Immer mal wieder lass ich mich in ruhige Singer-Songwriter-Vibes entführen und verlier mich ein bisschen selbst drin. Sich zuletzt in mein Herz geschlichen hat Elena Steri. Die junge Nürnbergerin ist mir zuerst als Feature auf der A Tale Of Golden Keys Single Whirling über den Weg gelaufen (auch so schön). Dort verzaubert mich Elena das erste Mal mit ihrer Stimme und seitdem warte ich auf neuen Musik-Input. Und der kam jetzt. Mit Chaotic Energy hat Elena letzte Woche ihre Debüt EP veröffentlicht. Ich hab die Gelegenheit genutzt, um über sowohl die einzelnen Songs zu sprechen als auch ihre Heimatverbundenheit zu Sardinien und das Aufwachsen als sensible Person. Dazu gibt es die schönste untold story, die mir bisher erzählt worden ist.
Elena Steri im Interview
Anna: Hey Elena, natürlich die wichtigste Sache vorweg: Happy Release! Wie geht’s dir, wie fühlt sich das an, deine erste EP raus in die Welt gelassen zu haben?
Elena: Vielen Dank! Es fühlt sich tatsächlich ein bisschen unreal an, wir haben die Songs ja schon vor fast einem Jahr aufgenommen. Und weil sich das mit der Pandemie alles verzögert hat, mussten auch wir alles nach hinten schieben. Ich bin aber echt sehr froh, dass jetzt endlich jeder die Songs hören kann!
Anna: Auf Chaotic Energy verwebst du viele einzelne Stories und Songs miteinander. Obwohl sie alle so verschieden sind, verbindet sie das Level an Intimität, Ehrlichkeit und Mut, das du in jedes einzelne Lied steckst. Was würdest du sagen, ist die Grundaussage dieser EP? Was ist die Chaotic Energy?
Elena: Ich denke, viele Menschen verbinden mit dem Wort Chaos erstmal etwas negatives. Aber nur aus dem Chaos kann die Ordnung entstehen. Jeder fühlt sich manchmal verloren, aber ich glaube, dass aus dieser Verlorenheit auch viel Gutes entstehen kann. Mit der EP habe ich mir einen Weg durch die vielen verschiedenen Erinnerungen und Gefühle gebaut, auf dem ich alles, was jetzt kommt, beschreiten kann. Darauf bezieht sich Chaotic Energy hauptsächlich, aber auch musikalisch gesehen passiert viel Verschiedenes. Wir haben ungefähr 30 verschiedene Instrumente und Gegenstände eingespielt, beispielsweise Querflöte, Kalimba, Fidget Spinner und auch Gläser.
„Der Schreibprozess hat Themen aufgewirbelt, mit welchen ich mich weiterhin beschäftigen möchte.“
Anna: Der Opener der EP ist Pavement, ein Song, über den wir hier auch schon geschrieben haben. Ich find ihn, 4 Monate später, immer noch unglaublich powerful. Warum hast du dich entschlossen, damit die EP zu beginnen?
Elena: Pavement ist tatsächlich auch der erste Song, den ich damals für die EP geschrieben habe! Deswegen war irgendwie von Anfang an klar, dass das der Opener wird, auch weil der Song eine Art Intro hat. Außerdem hat der Schreibprozess auch in mir einige Themen aufgewirbelt, mit welchen ich mich auch weiterhin beschäftigen möchte und werde. Im Kontext der EP ist er entwicklungstechnisch gesehen auch der aktuellste Song.
Anna: In Could You Tell? sprichst du deine Eltern an. Ist deine Beziehung zu deinen Eltern heute anders als sie früher war? Wie haben sie auf den Song reagiert?
Elena: In Could You Tell geht es ja konkret darum, dass man seinen Eltern vorspielt, dass es einem gut geht, obwohl sie sehen, dass man lügt. Beide Parteien wissen irgendwie Bescheid, aber trotzdem versucht man, dieses Konstrukt aufrecht zu erhalten. Ich habe inzwischen eine ganz gute Beziehung zu meinen Eltern, aber mir ging es auch mental nicht immer so gut wie momentan und ich hatte lange sehr starke Probleme, meine Familie damit zu belasten. Ich glaube, meine Eltern finden den Song aber ganz gut und unterstützen mich auch voll in dem, was ich mache.
Anna: Der Song bricht dann, vor allem musikalisch, noch mal völlig aus und landet fast im Grunge, wo man dich eigentlich überhaupt nicht vermuten würde. Welche musikalischen Einflüsse haben sowohl die EP als auch dich als Person und Musikerin geprägt?
Elena: Schön, dass du fragst! Als Kind habe ich fast nur Klassik gehört. Dann war ich im Rock und Hardcore beheimatet. Ich habe jahrelang nur Metal und Hardcore zum Einschlafen gehört, weil mich das entspannt hat. Irgendwann hat sich das auf Grunge, Indie und alles andere ausgeweitet. Inzwischen höre ich eigentlich alles, was mir gefällt/ mich berührt oder inspiriert. Zur Produktion der EP habe ich viel Dodie, Phoebe Bridgers, Brand New und Daughter gehört.
“Wenn ich nach Sardinien fahre fühle ich mich immer, als würde ich nach langer Zeit nach Hause kommen.”
Anna: Ich bin immer noch bei Could You Tell?, aber: „Take me back to when I was whole / Before my head broke my heart in the bedroom”, das macht unfassbar viel mit mir und anderen wahrscheinlich auch. Warum glaubst du, können sich so viele damit identifizieren, obwohl jede:r eine eigene Story dazu hat?
Elena: Es gibt ein bekanntes Zitat das lautet “Don’t think so much. You’re breaking your own heart.”, welches mich schon lange begleitet. Ich überdenke Dinge oft zehnmal und verbaue mir damit Möglichkeiten und ich versuche gerade, ein bisschen mehr davon wegzukommen. Ich glaube, damit können sich einige identifizieren, weil sensible Menschen oft dazu neigen, sich viel zu viele Gedanken um alle involvierten Parteien in einem Szenario zu machen und sich am Ende selbst die Schuld zu geben, wenn etwas nicht funktioniert. Ich habe mir früher so oft gewünscht, dass ich an den Punkt zurückgehen könnte, bevor ich angefangen habe, alles zu überdenken und meinen Selbstwert zu hinterfragen.
Anna: In „Just Be“ beschäftigst du dich mit deiner Kindheit auf Sardinien, in dem Video sind auch viele alte Filmaufnahmen zu sehen. Was hast du von der Zeit damals am meisten mitgenommen? Und was zieht dich vielleicht auch immer noch zurück?
Elena: Aus der Zeit habe ich auf jeden Fall die Liebe zum Meer, viel Kulturelles aber auch dieses Gefühl der Unbekümmertheit mitgenommen. Ich bin auch fast jedes Jahr auf Sardinien. Der schönste Moment des Urlaubs ist der erste Atemzug warmer, salziger Luft wenn ich aus dem Flugzeug steige. Der erste Blick auf’s Meer, sobald man vom Flughafen wegfährt. Natürlich sehe ich Deutschland erstmal als mein Heimatland an, aber es macht mich unruhig, kein Wasser in der Nähe zu haben. Und wenn ich nach Sardinien fahre fühle ich mich immer, als würde ich nach langer Zeit nach Hause kommen. Ich glaub’ deswegen bin ich auch so gerne dort.
“Ich weiß, du glaubst mir das nicht, aber du wirst nochmal richtig krass, Elena.”
Anna: Was steckt hinter dem Songtitel Puzzleboom?
Elena: Ein Brief, den ich auf einem Flohmarkt gefunden habe! In dem Brief beschreibt der Autor seinem Freund zwei Seiten lang, wie er eine Gehirnerschütterung hatte, die so stark war, dass er temporär verlernt hat zu sprechen und Wörter zu verstehen und zu lesen. Der Brief war mit Puzzleboom betitelt und auch die Inspiration für den Spoken Word Teil im Song. In Puzzleboom geht es um das Kind im Film “Systemsprenger”, das durch alle Hilfesysteme fällt und darum, nicht verstanden zu werden. Der Brief hat da eine ganz schöne Parallele aufgemacht.
Anna: Du konntest vor ein paar Tagen bei den Acoustics Concerts auch das erste Mal wieder live auf der Bühne stehen. Wie war das für dich?
Elena: Das war so schön! Ich kam ja leider viel zu spät, weil mein Zug so verspätet war. Dadurch hatte ich aber glücklicherweise gar keine Zeit, aufgeregt zu sein. Im Vorhinein war ich aber echt wahnsinnig nervös, weil das ja auch mein erstes Konzert seit 8 Monaten war und dann noch in so einem stripped down Setting. Das allerschönste am Live spielen ist aber echt die Energie, die die Zuschauer von außen reingeben, auch indem sie einfach zur gespannt zuhören. Das hat mir so gefehlt, weil das kein Livestream ersetzen kann. Ich freu mich sehr, dass ich bald noch ein paar Shows spielen kann!
Anna: Kurzes Abschweifen, aber ich werd dich wahrscheinlich für immer als die bessere Lena Meyer-Landrut assoziieren, nachdem mir die Jungs von A Tale Of Golden Keys die Geschichte hinter eurem Feature zu Whirling erzählt haben. Wie hast du euer Zusammenkommen in Erinnerung?
Elena: Sehr entspannt! Das kam echt sehr zufällig und unerwartet. Ich saß gerade im Café als auf meinem Handy eine Facebooknachricht von Jonas aufploppte, in der er mich einfach direkt gefragt hat. War aber super unkompliziert, ich hab’ einen Entwurf bekommen, meine Idee zurückgeschickt und dann sind wir nochmal in den Proben- und aufnahmespace von ATOGK gefahren und haben dort meine Vocals aufgenommen. Die Band selbst kenne ich aber lustigerweise schon viel länger. Ich habe mit 13 mal zufällig ein Konzert von ihnen auf einem Straßenmusikfestival in Nürnberg gesehen, da waren die anderen vielleicht 17 und hatten so lustige Collegejacken beim Spielen an, haha.
Anna: Die letzte Frage ist unsere, oder eher deine, untold story. Welche Geschichte hast du noch nie in einem Interview geteilt, möchtest es aber an dieser Stelle tun?
Elena: Meine untold story ist vom Anfang meiner Musikgeschichte und an die denke ich tatsächlich sehr oft, wenn ich mich unsicher fühle. Ich habe im Rahmen eines kleinen Umsonst-und-Draußen-Festivals in der Region auf einer Akustikbühne gespielt, das war so mein viertes oder fünftes Konzert überhaupt. Nach mir hat Tilman von Tigeryouth gespielt und ich weiß noch, wie er später am Abend zu mir kam mit seinem Glas Rotwein in der Hand und zu mir aus vollster Überzeugung gesagt hat: “Ich weiß, du glaubst mir das nicht, aber du wirst nochmal richtig krass, Elena. Ich weiß das einfach.” Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht mal in Betracht gezogen Musik zu machen und hab’ das damals nicht so richtig ernst genommen, aber inzwischen denke ich immer daran, dass jemand schon an mich geglaubt hat bevor ich es getan hab, wenn ich mich unsicher fühle.
Wer sich davon beweisen will, wie krass Elena schon ist und noch werden kann, here you go:
Fotocredit: Kevin Altmann, Lukas Ulrich