Dass wir eine besonders große Vorliebe für Newcomer*innen aus der deutschen Indie-Bubble haben, ist wohl kein Geheimnis mehr. Deswegen freuen wir uns aber immer umso mehr, wenn wir euch mal wieder neue Künstler*innen vorstellen dürfen. Heute soll es um BROCKHOFF gehen.
Im März kam mit „2nd Floor“ die erste Single der 22-Jährigen Sängerin aus Hamburg raus. Mit einer ordentlichen Portion E-Gitarre und rockigen Indie-Sounds reiht sich Lina Brockhoff in unseren Playlists easy neben Genre-Größen wie Phoebe Bridges oder Soccer Mommy ein. Ende Juni ist mit „Sharks“ die Debüt-EP von BROCKHOFF erschienen. Spätestens jetzt sollte die Indie-Rockerin auf dem Radar aller Liebhaber*innen des Genres angekommen sein. Im Interview mit Anna gibt Lina Einblicke in die Entstehungsgeschichte von BROCKHOFF und verrät, woher sie ihre Inspiration zieht.
BROCKHOFF im Interview
Anna: Hallo Lina! Schön, dass du hier bist. Ich würde sagen, für die meisten Leute ist BROCKHOFF noch ein sehr unbekannter Name. Magst du dich deshalb zu Beginn erst einmal vorstellen?
Lina: Ja, ich bin Lina Brockhoff. Und ich arbeite jetzt seit zwei Jahren an dem Projekt BROCKHOFF. Im März diesen Jahres ging es endlich mit der ersten Single los. Ich wohne in Hamburg und hier fing es auch eigentlich alles an. Die ersten Songs hab ich im ersten Lockdown geschrieben. Also kurz nachdem ich hierher gezogen bin von meiner Heimat in der Nähe von Hildesheim.
Anna: Wie bist du denn zur Musik gekommen? Kam das erst durch die Corona-Langeweile? Oder war das für dich immer schon präsent?
Lina: Das war schon immer ein sehr, sehr präsenter Teil. Ich mach schon super lange Musik. Ich glaube, ich habe mal angefangen mit Flöte spielen und dann habe ich sogar lange Klavierunterricht gehabt, so seit ich acht Jahre alt bin. Irgendwann habe ich immer mehr angefangen zu singen, mich mit Klavier zu begleiten und dementsprechend dann auch mir irgendwann Gitarre beigebracht, weil es einfacher war zu transportieren. Vor diesem Projekt hatte ich noch ein Singer-Songwriter Projekt unter meinem richtigen Namen. Und so seit zwei Jahren arbeite ich jetzt an BROCKHOFF.
BROCKHOFF als Startrampe in den Indie-Rock-Kosmos
Anna: Gibt es davon noch Musik oder hast du’s einfach nur für dich selbst gespielt?
Lina: Nee, da gibt es aktuell nichts zu hören von den alten Sachen. Das war für mich ein sehr großer Neustart.
Anna: Wie kommt es, dass du dich dazu entschieden hast, deinen richtigen Nachnamen zu nehmen?
Lina: Tatsächlich brauchte ich da auch erst mal lange, mich dafür zu entscheiden. Es wurde mir von unterschiedlichen Leuten unabhängig voneinander, als ich auf der Suche nach einem Künstlernamen war, so in den Raum geworfen. Und am Anfang dachte ich, ich will eher so nach einem nicen Fantasienamen oder so gesucht habe und es mir im ersten Moment eher fremd vorkam. Was ja auch total komisch ist eigentlich. Wenn man mit dem Namen geboren wird, dann ist einem der ja auch nicht fremd. Aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, so cooler fand ich es auch irgendwie, weil es ein relativ ungewöhnlicher Nachname einfach ist, den es nicht so super oft gibt. Und er auch irgendwie erst mal ein bisschen hart klingt und auch eher männlich anmutend. Aber das fand ich dann irgendwie auch cool, weil es so im Kontrast steht zu mir als Person.
Anna: Und dann muss man nicht immer erklären, wie man auf den ausgedachten Namen gekommen ist.
Lina: So ist es eigentlich immer simpel. Es wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Also es gab auch keine wirklichen anderen Optionen. Irgendwie war das dann doch das, was es ja was relativ schnell mir auch am besten gefallen hat. Und ich weiß noch, dass ich meine Eltern und meine Cousine auch beide gefragt hab. Meine Eltern fanden es erst etwas komisch, aber meine Cousine war direkt sehr gehyped. Das war damals irgendwie lustig.
Anna: Ok, kommen wir mal zu deiner EP ‚Sharks‘, die ich mir natürlich fleißig angehört habe. Magst du einmal vorstellen, worum es thematisch auf der EP geht?
Lina: Es gibt kein übergeordnetes Thema, sondern es sind irgendwie einzelne Songs, die in unterschiedlichen Gefühlslagen und Lebenslagen entstanden sind oder aus unterschiedlichen Gefühlen heraus. Es ist jetzt nicht so, dass es ein Konzept gibt oder so, aber die Songs sind schon alle ungefähr in selben Phase entstanden. Sie verarbeiten unterschiedliche Geschichten. Und es sind vor allem sehr persönliche Erfahrungen von Beziehungen oder auch zwischenmenschlichen Erlebnissen, die mich zu der Zeit sehr beschäftigt haben.
Anna: Wie und wann sind die Songs entstanden?
Lina: Vor allem der Umzug nach Hamburg war für mich einer der größten Momente in meinem Leben, weil ich das erste Mal von zu Hause weg war und alleine wohnen musste. Man lernt ja auch super viele neue Leute kennen. Irgendwie habe ich in der neuen Stadt neue Inspirationen bekommen, vor allem auch musikalisch. Ich habe sehr viel auch erst mal ausprobiert, bevor dann überhaupt auf diesen Sound gekommen bin. Aber es geht in den Songs gar nicht konkret um meinen Umzug nach Hamburg oder die Erfahrungen, die ich durchs Leben gebracht habe, sondern über einzelne Beziehungen oder auch gescheiterte Beziehungen. Oder zum Beispiel bei ‚Sharks‚ einfach um eine super blöde Party, auf der ich war, die noch nicht mal in Hamburg war. Also das sind eher kleinere Geschichten, die ich in den Songs behandele und gar nicht das große Ganze mit dieser Lebensphase.
„Eine Situation, die so vermeintlich banal und unwichtig ist“
Anna: Aber ich finde, es funktioniert gerade deswegen ganz gut, weil es eine bestimmte Geschichte ist, durch die man sich trotzdem identifizieren kann mit der Situation.
Lina: Das ist halt irgendwie schön, wenn das so ein bisschen automatisch passiert, dass man anhand von einem Erlebnis oder einer kleinen Geschichte oder Erfahrung sich mit dem Gefühl identifizieren kann. Also so funktioniert bei mir meistens auch das Songwriting generell, dass mir so eine kleine Situation vorschwebt, die so vermeintlich banal oder unwichtig war, aber ich irgendwie darum herum und den Song baue, weil es irgendwas in mir getriggert hat oder weil ich mich durch dieses Detail an etwas Bestimmtes erinnere. Und dann so die Geschichte drum herum baue, die dann noch irgendwie viel mehr ausdrückt als nur so eine kleine Sache.
Von Pop zu Rock: Phoebe Bridges als Inspiration für den BROCKHOFF-Sound
Anna: Wo wir gerade bei den Texten sind: Wie ist das bei dir? Schreibst du zuerst die Texte und überlegst dann, welcher Sound dazu passen würde oder kommt das organisch zusammen?
Lina: In meinen Teenie Jahren habe ich super viel hauptsächlich Popmusik gehört. Aber ich glaube vor allem durch Phoebe Bridges bin ich dann in diesen Indie Rock und Rock Kosmos gezogen worden und über sie ich auch weitere Künstlerinnen gefunden, die ja bis heute meine größten Inspirationen auch für BROCKHOFF waren. Also durch die ganzen Sachen habe ich dann auch gemerkt, dass es mir viel mehr Spaß macht mit E-Gitarre zu spielen. Dann war mir auch schnell klar, dass ich mehr Indie-Rock machen möchte anstatt irgendwie Synth Pop. Und dann habe ich angefangen auch eine Playlist zu erstellen, mit Songs und mit Künstler*innen, die ich cool fand und bin damit zu meinem Produzenten Christian Hartung gegangen. Er hat da auch noch Songs reingepackt, die ihn sehr geprägt haben. Also es passte dann irgendwie ganz gut, wie wir beide von unterschiedlichen Seiten an diese Referenzen herangingen. Die Playlist ist mittlerweile so lang geworden, dass ich sie glaub ich noch mal aussortieren muss, bevor ich sie irgendwann teile. Aber sie ist eigentlich zu gut dafür, dass ich sie nicht irgendwann mal teilen kann.
Anna: Gibt es einen bestimmten Song, wo du sagst, der bedeutet dir vielleicht persönlich am meisten auf der EP oder den fühlst du gerade am meisten?
Lina: Es gibt nicht den einen Song. Manchmal wechselt es tatsächlich sehr, weil die Songs auchvon der Dynamik her sehr unterschiedlich sind. Es gibt ruhigere Nummern und eher so Tracks wie ‚Sharks‚. Das variiert total, in welcher Phase ich irgendwie mal so einen kleinen Liebling habe, aber im Moment würde ich tatsächlich sagen, dass es ‚Missing Teeth‚ ist.
Anna: Woher hast du diese super genialen Fisch-Slipper, die man auf dem Cover der EP sieht?
Lina: Die sind von Lotti, einer Freundin von mir, mit der ich auch die Artworks gemacht habe. Als wir uns auch gerade kennengelernt hatten lagen die bei ihr im Flur. Ihre Mitbewohnerin und sie hatten beide die selben Schuhe. Und wir haben die dann auch nur aus Spaß mitgenommen. Es war eigentlich gar nicht der Plan, damit wirklich Fotos zu machen. Wir haben die aus Spaß einfach spontan mit eingesteckt und damit dann irgendwie so ein bisschen rum experimentiert. Dann ist es wirklich einfach aus Zufall entstanden. Und da gab’s auch glaube ich den Song ‚Sharks‚ noch nicht mal. Also das Ganze ist ehrlich gesagt gar nicht so mit dem Hintergedanken entstanden, sondern wir fanden es einfach super cool und gegen Ende war dann irgendwie relativ schnell klar, dass das auf jeden Fall das Cover wird.
Anna: Ich finde die ja genial und meine die irgendwo schon mal gesehen zu haben, aber ich weiß nicht mehr wo.
Lina: Ich glaube, die gibt es im großen, weiten Internet zu kaufen. Es gibt sie auch in unterschiedlichen Farben.
Der längst nötige Wandel in der Musikszene und die Frauenquote
Anna: Haha klar, es gibt alles im Internet. Aber kommen wir zurück zur Musik. Du hast ja vorhin schon Künstlerinnen, ausschließlich Künstlerinnen genannt, die dich inspirieren. Und da finde ich immer ganz interessant sich mal die Frauenquote in seinen eigenen Playlists anzuschauen. Ich hab das Gefühl, dass vor allem die deutsche Musikszene noch ziemlich männerdominiert ist. Hast du einen ähnlichen Eindruck? Und hast du manchmal sogar das Gefühl, dass gewisse Vorurteile gegen Frauen, vor allem auch jüngere Frauen, mitschwingen?
Lina: Auf jeden Fall ist mir das schon aufgefallen. Eben weil diese ganzen Namen, die ich vorhin genannt habe – Snail Mail, Beabadoobee, Soccer Mommy – sind ja alles weibliche Künstlerinnen, die da gerade vor allem hauptsächlich aus den USA irgendwie in dem Genre auftauchen. Und dass das hier noch nicht so verbreitet ist, ist mir auf jeden Fall aufgefallen. Ich finde schon, dass sich da gerade einiges tut und das finde ich auch sehr, sehr schön zu sehen. Ich sehe auch, dass es gerade schon zunehmend mehr junge Künstlerinnen gibt, die sich auch trauen, über den eher glatten Pop hinaus Musik zu machen und damit rauszugehen. In der Vergangenheit habe ich schon öfters auch mal das Gefühl gehabt, dass man mich nicht hundertprozentig ernst nimmt. Und tatsächlich habe ich das ja auch in dem Song ‚Sharks‘ mit verarbeitet. Also auf der Party, um die es in dem Song geht, gab es eben auch einige Anspielungen darauf und ich habe mich auch nicht ernst genommen gefühlt. Also ja, ich hatte schon Situationen, aber ich finde, dass da ein Wandel stattfindet. Das ist das, was ich gerade irgendwie fühle und mitbekomme.
Für mehr Frauenpower in eurem Playlist-Kosmos, checkt gerne mal unsere „female fronted bubblegrunge“ Playlist aus:
Anna: Das Gefühl habe ich auch. Ich finde, wenn man einmal anfängt sich damit zu beschäftigen, dann findet man noch viel mehr tolle Künstlerinnen. Aber sie sind eben (noch) nicht so groß.
Lina: Ja, ich glaube das ist so, weil es einfach erst seit gar nicht so langer Zeit diese Awareness gibt, dass zum Beispiel auf Festivals eine Quote eingeführt wird oder man speziell darauf achtet mehr Frauen ins Line-Up zu bekommen. Also das ist ja auch erst seit ein paar Jahren, wenn überhaupt so der Fall. Und da gab es ja auch diesen Shitstorm beim Rock am Ring, glaube ich, dass das so männerdominiert ist. Da fragt man sich dann auch, wie das eigentlich noch geht in der heutigen Zeit. Durch Freunde und Freundinnen, die bei kleineren Festivals auch aktuell arbeiten, bekomme ich mit, dass es da sehr viel Wert draufgelegt wird und sehr viel da rein gehangen wird dafür, dass sich da was ändert. Und deswegen kann ich selber nicht verstehen, wieso das auf so einem großen Festival nicht geht.
Anna: Ich hoffe auch, dass es sich bei den großen Festivals im nächsten Jahr mal ändern wird. Genug gute Künstlerinnen gibt es ja. Was können wir uns denn in Zukunft noch von BROCKOFF erhoffen?
Lina: Also es liegen einige Songs noch in der Schublade, bei denen ich es auch kaum erwarten kann, damit rauszukommen. Mit den Erfahrungen, die ich jetzt durch die ersten Veröffentlichungen und die erste EP gesammelt habe, habe ich noch mehr Lust bekommen, damit ins Studio zu gehen und daran zu feilen und zu arbeiten und auch irgendwie natürlich noch weitere neue Songs zusätzlich zu schreiben. Also es ist auf jeden Fall noch einiges in petto und es wird auch nach der EP noch einiges geben.
Brocki’s Big Thief-Fangirl Moment
Anna: Das ist eine gute Nachricht. Da freue ich mich schon drauf! Noch eine letzte Frage zum Abschluss: Was ist deine untold story?
Lina: Wir haben letztens in Berlin auf einem Festival gespielt. Da haben auch Big Thief gespielt und ich bin riesengroßer Fan der Band. Dann habe ich tatsächlich relativ kurz vor unserem Auftritt – ich war so super nervös, muss ich dazu sagen – meine In-Ear Kopfhörer auf der Toilette vergessen vor dem Soundcheck. Ich musste also zurück sprinten auf die Toilette. Ich bin eine super vergessliche Person. Also sowas passiert mir eigentlich ständig. Sie lagen aber zum Glück noch genau da. Als ich mir dann nochmal die Hände gewaschen habe, habe ich auf einmal gesehen, dass Adrianne Lenker ein paar Meter weiter nehmen mir stand am Waschbecken. Das war glaube ich bisher mein einziger krasser Starstruck-Moment. Vor allem habe ich überhaupt nicht damit gerechnet, weil ich halt selber so im Stress war, wegen unseres eigenen Auftritts. Ich habe mich nicht getraut, irgendwas zu sagen. Ich hab nur ganz still die Hände gewaschen und dann im Spiegel versucht ein paar Blicke zu erhaschen. Dann bin ich aber rausgegangen, habe mich nicht getraut, was zu sagen. Seitdem denke ich so viel darüber nach, was ich für lustige, coole, was auch immer Sachen hätte sagen können, aber mich einfach nicht getraut.
Anna: Ich weiß aber auch nicht, ob ich mich an deiner Stelle in dem Moment getraut hätte, sie anzusprechen. Vor allem, wenn man selbst auch eigentlich gerade im Stress ist. Aber danke dir für diese Story und vielleicht ermutigt das ja, demnächst sich einfach mal zu trauen!
Falls ihr es noch nicht gemacht habt, checkt jetzt unbedingt die Debüt-EP von BROCKHOFF aus. Für alle Indie-Rock-Liebhaber, Powerfrauen-Supporter und Menschen mit gutem Musikgeschmack:
Fotocredit: Charlotte Krusche