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FOTOS mit ihrem neuen Album “Auf zur Illumination!”

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Vor nunmehr zwei Wochen hat die Band FOTOS ihr neues Album „Auf zur Illumination!“ veröffentlicht. So wie viele andere Bands und MusikerInnen, hat auch FOTOS die Quarantänezeit im letzten Frühjahr genutzt, um neue Musik zu produzieren. Zunächst in Eigenregie von Tom Hessler, dem Sänger und Gitarristen der Gruppe. Nach den Lockerungen folgte dann die Vervollständigung durch die gesamte Band und der Produzentenlegende Olaf Opal.

Wer FOTOS kennt, weiß, dass die vier Musiker alte Hasen im deutschsprachigen Musikbiz sind. Bereits 2006 veröffentlichten sie ihr erstes Album und haben sich seitdem sowohl textlich, als auch musikalisch enorm entwickelt und gewandelt: vom gitarrenlastigen Indierock aus ihren Anfängen, über ihre Shoegazephase auf dem Album „Porzellan“ bis zu ihrem jüngsten Werk, bei dem Gitarren absolut in den Hintergrund gerückt sind.


Reiseziel: Erleuchtung

Dass sich Tom Hessler buchstäblich mit seinem Modular-Synthesizer in seinem Studio eingeschlossen hat, ist ab der ersten bis zur letzten Sekunde des Albums zu hören. Die generierten Sounds dieses analogen elektronischen Musikinstruments klingen einzigartig und bilden das Grundgerüst von „Auf zur Illumination!“. Im ersten Song „Rauschen“ sägt uns der Synthie passend zum Songtitel monoton in Stimmung und verkörpert das Grundrauschen unseres Lebens. Eine Kulisse, die wir nicht ändern können und uns immer begleitet. Und FOTOS stellt uns, einleitend zum Album, eine brisante Frage zum Songende:


“Es gab einen Traum für uns
Wir träumten gemeinsam
Erinnerst du dich noch,
ob wir jemals aufgewacht sind?”


Spätestens jetzt wird klar, dass „Auf zur Illumination!“ keine hohle Phrase ist, sondern eine ziemlich ernstzunehmende Aufforderung darstellt. Denn nicht nur mit spacigen Sounds, auch textlich entführt uns Tom Hessler direkt auf eine andere spirituelle Ebene. Ab hier beginnt ein Wegweiser, ja quasi ein Reiseführer ins innere Selbst.


Hello, this is your Captain speaking

Wie das Reisetagebuch einer Expedition durch ein Paralleluniversum oder wahlweise durch das eigene Unterbewusstsein klingt der Song „Silberne Maschine“. FOTOS laden uns auf eine Fahrt in ihrem sonderbaren Vehikel ein. Die Band lässt den Hörer im Ungewissen, um was es sich bei dieser Maschine genau handelt. Ein UFO? Eine Rakete? Oder vielleicht doch um einen Delorean DMC-12 mit Fluxkompensator? Naja, jedenfalls: Fasten your seat belts! Denn wenn man hier nicht aufpasst, verfällt man durch die hypnotische Kraft der pulsierenden Bassdrum und des Auf-und-Abs des Synthesizers schnell mal in eine ganz heftige Trance.

Ist auch kein Wunder, denn immerhin massiert dieser Track knapp 11 Minuten die verspannten Synapsen. In Zeiten von zweieinhalb-Minuten-Songs und bösen Spotifyalgorithmen eine absolute Seltenheit. Das zeigt mir vor allem eins: dass die Band FOTOS komplett unabhängig und frei in ihrem musikalischen Schaffen ist und sich nicht in die Suppe spucken lässt. Und das finde ich hammer. In diesem Sinne erfrischend unkonventionell funktioniert das ganze Album weiterhin.

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Der bereits zuvor ausgekoppelte Song „Meise“ besticht vor allem mit seinem lyrischen und eingängigen Text. Jede Zeile klingt einfach von vorne bis hinten schlüssig und ist sprachlich toll ausgearbeitet. FOTOS macht hier mit uns Sightseeing in der Gedankenwelt einer mutmaßlich durch Verfolgungswahn geplagten Person. Die Fetzen dieser Denkvorgänge sind in einem tanzbaren Groove mit durchgehend rollendem Bass verpackt; das Klirren und Sirren der synthetischen Klangquellen wirkt wie plötzlich aufkommende wahnhafte Gedanken. „Meise“ ist außerdem einer der wenigen Songs mit einem „klassischen“ Band Set-Up. Hier spürt man auch ganz besonders den Einfluss des Produzenten Olaf Opal, der ein wahrer Experte für psychedelisch-poppige Songs ist und das zum Beispiel bei Bands wie International Music oder auch schon zuvor bei FOTOS unter Beweis stellen konnte.


Wir haben unsere Reiseflughöhe erreicht

Tatsächlich sind eher ruhige, minimalistische Arrangements auf „Auf zur Illumination!“ das Markenzeichen. In „Gegen die Wand“ zum Beispiel, werden wir von einer leicht artifiziell verfremdeten Stimme dazu aufgefordert, doch auch mal verschlossene Türen einzurennen und die Flucht nach vorn anzutreten. Hier kommt sowohl das zuvor schon gehörte Thema „Angst“, als auch das Thema „Reise zu sich selbst“ wieder ins Spiel. Das leitet nahtlos über in den nächsten Song „Das Verlangen“. Diesmal etwas voller instrumentiert, werden wir mit einer weiteren inneren Stimme konfrontiert. Das Verlangen nach Selbstentfaltung und Extraversion arbeitet sich seinen langen Weg aus den Tiefen unserer Selbst, entgegen aller Beschwerlichkeiten. Dieses Gefühl ist wirklich bezeichnend für die im Corona Lockdown weggeschlossenen Bedürfnisse. Und das kann vielleicht ein*e jede*r gerade gut nachvollziehen, besonders aber die MusikerInnen und KünstlerInnen.

Let’s go zum nächsten Stopp in unserer silbernen Reisemaschine! „Auf zur Illumination!“, der Titelsong des Albums, klingt fast so, als ob Lennon und McCartney höchstselbst nach einer ihrer spirituellen Trips in Indien deutsch gelernt, und noch ein weiteres Stück für Srgt. Pepper geschrieben hätten. FOTOS schildern uns mit diesem Song einen ziemlich psychedelischen Erfahrungsbericht als erleuchtetes Wesen. Harmonisch einfach nur satisfying, kommt auch dieses Stück mit ganz abgespeckter Instrumentierung aus.


“Millionen Wale werden singen,
meine Seele salutiert
Auf Purpurwolken werd ich wandeln,
auf einer Scheibe die rotiert”


Sehr geehrte Gäste, wir starten den Sinkflug
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Wer bis hierher gekommen ist und nicht (as usual) in der letzten Reihe unseres Nachtbusses zur Erleuchtung eingepennt ist (no offense!!), kann jetzt noch die letzten drei Haltestellen dieses Albums genießen. Mit „Ausflug“ einfach mal den Kopf ausschalten und weg hier, raus aus den eigenen vier Wänden, alle Signalempfänger aus oder auf Flugmodus. Die Abkapselung aus der Einkapselung. Da Reisen leider in real life gerade echt schwierig sind, sei es kurzfristig durch Corona oder langfristig in Bezug auf den Klimawandel, vermitteln uns FOTOS hier zumindest virtuell den süßen, fast vergessenen Geschmack von Zigarrettenholengehen-&-Niewiederkommen.

Ein ehrlich gesagt etwas gewöhnungsbedürftiges Stück ist für mich nach wie vor „Nachtschattenglühen“. Das zwar sehr poetisch, aber ebenso abgespaced vertonte Gedicht, klingt ein bisschen wie ein prison baby von Leonard Cohen und Novalis. Es öffnet auch ganz ohne Substanzen Pforten in meinem Kopf, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Alle, die sich gerne auf Metaebenen bewegen, werden an diesem Stück ihre wahre Freude haben.

Wesentlich poppiger erreichen wir danach aber auch schon unsere Endstation. Ein wahrer „Grower“ ist das letzte Stück „Weiße Wellen“. FOTOS vermitteln uns hier das Gefühl, abhängig, aber abgehängt zu sein. Zum Schluss wird nochmal ganz deutlich, wie raffiniert und eigenständig die Texte von Tom Hessler sind. Wirklich jeder Song lässt Millionen von Interpretationen zu und wenn man darauf keine Lust hat, klingen sie einfach nur gut. Mit einem wunderbaren Refrain verabschiedet uns FOTOS von dieser sehr aufschlussreichen und entspannten Reise mit einer Landung, bei der sicherlich Standing Ovations in der Maschine angebracht sind:


“Du rennst zu schnell
Lässt mich fliegen und bringst mich zu Fall
Du brennst zu hell
Jeder Flug endet mit einem Knall”


We hope you’ve had a pleasant flight

Das neue Album “Auf zur Illumination!” von FOTOS klingt wie aus einer anderen Zeit. Nur weiß man nicht so ganz, ob es sich um die Vergangenheit oder die Zukunft handelt. Zugegeben: dieses Album braucht etwas Zeit. Das ist Slow-Food für unseren konditionierten Popgeschmack. Ich hatte anfänglich so meine Schwierigkeiten, richtig reinzukommen. Aber irgendwann macht es klick. Dann ist es wunderschön und trägt massiv zur Entschleunigung des Alltags bei. Die Sounds sind fesselnd, genauso wie die unfassbar guten Lyrics. Es ist ein geschlossenes System, alles passt perfekt zueinander und macht Sinn, sofern man denn einen Sinn suchen will.

Moment, eigentlich weiß ich gar nicht, ob es Sinn macht, weil ich viele der Texte nicht verstehe. Das ist aber gar nicht schlimm, denn zuhören will ich auf jeden Fall und dazu träumen lässt es sich auch prima. Ich bin jedenfalls froh, dass FOTOS mich neugierigen, sandaligen Touristen mit auf diese Reise genommen hat und gebe safe 5 Sterne bei TripAdvisor. Es ist bemerkenswert, wie unvoreingenommen und frei diese Band ihren Sound immer wieder neugestaltet und ihr Ding durchzieht. Davon kann man sich einfach nur mehr erhoffen und ich bin gespannt auf das nächste Album.

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