Nach einem Dauerlauf des Wartens, ist die Freude über den Release seines Debütalbums riesengroß. Betterov veröffentlicht “OLYMPIA”, ein Album voller abgrundtiefer Verzweiflung, aber vor allem voller Trost.
Alles gut so wie es ist
Besser können wir es nicht beschreiben. Poesie und Prosa untermalt mit schweren Gitarren verschmelzen mit Ehrlichkeit, eine Wahrheit, die die meisten von uns nur allzu gut kennen. Stillstand verpackt in bewegter Musik aus einer schnelllebigen Stadt. Das Album ist ein Repertoire aus Betterovs Erinnerungen und Gefühlen aus einer schwierigen Zeit.
Stagnation während er versucht, dieser mit dem Anschauen alter Olympia-Aufzeichnungen zu entfliehen. Angst, vergessen im Abgrund unterzugehen, aber eine Straße nach dem eigenen Namen benannt zu haben, ist auch komisch. Oder doch nicht? Darüber und noch mehr habe ich mit Betterov am Tag nach seinem größten Konzert überhaupt beim Reeperbahn Festival gesprochen.
Betterov im Interview
Amélie: Hi Betterov, schön, dass du Zeit für dieses Interview gefunden hast! Möchtest du dich zu Beginn vielleicht erstmal kurz vorstellen?
Betterov: Sehr gerne. Mein Name ist Betterov, ich bin Musiker und mache Indie-Rock mit Post-Punk Einflüssen. Ich freue mich sehr, hier zu sein!
Amélie: Und wenn deine Musik ein Gefühl wäre, welches Gefühl wäre sie?
Betterov: Ein Gefühl ist schwer. Jetzt braucht man echt das passende Adjektiv. Vielleicht „treibend“.
Amélie: Das passt aber ziemlich gut!
“Betterov & Friends” @ Reeperbahn Festival
Amélie: Wir sind ja gerade auf dem Reeperbahn Festival und du hattest gestern deine „Betterov & friends Session“. Das war dein 7. Reeperbahn Festival Konzert und das größte überhaupt. Wie war das für dich?
Betterov: Ja, das war natürlich riesig. Es war ein grandioser Abend. Die Instrumentierung, diese riesige Kirche, wie das da drin geklungen hat, das war ein riesiger Abend für mich.
Amélie: Wie lange hat die Vorbereitung für diesen Abend gedauert?
Betterov: Das war natürlich alles aufgeteilt. Wenn man alles nimmt, waren das schon Monate. Und nicht nur für mich, sondern auch für alle Beteiligten. Da gehören dann auch Planungen dazu und Mails schreiben, das mache dann natürlich nicht ich. Das ist schon viel Arbeit gewesen, aber hat sich total gelohnt!
Amélie: Was war denn dein Highlight gestern Abend?
Betterov: Es ist ganz schwer eins zu nennen. Eigentlich war der Abend ein einziges Highlight für mich. Ich kann gar keine Rangliste aufstellen. Das war alles auf Platz eins. Im Michel zu spielen, mit Paula, mit Novaa, mit FIL BO und mit Olli, das waren schon wahnsinnige Highlights für mich.
Debütalbum “OLYMPIA”
Amélie: Warum wir eigentlich hier sind, ist dein Debütalbum „OLYMPIA“, das am 14.10.2022 erscheint. Mich hat es direkt beim ersten Mal hören begeistert! Wie lange hat es gedauert von erster Songzeile zu Vinyl in der Hand?
Betterov: Das war schon ein relativ langer Prozess. Ich habe mir sehr viel Zeit genommen, gerade durch die Corona-Pandemie, da es irgendwie auch viel Zeit gab, noch mal über alles nachzudenken. Den Sound noch mal neu zu definieren und sich zu fragen „Was will ich eigentlich?“, „Wie soll das klingen?“ und „Wie instrumentiert man das vielleicht auch anders als vorher?“. Das waren alles nochmal so Grundsatzfragen, wo ich während der Pause einfach wirklich Zeit hatte, mir diese noch mal zu stellen. Das waren schon so 1 1/2 Jahre.
Amélie: Was war der erste Song, den du geschrieben hast, auf dem das Album dann sozusagen aufbaut?
Betterov: Ich habe während des Schreibens gar nicht so gefiltert, dass das jetzt der Aufbau-Track eines Albums sein könnte. Ich habe einfach erst mal geschrieben und versucht, das, was mich interessiert und was ich gut finde, in Songs zu packen. Dann habe ich einen stimmigen Rahmen gefunden und mit „Olympia“ dieses Fundament gehabt, worauf ich gut aufbauen konnte.
Amélie: Schreibst du deine Texte auf Papier oder tippst du sie in den Computer?
Betterov: Angefangen habe ich auf Papier und wollte auch immer auf Papier schreiben. Ich bin super gerne in so Schreibwaren-Läden, weil ich finde das sind die besten Läden die es gibt, oder? (lacht). Aber am Computer ist es natürlich schon besser, finde ich. Wenn einem was einfällt oder man schnell was ändern möchte, kann man es gut ergänzen. Auf Papier wird es recht schnell unübersichtlich. Also ich muss leider die unromantische Antwort geben, dass ich es am Laptop mache.
Amélie: Welcher Song beschreibt dich gerade am besten von deinem Album?
Betterov: Es ist schwierig einen Song auszuwählen! Ich glaube das ganze Album beschreibt mich gerade am besten. (lacht)
Leuten einfach dabei zuschauen, wie sie in acht Minuten einen Weltrekord aufstellen und ihr Leben verändern, man selbst liegt nur im Bett und tut nichts
Amélie: In „OLYMPIA“ beschreibst du diesen Corona-Stillstand, diese Tiefpunkt-Zeit. Ist das das Thema des Albums und kann man es als eine Art Konzeptalbum sehen oder ist es eher eine Zusammenstellung aus Gefühlen?
Betterov: Es hat schon Konzeptalbum artige Ansätze, würde ich sagen. Es ist jetzt nicht so wie zum Beispiel „Homotopia“ von Sam Vance-Law. Wenn wir sagen, das ist ein Konzeptalbum, dann ist meins nicht so durch konzeptioniert. Aber trotzdem hat es natürlich schon ein Thema. Es gibt verschiedene Songs, die davon handeln, die das beschreiben.
Amélie: Ja, vor allem das „Olympia“-Thema mit „Eröffnungsfeier“ und „Siegerehrung“. Aber vielleicht ist das nicht das Konzept, sondern der Look.
Betterov: Ja, genau. Das ist eher ein Leitfaden oder Rahmen des Albums.
Amélie: Nochmal zum „Olympia“-Thema. Wie kam es dazu und warum Olympia?
Betterov: In „Olympia“ geht es um so eine sehr schlechte Phase, wo man sehr lethargisch zu Hause liegt und eigentlich nichts mit seiner Zeit anzufangen weiß. Man klickt sich nur noch durch alte YouTube Videos und landet irgendwann in dieser Sport Bubble und schaut sich nur noch alte Olympia Aufzeichnung an. Das Schwimmen-Finale der Männer im 200 Meter Freistil oder so und guckt echt dann Leuten einfach dabei zu, wie sie in acht Minuten einen Weltrekord aufstellen und ihr Leben verändern und Geschichte schreiben. Man selbst macht aber seit Stunden nichts anderes als im Bett zu liegen und einfach nichts zu tun. Darum geht es in dem Song. Die Verbindung zum Sport fand ich spannend und wollte das dann auch ins Artwork und in die Videos, die jetzt rausgekommen sind, einbinden.
Amélie: Ist das dann echt so passiert, dass du herum lagst und in Olympia-Videos abgetaucht bist?
Betterov: Ja, die Idee des Songs ist autobiografisch.
Amélie: Wenn wir schon beim Sport sind: In welcher Disziplin würdest du bei Olympia antreten?
Betterov: Im Stabhochsprung. Das sieht immer so spektakulär aus und ich kann mir absolut nicht vorstellen, wie das funktioniert! Das würde ich gerne können oder wenigstens mal in echt zusehen (lacht).
man kann noch mehr erzählen und zeigen
Amélie: Wie unterscheidet sich dein Debütalbum von deiner Debüt-EP? Was hat sich vielleicht weiterentwickelt oder verändert?
Betterov: Der Unterschied liegt vielleicht darin, dass es klanglich ein bisschen ausgearbeiteter ist. Es klingt ähnlich, aber wir haben mit neuen und anderen Sounds gearbeitet. Die Erweiterung war der größte Schritt. Weil man bei einem Album einfach mehr Länge zur Verfügung hat, kann man noch ein bisschen mehr erzählen und zeigen. Das ist der Hauptunterschied.
Amélie: Kann man auch inhaltliche Unterschiede feststellen? „Viertel vor Irgendwas“ mit dem Thema von Zuhause weg zu kommen und bei „OLYMPIA” dann das Bedürfnis nach etwas Familiärem und aus der Großstadt rauszukommen?
Betterov: Ja, finde ich schon. Aber ich glaube der Unterschied zwischen Land und Stadt wird in der EP noch mehr thematisiert als jetzt auf dem Album.
Amélie: Sind die Songs auf „OLYMPIA“ eine Auswahl? Also gab es noch mehr Songs, die für das Album in Frage kamen?
Betterov: Ich hatte schon noch ein paar mehr Songs. Dadurch habe ich ausgesiebt und geschaut, welche Songs ich auf dem Album haben möchte und welche ich gut finde, aber noch dran arbeiten möchte. Aber mit denen, die jetzt drauf sind, bin ich wirklich sehr zufrieden.
Amélie: Hast du einen Lieblingssong?
Betterov: Schwierig! Da kann ich wieder keinen besonders herausstellen, sie liegen mir alle sehr am Herzen.
Das Tolle ist, dass ich es geschafft habe, Worte für diese Zeit zu finden
Amélie: Mich hat das Gefühl und die Stimmung deines neuen Albums auch sehr an Kafka und den Expressionismus erinnert. In „OLYMPIA“ steht die eigene Welt am Abgrund, wir finden Desillusion und Sinn-Krise. Waren das bewusste Einflüsse im Schreibprozess deines Albums?
Betterov: Ein direkter Einfluss war es nicht, aber ich stimme dir zu. Man kann es so sehen, dass es eine Art „Verwandlungs“-Motiv hat. Man liegt gefangen auf seinem Rücken und kommt nicht weg oder raus.
Amélie: Konntest du mit der Fertigstellung des Albums dem beschriebenen Stillstand entkommen?
Betterov: Ja, würde ich sagen. Das Tolle ist, dass ich es geschafft habe, Worte für diese Zeit zu finden, die mir zumindest erst mal gefallen. Das ist total schön und war für mich die große Errungenschaft dieses Albums.
Amélie: Ja, das ist eigentlich wie Tagebuch schreiben.
„komisches Gefühl“
Amélie: „Berlin ist keine Stadt, ein Ort der Erinnerung“, heißt es im neunten Track des Albums. Ich glaube jede*r kennt das, also die Assoziation von einem Gefühl zu einem Ort oder Duft oder Musik.
Hast du einen Song, der dich in eine ganz bestimmte Erinnerung oder ein Gefühl versetzt?
Betterov: Ja, pass auf, ich hab sogar eine ganze Playlist mit solchen Songs! Sie heißt „komisches Gefühl“ und da ist ganz oben „Cosmic Dancer“ von T. Rex. Dann ist da noch von The Decemberists „Here I Dreamt I Was an Architect“ drauf und das klingt für ich so krass nach Herbst. Ich weiß nicht warum, aber wenn die Blätter bunt werden und ich dieses Lied höre, dann ist Herbst. Und wenn ich den im Sommer an mache bei 30 Grad im Schatten, dann ist Herbst.
Einen sage ich noch: „Knee-Deep in the North Sea“ von Portico Quartet. Das ist auf irgendeiner Liveplatte drauf. Der bringt mich auch in eine bestimmte Stimmung. Ich hab das bei einem Urlaub im Norden gehört und seit dem erinnert mich der Song total daran.
Amélie: So super cool, dass du eine ganze Playlist dazu hast! Danke dir fürs Teilen.
„Im Dussmann aus der vierten Etage springen“
Amélie: Als ich im Dussmann war habe ich nur drei offizielle Etagen gesehen, stimmt das mit der vierten?
Betterov: Doch es gibt auch eine vierte, da kommt man nur nicht so leicht hin. Ich dachte auch es gibt nur drei, aber ich wollte diese vierte mit in den Song reinbringen, weil ich sie drinnen gesehen habe. Als ich mal im Dussmann gespielt habe, bin ich irgendwann mal zum Chef des Hauses gegangen und hab mich mit ihm unterhalten. Offiziell sind nur drei Etagen gekennzeichnet und ich habe ihn gefragt: „Es gibt doch eigentlich nur drei, oder?“. Aber nein es gibt vier! Das ist gerade nochmal gut gegangen. Da sind zwar nur Büroräume oder ähnliches drinnen, aber es ist absolut hieb und stichfest, originalgetreu und entspricht der Wahrheit, based on a true story (lacht).
Amélie: Was ist denn deine Lieblings-Etage im Dussmann?
Betterov: Im Moment ist die Vinyl-Abteilung im Erdgeschoss meine liebste, weil dort meine Live-Platte steht (lacht). Ansonsten bin ich auch immer gerne in der Ersten da gibt es DVDs und alte Serien, die man sonst nirgends mehr kriegt. Dort kann man echt Stunden verbringen.
Amélie: Ich fands auch sehr cool dort!
Die Betterov Straße
Amélie: So, jetzt habe ich noch ein paar „poetische“ Fragen an dich. Lieber vergessen werden oder dass eine Straße nach dir benannt wird?
Betterov: Schon die Straße.
Amélie: Die „Betterov Straße“? Was wäre denn dort alles zu finden?
Betterov: Da wär ein Bäcker, ein Friseur und so ein italienisches Restaurant wo es diese Eissorten gibt, also Stracciatella, Vanille und Schoko. Das gibt es doch in jeder Fußgängerzone. Das fänd ich gut. Man hat alles was man braucht. Vielleicht eine Sparkasse noch. (lacht)
Amélie: Ist das Leben eher merkwürdig oder schön?
Betterov: Ich finde, es ist beides. Es ist manchmal merkwürdig, aber auch wahnsinnig schön.
Amélie: „Siegerehrung“ – welchen Platz machen wir denn als Hörer*in, wenn wir am Ende angelangt sind? Gehen wir als Sieger*in raus?
Betterov: Also ich finde schon!
Amélie: Da stimme ich dir zu, so hat es sich am Ende auch angefühlt!
Ich habe mal auf der Berlinale einen Stromausfall provoziert – untold story
Amélie: Jetzt sind wir auch schon fast am Ende des Interviews angekommen. Zum Schluss würde ich aber noch gerne eine untold story von dir erfahren. Hast du eine Story für uns parat, die du noch nie in einem Interview erzählt hast?
Betterov: Ich habe mal auf der Berlinale einen Stromausfall provoziert. Das habe ich noch nicht erzählt, weil es mir ein bisschen peinlich war. Ich habe bei einer Berlinale Party gekellnert und der Raum war ein Quadrat und in der Mitte war eine quadratische Bar, wo an an allen vier Seiten Bar-Personal war. Die haben Drinks gemacht und alles war so super fancy von L’Oréal, also ein super High End Event mit Stars und Sternchen. Ich musste dann immer um dieses Karree rumlaufen und komischen Leuten die ganze Zeit Sekt bringen.
Die erste Klasse war von der zweiten Klasse, wo die Küche war, durch einen richtig versifften Molton getrennt und ich musste durch diesen Molton durch, der mir wieder entgegen kam und mir das Tablett aus der Hand gewedelt hat, was dann runter gefallen ist. Das war schon super peinlich, weil da standen so zehn Gläser Sekt drauf! Dann ist aber auch noch der Strom aus gewesen und das war deswegen, weil die komplette Elektronik dieses Abends genau da lag, wo ich dieses Tablett habe fallen lassen und irgendjemand das nicht abgedeckt hat! Der ganze Sekt ist in die Leisten reingelaufen und kam nicht mehr raus und somit war der komplette Abend lahm.
Amélie: Oh je, was haben die Leute dann gemacht?
Betterov: Ja, der Strom war erst mal weg. Die Leute haben dann im Dunklen Canapés gegessen. (lacht) Dann kam irgendwann so ein Typ an und meinte: „Hey wir sind ein Team und es gibt hier einen Spirit und wir sind alle für einander da, aber wer war das??“, das fand ich wirklich sehr gut. (lacht)
Amélie: Hast du gesagt, dass du es warst?
Betterov: Nein, das hat natürlich keiner gesagt! Aber die Aussage von diesem Typen hat den Abend echt gut beschrieben. Das habe ich noch nie erzählt.
Amélie: Das ist eine super Geschichte!
Betterov: Ja, das wusste ich in dem Moment schon, dass das mal eine gute Geschichte wird. (lacht)
Amélie: Dann vielen Dank fürs Teilen und das Interview, es hat mich riesig gefreut mit dir zu quatschen!
Betterov: Ich danke dir!
Fotocredits: Rebecca Krämer, Amélie Ostara Freund