Ganz frisch erscheint heute die neue EP “Es geht wieder schief” des Duos Es brennt aus Berlin und Leipzig. So viel können wir verraten, hier hinter den Kulissen leckten sich besonders zwei Redakteur:innen die Finger danach: Anna und Lukas. Es passiert wirklich selten, dass sich mal zwei Reviews der gleichen Künstler:in bei uns überschneiden und mehr als eine Autor:in etwas dazu schreiben will. Und wenn, dann gibt eben der oder die Schwächere nach und überlässt dem Alpha-Tier den Vortritt. Doch in diesem Fall wollten wir beide nicht auf diese Review verzichten, deswegen machen wir es jetzt eben so wie jede andere anständige Löwenfamilie auch: Wir teilen unsere Beute. Wir schreiben sie zusammen.
Im Klartext heißt das übrigens: Das hier ist der heiße Scheiß. So heiß, dass wir nicht nur die Beute, sondern uns auch freiwillig um Arbeit reißen. Falls dir diese Art von Motivation bisher in deinem Leben gefehlt hat – kann dir diese EP allerdings auch nicht helfen. Sorry. Aber sie kann eine ganze Menge anderer Dinge. Let’s dive in.
Chaos im Kopf mit passendem Soundtrack
Unkoordiniert und durcheinander sind wohl nicht gerade die Adjektive, mit denen etwas schmeichelnd umschrieben wird. In diesem Falle sind sie allerdings durchweg positiv konnotiert. Wir alle mögen gefühlvolle Musik, richtig? Das heißt aber auch, dass sie im Hier und Jetzt entstehen muss. Starke Gefühle sind meist nicht sortiert und fein säuberlich beschriftet, sondern schwirren herum und lassen sich kaum fassen. Dieses Wirr-Warr unterlegt Es brennt mit Sound. Das Duo macht sich (so scheint es zumindest) zudem keinerlei Gedanken darüber, ihre Songs in eine bestimmte Nische packen zu müssen, geschweige denn ihre Texte und Sounds Normen anzupassen. Das Chaos in deinem Kopf wird es lieben – und in dieser Musik einen Verbündeten finden.
Kurzer biografischer Abriss: Mit “So naiv sind wir nicht” trat Es brennt im Mai 2022 auf die Bildfläche des deutschen Indie-Rocks. Der starke Text mit Lines wie “Wir sind eingesperrt, aber fangen lassen wir uns nicht” oder “im Zweifel eine Mauer, aber Krieg führen wir nicht” hat der Song uns direkt in seinen Bann gezogen.
Über Es brennt gab es damals noch kaum Infos. Gut sieben Monate später haben Sören Geißenhöner und Magnus Wichmann – die Gesichter hinter Es brennt – eine EP und vier neue Songs rausgebracht. Dazu Musikvideos und eine Menge ausdrucksstarker Texte. Ein deutsches Indie-Magazin beschreibt das Duo und ihre Musik als Anti-Pop. Finden wir passend, denn textlich geht es bei Es brennt irgendwie immer wieder um eine Art Anti-Haltung. Aber noch besser finden wir Edge-Pop, denn wo es bei Es brennt ein Hoch gibt, ist der Absturz in die Tiefe meist nicht weit entfernt (oder andersrum, falls ihr Optimisten seid!)
Das alles gibt’s nun auch auf der zweiten EP “Es geht wieder schief”, wie der Titel schon vermuten lässt. Jetzt, wo auch die letzten Sommertage noch einmal freundlich winken, bevor sie sich wie die Gänse in den Süden verpissen, kommt der Song „Schnee“ sehr gelegen. Eine Synth-Pop-Hymne, die sich durch die schwüle Sommerluft bewegt. Ein Text, der wie das Salz auf der Oberlippe einen irgendwie geilen, aber auch etwas bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Es schmeckt nach Abschied, nach einseitigen Gefühlen – obwohl der erste Bissen so köstlich und verheißungsvoll war. Dazu der Sound, der uns in die Zeit zurückversetzt, als Bosse noch Bock hatte, tolle Songs zu schreiben. Und Sörens Stimme legt sich so zart über all das, dass sie bei einem etwas zu beherzten Ausatmen wie eine Pusteblume verwehen könnte.
„Egal wie sehr du mich magst
Viel lieber hast du den Sommer
Jeden Tag
Alles vergeht
Auch deine Schwäche für Schnee“
Es ist ein Spiel mit den Gegensätzen, so wie es die Protagonisten der Geschichte auch zu sein scheinen. Ein Verlangen nach mehr, das keiner der beiden erfüllen kann. Eine Spur zu viel für das, was die eigenen Träume uns vormachen. Und immer spielt der oder die Andere in einer ganz anderen Liga, augenscheinlich. Eingeständnisse von unerfüllten Erwartungen und Gefühlen, die im Endeffekt wohl doch wieder verletzt werden. “Kann mich bitte jemand kneifen?” – und trotzdem wacht niemand aus dem Traum auf. “Schnee” ist dabei kein Wecker. Es gibt kein Trara. Das Schlagzeug eher in den Hintergrund gedrängt, alles etwas schummrig und auch die ausufernden Einlagen von Sänger Sören, wie man sie aus Songs wie “Antidote” oder “so naiv sind wir nicht” kennt, bleiben aus. Aber das passt. Dann bleiben wir halt heute im Bett
“Kaputt”: Zwischen Weltverdruss und überzogener Selbstliebe
Da setzt der nächste Song direkt an, “Kaputt” rüttelt und schüttelt die Müdigkeit aus uns. Guten Morgen! Mit Schwung und voller Tatendrang führt der Track zurück aus der Gedankenwelt in die Gegenwart, die Realität. Das alles passiert schnell. Es gibt keine Zeit zu verlieren.
“Ich bin der Schurke meiner eigenen Geschichte
Ich baue einen Damm für jeden Fluss, der meine Eitelkeit zu fluten versucht”
In den Miniaturen und Sinnbildern des Textes wird doch ziemlich schnell deutlich, was Sören uns da ins Ohr singen will: Du bist ein ganz schön selbstbezogenes ***. “Der Song beschreibt die Überheblichkeit des Menschen. Seine Unangepasstheit, im negativsten Sinne. Die Ausmaße seines unreflektierten Handelns und so weiter”, erklärt er selbst.
Ehrlich und ohne schöne Worte ausgeschmückt. Und je länger man darüber nachdenkt, desto mehr ist da diese Wut im Bauch: auf uns, auf die Menschheit, auf falsches Handeln und irgendwie auch ein bisschen auf die Politik und ihre Entscheidungen, die viele mit logischem Verstand einfach nicht nachvollziehen können.
Apropos Wut: “Und nun steh ich da mit der Faust in der Tasche”
Betrachtet man die EP als eine Einheit, fällt “Und nun steh ich da mit der Faust in der Tasche” ein bisschen raus: Er kommt überraschend gut gelaunt daher. Wo ist die scharfe Kante, die Anti-Haltung? Natürlich trügt der Schein. Denn auch wenn der Sound etwas drüber klingt und einen Tick zu viel “Friede, Freude, Eierkuchen” anstimmt, hinkt der Text im Happiness-Level hinterher.
“Ich bin immer für dich da
Wie ein Fels in der Brandung, Baby”
Ungewohnt cheesy für Es brennt, aber keine Sorge, es wird direkt hinterher geschoben:
“Völlig unterkühlt und durchnässt”
Achja, danke. Da ist sie wieder: Die ungeschönte Ehrlichkeit, die wir so lieben. Kurz schleicht sich das Gefühl ein, in einem schlechten Re-Make eines musikalischen Rosamunde Pilchers gelandet zu sein oder “The Power Of Love” von Huey Lewis noch einmal erfahren zu müssen. Doch da zieht uns Es brennt schon wieder raus aus dem Tagtraum. Tatsächlich ist der wohl poppigste Song dieser EP auch der gewöhnungsbedürftigste – das muss man auch erstmal schaffen.
Bevor wir jetzt zum letzten Song kommen, den wir euch hier vorstellen wollen, eine kurze Exkursion zum Bandnamen. „Es brennt“ – das ist wahrscheinlich so ein Satz, der SOFORT die gesamte Aufmerksamkeit im Raum erregt und auch die letzte Person ihre Kopfhörer aus den Ohren pulen lässt. Ähnlich wie „Ey, da ist ein Einhörnchen!“, nur dass der Satz nicht so gut zur Band passen würde. Und, ganz ehrlich, Es brennt live zu sehen, war literally ein flammendes Inferno (pun intended, sorry).
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, das haben wohl alle Besucher*innen gefühlt, als sie vor zwei Wochen Es brennt auf dem Oben Air vor malerischer Weinbergkulisse live sahen. Was da genau passiert ist, ist schwer zu beschreiben, aber: Sie waren die letzte Band des Abends, es war lauwarm draußen und statt auf der Main-Stage zu spielen, haben die Veranstalter*innen ihnen einfach eine eigene Bühne gebaut, die sie, sorry nochmal, komplett angezündet haben.
Magnus hat mit seinem Drumset nur gerade so auf die Bühne gepasst und Sören tobte sich mit Mikrofon in der Crowd aus. Die Energie, die sie dort zusammen mit ihrem Publikum freigesetzt haben, hätte Deutschland auch die nächsten drei Winter noch ohne Gaslieferung versorgen können. Entweder die Kinnladen standen sperrangelweit offen oder wurden krampfhaft zugehalten, um sich im Moshpit nicht die Zunge abzubeißen. Dabei ist es doch echt schade, denn „Konzerte spielen wir selten und nur, was wirklich passt. Dafür dann aber halt so, wie du es erlebt hast…..1000000%”, schreibt Sören in einer E-Mail. Wenn das die berüchtigte künstliche Verknappung ist, dann funktioniert sie sehr gut. Wir wollen jedenfalls mehr.
Ein kuscheliger Mantel names “Ich hab mein Herz so tief vergraben”
Am stärksten in Erinnerung geblieben ist beim Konzert wohl der Song „Ich hab mein Herz so tief vergraben“. Er beginnt so unschuldig mit einem dissonant verzerrten Gitarren-Akkord, den eigentlich bis dato nur Hüsker Dü oder so wirklich beherrschten. Dann die ersten Hooklines, die nur schwer wieder aus dem Kopf zu bekommen sind:
„Ich hab‘ mein Herz so tief vergraben
Allein für den Frieden geb‘ ich’s nicht her
Wer hat mich dir vorgestellt
Ich will Abstand halten, aber dazu gehör’n“
Wer dann noch nicht drin ist, wartet noch schnell, bis das Schlagzeug einsetzt. Und dann wird sich erstmal ganz dick eingewickelt in diesen besonders kuscheligen Mantel, der die Welt da draußen so schön dumpf klingen lässt. Riecht zwar ein bisschen nach 90er Rock-Kneipe, ist aber schick und trotzdem lässig! Kann definitiv nicht jeder mehr tragen – Sören und Magnus können’s.
„Ich hab mein Herz so tief vergraben, weil ich Angst habe, jemand könnte es verletzen. Der Text handelt von der Angst sich zu binden. Gleichzeitig ist da aber die Sorge, etwas zu verpassen. Also Torschlusspanik versus Bindungsangst. Tausche ich Verbundenheit gegen Leichtigkeit? Pflichtbewusstsein gegen jugendlichen Leichtsinn? Da ist auch eine Art Entscheidungs-Ohnmacht. Darum geht’s im Song”, erklärt Sören. Hey, ja klar! Das klingt so einfach, wenn er das sagt. Wir ertappen uns aber eher häufiger dabei, wie wir uns aus lauter Entscheidungs-Ohnmacht doch wieder im besagten Mantel verpuppen und auf besseres Wetter warten. Ein perfekt (un)gewolltes Zusammenspiel aus der Flucht vom Text in die Musik? Das Chaos in dir wird es vielleicht nicht lieben – aber trotzdem auf Repeat hören.
Fotocredit: Christoph Eisenmenger