Das erste, was ich gedacht habe, als ich den Wahl-Berliner Tóke zum ersten Mal gehört habe, war: „das klingt wie Jason Mraz, nur viel cooler“. Es ist diese bestimmte Mischung aus R’n’B und Soul, die nicht nur unglaublich lässig ist, sondern auch ein klein bisschen zum Tanzen einlädt. Tókes neue Single Brown Face nimmt genau diesen Sound auf und verarbeitet darüber hinaus auch noch ein sehr ernstes und persönliches Thema, mit welchem wir uns alle sowieso auch weiterhin beschäftigen müssen. Es geht um die westliche Wahrnehmung anderer Kulturen und Tókes eigenes Aufwachsen als BIPOC (Black, Indigenous and People Of Color) im ländlichen Deutschland. Cooles Lied, wichtige Botschaft, schönes Musikvideo und ein einfach nur super sympathischer Künstler selbst – das sind vier Gründe, weiterzulesen und reinzuhören.
Geschichte wird immer noch weiß erzählt
Geboren in Jakarta, Indonesien und aufgewachsen in der Nähe von Hamburg macht Tóke schon länger Musik. Mit seinen ersten Veröffentlichungen hat er frischen Wind in die deutsche Reggea Szene gebracht. In dem Kontext hat er auch schon mit Größen wie Gentleman die Bühne geteilt. Im Lockdown Jahr hat er sich dem musikalischen Druck von außen (und innen) entzogen und einfach das gemacht, was ihn gerade kreativ angetrieben hat. Dazu hat er mit den Produzenten FLKS aus Berlin und Meekesa aus Italien zusammengearbeitet. Ergebnis ist die im Mai erscheinende EP The Art Of Letting Go, die mehr Einflüsse aus dem Neo-Soul und R’n’B in sich trägt. Also genau das, was ich auch an Brown Face so liebe. So let’s talk about Brown Face:
Es eröffnet mit ganz seichten Synth-Klängen, fast schon Klangschüssel-sphärisch. (Ich baue darauf, dass ihr schon auf Play gedrückt habt, dann macht diese Beschreibung auch Sinn). Die Klänge sind ruhig und befördern mich direkt in meine comfy zone. Tókes Stimme legt sich drauf und jap, musikalisch immer noch absolut meins. Es folgt der Break zur Strophe und ich bin jedes Mal wieder, obwohl ich weiß, was kommt, schlichtweg begeistert. Ein ultra lässiger R’n’B Beat gesellt sich dazu, die Klangschüssel-Klänge sind immer noch da, wenn auch mehr im Hintergrund. Und so bleib auch ich in meiner jetzt leicht up-bouncigen comfy zone. Tóke selbst verfällt in einen Flow und, ich sag wies ist, liefert Line für Line einfach nur ab.
Call me exotic, that’s white gaze
My culture surpasses your mindframe
My batik outshines your nike’s
First people after the ice age
Auch wenn Tóke seine Inhalte ziemlich treffend formuliert, lohnt es sich, auch zwei Mal über das gerade gelesene nachzudenken. Denn auch wenn wir vor allem auf Social Media immer mehr über solche Themen sensibilisiert werden (wenn man sich in der richtigen Bubble bewegt), so ist die Realität da draußen trotzdem immer noch weit weg von dem, was wir akzeptieren können. Die Generationen nach uns wachsen immer noch in einem strukturell rassistischen System auf, das nicht mal die Kolonialzeit in der Schule kritisch behandelt. Geschichte wird immer noch weiß erzählt.
“They want us gone, but we’re still here!”
Brown Face ist aber nicht in erster Linie ein Song über die vorhandenen Missstände. Es geht viel mehr um Empowerment, um Sichtbarkeit und der stetige Kampf, sich nicht unterkriegen zu lassen. Auch für die Generationen, die nach uns in diesem verkappten System aufwachsen.
Litte boy with the brown face | keep in mind this is our place | we gon’ get comfy up in here
They gaslighting and downplaying | we uproar ‘cause we outraged | they wany us gone, but we’re still here!
Musikalisch befinden wir uns im Refrain des Songs und obwohl es inhaltlich sehr ernst zugeht, so ist das einfach nur ein tanzbarer Ohrwurm, den Tóke da hervorgezaubert hat. Passend wird auch im Video dargestellt, dass die Ernsthaftigkeit nicht alles sein kann. Die BIPOC Darsteller:innen (@alle, ich bin geflasht von eurer Schönheit) fangen an zu tanzen, zu lachen und sich gegenseitig zu feiern. Und das macht nur vom Zuschauen happy.
Auch für Tóke persönlich ist das hier ein ganz besonderes Video, ein ganz besonderer Release. Es ist das erste Mal, dass er in seiner Musik offen über sein Aufwachsen im ländlichen Deutschland reflektiert:
„Growing up as a brown boy in a white world was weird sometimes. A lot of hidden scars came up during the last year. Lot of awkward moments where I only realized after a certain time that I wasn’t seen with my full capacity as a human being but rather reduced by the notion of my apparent ‘otherness’. It’s time to fully free up and embrace who we are no matter the context.”
Und mit diesen Worten entlassen Tóke und ich euch auf eure eigene Reise zu Brown Face. Auf dass wir alle mal im 21. Jahrhundert ankommen und nicht nur aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, sondern sie auch wiedergutmachen.
Die wunderschönen Menschen, die ihr im Video so happy tanzen seht sind (links nach rechts auf dem Bild oben): Asya Mzee, Peggy Haze, Timo Daher, Tóke selbst, N. Ndoumbé Koite, Bimi Lkhagva, Lovely Uwumarongie. Und natürlich nicht zu vergessen die süßen Geschwister Jakob & Josef Kümmel.
Fotos von Alex Kleis