Am 26.03. hat Micro Circus aus Nürnberg bzw. München ihr neues, bereits zweites Album „Black Swan“ veröffentlicht – beachtliche acht Jahre nach dem Vorgänger „Bliss made of plastic“. Seitdem ist viel Wasser die Isar runtergeflossen und diese Zeit hat das Duo sinnvoll genutzt, um sich nicht nur musikalisch weiter zu entwickeln, sondern auch um eine beeindruckende neue Platte zu produzieren.
Eine düstere Offenbarung
Das Erste, was mir beim Hören auffällt, ist die unglaublich professionelle Produktion dieser elf neuen Tracks. Ich bin da wirklich kleben geblieben und der Sound hat mich verschlungen, obwohl ich die ersten beiden Songs nur auf Handylautsprechern gehört habe. Ein Grund mehr, sich das mal genauer anzuhören. Musikalisch präsentiert uns Micro Circus auf „Black Swan“ ein Album mit Konzept. Elektronische Drumloops treffen auf vintage Synthesizer, zerbrechliche Vocals auf verzerrte Gitarren. Klingt zwar nach einer bunten Mischung, fühlt sich aber so an, als dürfte es gar nicht anders sein.
Den Start in die Welt von Micro Circus macht der Song „Revelation“. Im wahrsten Sinne des Wortes ist dieser Song eine Eröffnung von etwas Verborgenem. Nämlich einem Gefühl, das viele Menschen gerade in sich tragen: Resignation. Wir haben es verbockt, so sieht es aus. Unsere Gesellschaft ist auf Perfektion abgerichtet und abgestumpft von schlechten Nachrichten und Katastrophen, jeden Tag. Da bleibt nicht mehr viel übrig als zuzuschauen und abzuwarten, wie wir allmählich die Kontrolle über all das verlieren. So sieht es zumindest der wunderbar dystopische Text des Songs, der im Chorus einen ironischen Toast auf unsere grandiose Spezies ausbringt:
“Hooray! A cheer for revelation
We are greatest of all creations
We’re dedicated to perfection
Yes, we are”
Der Song, der vorab schon als Single erschien, glänzt außerdem mit einem spannenden Aufbau. Zu einem Loop eines Drumcomputers gesellt sich anfangs lediglich die glasklare Stimme des Sängers Chris. Zugegeben, ich als absoluter Radiohead-Ultra war da schon hin und weg, denn die ganze Art und Weise wie hier Musik gemacht wird, erinnert mich sehr an die experimentellen Phasen von Thom Yorke & Co., aber zum Glück ohne wie eine Kopie zu klingen. Die Steigerung durch das akustische Schlagzeug und die breiten, verzerrten Gitarren, gibt dem Song zum Ende hin den nötigen Raum, um richtig wirken zu können.
Beware of aggressive swans
Während ich mich so von Track zu Track höre, überlege ich, welche Bands aus Deutschland dieses etwas verschrobene Genre denn noch so repräsentieren. Eine Mischung aus Indierock und Alternative, das alles aber irgendwie introvertiert und experimentell, gespickt mit elektronischen Klängen. Spontan fallen mir da Bands wie The Notwist oder vielleicht noch Moderat ein, die beide für einen sehr internationalen Sound bekannt sind. Allerdings ist diese Art von Musik und deren Tiefe und Eindringlichkeit auf dem deutschen Musikmarkt relativ selten zu finden. Bemerkenswert also, dass Micro Circus sich hier selbstbewusst einreiht und einen Vergleich tatsächlich nicht scheuen muss.
Der durch seinen Breakbeat ziemlich groovige Song „Water“ leitet uns weiter flußabwärts in ruhigere Gewässer, in denen wir auch den „Black Swan“ des Albums treffen sollen. Wer schon mal von einem attackiert wurde, weiß, dass Schwäne einfach nur verdorbene, charakterlose, aggressive Miesepeter sind. Auch wenn sie wunderschön aussehen. Ich weiß es seit Kindheitstagen und bin deswegen schwer traumatisiert. Das Titelstück des Albums erinnert mich sofort an das „The Resistance“-Album von Muse und ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass Micro Circus und ich wohl mit der gleichen Musik sozialisiert worden sind. Im Song prophezeit die Band das Zuschnappen des schwarzen Schwans und dessen unumgängliche Jagd auf uns. Der schwarze Schwan steht in der Mythologie seit jeher für ein unerwartetes bzw. unwahrscheinliches Ereignis und gibt dem Song dadurch eine sehr tiefe philosophische Ebene. Nichts ist vorhersehbar, wir können uns nicht auf alles vorbereiten und das Schicksal bekommt uns, egal wo wir uns verstecken. Die Zeilen in der zweiten Strophe passen da ganz besonders gut:
“All glass balls are defect(ive)
So everyone is wrong
Everyone is wrecked
This is the Worst Case Scenario
Time has come to jump out the window”
Aus den Fugen geraten
Die Abwechslung zwischen ruhigen, introvertierten Songs und einigen aufbrausenden Pophymnen, ist über das Album verteilt sehr angenehm. „Statues“ ist zum Beispiel einer dieser großspurigen, epischen Songs. Hier geben sich verhallte Drums und dicke Gitarrenwände die Hand und tragen eine äußerst radiotaugliche Melodie in unsere Ohren, die dort lange bleiben will. Auch „Sparks“ schlägt hier durch angenehm harmonische Akkorde, gezupfter Gitarre und positiven Vibes in den Lyrics eine etwas poppigere und gefälligere Richtung ein. Im Kontrast dazu stehen dann Stücke wie „Next“ über Chaos, Leid und Schmerz oder „Vs.“ über Abhängig- und Abwechslungslosigkeit, zum Beispiel in einer Beziehung. Beide Stücke sind dann auch deutlich minimalistischer und düsterer instrumentiert und lassen ein ganz besonderes, elektronisches Instrument erklingen: das „Melotron“. Dieses wurde schon von Bands wie den Beatles oder Led Zeppelin in den 60er und 70er Jahren verwendet und klingt auch heute noch einzigartig.
Dass Micro Circus auch mitreißende Balladen kann, hören wir dann ganz eindrucksvoll bei „Scientists“. Ein ganz lethargisches und leicht verstimmtes Klavier, bei dem wir sogar das Knarzen des Pedals hören können, schafft eine intime Atmosphäre. Der Klang der Vocals hat hier, ganz ohne das despektierlich zu meinen, einen ganz leichten Touch of Robbie Williams in seinen besten Jahren. Das Stück handelt von einem aus den Fugen geratenen Leben und auch dieser Text lässt sich wieder ganz wunderbar auf die aktuelle gesellschaftliche und politische Situation auslegen. Der Wunsch nach Führung und die Sehnsucht nach einem Wegweiser, z.B. durch die Wissenschaft, wird hier besonders ausgesprochen. Zeilen wie „The perfect circle’s out of tune“ oder „surrounded by the cage of doubts“ treffen den Ton der andauernden Krisen momentan ganz vorzüglich.
“Write on, write on, dear Scientists
I’m waiting for your promises
I’m faced with things I’ve never missed before
Write on, write on, dear Scientists
You are the last ones on my list
Come on! Lead me somewhere I belong”
Fazit
Die beiden Musiker Chris und Ole von Micro Circus haben sich auf ihrem zweiten Album wirklich die Ärmel hochgekrempelt und ein richtig gutes Album geschaffen. Die Qualität von “Black Swan” ist hervorragend – vom Songwriting über die Aufnahmen bis hin zum Mix. Das macht beim Hören einfach Spaß und ich glaube es gibt so einige Major-Produktionen, die deutlich schlechter klingen. Wenn ich einen Kritikpunkt suchen müsste, dann wäre es die Länge bzw. das Format des Albums. Ich weiß, das ist Geschmackssache, aber ich hätte mir hier auch gut zwei EPs vorstellen können. Aber hey, kann man zu viele gute Songs auf einer Platte haben? Wahrscheinlich eher nicht!
Ich würde sagen, wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dieses Stück Musik weiter zu verbreiten. Hört es euch an! Der schwarze Schwan schnappt auch bei euch zu. Versprochen.
Fotocredit: Andreas Groh
Artwork: Phlipp Holle