Kommt, wir surfen gemeinsam auf der Neuen Neuen (Deutschen) Welle!
Nena, Falco, Peter Schilling und Grauzone – diese Musiker*innen prägten unter anderem den Sound der 1980er-Jahre, besser bekannt als die Neue Deutsche Welle. Wofür ich meine Eltern früher noch belächelt habe und beschämt dachte “Oh Gott, nicht schon wieder 99 Luftballons oder Major Tom“, erwische ich mich heute selbst zu diesen Songs mitwippen. Dazu sind aber mittlerweile auch britische Bands wie The Smiths oder The Cure gekommen, die mir gezeigt haben, dass die New Wave Bewegung der 80er noch so viel zu bieten hat als auf Dorfparties “Der Kommisar” laut mitzugröhlen.
New Wave feiert sein Revival!
Für alle, denen es genauso geht, habe ich eine gute Nachricht: Die Neue Deutsche Welle ist zurück! Und sie überschwemmt nicht nur Deutschland, sondern den halben Globus. Besonders beliebt ist sie dabei vor allem in Russland. Die (für mich) hart klingende russische Sprache vereint sich perfekt mit dem schnellen, forschen Sound der New Wave.
Zur Vereinfachung: Wenn ich hier von New Wave rede, meine ich ab jetzt übrigens die aktuelle Bewegung und nicht die der 80er-Jahre. Doch was macht die New Wave Songs eigentlich aus? Wenn es ein Rezept für die Songs des Genres geben würde, dann sähe das wahrscheinlich ungefähr so aus:
- eine Prise (Post-)Punk
- eine Prise Psychedelic
- ganz viel E-Gitarre
- minimalistischer Synthesizer-Sound
Und all diese Zutaten werden schnell und hektisch zusammengemischt auf einen schnellen Beat -wichtig ist der sich wiederholende, maschinelle Sound. Der Text ist mal mehr, mal weniger gut verständlich und wird von einer meist exzentrisch klingenden Stimme untermalt. Dass diese Beschreibung sehr vereinfacht ist und natürlich nicht jedem Song gerecht wird, erklärt sich von selbst. Aber als Grundgerüst für die New Wave Songs der Gegenwart funktioniert es ganz gut.
Das Gesicht der Neuen Neuen Deutschen Welle: Edwin Rosen

Er ist wohl unter allen Indie und Dark Wave-Liebhaber*innen DER Künstler, um den man momentan einfach nicht herumkommt: Edwin Rosen. Für mich war seine Musik quasi die Tür in die Welt des New Wave. “1119” war Ende 2020 der Song, der endgültig zu verstehen gegeben hat, dass deutsche Texte ja doch gar nicht so beschissen sind, wie ich lange Zeit gedacht habe, und nach und nach hat sich der Sound so sehr in mein Herz gespielt, dass meine Playlists voller Edwin Rosen-Songs waren (und immer noch sind).
Neben dem Sound-Rezept, was ich vorhin schon versucht hab, zusammen zu basteln, vereint die deutschen Künstler*innen der New Wave-Bewegung auch die Inhalte der Texte. Sie sprechen die Ängste, Sorgen und verstohlenen Gedanken einer Generation aus. Ich nenne es gerne die Lasten der verlorenen Jugend – eine Jugend, die sich von exzessiven Parties zu Lockdown und unerfüllten Hoffnungen schleppt. Kein Wunder, dass vor allem seit Beginn der Pandemie die Songs so fleißig gestreamt werden. Wer kann sich nicht besser mit Songs über unausgesprochenes Verlangen, unerfüllte Wünsche und das Bedürfnis nach Nähe identifizieren, wenn man alleine zuhause vor seinem Bildschirm hockt. Klare Worte, die aus der Seele sprechen, sind genau das, was wir gerade brauchen! Hier mal ein kleiner Auszug:
“Melancholie ist meine Boje, Distanz ist meine Flut” – SALÒ
“Ich verschwende meine Hoffnung und alles zerfällt” – Edwin Rosen
“Zeig mir was dich hält, hinter dieser Welt, die morgen schon zerfällt” – Nils Keppel
“Auf dem Zenit meiner Jugend hab ich vergessen, was Anstand heißt” – Carlo Karacho
“Wie ein Buch, das ich einst las, dessen Titel ich vergaß. Oder war es Murks?” – Gwen Dolyn
“Wie geht das scheiß Leben und was macht einen Sinn? Ich laufe vor mir davon” – BRUCH
Bleiben wir also nochmal kurz in der Bubble der deutschen New Wave Künstler*innen, denn da gibt es abseits von Edwin Rosen noch eine große Menge echt guter Artists. Mein neuester Liebling ist sind die Newcomer Temmis aus Tübingen. Ihr Song “Wenn du da bist” hat sich in nur wenigen Wochen zu meinem Favoriten in der Playlist hochgemausert. Hinzu kommt, dass die Jungs live eine ungemeine Energie auf die Bühne bringen, die ich nur selten auf Konzerten erlebt habe. Ich durfte Temmis beim Club festival Pop Salon in Osnabrück sehen und bin jetzt sehr hyped für neue Songs auf ihrem Spotify Profil – denn davon haben sie auf jeden Fall noch ein paar parat.
“Alles dreht sich, Uhrenblätter. Doch es dreht sich nicht zum Besseren”
Ein paar weitere Künstler*innen, die ihr auf euren Radar packen solltet und die sich perfekt in das Edwin Rosen-Universum einreihen: Nils Keppel, Borninmay, Miese Mau, Gwen Dolyn, Yowlandi, Brenda Blitz, Steintor Herrenchor, diggidaniel.
“Ich finde Deutsch und Russisch sind sich von der Härte oder vom Gefühl schon ähnlich. Ich hab so eine wilde Theorie, dass jemand, der die deutsche Sprache beherrscht, diese selbe Härte sucht, mit der man irgendwie connecten kann”. Das hat Luis Ake letztes Jahr im Interview mit Dascha über den Song “Hey Du/Эй, Ты” gesagt. Auch, wenn ich kein Wort Russisch verstehe, stimme ich ihm da zu. Vor allem in den Songs der New Wave funktioniert diese Kombination für mich perfekt.
Ähnlich sieht das Amir, besser bekannt als morgenthau. Seine Songs sind eine Symbiose aus deutschen und russischen Texten. “Ich bin bilingual aufgewachsen und verstehe die Lyrik in meinen Songs ebenfalls als Teil des Klangbilds. Für russische Hörer*innen wirkt die deutsche Sprache wie ein Instrument und für die deutschen umgekehrt und dabei ergänzen sich beide Parts immer inhaltlich”, erklärt mir Amir im Gespräch.
Die Magie der fremden Sprache und warum sie funktioniert
Für mich ist es auch ein bisschen wie ein Ü-Ei zu öffnen: Wenn ich einen Song mit russischen Texten höre, verstehe ich nichts, finde aber, dass es cool klingt. Wenn ich dann aber die Lyrics google, werde ich oft überrascht, um was für Themen es eigentlich geht. Doch genauso wie ich früher als Kind schon sehr über die Schokolade gefreut habe und die Überraschung im Ü-Ei quasi das Sahnehäubchen auf der Kirsche war, so funktionieren für mich die Songs auch schon, wenn ich nicht weiß, was hinter den Texten stehen.
Wie es zum morgenthau-Sound kommt, erklärt Amir so: “Ich bin mit den Klängen von sowjetischen Post-Punk und 80s Discohits aufgewachsen. Daher kommt auch mein Interesse für alles zwischen Discofunk, Synthpop und Punkmusik. Mein eigener Sound ist angelehnt an den frühen Werken von Depeche Mode und NDW-Klassikern wie Hubert Kah.”

“Inhaltlich verstehe ich viele meiner Stücke als Post-Dadaismus, bei welchem einzelne Phrasen und Gedankenbilder den Hörer*innen ihre eigene Interpretation des Liedes ermöglichen soll. Große Themen wie Weltschmerz, Liebe und Hass sind vielleicht klar erkennbar. Wobei jeder einzelne Track bei mir einen Gedanken oder Gedankenkonzept beinhaltet, dieser aber für Hörer*innen nicht zugänglich sein muss, um die Musik genießen zu können. Neben leicht politischen Tracks wie “mayak” oder “der einzige” gibt’s auch eher unpolitische, leichter verdauliche und manchmal emotionale Werke, wie “chigurh” (ein Lied über Hass auf Smalltalk) oder “mond” (ein Lied über die vielen Facetten der Nacht und den Nutzen dieser)”, fügt Amir noch hinzu.
Natürlich funktioniert das Revival der New Wave nicht nur auf Deutsch und Russisch oder einem Mix aus beidem. In der Playlist findet ihr deshalb auch Songs auf Französisch, Spanisch, Niederländisch und Englisch – letzteres ist wahrscheinlich wenig überraschend. Also gebt dem Ganzen doch einfach mal eine Chance und hört hier rein:
Fotocredit: Universal Music, morgenthau