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Manege frei: Rolfie und sein „Zirkus Blumig“ sind in der Stadt

Rolf Blumig, Zirkus Blumig, neues Album, Staatsakt, Psychadelic Rock, Antirock, German Rock, Fiderallala, Sicherheit, by Nathalie Valeska Schüler_3

Lieber Herr Blumig, an dieser Stelle erst einmal ein großes SORRY. Wir hätten dich hier schon viel früher vorstellen sollen.

Nicht nur das neue Album „Zirkus Blumig“ des Leipziger Musikers Rolf Blumig ist eine Attraktion in der Manege. Auch der Vorgänger „Rolfie lebt“ war eine akustische Sensation. An die Promo-Mail seines Labels Staatsakt erinnere ich mich jedes Mal gerne: „Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen: Rolf Blumig, Ihr neuer Lieblingskünstler“.


Us (us us) and them (them them)

In gewisser Hinsicht war das absolut richtig vorausgesagt, zumindest war ich damals im positiven geschockt von der ersten Single „1000 Thomas“: südamerikanisch angeswingter Anti-Rock mit einer schauerlichen Vision einer geklonten Thomas-Gottschalk-Armee. Wirklich wild.

Für weit aufgerissene Augen und feuchte Handflächen sorgt jetzt auch sein zweites Werk „Zirkus Blumig“. Das liegt vor allem an Rolfies Fähigkeit, für Überraschungen zu sorgen. Wie in den ersten Takten des Openers „Liebe ist überall“, der mit einem ungewöhnlichen Chorarrangement eröffnet. Ungewöhnlich deshalb, weil hier ausnahmsweise mal von schönen Terzen abgesehen wird und sich die Harmonien so richtig schön reiben. GÄN-SE-HAUT. Naja, vielleicht für jemand, der hauptsächlich mit den Prinzen und den Wise Guys musikalisch sozialisiert wurde. So wie ich. Natürlich bleibt danach noch genügend Zeit, um Pink Floyd mal zu zeigen, wie Gitarrenmusik richtig funktioniert. Fast pünktlich zum 50. Geburtstag von „Dark Side of the Moon“. Dieses unverhofft frühe Rendezvous mit einem Gitarrensolo vor Anbruch der zweiten Songminute ist mindestens genau so episch wie die Soli der Altrocker, allerdings weniger pathetisch.


Harte Zärtlichkeiten
Rolf Blumig, Zirkus Blumig, neues Album, Staatsakt, Psychadelic Rock, Antirock, German Rock, Fiderallala, Sicherheit, by Nathalie Valeska Schüler

Betrachten wir Titelliste, geht es ähnlich positiv gestimmt zum zweiten Song: „Fiderallala“. Das klingt nach Vogelhochzeit. Das muss heile Welt sein. Nur leider stimmt das nicht. Pauschaltourismus, Billigreisen und masochistische Gewaltfantasien: Das gehört in Blumigs Welt einfach zusammen. Eine Szene unangenehmer als die andere vor einer hübschen All-inclusive-Kulisse. Das lässige Indiepop-Mäntelchen, das der Leipziger dieser Tabuzone überwirft, setzt der Zynik die Krone auf. Da weiß ich gar nicht, was ich noch sagen soll. Außer toll natürlich.


„Ich ess’ den Monat nichts,
dann fahren wir auf Fuerte
Doch sind wa vom Buffet weg,

gibst du mir die Gerte“


„Cornern“, zu Deutsch etwa „herumlungern“, klingt wie ein zärtlicher Kuss von Mac DeMarco und Kevin Parker von Tame Impala. So, als hätten diese beiden dann anschließend ganz verliebt eine Session zusammen aufgenommen: In alle Richtungen verbogene Akkorde treffen analoge Synthesizer und drei Meter hohe Gitarrenwände. Die Ghost Notes der Snare im Chorus von „Mit dir“ sorgen hingegen für ein beschwingteres Kopfnicken. Ich fühle mich hier sehr an Grizzly Bear erinnert, jedes Instrument macht sein Ding, aber alles fließt ineinander. Die romantische Vorstellung, eng umschlungen mit einer geliebten Person in ein paar tausend Jahren als Fossilien ausgegraben zu werden, wird hier zu so etwas ähnlichem wie ein Liebeslied. Das ist erfrischend und irgendwie süß.


Premiumheu für euch alle

Durch die brütende Hitze irgendwo in der nordafrikanischen Wüste schleppt sich „Sicherheit“ zur nächsten Oase, zumindest klingen die Gitarrenriffs und das King-Size-Bett von einem Basston sehr nach Sahara-Rockbands wie Tinariwen oder Tamikrest. Rolfie karikiert im Text vermutlich das Sicherheitsbedürfnis des rechten Randes im Joggingdress, gekrönt mit der Krone aus dem Happy Meal. Vermutlich — denn was das alles genau zu bedeuten hat, bleibt angenehm ungewiss. Eine Sicherheit gibt es: beim Hören fängt das Gehirn mal wieder an zu arbeiten.

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Richtig ausgefuchst wird es beim Song „Premiumheu für Maxi“. Dieses Highlight des Albums ist eine bitterböse Millieustudie, in der sowohl die blondierte Angelika, die glatzköpfigen Gestalten in der Kneipe und Tim aus dem Bio-Supermarkt von Dr. Blumig untersucht werden. Neugierig aufgeschnappte Gesprächsfetzen fädelt er uns da geschickt auf die Kette. In diesem Puzzle passt zwar kein Teil richtig ineinander, aber Rolf Blumig drückt sie mit Gewalt einfach da rein, wo sie ihm gefallen. Zum Schluss ergibt sich trotzdem ein Bild. Vielleicht ein viel interessanteres.


„Die Welt ist schlecht, die Bar ist voll
Und drinnen sabbern alte Ois
Der Kopf ist kahl, das Bier ist schal
Das immer ewig selbe Hamsterrad
Doch wer soll die Couch bezahlen?
Das Pack, was sie näht?
Das Pack, was sie trägt?
Ja, drei Mal kannst raten, wa?”

Living in Peace

Im letzten Song des Albums werden alle Kitschkanonen zum finalen Schlag in Stellung gebracht. Ich bin so dermaßen verwirrt allein schon vom Anfang, wo hat Rolf Blumig auf einmal dieses Orchester her? Und warum klingt genau so wie bei Night of the Proms im britischen Fernsehen? „Ja zum Leben“, ein letzter zynischer Gruß dieses beeindruckenden Albums, ist eine kleine Liebeserklärung an die schönste Nebensache der Welt: Nein, nicht Sex! Fußball! Und dann auch noch im Ruhrpott. Ab und zu ein kleines musikalisches Zitat aus Lennons „Imagine“ — da hat Rolf Blumig doch wirklich nicht zu tief in die Effekt-Besteckschublade gegriffen und diesem einzigartigen Lebensgefühl angemessen gehuldigt. Da holt er wirklich jede*n nochmal mit ab, wenns um Fußball geht, dann wird’s einfach emotional.

Im „Zirkus Blumig“ hat also wirklich jede noch so kuriose Attraktion ihren Platz gefunden. Erzählt und ausgewählt vom kaum zu fassenden Direktor, Rolf Blumig himself. Die Miniaturen, die er uns in jedem Song nahelegt, schmerzen, oft sind sie knallhart. Manchmal will man gar nicht hinsehen. Rolf Blumigs Charaktere sind quasi die Einrad-Artisten beim Drahtseilakt. Musikalisch serviert er ein 1a produziertes Rockalbum mit viel Platz auf den Gehwegen neben dem Mainstream. Das Ganze eingespielt von seiner topbesetzten Zirkuskapelle, die die Darbietungen noch einmal spannender machen. Aus Deutschland habe ich so etwas noch nie gehört. Weltsensation! Weltsensation! Go and grab a copy!

https://open.spotify.com/album/2VXyS85aw7aFP0P6qroHHf?si=Huvr9PexS1C13XG146ivmw

Fotocredit: Nathalie Valeska Schüler

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