Wenn es um alternative Popmusik geht, werden wir in den nächsten Monaten voraussichtlich über einen Namen besonders oft stolpern: Emma Philline. Die 21-jährige Künstlerin aus Leipzig mischt mit ihrem experimentellen Bedroom Pop die Szene gewaltig auf – und das obwohl sie erst letzte Woche ihre erste EP „17 2 20„ veröffentlicht hat. Mit ihren autobiographischen Texten ist sie dabei nicht nur eine authentische Stimme ihrer Generation, sie verhilft auch Themen wie Sex, Feminismus und Depressionen zu enormer Dringlichkeit.
Ich hatte die Möglichkeit, per Videocall mit Emma und ihrem Producer Dennis Behrendt (alias Zoetrop) über ihre Kunst, ihre Arbeitsweise und ihr Engagement für female empowerment zu sprechen.
Emma Philine im Interview
Lukas: Hallo Emma, hallo Dennis! Schön, dass ihr Zeit für ein Interview mit untoldency habt. Ihr wohnt zur Zeit in Leipzig, habe ich das richtig aufgeschnappt?
Emma: Ja, genau. Ich bin eigentlich Berlinerin und bin hergezogen mit 12 oder 13. Seitdem bin ich irgendwie hier geblieben, weil ich mir hier natürlich einen sozialen Kreis aufgebaut habe. Und jetzt auch künstlerisch, durch Dennis und die ganzen anderen Kontakte. Ich will auf jeden Fall irgendwie wieder zurück nach Berlin, aber erstmal macht es jetzt Sinn für mich und uns, hier zu bleiben.
Lukas: Also ist Leipzig doch nicht das neue Berlin?
Emma: Hmm, nee, aus meiner Sicht nicht. Dennis liebt Leipzig. Ich liebe Leipzig auch, aber Berlin ist eben Berlin. Man kann es nicht vergleichen. Die Internationalität in Berlin, die Größe, die Möglichkeiten der Venues und Veranstaltungen… Bei mir ist das gerade eben auch so ein Lebensabschnitt, wo ich gerade auch durch die Kunst noch mal mehr raus möchte und mich da noch mehr vernetzen möchte.
Lukas: Spielt Leipzig als Stadt denn eine Rolle für deine Musik?
Emma: Also natürlich im Sinne, dass wir mit ganz tollen Leuten aus Leipzig zusammenarbeiten, ja. Aber das ist nicht so ein local Ding, wie man das bei local Rap hat. Leipzig ist jetzt nicht verankert in meinen Lyrics, so wie „Leipzig – das Lebensgefühl“… Das nicht, ne. Aber natürlich die Kooperationen hier. Das kann ich nicht außen vor lassen. Gerade als DIY-Projekt wäre das alles nicht denkbar ohne die Leute, die uns hier vor Ort helfen. None of that.
Lukas: Leipzig lässt bei mir immer direkt die Alarmglocken läuten, weil im Moment so viel gute Musik aus Leipzig kommt. Wie kann man sich die Bubble in Leipzig vorstellen, kennt da jede:r jede:n?
Emma: Man kennt sich, aber trotzdem macht jeder sein Ding. Wir sind jetzt nicht eine Familie, die die ganze Zeit aufeinanderhängt. Leipzig hat eine gewisse Größe, aber ist trotzdem begrenzt und da hat wahrscheinlich jeder plus/minus mal mit jedem so ein bisschen zusammengearbeitet. Also wir auf jeden Fall, mit Zouj zum Beispiel oder mit Magnus aus dem Lala Studio.
Lukas: Und dann chillt ihr in Reudnitz oder Connewitz in den ultra hippen Vierteln, oder wo hängt man als Musiker:in in Leipzig ab?
Emma: Ich häng erstaunlich wenig ab, muss ich sagen… (lacht). Keine Ahnung, ich glaub, wir arbeiten halt immer. Ich chill wenn dann mal mit Dennis, aber so get togethers gibt es gar nicht so viel. Wir husslen einfach die ganze Zeit. Und zwischendurch kochen wir hektisch. (grinst)
Dennis: Hektische Spaghetti.
Emma: So wie gerade. (lachen) Also ne, Dennis ist auf jeden Fall auch mein Freund, safe. Gerade weil die Arbeit an der Musik so super persönlich ist und er dadurch eine große Vertrauensperson für mich geworden ist. Aber wir kommen nicht mehr zum Chillen so richtig. Ich finds auch nicht schlecht, so wie es gerade ist. Also ich arbeite gerne.
„Das Ganze hat irgendwie einen Geschmack, eine Farbe bekommen“
Lukas: Du hast jetzt letzte Woche deine neue EP „17 2 20“ veröffentlicht. Darauf sind vier Songs, inkl. der Vorab-Singles „SLOW“ und „GHOST OF MINE“. Ihr habt die Songs ja gemeinsam produziert. Wie sieht denn bei euch so die typische Routine aus, wenn ihr an neuen Songs arbeitet?
Dennis: Ich weiß gar nicht, ob wir so eine krasse Routine haben. Aber Emma liefert fast ausschließlich die Texte. Meistens improvisiert sie Zuhause grobe Songskizzen auf Beats von YouTube oder am Klavier. Dann zeigt sie mir das. Und ich habe meistens einen Teil, der mir gar nicht gefällt und einen Teil, den ich richtig nice finde. Dann streiten wir uns manchmal darüber, welche Teile gut sind. Und aus diesem Rohmaterial machen wir dann etwas Neues.
Emma: Manchmal ist es auch andersrum. Ich komme zu Dennis und er zeigt mir einen Beat, den er gemacht hat. Ich mache dann super spontan irgendwas, also schreibe auch den Text vor Ort in einer halben Stunde. Das kann cool sein, das kann aber auch im Nachhinein so Unzufriedenheiten auslösen. Wir möchten jetzt auch einiges ändern oder ausprobieren, das ist einfach gerade die Phase, in der wir sind. Ich glaube, ich möchte ein bisschen konzeptueller arbeiten, weil ich jetzt erst gelernt habe, wie viel einfach an so einer Fertigstellung dranhängt. Da möchte ich mir in Zukunft einfach sehr sicher sein. Und natürlich auch mit Blick auf die Künstleridentität; was bedeutet das, was trag ich nach außen… Das ist so ein Gefühl, das du am Anfang noch gar nicht kennst. Da machst du es irgendwie einfach, dann entwickelt sich das und man wird kritischer.
Lukas: Ich finde, dafür dass 2021 die ersten Songs erst rauskamen, ist das schon sehr gelungen…
Emma: Ich bin auch erstaunt darüber, wie das funktioniert. Ich habe am Anfang gar nicht darüber nachgedacht, dass es bei der EP ein Konzept geben wird. Das ist jetzt alles zum ersten Mal passiert. Das Ganze hat irgendwie einen Geschmack, eine Farbe bekommen. Und ich finds so cool, dass es jetzt am Ende irgendwie doch für mich funktioniert. Das war echt ne spannende Reise und Erfahrung. Hat auch wirklich lang gedauert, aber wenn man fast alles selbst macht, ist das einfach so.
„Es geht nicht um Provokation, denn das passiert als Frau sowieso“
Lukas: Apropos alles selbst machen: Ich habe schon oft mitbekommen, dass sich weiblich gelesene Personen in der Popmusik häufig die Frage anhören müssen: „Hast du das wirklich alles selbst gemacht?“ Kennst du das auch? Wie fühlst du dich dabei?
Emma: Das ist mir so noch nicht passiert, weil das stimmt ja auch nicht. Ich habe nichts davon komplett selber gemacht. Aber dafür bin ich auf viele andere unangenehme Sachen gestoßen, auf jeden Fall. Gerade auch in der Zusammenarbeit mit Leuten, die mit daran gearbeitet haben. Im Prozess, Entscheidungen treffen, Ansagen machen. Dass Leute dich eben als weiblich gelesene Person erstmal weniger respektieren. Oder du dir immer wieder Scheiße anhören musst. Letztendlich ist es mein Projekt und es ist mein Name, deswegen muss ich das letzte Wort haben. Und das ist ein übelster Krampf bei ganz vielen Leuten. Da werden und wurden Grenzen überschritten, zum Beispiel:. „Hast du dir Gedanken über deine Social-Media Präsenz gemacht? Soll das so freizügig sein?“ Auch gerade auf dieser Schiene. Ganz furchtbare Kommentare habe ich bekommen und es ist unglaublich, was ich mir da alles geben muss. Aber, I think I’m doing good und mein Ding ist, dass ich solche Leute einfach cancel. Da wird mein Geduldsfaden auch immer kürzer.
Lukas: Was sollte sich denn ändern, um die Situation von Musiker:innen zu verbessern?
Emma: Wir brauchen mehr FLINTA* Personen, auf jeden Fall auch in Entscheidungsrollen. Aber auch allgemein. Mehr Produzent:innen, mehr Cutter:innen, einfach in allen Bereichen. Das ist mir ganz wichtig. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich immer für eine FLINTA* Person entscheiden, aufgrund meiner bisherigen Erfahrung. Das ist einfach ein anderes Zusammenarbeiten. Und sonst müssen sich Männer eben ändern. Punkt. Das ist einfach etwas Grundsätzliches. Dann brauchen wir noch Bildung, würde ich sagen. Feministische Bildung, denn dann fängt man ja auch an zu reflektieren. Und Zuhören ist ganz wichtig, oder sich manchmal auch einfach zurücknehmen als Cis-Mann.
Lukas: Ich könnte mir vorstellen, dass „SLOW“, sowohl Song als auch Video, einige Leute, vielleicht auch gerade Cis-Männer, provozieren könnte. Willst oder wolltest du damit provozieren und wenn ja, wen?
Emma: Also ich mach das hier nicht, um irgendjemand gezieltes zu provozieren. Sondern, egal was ich mache, ich provoziere. Auch allein mit steigender Reichweite, könnte ich eine Künstlerin sein, die sich nicht auszieht. Und dann wärs auch ein Thema, wenn auf irgendeinem Foto dann doch ein bisschen zu viel Bein zu sehen ist. Es geht nicht um Provokation, denn das passiert als Frau sowieso, egal was ich anziehe. Slow ist ein Song über Intimität und über Sex, und deswegen ist das Video auch so geworden, weil es einfach diesem Thema folgt.
„Es interessiert ja die Leute nichts mehr als Nacktheit und Sex — plus/minus“
Lukas: Also, für die, die es noch nicht gesehen haben: Im Video lässt du dich quasi nackt mit Honig übergießen. Musstest du dich sowohl für Song und Video aus deiner Comfortzone herausbewegen?
Emma: Ich habe meine Grenzen und die habe ich gewahrt. Jede Person hat andere Grenzen, aber meine Brüste oder mein Po sind keine Grenzen für mich. Also es kommt drauf an, aber wenn ich es ästhetisch finde, dann darfst du das auch. Was aber natürlich immer wieder passiert ist, dass ich Kommentare bekomme, die sehr sexuell sind und sowas. Und dass sich Leute irgendetwas vorstellen mit mir.
Lukas: Das wäre jetzt tatsächlich meine nächste Frage gewesen, ob du dir da schon viel Unsägliches gefallen lassen musstest?
Emma: Ja, allerdings weniger wegen des Videos zu „SLOW“. Eher so durch OnlyFans, oder zum Thema Sex Work, zu dem ich mich positioniert habe. Oder laszivere Bilder auf Social Media. Bei „SLOW“ habe ich, to be honest, nicht so viele grenzüberschreitende Kommentare bekommen. Ich habe aber den Kommentar bekommen, was das denn mit Feminismus zu tun habe und was die Message sein soll. Sowas wird es immer geben und meine Antwort darauf ist, dass solche Personen erstmal selbst was auf die Beine stellen sollen. Meine Projekte sind nicht perfekt. Ich bin nicht perfekt. Unsere Art zu arbeiten ist noch nicht perfekt und ich weiß nicht, ob sie es je sein wird. Aber am Ende des Tages bin ich stolz darauf, was wir gemacht haben. Es steckt viel Arbeit drin und wir haben viel darüber nachgedacht. Und dann lass ich mir von keinem Mann sagen, ich sei nicht feministisch. Das wird belächelt und ignoriert, dazu bin ich zu sicher, in dem was ich denke und erlebt habe.
Lukas: Sind für dich Songs über weibliche sexuelle Lust und freizügige Musikvideos denn female empowerment?
Emma: Das ist ja für jeden was anderes. Für mich ist es ein Teil davon, aber noch so viel mehr. Die Videoproduktion ist ja jetzt schon eine Weile her, aber ich mache das immer noch, dass ich mich lasziv zeige, oder dass ich mich ausziehe. Als ich 14 oder 15 war, gab es in meinem Freundeskreis schon Leute, die sowas auf Instagram gemacht haben. Und ich habe als junges Mädchen nicht verstanden, warum ziehen die sich aus? Ich hatte genau diese komische, verschobene Meinung dazu. Ich habe das gesehen und dachte immer: „Was hat denn das jetzt mit Empowerment zu tun?“ Und das bekomme ich ja auch oft zu hören. Und wenn man selbst die Erfahrung nicht gemacht hat, wenn man sich nicht vorstellen kann, dass man sich sexy fühlt oder so… Dann wird es eben als etwas Schlechtes abgetan. Es ist auch nicht so, dass ich da immer Bock drauf habe. Aber es ist für mich einfach nichts Schlimmes, es ist einfach ein Körper. Wenn wir jetzt etwas internationaler schauen, ist es ganz normal, dass man sich sexy präsentiert. Und das hat ja auch eine Kraft! Es interessiert ja die Leute nichts mehr als Nacktheit und Sex — plus/minus. Das heißt nicht, dass man das machen muss, aber wenn man sich gut damit fühlt, gibt’s da keine Regeln.
Lukas: In Slow geht es aber ja gar nicht nur um Sex, oder?
Emma: Nein, wir hatten ja schon das Thema Sex von vornherein angeschnitten, deswegen habe ich da auch vorhin angesetzt. Aber natürlich geht’s um mehr als nur um Sex. Es geht um dieses tiefe Verlangen nach Nähe und Vereinigung, sexually und emotional. Ein Verlangen, das eben so stark ist, dass es zur Qual wird.
„Ich mache das wirklich aus einem need heraus“
Lukas: Bei der Interpretation von Texten muss man ja immer etwas vorsichtig sein. Was davon ist noch Künstler:in und was ist vielleicht schon Rollenprosa. Verarbeitest du denn deine eigenen persönlichen Erfahrungen auch unmittelbar in deinen Texten?
Emma: Ja, schon eigentlich ausschließlich. Kann mir vorstellen, dass es irgendwann mal anders sein wird. Wenn ich mich vielleicht gerade mal selber langweilig finde, dass ich mir dann eine Geschichte von jemand anderem nehme, die mich dann inspiriert. Aber an und für sich ist es mir ein Bedürfnis, Songs und Kunst zu machen. Ich mache das wirklich aus einem need heraus. Und nicht: „Ach am Montag habe ich zwei Stunden Zeit und dann setz ich mich hin und mache das“. Ich bin unterwegs und lebe mein Leben. Und zwischendurch passiert irgendwas, das kickt mich voll raus… Dann weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll und genau in dieser Situation fange ich an, meine Skits zu machen. Weil ich einfach nicht weiß, wohin sonst damit. Unabhängig davon, dass ich früher nicht immer wusste, wohin ich mich sozial wenden konnte, im Gegensatz zu heute. Trotzdem gibt es Sachen im Leben, bei denen mir niemand helfen kann. Und die schreibe ich dann eben auf. Oder singe sie, oder rappe sie. Manchmal ist es auch ne Audioaufnahme. Ich nehme viel auf aus meinem alltäglichen Leben.
Lukas: Also als Part deines Songwritings? Oder ist das Teil deiner alltäglichen Lebensroutine, dass du viele Audios aufnimmst?
Emma: Ja, und wenn es nicht zu einem Song wird, wird es zu einem Musikvideo, oder einem Text, einem Podcast… Deswegen würde ich mich auch primär als Künstlerin bezeichnen, und nicht nur als Musikerin, weil ich einfach sehr multidisziplinär arbeite. Ein tool reicht mir da nicht.
„Es gab auch damals und immer Hoffnung in mir“
Lukas: Deine Musikvideos sind ja zum Beispiel auch ein wichtiger Bestandteil deiner Kunst und, meinem Empfinden nach, mindestens genauso intensiv, wie die Musik. Über das Video zu „SLOW“ konnten wir ja gerade schon sprechen. Im Dezember kam dann auch noch das Video zu „GHOST OF MINE“, bei dem du unter anderem auch Regie geführt hast. Ich habe in dem Kontext auch gelesen, dass du dir und deinen Freund:innen ab und zu gerne Tarotkarten legst. Was haben diese Tarotkarten denn mit dem Musikvideo zu tun?
Emma: Wo hast du das alles gelesen, sag mal? (lacht)
Lukas: Das stand in deiner Pressemappe! (lacht)
Emma: Ahja, stimmt! (lacht) Die Idee für das Video von „GHOST OF MINE“ kam tatsächlich daher. Ich hatte eine Tarotkarte gezogen, nämlich „Neun der Schwerter“. Das ist eine ziemlich scary Karte. Da liegt eine schlaflose Person im Bett und über ihr sieht man neun Schwerter. Ein sehr darkes Setting. Und ich dachte so: „oh nee!“ (lacht) Und die Karte hat literally gesagt: „Sie stehen vor einer Phase, in der sie sich extremen Qualen hingeben.“ Manchmal ziehe ich Tarotkarten und das ist dann eher so „hier rein, da raus“. Aber weil ich so ein bisschen Angst davor hatte, habe ich mir die Karte an den Kühlschrank gehängt und die Karte jeden Tag gesehen. Irgendwann kam mir dann die Idee, dieses Gefühl von Schwertern zerstochen zu sein als Metapher für emotionale Schmerzen in einem Video darzustellen. Die Schwerter sind also die Hauptmetapher, so wie der Honig bei „SLOW“.
Lukas: Kannst du uns kurz beschreiben, worum es in dem Song geht und ein bisschen den Kontext erläutern?
Emma: Also die Schwerter stehen symbolisch dafür, was den Prozess bremst, sich in eine Beziehung zu begeben. Die Angst nicht lieben zu können, das ist eigentlich „GHOST OF MINE“. Und dann ist es gleichzeitig so ein Wegstoß. Das ist ja eine normale Reaktion. Wenn etwas nie klappt, so psychologisch, dann denk ich irgendwann: „Das ist halt nichts für mich. Ich bin eigentlich gar nicht da, ich bin eigentlich schon tot.“ Das ist so eine Schutzreaktion und letztendlich das, was ich im Song und im Video beschreibe. Dann am Ende öffnet sich der Song von der Struktur. Damals, als wir den Song geschrieben haben, habe ich aber schon verstanden, dass das ganze Leben eigentlich nicht so ist. Es gab auch damals und immer Hoffnung in mir und diese Umstrukturierung im Song bedeutet, dass ich jetzt gerade vielleicht nicht zu zweit sein kann. Und das ist auch ok. Diese Zeit kann aber kommen, ich akzeptiere das und bin jetzt erstmal allein mit meinen Wunden.
Lukas: Für mich war diese Zeile „I’m just a goddamn child“ beim Hören quasi der break through, bei der ich den turn im Song gespürt habe. Da war so eine Akzeptanz zu erkennen, die Schmerzen und Vergangenes zum Teil der Persönlichkeit werden lässt, aber auch mit so einer Resignation koppelt…
Emma: Ja, das ist ja auch in den Vocals drin so ein bisschen, safe. Aber von sich selbst zu sagen „ich bin nur ein Kind“, spricht einem ja auch voll den Respekt ab, eine mündige Person zu sein. Ich würde gar nicht sagen, dass das so der Befreiungsschlag ist, aber vielleicht war es das damals. Das ist eben immer das Ding, man ist immer seiner Kunst voraus und jetzt bin ich auch ein anderer Mensch, als ich damals war. Deswegen heißt die EP auch „17 2 20“, weil ich eine Distanz schaffen wollte, zwischen den ganzen Themen und dem Stil, in dem ich es nach außen trage. Das ist alles schon so dramatisch. Deswegen einfach „17 2 20“, das ist der Zeitraum in dem das alles war. Das klingt irgendwie fresh und ein bisschen leichter, nicht alles so schwer. That’s it.
„Letztendlich gucke ich aber immer wieder in den Spiegel und sage: »Doch, ich mag dich.«“
Lukas: Lass uns noch kurz über Zufriedenheit sprechen. Ich habe in einem Radiointerview gehört, dass du mit deiner Musik nie zufrieden bist. Das muss sich ja furchtbar anfühlen. Woher kommt das, ist das dein Perfektionismus?
Emma: Das ist eher das tiefe Bedürfnis, weiter zu machen. Ich weiß, dass ich jetzt woanders bin und das möchte ich auch möglichst schnell in etwas Neues packen. Es ist ja nicht so, als würde ich jetzt meine Musik runtermachen oder so. Es gibt halt Tage, da kann ich es mir nicht so gut anhören, dann denk ich mir so: „Boah, kein Bock“. Wie du auch nicht immer jeden Tag in den Spiegel guckst und sagst: „Geil, ich find mich so geil heute!“ Diese Tage gibt es aber ja. Und dann gibt es Tage, da ist es eben nicht so. Letztendlich gucke ich aber immer wieder in den Spiegel und sage: „Doch, ich mag dich.“ So ist es auch mit meinen Songs. Aber ich will halt weiter.
Lukas: Deine Unzufriedenheit bremst dich also nicht aus, sondern treibt dich an? Heißt das, es gibt auch schon neue Musik?
Emma: Ja voll, wir haben schon einige Sachen im Petto. Es muss aber auch auf jeden Fall viel neue Musik gemacht werden und da müssen wir uns noch Zeit für nehmen. Für ein großes Ding möchte ich auch mal etwas Ruhe haben und mich diesmal ein bisschen vorbereiten. Es gibt so drei, vier Themen, die ich unbedingt in einen Rahmen fassen möchte. Damit das nicht immer alles so ein Wirrwarr ist und man sich das Thema irgendwie nachher sucht.
Lukas: Wenn man dir auf Instagram folgt, wird schnell klar: Zu deiner Musik gehören nicht nur die Musikvideos, sondern auch deine Persönlichkeit und deine ganze Appearance. In deinen Texten höre ich ganz viele introvertierte Motive heraus, z.B. Überforderung, Angst oder Einsamkeit. Wie passt dieses introvertierte Fühlen denn mit der Extrovertiertheit deines Auftretens zusammen?
Emma: Das bin halt einfach ich. Oder das war ich. Ich war schon immer jemand, der sehr outgoing ist. Oder auch sehr selbstbewusst und sehr direkt. Ich bin aber genau so eine Person, die rumheult, weil sie irgendwie unsicher ist und in den Arm genommen werden muss. Ich war sehr einsam und wusste jahrelang nicht so richtig, wo ich hingehöre. Aber es war einfach nicht der Zeitpunkt für eine Partnerschaft und da musste ich alleine durch. Dann habe ich ein paar Sachen erlebt, die nicht so schön waren und die ich verarbeiten musste. Und so wie ich als Person über die Straße laufe, so passt das auch zusammen. Menschen sind komplex und deswegen ist meine Musik auch komplex. Das ist vielleicht an manchen Punkten schwieriger zu konsumieren, weil wir eben nicht so einen Archetypen schaffen „Emma Philine ist genau dies, oder genau das“. Und das möchte ich auch nicht. Deswegen hat das Ganze auch keinen Künstlernamen, das ist einfach sehr nah an mir dran.
Lukas: Zu dieser Komplexität passt ja deine Metapher mit dem Spiegel von vorhin sehr gut. Deine Musik also auch als direktes Spiegelbild von dir.
Emma: (lacht) Ja, da war ich auch sehr stolz auf mich. In solchen Gesprächen kommen einfach manchmal Sachen, die wären dir im Leben nicht eingefallen!
„Wo ich hinmöchte, ist zu mehr Authentizität“
Lukas: Komplex ist ja auch die musikalische Seite der EP. An einigen Stellen hört man krasse Transitions, dann gibt es unerwartete Pausen und einfach insgesamt viele Überraschungsmomente. Mich persönlich holt das total ab. Würdest du sagen, deine Musik ist eher etwas für Musiknerds im kleinen Kellerclub, oder kannst du sie dir auch zum Beispiel in großen Stadien vorstellen?
Emma: Große Stadien, ja. Es geht ja um mein Herz. Und darum was ich reingebe an Text und Gefühl und wie ich es singe. Und wenn man sich zum Beispiel mal den Vergleich gibt zwischen der „SLOW“ Originalversion und der Akustiksession, die es auf YouTube gibt, wird das deutlich. Wo ich hinmöchte, ist zu mehr Authentizität. Die ist zwar da, aber einfach manchmal schwierig einzufangen. Für mich könnte meine Musik zum Beispiel auch reduzierter sein. Da haben wir auch immer wieder eine Grundsatzdiskussion bei der Produktion. (lacht)
Dennis: Nichtsdestotrotz, Pop kommt ja am Ende bei raus! (lacht)
Emma: Wir nähern uns, also alles gut. Ich bin sehr glücklich über Dennis’ Meinung, aber manchmal denke ich, dass ich als character dieses overdesign nicht brauche. Aber an und für sich, ist die EP schon gut so wie sie ist, weil die vocal lines eben trotzdem sehr straight sind. Deswegen passt das schon so, als Gesamtprodukt.
„Ich bekomme Stresspickel, wenn ich mich mit Billie Eilish vergleichen müsste“
Lukas: Welche Musik hat euch letztes Jahr denn besonders inspiriert, was sind zum Beispiel eure TOP-3 Alben?
Dennis: Für mich auf jeden Fall „Tagat“ von Zouj. Dann von clipping. „Visions of Bodies Being Burned“, ist allerdings von 2020. Und dann… Dijon mit „Absolutely“.
Emma: Ich würde sagen von Summer Walker „Still Over It“! Ich mag zwar das Album „Over It“ mehr, aber das ist ja jetzt aktuell… Dann das neue Album von Kanye West, also „Donda“. (überlegt) Und natürlich noch das neue Album von Billie Eilish.
Lukas: Ist Billie Eilish auch eine Person, die dich persönlich inspiriert? Ein bisschen Einfluss meine ich auch in deinen Songs rausgehört zu haben…
Emma: Es gibt so fucking oft diesen Vergleich mit ihr. Ich hab sogar schon Hatekommentare bekommen.
Lukas: Ich dachte mir sowas schon, deswegen habe ich es eigentlich extra nicht angesprochen…
Emma: Nein, alles gut! Aber es nervt mich extrem, weil wir ganz unterschiedliche Menschen sind und uns in ganz anderen Lebensumständen befinden. Und die Leute wollen oft so eine Überschrift über mich setzen oder mich irgendwo reindrücken. Dürfen sie auch, aber das ist manchmal so engstirnig. Wenn ich jetzt deutschsprachige Musik machen würde, hätte ich ein großes Problem, denn ich hab rote Haare. Und Badmómzjay hat auch rote Haare, und dann geht das natürlich nicht! (lacht) Bei Billie Eilish und mir ist das halt auch thematisch so eine Generationssache: Depressions, self reflection und eine selbstbewusste Frau zu sein. Dann kommt ganz schnell „du bist ja wie Billie Eilish!“ — aber auch so anders!
Ich war jedenfalls extrem Fan, aber das ist auch schon ne Weile her. Aktuell höre ich sie nicht mehr so rauf und runter wie früher, aber ab und zu mache ich ihr neues Album an. Und das ist für mich so ein Album, zu dem man einfach gut flennen kann. Gerade „Everybody dies“ ist ein Song, der mich wegkickt. Da muss ich jedes Mal weinen. Dafür hör ich mir den an, aber nicht im Alltag oder so. Sie macht ihren Job wirklich super gut, aber ich bekomme Stresspickel, wenn ich mich mit Billie Eilish vergleichen müsste. Dann kann ich ja auch direkt einpacken und nach Hause gehen, denn dann braucht’s mich ja gar nicht mehr. Aber ich glaube daran, dass ich auch noch etwas zu bieten habe, was sie nicht bedienen kann.
Lukas: Da stimme ich dir auf jeden Fall zu! Ich finde eure Musik sogar sehr viel spannender und ich glaube, dass es diesen Stil so auch noch nicht gibt. Leider kommen wir aber jetzt schon zu letzten Frage. Zum Schluss möchten wir, wie immer, noch eine untold story von euch hören! Gibt es eine kleine Anekdote über euch oder eure Musik, die ihr so noch niemandem erzählt habt?
(überlegen)
Dennis: ist jetzt keine Geschichte, eher so ein Eindruck. Ich wollte mir vorhin die Hände waschen und war schon länger nicht mehr bei Emma zu Besuch…
Emma: (lacht)
Dennis: Und Emma hat direkt neben der Seife einen wohlgeformten Dildo stehen, der mich hier vorhin überrascht hatte (lacht)
Emma: (lacht) So ein fettes Ding, Alter! Aber das steht da wirklich 24/7, das hab ich jetzt nicht vergessen wegzuräumen oder so! Das ist Deko!
Lukas: Perfektes Schlusswort! Vielen Dank für dieses ausführliche Interview und viel Erfolg mit eurer Musik in der Zukunft!
Fotocredit: Sarah Letalik, Kim Camille, Jeff Heidenreich