Mittlerweile sind sie schon eine feste Größe im Indie-Kosmos Deutschland’s und dürfen in keiner guten Release-Playlist fehlen: Razz. Die vier Jungs aus Berlin haben ihr drittes Album unter dem Namen „Everything You Will Ever Need“ veröffentlicht. Mit einem deutlich poppigeren Sound und nachdenklichen Texten zeigt sich die Band in neuem Gewand. Für die alteingesessenen Razz-Fans dürfte das aber kein Schock sein, denn mit der zuletzt veröffentlichten EP „Might delete later“ kündigten Niklas, Steffen, Christian und Lukas bereits an: So wird Razz 2.0 nach gut drei Jahren Release-Pause klingen!
Sänger Niklas gibt im Interview einen Einblick hinter die Fassade und erklärt, wie es zu dem neuen Sound kommt. Außerdem gibt’s zu lesen, warum er sich nicht mehr mit den Songs aus 2015 identifizieren kann, wie es zu dem Kurzfilm in den Musikvideos zum Album kam und welches Verhältnis er noch zu seiner Heimat hat. Wer dazu noch wissen will, was es mit dem Mann und der Kettensäge auf sich hat, dem empfehle ich bis zum Ende dran zu bleiben. Lohnt sich, versprochen. Jetzt geht’s aber los!
Razz im Interview
Anna: Hallo Niklas. Schön, dass du dir die Zeit genommen hast und mit mir ein bisschen über euer neues Album „Everything You Will Ever Need“ redest. Zu Beginn aber erstmal eine ganz andere, banale Frage: Gibt es ein Konzert, auf das du persönlich hingehst in nächster Zeit oder hast du da gar keine Zeit zu?
Niklas: Also 24/7 nur beschäftigt sind wir zum Glück nicht. Nein, ich habe Gott sei Dank ein Privatleben. (lacht) ich muss mal schauen. Ich hatte gerade überlegt, das letzte Konzert, auf dem ich war, war bei KAYTRANADA. Der hat im Festsaal gespielt. Das war unfassbar gut. Und dann sehe ich gerade in meinem Kalender – da hätte ich mich drauf gefreut – Olivia Rodrigo. Das habe ich aber leider nicht geschafft. Dann habe ich noch überlegt, zu Betterov zu gehen.
Anna: Oh ja, das Konzert hab ich vorhin auch in meine Mails eintrudeln sehen und würde super gerne hingehen. Da ärgere ich mich dann jedes Mal, dass ich nicht in Berlin wohne. Sing also ne Runde für mich mit!
Niklas: Ah, wie ärgerlich. Er spielt auf jeden Fall im gleichen Club, wo wir jetzt auch auf der Tour waren. Dennis, der Gitarrist von Betterov, hat unser Album mitproduziert und ist da jetzt live als Gitarrist dabei. Hab ihn noch letzte Woche getroffen und da haben wir darüber gequatscht. Da hätte ich auf jeden Fall mega Bock drauf.
Anna: Die Vorband ist auch ganz cool: Cinemagraph! Ich weiß nicht, ob du die schon kennst.
Niklas: Warte mal, das sagt mir sogar was. Lass mich mal kurz schauen. Ich öffne mein Spotify. (vertieft in sein Handy) Nee, kenn ich doch nicht, aber sieht gut aus. Welchen Song kannst du empfehlen? In welchen Song muss ich reinhören?
Anna: Ich glaube, der bekannteste ist „Smiling Face“. Aber ich mag auch den neuen ganz gerne „I Hate That We’ll Be Strangers In A While“ – das gibt mehr sehr große The 1975-Vibes.
Niklas: Oho, dann bin ich ja gespannt. Ich hab beide Songs jetzt mal gespeichert. Danke. Ich freue mich immer über neue Musikempfehlungen.
Von Tour-Alltag und Zukunftsgedanken
Anna: Gerne doch! Aber kommen wir zurück zu Razz und dir. Wie fühlst du dich jetzt gerade vor Release des Albums? Ich glaube, Konzerte und Touren habt ihr jetzt gerade durch und es kommt so ein bisschen die Ruhe vor dem Sturm auf.
Niklas: Ja, wir spielen jetzt noch einige Festivals. Haben nach der Tour auch schon wieder zwei, drei Festivals gespielt. Die Tour an sich hat mir ultra viel gegeben. Auf jeden Fall. Nach dieser langen Durststrecke war es mal wieder krass geil. Deswegen machen wir ja auch Musik. Das mit den Leuten interagieren oder halt auch die Songs live zu spielen war schon immer sehr essenziell und eine große Komponente. Und sonst? Ja, wir sind in den letzten Zügen von den Vorbereitungen. Das ist dann immer so mega unromantisch. Also ich freue mich schon, aber es ist gar nicht so die krasse Vorfreude, die man eigentlich immer erwartet, weil dieses Album ja schon ein bisschen länger fertig ist. Und man hat jetzt die alten Songs schon tausendmal gehört. Ich freue mich dann immer eher wieder die Songs live zu spielen. Ja und dann ist gerade mehr so die Planung in die Richtung: was geht danach schon wieder? Und so was.
Die Entstehungsgeschichte von „Everything You Will Ever Need“
Anna: Krass, ja das ist dann wohl mein Zeitpunkt, jetzt mal ein bisschen auf das Album direkt einzugehen. Wie, wann und in welcher Phase sind die Songs so entstanden? Das sind ja ganz schön ne Menge Songs. Aber dann sind natürlich auch zwei Singles von der EP mit dabei. Wie ist es dazu gekommen?
Niklas: Die EP und das Album sind so ein bisschen aus einem Guss. Also es ist ganz witzig, weil wir sehr viele Sessions hatten und ein paar Songs schon fertig waren. Und wir haben dann immer wieder weitergeschrieben und sind ins Studio. Aber das gehört für mich so ein bisschen zusammen. Ich weiß gar nicht, wie lange es war. Ich glaube, wir haben Ende 2019 angefangen zu schreiben und uns ein bisschen überlegt: Wie soll es klingen und in welche Richtung soll es gehen? Von daher hat sich das ziemlich gezogen und EP und Album sind zusammen entstanden. Deswegen ist das auch so ein bisschen der Grund, warum „Like You“ und „1969 – Conrad“ mit aufs Album gekommen sind. Sie schlagen glaube ich eine gute Brücke zu dem Album. Aber wir haben schon irgendwie so knapp zwei Jahre dran geschrieben. Das war erst ein kleiner Hustle, weil wir nicht genau wussten, ob das jetzt wirklich die Songs sind, die Razz 2.0 einläuten. Dann hatten wir aber so schnell noch mehr Songs geschrieben und „Ocean“ stand irgendwie auch so für sich, da musste einfach eine EP her. Wir hatten auch einfach Lust und haben uns dann entschieden, jetzt schon mal was rausbringen. Wir haben Songs, mit denen wir happy sind und dann machen wir einfach weiter und machen ein Album danach.
Anna: Heißt das, dass „might delete later“ dann auch gelöscht wird, sobald das Album raus ist?
Niklas: (lacht)Ne! Aber das wäre auf jeden Fall ein starker Move, wenn wir einfach so das Album oder die EP löschen würden. Es bleibt zumindest erstmal noch überall verfügbar und man kann es auch kaufen. Aber vielleicht in irgendeiner Zukunft. Das wäre auch eigentlich mal ein guter Kaufanreiz.
Wenn man selbst der größte Fan vom eigenen Merch ist
Anna: Du gehst ja auch mit gutem Beispiel voran und trägst euren eigenen Merch, wie ich sehe.
Niklas: Haha ja, aber das war gar nicht mit Absicht. Ich find das T-Shirt einfach echt cool. Christian designt ja unseren Merch selbst. Von daher ist es ja gar nicht so sehr als unser Merch zu sehen. Aber ich bin da eher ein Fan von Christian’s Design, auch wenn das quasi meine Kritzeleien und meine Schrift ist. Aber zumindest Christian’s Idee. Ich supporte also auch Christian damit.
Anna: Du musst dich gar nicht rechtfertigen, ich finde den Merch auch ziemlich schön. Da hat Christian einen guten Job gemacht. Ich finde es ist ja auch nicht so „in your face – das ist Razz Merch“, es stehen halt Lyrics von Songs drauf.
Niklas: Ja, genau, das war uns auch sehr wichtig, dass es so ist. Ich mag das auch gar nicht, wenn auf dem Merch fett Albumtitel und vielleicht Bandname steht oder was weiß ich. Von daher war irgendwie das Augenmerk bei uns, ein bisschen mehr darauf, was irgendwie cool aussieht.
Anna: Ich bin auch gespannt, wie die die Shirts alles aussehen, die ihr letztens selbst bemalt habt für die Sondereditionen von den Vinyls.
Niklas: Da bin ich auch sehr gespannt. Aber ich glaube, einige trägt Christian gerade schon so ein bisschen warm. Also wir haben es ja selbst gemacht und hatten einen Kumpel dabei, Olli, der ultra gute Ideen hatte. Christian fand die Shirts so geil, dass er sich so zwei drei Stück gesneaked hat und die einfach andauernd selbst trägt. Wir müssen ihm noch irgendwie beibringen, dass die auch wieder mit in die Deluxe-Box müssen.
Anna: So ein, zwei Wochen hat er dann ja noch. Ok, zurück zum Album: Würdest du sagen, es gibt ein Hauptthema auf dem Album, das sich so thematisch durchzieht?
Niklas: Im Gegensatz zu der EP ist das Album auf jeden Fall ein bisschen introvertierter, also auch sehr viel persönlicher. Also die EP ist ein bisschen mehr nach außen gerichtet und auf die Gesellschaft bezogen.Bei dem Album ist ein Thema, was auf jeden Fall dominiert oder häufig vorkommt dieser Heartbreak-Trennungs-Kosmos. Und ja, gleichzeitig auch so meine Gefühlslage,die ein bisschen in die deprimierende Musikrichtung geht und die ich hatte, als wir das Album geschrieben haben. Und das sind so die zwei Hauptthemen. Teilweise ist da aber auch so ein Funke an Euphorie oder Hoffnung immer dabei. Aber es ist schon sehr viel Nachdenkliches auf jeden Fall so grundsätzlich.
Anna: Ich finde gerade auch die zwei Singles, die von der EP schon kommen, sind eher euphorisch als der Rest.
Niklas: Textlich sind beide relativ euphorisch, das stimmt. Also ich finde es persönlich immer interessanter, wenn es ein bisschen offen gehalten ist. Aber die Hintergedanken bei den Songs sind auch schon sehr dystopisch. Vielleicht ein bisschen übertrieben, aber es sind Dinge, die mich genervt haben. Also beispielsweise dieses ständige Vermarkten müssen oder sich präsentieren müssen auf irgendwelchen Social Media Plattformen. Während und generell beim Album schreiben ist mir aufgefallen, dass wir in unserer Generation viel Wert auf Selbstverwirklichung legen. Also uns ist es wichtig, dass wir nicht nur sagen, dass wir welchen Job auch immer nehmen, sondern es soll schön sein und es muss Spaß machen. Du musst einfach happy damit sein. Und genau diese Generationsfrage ist da glaube ich noch mehr dabei in den Texten. Ich glaube, Corona war ein bisschen wie ein Brennglas, dass jeder sich so krass mit sich selbst konfrontiert fühlte und konfrontieren musste. Das hat das Album auf jeden Fall auch maßgeblich mit beeinflusst.
„Manchmal frage ich mich auch: Was ist genau überhaupt das Problem? Da hilft das Songwriting“
Anna: Hilft dir das dann, wenn du die Songtexte schreibst, selbst zu reflektieren und das aufzuschreiben und dadurch besser damit klar zu kommen?
Niklas: Gute Frage. Ich glaube grundsätzlich, also ganz grundsätzlich glaube ich, dass Tagebuch führen oder Gedanken aufschreiben, super hilfreich sein kann. Dementsprechend glaube ich auch, dass es hilft, wenn man seine Gedanken ordnet und es in Songs aufschreibt. Manchmal frage ich mich auch: Was ist genau überhaupt das Problem und warum fühle ich gerade so? Ich glaube, da helfen Songs oder allgemein das Runterschreiben von Dingen auf jeden Fall, um das zu ordnen und klarer zu gestalten.
Anna: Ja. Kann ich mir vorstellen. Ich wünschte auch manchmal, ich wäre so ein Mensch, der Tagebuch schreibt.
Niklas: Aber das kannst du ja ganz einfach anfangen.
Anna: Ja, das sagt man sich dann immer, aber macht es dann doch nicht.
Niklas: Aber du musst es ja auch nicht regelmäßig machen. Ich schreibe auch kein Tagebuch, aber ich weiß von vielen Freunden auch oder Freundinnen, die das machen und das dann vielleicht auch eher unregelmäßig machen. Nur, wenn man vielleicht gerade den Drang dazu hat, etwas runter zu schreiben oder sich über irgendwas klar zu werden, kann es auf jeden Fall sehr hilfreich sein. Also dementsprechend einfach ein kleines Büchlein kaufen. Dann kann man immer wenn es einem gut geht oder vielleicht auch nicht gut geht, das dann runter zu schreiben.
Anna: Ja doch, ich glaube auch, dass es wirklich hilft zur Reflexion.
Niklas: Ja, voll! Also einfach den Vergleich zu haben, dann zu merken, wie habe ich die Situation vielleicht gehändelt und wie würde ich das eigentlich machen.
Anna: Ich wollte auch noch mal auf die Musikvideos eingehen zu den Singles, die bisher veröffentlicht sind. Es ist ja quasi ein durchgängiger Kurzfilm, wenn man die alle hintereinander schaut. Aber wie seid ihr auf die Geschichte gekommen? Sie hat sich jetzt irgendwie auch noch nicht so ganz fertig angefühlt.
Niklas: Ja, das war so ein bisschen auch die Intention, das offen zu lassen. Die vierte Episode ist tatsächlich aber auch die letzte Episode. Wir haben uns ganz am Anfang gedacht: Okay, wir haben nicht so Bock auf einzelne Musikvideos. Wir hatten das Gefühl, dass wenn wir ein Musikvideo einfach so ins World Wide Web rein schießen, dann verpufft es einfach so. Das ist als Musiker*in glaube ich sehr schwierig. Es hat für mich irgendwie so was Belangloses. Und auch, weil so ein Album ein ganzes, zusammenhängendes Konstrukt ist, war unsere Idee eben einfach, vielleicht auch bei den Musikvideos was Zusammenhängendes zu machen. Also warum keinen Kurzfilm, der vielleicht mit einer Handlung zusammenhängt? Wir haben schnell gemerkt, dass eine Handlung vielleicht ein bisschen zu aufwendig oder zu verwirrend ist und haben dann diese drei Handlungsstränge genommen, die aber untereinander verwoben sind. Das Ganze haben wir im Oktober letzten Jahres geplant. Dann haben wir Jen Krause angeschrieben auf Instagram ganz spontan und die hatte da auch Bock drauf. Wir haben so zwei, drei Monate mit der Planung verbracht. Ich glaube die Stories können ein bisschen verwirrend sein, weil man sich manchmal den Sinn noch selbst suchen muss. Aber das finde ich manchmal ganz interessant und man muss es wahrscheinlich auch sehr aufmerksam schauen, dass man alle Storylines untereinander checkt. Aber wir mussten das schon ein bisschen vereinfachen. Also das heißt, das Grundgefühl haben wir dann von den Songs genommen und das in den Videos verpackt. Aber es war uns eben wichtig, dass es zusammenhängend ist und nicht nur so ein einzelnes Musikvideo.
Anna: Ich finde, das hat echt gut geklappt!
Niklas: Das freut mich, danke.
Zwischen Hoffnung und Sicherheit
Anna: Gibt es irgendwelche bestimmten Hoffnungen und Erwartungen, die du dem Album gegenüber hast? Oder hast du Angst vor bestimmten Reaktionen?
Niklas: Angst tatsächlich nicht so. Ich habe generell immer so ein paar grundlegende Selbstzweifel, aber das ist jetzt nicht bei dem Album schlimmer. Ich kann auch sagen, dass ich mich relativ wohlfühle mit dem Album. Ich finde es ist ein sehr guter Querschnitt von Razz geworden. Eigentlich genauso, wie wir uns das vorgestellt haben. Naja und so eine klassische Hoffnung ist natürlich, dass wir gut in die Charts einsteigen. Aber es kommt immer darauf an, welche Releases noch da sind. Ich weiß nur, dass wir mit den letzten Alben auch immer direkt eingestiegen sind. Also es war schon so eine kontinuierliche Steigerung. Von daher müsste jetzt das jetzige Album, wenn man dem nachgeht, höher starten als das letzte. Das wäre natürlich schön.
Wie klingt denn jetzt Razz 2.0?
Anna: Das bringt mich auch zum anderen Punkt, den du bereits angesprochen hast: Razz 2.0. Ihr seid als Band ja 2012, 2013 gestartet. Das ist offensichtlich schon sehr lange her und seitdem ist sehr viel passiert, ihr wart sehr jung und in einer ganz anderen Lebensphase. Das ist jetzt ein ziemlicher Break, der zwischen „Nocturnal“ und „Everything You Will Ever Need“ liegt. Was ist der grundlegende Unterschied zwischen Razz 1.0 und Razz 2.0 und warum?
Niklas: Es gibt auf jeden Fall mehrere Sachen, die anders sind. Gerade bei den ersten beiden Alben, beim ersten aber noch viel mehr. Da habe ich sehr viele der Songs auf der Gitarre geschrieben, mit so einer gewissen Naivität. Und das gleiche haben wir jetzt bei dem Album gehabt, wo ich sehr viel auf dem Klavier geschrieben habe und. Ich bin jetzt nicht kein hammermäßig guter Pianist, aber vieles funktioniert und ich verstehe alles, wenn ich es analysieren würde. Aber ich finde es immer ganz spannend, wenn man sich an ein Instrument setzt und nicht zu sehr drüber nachdenkt und dann auch einfach Sachen passieren, die man nicht überlegt, sondern einfach macht, weil es gerade funktioniert. Und damit hatten wir diesen Effekt, den wir früher an der Gitarre hatten. Aber wie du ja auch meintest, es liegen knapp zehn Jahre dazwischen. Also die Texte behandeln auf jeden Fall andere Themen. Gleichzeitig hat sich natürlich auch unser Musikgeschmack verändert. Ich höre immer noch oft, dass wir mit Kings of Leon verglichen werden, aber die habe ich zum Beispiel schon ewig nicht mehr gehört oder würde sie auch nur voll selten hören – auch eher aus nostalgischen Gründen. Es ist also auch schon so ein bisschen ein anderer Stil. Ich glaube auch poppig, ohne es irgendwie abwertend zu meinen. Ich mag Popmusik und ich glaube, das Album ist auf jeden Fall auch Popmusik im guten Sinne.
„Es fällt mir schwer, mich mit den Songs von vor zehn Jahren zu identifizieren“
Anna: Würde ich auch so unterschreiben. Vor allem auch im Vergleich zu den älteren Songs, die ja eher rockig sind. Magst du die alten Songs trotzdem noch? Spielt ihr die auch noch gerne auf Konzerten oder ist es eher so, dass ihr die einfach nicht mehr fühlt?
Niklas: So eine Mischung, würd ich sagen. Für mich macht Musik mehr aus als nur schön zu sein. Unterhalten zu werden ist auch wichtig. Und das soll nicht heißen, dass unsere Musik mich nicht unterhält. Aber dadurch, dass ich die Songs schon tausendmal gehört habe und selbst geschrieben habe, weiß ich, was passiert ist und mir ist diese Spannung irgendwie genommen. Und wenn man halt andere Musik hört, dann ist man natürlich überrascht von Melodien oder Ideen, auf die man persönlich nicht selbst gekommen ist. Das fällt natürlich bei der eigenen Musik weg. Ich denke aber auch, ich finde es interessant, wenn Leute ihre eigene Musik hören. Finde ich immer faszinierend. Ich finde es nur teilweise schwer. Oder es fällt mir schwer, mich mit den Songs von vor zehn Jahren, die ich geschrieben habe, als ich 14 oder 15 war, zu identifizieren. Wir spielen einige der Songs teilweise trotzdem noch. Auch wenn immer man sich immer mit den aktuelleren Sachen mehr identifizieren kann, weil es einfach näher an dem persönlichen Geschmack ist. Also wir spielen schon mehr von den neuen Songs.
Anna: Hast du einen persönlichen Lieblingssong auf dem Album?
Niklas: Das variiert immer so ein bisschen. Also bis vor ein paar Wochen war es „Lately„. Den finde ich gut, weil es ein Song ist, der ein bisschen heraussticht und einen etwas anderen Vibe hat. Finde ich zumindest. Wir haben auf der Tour auch „Rome“ gespielt, einer der Songs, die vorab noch nicht veröffentlicht waren. Der hat live ultra gut funktioniert und kam auch super gut an. Die Jungs wurden erst teilweise auf der Tour von dem Song überzeugt. Deswegen ist das jetzt gerade so ein bisschen mein Favorit. Obwohl es auch ein Song ist, den man nicht beim ersten Mal direkt bemerkt oder der direkt auffallen würde. Den muss man kurz bewusst hören.
Ein bisschen Nostalgie für die Seele
Anna: Genau, da muss ich leider gestehen, dass es mir bisher genauso ging, aber vielleicht bekomme ich jetzt einen besseren Zugang zu dem Song. Springen wir noch einmal etwas zurück in der Zeit: das letzte Mal, dass ich dich interviewt habe war 2018 auf dem Rocken am Brocken. Damals noch für das Campusradio Hannover. Ist also schon ein bisschen länger her. Das Interview habe ich mir gestern auch noch angehört und es ist echt einfach cringe.
Niklas: Wahrscheinlich für beide Seiten.
Anna: Ja, das stimmt wahrscheinlich. Naja, aber worauf ich hinaus wollte ist, dass du damals gesagt, dass du dich potenziell noch deiner Heimat immer sehr verbunden fühlst. Und ich wollte mal fragen, ob das jetzt immer noch so ist. Würdest du das jetzt vier Jahre später auch noch so unterschreiben?
Niklas: Witzig, weil 2018 sind wir umgezogen. Rocken am Brocken war sogar genau das Wochenende, an dem wir umgezogen sind.
Anna: Ach echt? Was ein Zufall!
Niklas: Ja, an dem Wochenende vom Rocken am Brocken haben wir die ganze Zeit unseren ganzen Musik Kram dabei gehabt, aber dann hatte jeder noch so ein, zwei Koffer dabei und dann sind wir direkt weiter nach Berlin. Aber auf die Frage zurück: grundsätzlich ja. Heimat ist irgendwie immer Heimat. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Heimat und Zuhause. Und ich glaube, diese kleine, komische, abgefuckte, ländliche Gegend, aus der wir kommen, wird auch immer noch unsere Heimat bleiben. Oder zumindest meine.
Anna: Du darfst sie ruhig benennen, wenn du möchtest. Das ist nämlich auch meine Heimat.
Niklas: Ok, also es geht um das Emsland. Wo kommst du dort her?
Anna: Ich bin in eine Vorort von Lingen aufgewachsen.
Die Heimat auf dem Land als Reset-Knopf vom Großstadt-Chaos
Niklas: Achja, lustig, aber da ist Schöhningsdorf dann wohl doch nochmal etwas kleiner. Ich spüre die Verbundenheit zu dem Ort auf jeden Fall noch. Aber ich fühle mich auf jeden Fall jetzt gerade wohler in Berlin. Einfach weil das Angebot größer ist. Alleine die Leute, die man hier trifft. Wenn ich Lust habe, mega krasse Musiker oder Musikerinnen zu sehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass die in den nächsten ein, zwei Wochen hier irgendwo spielen und ich die Möglichkeit habe, die zu sehen. Das ist einfach mega geil. Aber auch das kulturelle Angebot ist einfach so viel besser. Ich bin echt ein enormer Großstadt Fan geworden. Aber ich mags auch immer wieder nach Hause zu kommen, weil es halt einfach wie so ein kleiner Reset Knopf ist und meine Familie ist ja noch da. Also so ganz weg werde ich davon eh nicht kommen. Aber das ist auch, solange die da sind, noch gut.
Anna: Da ich muss sagen, ich habe das auch in den Corona-Zeiten ein bisschen mehr wertschätzen gelernt. Weil man halt einfach dadurch, dass in der Großstadt dann nichts ging, man dann da so einen Ort der Zuflucht hatte. Also einfach im Emsland in den Wald gehen und rauskam. Man hatte halt viel mehr Möglichkeiten sich irgendwo aufzuhalten.
Niklas: Ja voll! Wenn man mal so bedenkt, dass alles was eine Großstadt wie Berlin ausmacht, weg ist, wenn Corona ist. Also all die Vorzüge sind irgendwie nicht mehr da. Aber all die Vorzüge, die man in ländlichen Regionen hat, bleiben aber bestehen, weil sie nicht so abhängig sind von irgendwelchen Restriktionen oder was auch immer. Deswegen war es da auf jeden Fall entspannter, da zu sein.
Anna: Da stimme ich dir voll und ganz zu! Okay, ich habe noch zwei Fragen. Undzwar gibt es, bis auf das Feature mit Giant Rooks vor ein paar Jahren, nur eigene Songs von euch und keine Features – ich habe zumindest keine gefunden. Hat das einen bestimmten Grund?
Niklas: Nö, nicht so richtig. Ich finde halt Features ergeben sich meistens einfach so und bei den Rookies war es so. Findest du nur ein Feature untypisch?
Anna: Gefühlt schon, ja – vor allem dafür, dass ihr schon ein paar Alben draußen habt, ist ja sonst oft.
Niklas: Ich glaube das ergibt sich einfach wirklich. Also es war gar keine bewusste Entscheidung bei uns.
Der Mann mit der Kettensäge
Anna: Die Abschlussfrage in allen unseren untoldency Interviews ist die nach einer untold Story: also eine Geschichte, die du am besten bisher in keinem Interview erzählt hast und die irgendwie catchy oder besonders oder weird ist.
Niklas: Ich glaube, das war letztes Jahr auf dem Rocken am Brocken. Musste vorhin dran denken als du das Festival angesprochen hasr. Das auch so eine absurde Geschichte, wo ich schon ewig nicht mehr drüber nachgedacht hab, aber wir haben letztes Jahr so ein kleines Corona-Konzert in abgespeckter Form dort gespielt. Alle Leute hatten natürlich ultra Bock und wir waren auch super hyped und sind mega lange noch dort geblieben. Wir haben uns alle Acts angeguckt waren dann noch auf dem Dancefloor hinten. (denkt drüber nach) Und es war einfach so eine absurde Story. Irgendwann sind wir wieder zurück ins Backstage und es war schon so zu 80 % leergefegt. Wir haben uns ein Bierchen zum Hotel mitgenommen. Wie aus dem Nichts stand dann irgend so ein Typ im Weg – ich weiß bis heute nicht, ob das ein Festivalhelfer war oder ob er einfach ein Zuschauer war – aber er stand auf einmal mit einer Kettensäge im Backstage. Meine Erinnerung ist da auch etwas getrübt, aber irgendwann hat er random Bäume umgesetzt im Backstage. Die nächste Erinnerung, die ich habe, war, wie unser Lichttechniker auch mit der Kettensäge neben mir stand. Also da stand er auf einmal mit einer Kettensäge im Backstage. Das ist so ein Bild, was ich auf jeden Fall noch im Kopf behalten habe. Die Situation war einfach so absurd. Stell dir mal vor: Backstage letztes Bier, einfach kurz dem Heimweg und auf einmal ist da so eine Kettensäge, die kursiert und wir waren alle so mega perplex. Was passiert hier gerade? So eine Mischung aus „ganz funny“, wenn man so leicht beschwipst ist, bis hin zu „okay, so fangen Horrorfilme an“.
Anna: Ich habe auch direkt an einen Halloween- oder Horrorfilm gedacht. Aber weißt du woran mich das auch erinnert hat? Es gibt auf dem Rocken am Brocken immer eine Person aus dem Team, die über das Wochenende verteilt eine Figur aus Holz erarbeitet. Ich meine das wird auch mit Kettensäge gemacht. Aber ich weiß nicht, ob das letztes Jahr auch so gemacht wurde, weil es ja nicht so das richtige Festival war.
Niklas: Das würde einiges erklären. Aber komisch ist es trotzdem noch. Was macht man mit so einer Kettensäge nachts um vier im Backstage?
Anna: Ja, eigentlich machen die das auch nur tagsüber, wenn es hell ist.
Niklas: Na gut, vielleicht hat da jemand nicht ganz so aufgepasst.
Anna: Das hätte mich auf jeden Fall auch verwirrt. Aber danke, dass du diese Geschichte geteilt hast.
Niklas: Sehr gerne. Ich kann Fotos nachliefern. Obwohl, vielleicht besser nicht. (lacht)
Anna: Da müsste man die Person auf dem Foto wahrscheinlich auch erst einmal fragen, aber ich würd’s schon gerne sehen. Naja, danke dir! Vielen Dank für deine Zeit.
Niklas: Hey, danke dir und noch einen schönen entspannten Tag!
Hier könnt ihr das neue Album „Everything You Will Ever Need“ von Razz ab jetzt rauf und runter hören bis euch die Ohren bluten:
Fotocredit: Nils Lucas