Wir haben heute einen ganz besonderen und besonders intimen Artikel für euch: Moritz Ley teilt exklusiv und sehr detailiert in Logbucheinträgen den zweijährigen Entstehungsprozess seiner am 16.09.2022 erschienenen Debüt-EP „Emotionale Amnesie“. Solch tiefe Einblicke in die Arbeit von Künstler*innen erhält man ja eher selten. Deshalb wollen wir hier auch gar nicht lange schnacken und wünschen euch daher einfach nur viel Spaß mit dem nachfolgenden Text. Vielen Dank fürs Teilen, Moritz! 💚
Mein Name ist Moritz Ley und ich bin Sänger und Gitarrist aus Hamburg. Das sind die Fakten – alles Weitere ist mir auch nicht immer ganz klar. Über die letzten zwei Jahre habe ich eine EP geschrieben und in meinem WG-Zimmer aufgenommen und produziert. Sie heißt „Emotionale Amnesie“ und stromert von verträumten Synthesizerlandschaften über funkige Gitarren hin zu einfühlsamen Tracks mit ehrlichen Texten. Für diesen Beitrag bei untoldency darf ich euch mit auf die Reise nehmen, die in meiner Debüt-Platte kulminierte. Dazu kommen hier ein paar retroperspektivische Logbucheinträge – enjoy.
Logbucheintrag No. 1 – September 2020
Stage: Songwriting I
Ich ziehe aus meiner Heimat Hamburg weg nach Osnabrück, um dort am Institut für Musik Gitarre, Gesang und Musikproduktion zu studieren. Zuvor habe ich in Hamburg ein Jahr an einer Musikschule gearbeitet, um über die Runden zu kommen. Der Umzug ist bitter nötig, um aus den altbekannten Strukturen in Hamburg auszubrechen – jedoch ist er nicht optimal getimed. Ein harter Winter im Lockdown steht bevor, alles und jede*r sind mir fremd in der neuen Stadt. Ich habe Probleme, mich gegenüber den Menschen, die mir im Leben nahestehen, zu öffnen und fühle mich manchmal, als würde mein Herz in der Brust zu einem unförmigen Gesteinsbrocken verklumpen – die Songs „Ehrlich sein“ und „Alles gut“ entstehen. Zudem entwickle ich für ein Uni-Projekt den Instrumentaltrack für „Droge“ – dass dieser es später auf die EP schaffen wird, weiß ich damals jedoch noch nicht.
Logbucheintrag No. 2 – April 2021
Stage: Songwriting II
Ehrlicherweise muss man sagen – das Leben ist ein wenig trist im April 2021. Man hat Online-Uni, darf sich von Zeit zu Zeit mit bis zu fünf Personen aus zwei Haushalten treffen und die Kulturszene steht still. Ich sitze in meinem WG-Zimmer, gucke aus dem Fenster bei einer imaginären Kippe und schwelge in den Erinnerungen an Konzerte, Partys, Shows. Erinnerungen, die bereits beginnen, in mir zu verblassen – es ist die emotionale Amnesie. Der Song „Fenster“ ist in weniger als einer halben Stunde fertiggeschrieben, da die Zeilen praktisch von allein auf dem Blatt Papier erscheinen.
Logbucheintrag No. 3 – Juni bis Oktober 2021
Stage: Produktion + Recording
Das Projekt nimmt mittlerweile Form an. Schlagzeug und Bass nehme ich gemeinsam mit anderen Studierenden der Musikhochschule auf, die von jetzt an auch meine Liveband bilden. Über den Sommer 2021 entstehen auch etwas weniger melancholische, sondern Tracks mit mehr Lockerheit und Freiheit wie „Bei mir“ und „High“, die den Weltschmerz der bisherigen Songs etwas abrunden. Gitarren, Vocals und Synths recorde ich alleine in meinem Homestudio (a.k.a. Zimmer) … aber meine Mitbewohner*innen sind entspannt, was den Lärm angeht. Glück gehabt.
Logbucheintrag No. 4 – November 2021 bis März 2022
Stage: Planung und Post-Produktion
Zack! Alle Spuren sind im Kasten, die letzten Ecken und Kanten werden abgeschliffen und nun beginnt der große Planungsprozess für den EP-Release und das bevorstehende Jahr 2022. Das Datum 16.09. wird schon sehr früh rot im Kalender eingekreist, von dort aus rechne ich zurück und erstelle einen Zeitplan für Single-Releases, Musikvideos, Live-Sessions und alles, was dazugehört. Die Platte muss auch immer noch gemischt und gemastert werden – ein Prozess, der etwas anstrengender ist und sich länger hinzieht als geplant. Ich glaube, alle Musiker*innen kennen das Gefühl, wenn man die eigenen Songs irgendwann zum tausendsten Mal hört und sich nur noch fragt, was für einen Müll man da eigentlich fabriziert hat. So ging es mir auch während der Mixing-Phase, und zwar nicht zu knapp. Aber das Gebot ist: Durchhalten, das Licht am Ende des Tunnels ist nah. Und wenn man dann die fertigen Masters in der Hand (bzw. auf dem Laptop) hat, gewinnt man auch die Liebe zu den Songs zurück und ist dankbar für das eigene Durchhaltevermögen – so war es bei mir zumindest.
Logbucheintrag No. 5 – Juni bis August 2022
Stage: Single-Releases, Musikvideos, Promo, Artwork
Es ist nicht ganz einfach, wenn man kein Label hat und als One-Man-Army probiert, ein konkurrenzfähiges Produkt zu Produktionen von großen Industrieapparaten auf die Beine zu stellen. Mein Vorteil aber: Ich bin gar nicht allein. Viele Freund*innen helfen mir mit ihrem Können bei z.B. den Cover-Artworks für die Singles und die EP, bei Musikvideos und bei der EP-Promo. Ohne sie wäre ich komplett aufgeschmissen und hätte das Projekt in dem Umfang nicht stemmen können. Ich bin dankbar. Ungefähr im Monatstakt erscheinen die Singles „Bei mir“, „Du fehlst mir“ und „High“. Alles arbeitet auf den Showdown im September hin – den EP-Release!
Logbucheintrag No. 6 – September 2022
Stage: EP-Release und Konzerte
Alle Singles sind erschienen, der große Tag der EP-Veröffentlichung steht nur etwas mehr als eine Woche bevor und ich bin so krank wie seit Jahren nicht mehr. Auf der Zielgeraden hat mein Körper anscheinend keine Lust und Kraft mehr, ich kann mich kaum aus dem Bett bewegen. Bis drei Tage vor der Releaseshow in Osnabrück am 15.09. gehe ich davon aus, das Konzert verschieben zu müssen. Doch dann kommt gerade rechtzeitig der Aufwärtstrend, ich schleppe mich durch die Generalproben und werde pünktlich zum Konzert wieder fit genug, um die Show spielen zu können. Der Auftritt läuft famos, der Laden ist voll, es fühlt sich an wie im Traum. Zwei Jahre Arbeit finden einen gebührenden Abschluss. Danach steht noch eine kleine Releasetour aus sieben Konzerten an, fünf davon sind bereits gespielt. Meine letzten beiden Auftritte für dieses Jahr sind in Hamburg am 13.10.2022 im Grünen Jäger und beim Kiezkultur Festival in Hannover am 22.10.2022. Falls euch mein kleines Logbuch hier – oder noch besser, meine EP – gefallen hat, dann schaut doch mal bei einer Show vorbei. Bis dann!
Wer nach diesem tollen Text jetzt, völlig zu Recht, große Lust bekommen hat, Moritz Ley in diesem Jahr noch einmal live zu erleben, der kommt hier zu den Tickets für Hamburg (Achtung, das Konzert ist schon morgen!) und hier zu den Tickets für das KiezKultur Festival.
Und hier kommt ihr auf direktem Weg zur „Emotionale Amnesie“-EP:
Header-Fotocredit: Ann-Kathrin Müller, Design: Stefanie Baun