Wir haben Ende letzten Jahre Arlo Parks als einer unserer artists to watch in 2021 aufgeführt und wurden schon jetzt darin bestätigt. Mit dem Release ihres Debütalbums Collapsed In Sunbeams Ende Januar hat die junge Londonerin ganz heftig große Wellen geschlagen – wie erwartet. Ich glaube, ich habe selten so viele Reviews und Meldungen gesehen über ein Release wie über Arlos Album. Und jetzt, nach zwei Wochen, in denen ich mich komplett in diesem Album verlieren konnte, kommt auch meine. Lasst euch verzaubern von Arlo Parks und Collapsed In Sunbeams.
Das Gedicht, das Collapsed In Sunbeams inspiriert hat
Ich glaube, das, was viele und mich auch am meisten an Arlos Musik berührt, sind ihre Texte. Die Worte, mit denen sie spielt, die Dinge, die sie damit beschreibt. Sprache ist für mich grundsätzlich faszinierend. Wir benutzen sie tagtäglich, werden mit ihr 24/7 konfrontiert, ob gesprochen, gelesen oder gehört, und wissen sie aber viel zu selten zu schätzen. Dabei kann Sprache eins der schönsten Dinge dieser Welt sein, wenn man sie richtig benutzt. Fragt Arlo Parks selbst und sie wird euch zustimmen. So eröffnet sie ihr Album mit einem Gedicht, das Collapsed In Sunbeams inspiriert hat. Und weil es so schön ist, könnt ihr es hier mitlesen, während Arlos Stimme im wunderschönen britischen Englisch direkt ins Herz geht:
Collapsed in sunbeams, stretched out open to beauty however brief or violent.
I see myself ablaze with joy, sleepy eyes, feeding your cat or slicing artichoke hearts.
I see myself sitting beside you, elbows touching, hurt and terribly quiet.
The turquoise in my ring matches the deep blue cramp of everything.
We’re all learning to trust our bodies, making peace with our own distortions.
You shouldn’t be afraid to cry in front of me.
I promise.
Ich für meinen Teil bin jetzt schon unfassbar berührt und dabei war noch gar keine Musik involviert. Das hier ist nur Arlo Parks und die Quintessenz ihres Debütalbums. Sie macht deutlich, wie wunderschön das Leben sein kann, wenn man sich dessen nur bewusst wird. Wenn man endlich lernt, sich selbst zu lieben, wie unperfekt man auch zu sein scheint, und auch einfach mal die friedliche Schönheit einatmet, die Sonnenstrahlen haben können, wenn sie das triste Grau des Himmels aufreißen.
“Why’d we make the simplest things so hard?”
Bevor ich mich ganz in schwelgenden Gedankengängen verliere, let’s talk about the music. Arlo Parks kombiniert die schönsten Elemente eurer Lieblingsmusik und kreiert damit ihre eigene Klangwelt. Indie-Folk, Bedroom-Pop, Neo Soul und R’n’B werden zusammengeführt und was da rauskommen kann, ist einer der Songs, die ich letzten Jahr bestimmt schon 100 Mal tanzend in meinem Zimmer auf Repeat gehört hab: Hurt.
Denn auch wenn Arlo unglaublich begabt ist, poetische Welten zu erschaffen, so ist sie auch unfassbar begabt darin, Songs zu schreiben. Hurt kann absolut und zu Recht mit all den Künstler:innen ganz oben in den Charts mitspielen. Es ist ein absoluter Ohrwurm von Sekunde eins an. Die Bassline macht mich hier auch wieder einfach schwach. Es ist super simpel und deshalb aber auch so gut!! (Zwei Ausrufezeichen zum Unterstreichen dieser Aussage). Es ist fast schon therapierend, Arlos „Just know it won’t hurt so much forever“ im Loop zu hören, in Momenten, wenn sonst alles scheint, in sich zusammenzufallen.
Als erster richtiger Track, der noch nicht vor dem Album-Release rauskam, schließt Too Good direkt an den Feel-Good-Vibe von Hurt an und ist sogar eine Spur poppiger. Eine dreamy-jazzige Gitarre leitet den Song ein, upbeat Drums, Synths, die sich leicht anhören wie ne Orgel und eine catchige Melodie bestimmen den Refrain. Inhaltlich ist Too Good aber leider auch nicht so aufheiternd wie es sich anhört. Arlo, als offen queer, besingt die Frustration, die sie empfindet, wenn ihre Freundin nicht offen zugeben will, dass sie sie mag. As a fellow gay, I can relate. Es ist super traurig, wenn man da zu lange drüber nachdenkt, dass das einfach immer noch ein Ding ist. Wie Arlo sagt: Why’d we make the simplest things so hard?
Traurige Worte in leichtfüßigem Soul-Pop
Next song up ist Hope und hier kommt die jazzige Seite Arlo Parks raus. Das erste, was ich denke, ist „Ich will das unbedingt live sehen“. Diese Jazz-Vibes sind einfach so entspannend. Hope ist die Leadsingle zum Albumrelease und ähnlich wie in Hurt wiederholen sich die Worte „You’re not alone like you think you are“ im Refrain so oft, dass man Arlo fast Credit für eine Therapiestunde anrechnen muss. Gleichzeitig ist sie selbst so zerbrechlich ehrlich und das wieder in so schönen Worten, die mich einfach traurig stimmen.
„I’ve often felt like I was born under a bad sign,
Wearing suffering like a silk garment or a spot of blue ink
Looking for light and finding a hole where there shouldn’t be one.
I cannot communicate the depth of the feeling
Truth is I’m still learning to be open about this
But know that I know and you’re not alone.”
Trotz diesem traurigen Kontext den Song Hope zu nennen und ihn musikalisch in ein jazziges Wasserbett aus feel-good-vibes zu packen, ist genau das, was Arlo Parks ausmacht. Und es ist auch das, was mich am meisten an diesem Album berührt.
Als nächster Track kommt Caroline und ich bin jetzt schon in die erste Hälfte des Albums verliebt. Caroline ist so ein Lied, das man einfach aus voller Inbrunst mitsingen muss und danach stundenlang im Kopf summen hat. Immer wenn ich es höre, muss sich meine Schwester den ganzen Tag lang random durch die Wohnung geschriene Caaarolines anhören. Meiner Meinung nach treff ich den Ton jedes einzelne Mal, aber da scheinen Meinungen auseinander zu gehen.
„It’s so cruel what your mind can do for no reason”
Kleiner Disclaimer, der nächste Song geht mir ein bisschen näher als alle anderen und vielleicht könnte das daher hier gleich ein bisschen trauriger werden. Black Dog ist musikalisch das genau Gegenteil von Caroline. Es fängt an mit einem tiefen Bass, der wie ein Break in dem Album alles ein bisschen runterzieht. Und das macht Sinn, weil es um ein ziemlich runterziehendes Thema geht: Depressionen. Black Dog ist aber nicht aus der Perspektive der depressiven Person geschrieben, sondern von der außenstehenden Person, die helfen will. Helfen will, aber nicht kann. Und das ist, wo der Disclaimer zu wirken kommt, weil ich jahrelang genau diese Person war. Ich hab meine gesamte Teenager-Zeit versucht, meiner besten Freundin den Willen zum Leben wiederzugeben. Und es hat nicht geklappt. Wie es ihr jetzt gerade geht, weiß ich nicht, weil die Depressionen unsere Freundschaft kaputt gemacht haben. Aber dieses Gefühl, jemanden, den man liebt, in so einer schrecklichen Situation nicht helfen zu können, ist sehr zermürbend. Arlo packt all das in den Song Black Dog so gut und präzise, wie ich es vorher noch nicht gehört hab.
Just take your medicine and eat some food
I would do anything to get you out your room
It’s so cruel what your mind can do for no reason
Über den letzten Satz muss ich ziemlich lange nachdenken, während Black Dog langsam ausspielt.
Ich hätte gerne jemanden wie Arlo Parks gehabt als ich 20 war
Bis jetzt ist Collapsed In Sunbeams einfach nur ein wunderschönes Album. Vor allem im Lockdown-Jahrhundert (bald haben wir einjähriges, Peeps) rennt es offene Türen ein. Und dabei steht die andere Hälfte ja noch bevor. Ohne Features und ohne großspurige Produktionen zaubert Arlo melodische und harmonische Arrangements hervor, die einfach nur berühren. Green Eyes und Just Go reihen sich in die vorherigen Songs ein, der eine basslastiger, der andere soul-poppiger. For Violet ist wieder ein bisschen düsterer und löst beim genauen Hinhören eine traurige Frustration aus. Arlo singt von ihrer Freundin, die mit ihrem Coming Out zu kämpfen hat. Sie ist eine von vielen, die in einem heteronormativen Haushalt aufwachsen, die aus in 2021 mir wirklich nicht mehr greifbaren Gründen ihre Kinder davon abhalten, zu lieben, wen sie halt lieben.
Der nächste gaye Song ist direkt in Queue, nämlich Eugene. Eugene ist der Name des festen Freundes ihrer besten Freundin, in die sich Arlo (leider) verliebt. Die don’t-fall-for-straight-girls-it-will-kill-you-Lesson darf auf so einem Album natürlich nicht fehlen. Ich bekomm leichte Hayley Kiyoko Vibes und fühl mich ehrlich gesagt auch ein paar Jahre zurückversetzt als klein gay me noch stundenlang vor Tumblr hockte und sich in straight girls verliebte. Musikalisch ist Eugene auch mein absolutes Lieblingslied vom Album, alles stimmt von vorne bis hinten. Arlos sexy Stimme (anders kann man sie nicht bezeichnen), die durchgehende Bassline, diese ganzen leichten Gitarrentönen, die sich kaum bemerkbar übereinanderlegen – das alles ist ganz nah an musikalischer Perfektion für mich dran.
“Making rainbows out of something painful”
In Bluish kommen die R’n’B Vibes raus, die Arlo auszeichnen. Tatsächlich ist das einer der Songs, die besser werden, je öfter man sie hört. Deshalb – hört es öfter. Portra 400 schließt das Album ab. Es fasst musikalisch alles zusamen, was uns Arlo in ihrem Debütalbumvorgestellt hat. Ich wüsste keine perfektere Zeile als „making rainbows out of something painful”, um dieses Album sowohl zu beschreiben als auch abzuschließen. Sprache, Leute, wie faszinierend kann sie sein. Ich könnte tausend Wörter schreiben und nicht so viel aussagen wie Arlo mit ein paar Songzeilen. Und damit hör ich auf und überlass euch einfach in die Welten, die Arlo Parks mit Collapsed In Sunbeams geschaffen hat. Hört es, verliebt euch und seid wie ich ein Zeitzeuge von einer unglaublichen Künstlerin, die gerade erst am Anfang steht.
Fotocredit: Alfredo Guzman, Lilli Eiger