vorgestellt, dann sprach ich ihr meine Hochachtung aus. Ich erwähnte aber auch, dass ich Die Heiterkeit (und Tocotronic) zwar liebe, sie aber nicht grooven. Totaler Quatsch, eigentlich. Was ich meinte: Schwarze Magie klingt für mich wie das beste Hamburger-Schule-Album der letzten Jahre – nur eben aus Berlin. Leise, aber eindringlich. Und ja, es groovt – nicht im klassischen Sinn, eher als innerer Rhythmus. Wie ein Herzschlag.

Noch am selben Abend kaufte ich mir ein Ticket für das anstehende Konzert im Lido. Das Album wollte ich mir vor Ort als Vinyl kaufen. Auf Spotify ist es nur in Auszügen verfügbar. Ein Statement. Und auch ein Qualitätsversprechen: Musik zum Hören, nicht zum Skippen. Eine Woche lang hörte ich das komprimierte Album hoch und runter.

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Läute die Glocken*

Das Konzert im Lido fällt auf den folgenden Mittwoch. Das ehemalige Kino an der Schlesischen Straße ist in rotes und blaues Licht getaucht ist. Die Heiterkeit treten zu fünft auf. Stella Sommer intoniert den ersten Song Alles was ich je geträumt hab zurückhaltend, auch weich, getragen und beinahe sakral. So klingen viele der neuen Songs. Statt brachiale Keyboardflächen, wie noch auf dem Vorgängeralbum Was passiert ist, dominieren hier dezente Folk- und Countryklänge. Die Arrangements erinnern an Harold Arlen, Rick Rubin oder Leonard Cohen. Ein Song, Santa Ana, ist in direkter Anlehnung an They Call the Wind Maria entstanden, einem seltsam schönen Country-Song aus dem Jahr 1951.

Als die Band Teufelsberg spielt, denke ich an Goethes Brocken, an Thomas Manns Zauberberg, an Wagner, Wind und Mondlicht. Übertrieben? Vielleicht. Funktioniert meine Assoziation hin zu deutscher Naturromantik? Irgendwas rührt da in mir. Der Teufelsberg ist nicht nur ein Trümmerberg in Berlin-Grunewald – er ist auch Projektionsfläche für alles, was verloren ging und noch immer in uns arbeitet. Winde, Geister und Berge – ich höre die Glocken läuten.

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Geister

Schwarze Magie ist kein politisches Album im klassischen Sinne. Es spricht nicht direkt über Kriege oder Krisen. Und trotzdem fühlt es sich zeitgemäß und dringlich an. Vielleicht, weil es tiefer gräbt. Weil es dort ansetzt, wo einfacher Sprachgebrauch aufhört und Lyrik beginnt. An dieser Stelle empfehle ich, die Texte des Albums separat zu lesen.

Im Pressetext heißt es: „Die Götter sind malade und kraftlos, die Geister zu porös zum Spuken.“ Und so liegt es wieder an Die Heiterkeit, uns an der Hand zu nehmen und durch die Dunkelheit zu führen.

Einer der letzten Songs beim Berlin-Konzert ist Die Kälte. Ich lausche gebannt. Nach 100 Minuten ist Schluss. Ich bin merkwürdig erleichtert – und tief bewegt. Am Merchstand lasse ich mir die Platte von Stella Sommer signieren. Ich erwähne noch mal mein Groove-Missverständnis, aber Stella sagt nichts dazu. Vielleicht hat sie es nicht gehört. Vielleicht war es nicht wichtig.

Die ich rief, die Geister, werd‘ ich nun nicht los. Auf dem Nachhauseweg war ich geheimnisvoll erfüllt, nach einer Woche mit Stella Sommer und Die Heiterkeit.

*Läute die Glocken ist der erste Song auf dem Album Schwarze Magie.


Die Heiterkeit – Schwarze Magie (Buback/VÖ: 21.03.2025) / http://dieheiterkeit.de/

feinperlig.“ ist eine musikalisch-literarische Kolumne von Johannes Martin, die sich an seine seit 2022 laufende gleichnamige Interviewreihe anschließt. In dieser spricht er mit Künstler*innen, Verleger*innen, Booker*innen und anderen Persönlichkeiten in der deutschen Kulturlandschaft. Durch die jetzt schriftliche Version dieser Reihe bekommt seine Kolumne und seine Einordnungen der musikalischen Kulturlandschaft endlich auch ihren Platz.

Fotocredit: Johannes Martin

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