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Jacob Leo im Interview: »Es sind hauptsächlich düstere Emotionen, die ich in meiner Musik verarbeite«

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Wir stellen wir euch einen Künstler vor, den ihr euch, falls ihr ihn noch nicht kennt, unbedingt zu Gemüte ziehen solltet. Es geht um Jacob Leo, einem jungen Musiker aus Berlin. Im Mai 2022 hat er seine Debüt-EP Surreal, Numb & Blindveröffentlicht und damit ein großes Ausrufezeichen gesetzt. Nachdem Jule im März 2022 die erste Single “Pray” quasi in Dauerschleife gehört hat, hat sie sich in den letzten Atemzügen des Sommers mit ihm im Berliner Gleisdreieckpark zum Interview getroffen. Jacob Leo erzählt darin von seinen musikalischen Anfängen, der Entstehung seiner EP und erklärt, warum er gerne brennen möchte. Viel Spaß beim Lesen.


Jacob Leo im Interview

Jule: Hey Jacob, schön dich kennenzulernen. Möchtest du dich vielleicht einmal kurz vorstellen – wer du bist, was du machst, wo du hin willst?

Jacob Leo: Ja, sehr gerne. Also, ich bin Jacob Leo. Ich habe schon einige musikalische Anläufe gewagt, war aber immer unzufrieden mit meinen Namen. Es war also ein langer Weg bis zu dieser Identität. Ich mache aber eigentlich schon ewig Musik. Als Jacob Leo bin ich allerdings noch nicht so lange auf der Bildfläche. Ich habe in den letzten drei Jahren hauptsächlich für andere Musiker*innen als Produzent gearbeitet und mich parallel um meine eigene Ausbildung als Musiker gekümmert. Ich hatte immer den Anspruch, dass wenn ich dann irgendwann mal auftauche, das möglichst professionell und ich möglichst souverän rüberkommen soll. Gerade bin ich aber noch immer voll in diesem Prozess, an dem ihr jetzt einfach alle teilhaben könnt. Ich sehe mich in der Zukunft auch auf jeden Fall noch auf dem Weg, den ich jetzt losgelaufen bin. Songideen umsetzen, Projekte realisieren, auftreten – das sind gerade meine großen Themen. Als Solokünstler ist es für mich gar nicht so einfach, alle Ideen so umzusetzen, wie sie in meinem Kopf sind. Aber ich möchte meinem Publikum in Zukunft auf jeden Fall eine Show bieten können. Klar, sie können meine Musik genießen. Aber ich möchte auch, dass die Leute danach denken “Wow, das war eine besondere, coole Show und ich habe etwas Tolles erlebt”. Ich habe da vielleicht eine kleine Obsession entwickelt (lacht).

Jule: Waren deine eigenen vorherigen Projekte auch Solo- oder Bandprojekte?

Jacob Leo: Immer solo tatsächlich, ich weiß auch nicht warum (lacht). Ich habe auch mal in einer Band gespielt, das war so zu Teenager-Zeiten. Hm, ich weiß nicht, wahrscheinlich kommt es einfach zwangsläufig daher, dass ich so Bedroom-Producer-mäßig immer alleine Zuhause rumgetüftelt habe. Ich war immer alleine im Dialog mit meiner Musik und habe es deshalb wahrscheinlich auch gar nicht in Betracht gezogen, diesen Prozess mit irgendwem zu teilen – immer erst, wenn es fertig war. Und irgendwie fühlt sich der Gedanke für mich auch seltsam an, diesen Prozess zu teilen. Ich sehe mich einfach eher als Solokünstler. Mittlerweile finde ich es aber auch sehr schön, mit meinen halbfertigen Sachen und Ideen zu Leuten zu gehen und sich auszutauschen oder Input zu holen. Aber am Ende muss ich ganz allein die Idee cool finden, da kann irgendwie niemand ran (lacht). Aber wer weiß, vielleicht entwickeln sich dadurch ja irgendwann auch mal langfristige Zusammenarbeiten mit den immer gleichen Leuten. Das wäre dann ja fast sowas wie eine Band.


“Ich bin leider sehr ungeduldig und fies zu mir selbst”

Jule: Aber du möchtest immer deine Finger im Spiel behalten (lacht).

Jacob Leo: Jaaaa! Ich glaube, ich bin da mitunter auch wirklich nervig, sehr verkopft und engstirnig. Es gibt immer so 50 Mix-Versionen von einem Song, bis ich damit irgendwann vielleicht mal happy bin. Ich bin da leider auch sehr ungeduldig und fies zu mir selbst. Manchmal läuft es aber auch direkt sehr gut. Bei meiner EP “Surreal, Numb & Blind” war das ganz interessant. Da gab es Songs, die waren super einfach für mich. Und dann gab es Songs, da war der Prozess sehr, sehr, sehr lang und fast schon etwas nervig. Wobei ich daran einfach komplett selbst Schuld war (lacht).

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Jule: So ähnlich habe ich mir den Prozess bei dir tatsächlich auch vorgestellt. Ich finde nämlich, dass man den Songs deiner EP sehr gut anhört, dass sie bis ins kleinste Detail ausgearbeitet wurden. Wollen wir vielleicht einmal etwas deeper in den Prozess der Entstehung eintauchen?  Wie alt – oder neu? – sind die Songs?

Jacob Leo: Super gerne. Also das sind zum Teil schon ältere Ideen, z.B. Hope. Es war Silvester 2020 – ein sehr düsteres Jahr für mich, wie für so viele andere auch. Ich war bei meiner Familie und diese Silvesternacht war so eine richtig klischeehafte Scheißnacht, in der man realisiert, wie beschissen alles ist. Am Morgen des 01.01. lag dann draußen Schnee und ich sehe durch das Fenster meine kleine Schwester Schneemänner bauen. Ich habe daraufhin einfach angefangen, auf dem Klavier zu spielen, während ich sie weiter beobachte. Und da ist die Melodie des Refrains von “Hope” entstanden. Das ist auch eine ziemlich repräsentative Geschichte, denn eigentlich sind alle Songs mit einem Backround entstanden. Pray ja auch, das ist ein Song mit einer relativ klaren Aussage. Es geht darum, jemanden dabei zu beobachten, wie er oder sie sich selbst kaputt macht und es selbst vielleicht gar nicht bemerkt. Wobei das auch so in Anführungsstrichen sein muss. Wer hat das Recht zu beurteilen, ob jemand anderes in eine falsche Richtung läuft? Aber ja, bei mir sind es hauptsächlich düstere Emotionen, die ich in meiner Musik verarbeite und die raus müssen. Ich habe die EP auch in so vielen verschiedenen Lebensabschnitten produziert. Circles ist während einer ganz düsteren Phase 2020 entstanden. Da habe ich auch dazu tendiert, sehr extrem zu leben, tagelang in meinem Zimmer zu verschwinden und stundenlang das Essen und Trinken zu vergessen. Ich war bisschen wie ein Kind, das die Eltern von den Legosteinen wegziehen müssen, damit es endlich ins Bett geht (lacht). Die EP war auf jeden Fall eine Art Pilotprojekt für mich. Sie sollte eine Geschichte erzählen, ohne zu viel Preis zu geben. Und ich finde, dass das eigentlich ganz gut gelungen ist.


“Seit ich 14 bin habe ich quasi nichts anderes mehr gemacht”

Jule: Wie hat denn deine musikalische Karriere eigentlich begonnen?

Jacob Leo: Relativ klassisch eigentlich, ich habe mit 6 Jahren Klavierspielen gelernt, mit 12 Jahren dann Gitarre und habe in einem Chor gesungen. Irgendwann wurde mir klar, dass ich das ja auch alles selber machen und erschaffen könnte. Ich habe mir dann Gitarrensolos überlegt, fand Matthew Bellamy von Muse super. Dann ging es weiter mit dem Gedanken, dass ich auch selbst produzieren könnte. Ich habe mir Programme runtergeladen, da konnte ich mein Klavier anschließen und habe damit erstmal nur Scheiße gemacht. Mit einem Klavier und dem passenden Programm kannst du ja theoretisch eben auch eine Gitarre einspielen. Klingt zwar, wenn du eigentlich keine Ahnung ist, erstmal scheiße, aber geht. Das Ganze hat mir aber auf jeden Fall eine neue Welt eröffnet. Seit ich 14 bin habe ich quasi nichts anderes mehr gemacht. Ich habe damals auch mal eine CD produziert, mit so 12 oder 13 Songs drauf und habe sie an meine Familie verschenkt. Das klang alles nicht so gut und die Texte waren auch schlimm, aber das waren auf jeden Fall meine musikalischen Anfänge. 

Jule: Hast du daraus denn auch mehr gemacht, eine musikalische Ausbildung oder sowas?

Jacob Leo: Ja, ich bin aber gerade noch mittendrin. Ich studiere Musikproduktion, also tatsächlich eher technisch, aber mit Gesang im Hauptfach. Also für mich eine richtig schöne musikalische Mischung. Dadurch, dass ich viel produziere, bin ich auch sehr technisch und würde behaupten, dass ich der Musiktheorie ganz gut ausgebildet bin. Ich war aber auch bis zum Stimmbruch in einem Chor. Nur wusste ich damals nicht, dass es im Gesang viel darum geht, auf sein Gefühl zu vertrauen. Mir fiel es schon immer eher leichter, Gefühle über Sounds als über Texte zu vermitteln. Also ganz klar meine Message zu präsentieren – klingt das hoffnungsvoll oder traurig, düster oder depressiv? In meinen Songtexten lasse ich gerne Spielraum, da kann man dann so viel oder so wenig reininterpretieren, wie man will. Manchmal sage ich ein bisschen klarer und ausformulierter, was auch in meinem Kopf für mich klarer ist. Und manchmal sind es abstrakte Gefühle, die ich äußere und irgendwie mit Bildern versuche zu verknüpfen. Hier habt ihr Fetzen meiner Gedanken, macht eure eigene Story daraus. Und vielleicht identifiziert sich dann ja jemand auch genau damit? Wenn ja, dann ist es das Schönste. Aber es geht mir eben eher um die Stimmung, das fand ich als Teenager schon total cool und seitdem hat es auch nicht mehr aufgehört. Und da ich beim Produzieren eben ganz genaue Vorstellungen habe, bin ich auch sehr an meinen Computer gebunden – das ist mein Medium im Endeffekt.

Jule: Spannend und doch eher ungewöhnlich. Aber tatsächlich hatte ich dieses Gefühl auch, als ich deine Debütsingle “Pray” zum ersten Mal gehört habe. Die ist textlich ja schon sehr emotional. Auch wenn du gerade gesagt hast, dass du eher technisch bist, finde ich schon, dass du nicht minder emotionale Songs schreibst, da ist schon sehr viel Herz drin. 

Jacob Leo: Schön, dass du das sagst, danke. Und absolut, ich bin vom Kern her ein ultra emotionaler Mensch und sehr feinfühlig, was Stimmungen angeht. Ich finde, man kann in Songs Stimmung und Message gut voneinander trennen. Aber na klar, man kommt ja nicht drum rum, Gefühle zu zeigen und die lasse ich auch wie sie sind.  Aber dann kommt bei mir eben als nächstes immer die Frage, wie ich den Herzschmerz aus dem Text jetzt durch Instrumente spürbar machen kann. Ich kann mich da sehr gut in Präzision verlieren, so unromantisch das auch klingen mag. Auf der anderen Seite: Wie oft tanze ich wie ein Bekloppter alleine in meinem Zimmer rum, wenn ich gerade einen neuen Song produziere – einfach, weil ich es dann so sehr fühle. Das ist auch etwas, das ich nie vor Leuten zeigen würde, weil ich da manchmal wie ein kleines Kind mit meinem Mikro durchs Zimmer tanze und dazu singe (lacht).

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Jule: Das ist doch mega schön! Wenn du und das Kind in dir sich etwas für deine Musik wünschen könnten, gerne auch utopisch gedacht, was wäre das?

Jacob Leo: Auf der einen Seite wären das so unlimited technische Möglichkeiten, mit einem großen Team eine krasse Bühnenshow auf die Beine zu stellen. Ich habe zum Teil auch so utopische Bilder im Kopf, wie ich eigentlich gerne Songs machen würde. Und dann kommt ich natürlich der Punkt mit meinem Bekanntheitsgrad und so, also das kann ich halt jetzt nicht ganz machen (lacht). Ich würde zum Beispiel voll gerne eine Bühnenshow mit Stunts auf die Beine stellen. Stell dir mal vor, so ein richtig epischer Abschlusssong und zum letzten Snare-Schlag springe ich einfach aus 20 Metern in die Tiefe. Ich möchte auch gerne brennen oder dass im richtigen Moment der Musik Dinge explodieren und solche Sachen (lacht). Ansonsten würde ich mir für mich mehr Gelassenheit und Entspanntheit im Entstehungsprozess wünschen. Finanzielle Unabhängigkeit, das ist wahrscheinlich der Wunsch von allen Musiker*innen. Aber es wäre auch schon schön, nur noch am Mischpult stehen und nicht jeden Tag einem Job nachgehen zu müssen, mit dem ich zwar Geld verdiene, der mir aber Zeit zum Musikmachen klaut. Ich würde mich gerne einfach 24/7 um meine musikalischen Babies kümmern können. Und jetzt wäre es mir auch noch möglich, brennend von Erhöhungen runterzuspringen – wenn ich 60 bin muss ich das wahrscheinlich auch nicht mehr haben (lacht).


“Ich möchte irgendwann auch große Bühnen bespielen”

Jule: Apropos live: Du spielst ja Ende Oktober beim KiezKultur-Festival. Hast du dich ansonsten auch schon mit Konzerten auseinandergesetzt oder macht das für dich in der aktuellen Live-Situation keinen Sinn?

Jacob Leo: An sich macht das für mich natürlich total Sinn, dass ich live spiele. Einfach weil ich, wie du gerade schon mitbekommen hast, auch sehr viel ausprobieren möchte. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich ein Problem für kleine Künstler*innen, überhaupt irgendwo spielen zu können. Aber live ist und bleibt auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Ich möchte irgendwann auch große Bühnen bespielen und ich komme nicht drum herum, dafür Erfahrung zu sammeln. Das ist aktuell aber für alle einfach extrem schwierig. Konkrete Pläne dafür stehen noch nicht, aber wenn es soweit ist, sage ich natürlich Bescheid!

Jule: Ich bitte darum! Und damit kommen wir auch schon zur letzten Frage. Die ist bei uns klassischerweise immer die nach einer untold story – etwas, was du noch nie öffentlich erzählt hast.

Jacob Leo: Oh, das ist eine fiese Frage. Ich bin doch so jemand, ich erzähle halt einfach immer alles (lacht). Hm, also ja. Ich bin ein Kaffee-Arschloch.

Jule: Was ist denn ein Kaffee-Arschloch?

Jacob Leo: Waaas, weißt du nicht, was ein Kaffee Arschloch ist? Also ein Kaffee-Arschloch bin ich, männlich, 23 Jahre alt und ich brauche Kaffee, aber ich brauche guten Kaffee. Ich bin so der Typ “Flat White mit Hafermilch, bitte”, exakt auf 62,7 Grad erhitzt und 18 Gramm Kaffeepulver in der Siebträgermaschine einmal durchgelaufen, so der Vibe. Ich bin auch richtig schlecht drauf, wenn es morgens nur Filterkaffee gibt. Ein Hotel, das nur Filterkaffee anbietet, da bin ich richtig pissig. Meine Traumwelt hat auch ganz viel damit zu tun, dass es überall zu jedem Zeitpunkt guten Kaffee gibt. Ich war im Sommer im Urlaub auf Sardinien und ich war ENTTÄUSCHT. Die haben eigentlich sehr guten Kaffee, aber aus irgendeinem Grund geht man dort davon aus, dass Tourist*innen keinen guten Kaffee trinken wollen? Also das ist so eine krasse Eigenart von mir. Und Leute, die mich im Leben begleiten, finden das auch ganz schnell heraus. Ich bin halt nachtaktiv und dementsprechend ein kleiner Grumpy Boy am Morgen. Wenn ich dann keinen guten Kaffee kriege, dann ist wirklich… dann kann man nicht damit rechnen, dass ich mit “Guten Morgen Leude, let’s goooo” in den Tag starte (lacht).

Jule: Dann bin ich froh, dass du heute Morgen offensichtlich deinen geliebten Kaffee bekommen hast (lacht). Danke für deine Zeit und das schöne Interview!


Hier könnt ihr euch Jacob Leos, unserer bescheidenen Meinung nach, grandiose Diskographie – da findet ihr auch die neue Single “Blockades” – reinfahren, bevor ihr ihn am 22.10.2022 beim KiezKultur-Festival in Hannover bestaunen könnt:

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Fotocredit: Claire Johanna

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