Botticelli Baby veröffentlichten im Februar ihr aktuelles Album “SAFT” und überzeugten mich schon damals mit ihrem derben heavy swing, toller Dynamik der Arrangements und der progressiven Herangehensweise an ein vermeintlich eingestaubtes Genre (meine Review findet ihr hier). Nun hatten sie ihre sieben Sachen gepackt und waren im Oktober und Novmeber unterwegs auf den Straßen und in den Clubs der Bundesrepublik, um diese mit ihrem fulminanten Powerjazz zu überrollen. Per Videocall konnte ich mit der Band in ihrer “secret mansion” in Norddeutschland Kontakt aufnehmen. Mit Marlon (Gesang, Bass), Alex (Trompete) und Jörg (Gitarre) konnte ich über die Tour, ihre Musik und über Pedro Lombardi sprechen.
Botticelli Baby im Interview
Lukas: Hallo, grüßt euch! Schön, euch zu sehen. Ihr seid gerade wieder auf Tour, wohin seid ihr gerade unterwegs?
Marlon: Ja richtig, wir sind seit ein paar Tagen in der Nähe von Hamburg in einem Häuschen. Und morgen geht’s dann nach Hamburg City und da spielen wir dann den ersten Gig unserer kleinen Norddeutschlandtour.
Lukas: Ihr wart im Oktober ja bereits ein paar Tage auf Tour. Was und wo war denn bis jetzt so euer Highlight?
Marlon: Auf Tour sein ist sowieso immer cool. Da ist mann ja eh immer in so ‘nem gewissen mood. Natürlich gibt’s gute Gigs und schlechte Gigs. Viele Leute, wenig Leute. Gute Vibes, schlechte Vibes. Aber klar, wenn der Laden brennt, macht’s richtig Bock.
Lukas: Und hat’s gebrannt?
Marlon: Ich sag mal so, es war von Brutzeln bis Brennen alles dabei. (lacht)
Lukas: Ihr seid ja sieben Musiker. Mit so einer großen Band, fahrt ihr da alle mit dem Linienbus oder wie macht ihr das logistisch?
Marlon: Ne, wir haben ‘nen Ford Transit. Einen 9-Sitzer. Da haben wir genug Platz um unser eigentlich recht spärliches Equipment reinzuknallen. Und jeder hat dann seinen Platz und dann wird losgedüst, ne!?
Lukas: Die Musik, die ihr macht, ist ja im weitesten Sinne zeitlos. Da ist viel Jazz drin, aber auch Punk- und Rockelemente. Trotzdem ist sie ja auch speziell und eben kein Cloud Rap oder Indierock auf Deutsch, was im Moment so die Menschenmassen bewegt. Wie findet sich so eine Band wie ihr und wie kommt man da musikalisch auf einen gemeinsamen Nenner?
Marlon: Der gemeinsame Nenner ist glaube ich Spaß an Musik, um das jetzt mal so platt zu sagen. Das macht einfach Bock. Und wenns kein Bock macht, dann krampfen wir einmal kurz, und wenn es dann nicht besser wird, dann lassen wir das.
Lukas: Ihr habt euch also nicht vorher auf eine bestimmte Musikrichtung festgelegt?
Marlon: Also klar, wenn man sich so ganz am Anfang trifft, gibt es natürlich eine grobe Vorstellung. Davon haben wir uns aber dann irgendwann entfernt.
Lukas: Und wo habt ihr euch kennengelernt?
Marlon: In Essen. Da haben wir uns eigentlich alle zu dem Zeitpunkt aufgehalten. Und da sind wir dann zusammengekommen.
Lukas: Wie können wir uns das vorstellen, im Netto oder im Penny oder wo findeet sich so eine Truppe?
Marlon: (schmunzelt) Das wär auch cool gewesen.
Alex: Den einen hab ich vor der Kneipe getroffen, der andere hat mit mir bei Decathlon gearbeitet und wieder einen anderen kannte ich von einer Jamsession.
Marlon: In der ganzen normalen Welt. Bei Decathlon, in der Kneipe und auf einer Jamsession (lacht)
Lukas: Wenn man euch zuhört wird auch relativ schnell klar, dass ihr keine Autodidakten sein könnt, die vor der Bandgründung noch nie ihr Instrument in der Hand hatten.
Seid ihr alle studierte Musiker?
Marlon: Ja, ich glaube der Einzige, der nicht studiert hat, bin ich. Aber die Uni war nicht der Ort oder der ausschlaggebende Punkt dafür, dass wir die Band gegründet haben. Wir sind wirklich eine reine Kneipenband! (lacht)
Alex: Die meisten von uns haben auch noch nicht studiert, als wir angefangen haben. Ich zum Beispiel habe meine Aufnahmeprüfung erst zusammen mit der Band gemacht.
Marlon: Stimmt. Wir waren jetzt auch nicht so ausstudierte Musiker, die sich getroffen haben, um mal ein Projekt zu machen. Es ging auch immer so um die Freundschaft, dass wir beisammen sind und dass das cool ist.
Lukas: Bei anderen Bands ist es oft so, dass es ein Mastermind gibt, der die Songs Zuhause im stillen Kämmerlein schreibt, dann mit zur Probe bringt und sie dann so gespielt werden. Wie ist das bei euch?
Alex: Nicht so. Wir haben Ideen, die die Einzelnen mitbringen und wir arbeiten das dann alles im Kollektiv aus. Es gibt jetzt hier keinen, der von vorne bis hinten einen Song schreibt. Oder ganz selten mal. Meistens diskutieren wir das Songwriting ausgehend von mehreren kleinen Motiven.
Lukas: Und dafür müsst ihr dann, wie bei der Produktion von “SAFT”, immer nach Belgien in irgendwelche verlassenen Geisterhäuser fahren?
Alex: Ganz genau. (lacht) Sonst funktioniert das nicht.
Lukas: Was unterscheidet eurer Meinung nach das neue Album „SAFT“ von euren bisherigen Alben?
Marlon: Es ist besser. (grinst) Nein, es ist eine Weiterentwicklung. Und das ist das Schöne. Und auch nach der Platte werden wir nicht aufhören, uns zu entwickeln. Was sich verändert hat, ist die Aufnahmesituation. Wir haben das Album ein bisschen mehr produziert bzw. produzieren lassen. Und es waren auch zum Teil einfach Tracks, die wir nicht jahrelang auf Tour runtergeballert haben, sondern die waren teilweise erst kurz vorher fertig. Die waren noch nicht eingespielt, in dem Sinne. Bei Junk zum Beispiel standen wir wirklich hochgradig klassisch im Kreis, und wenn einer verkackt hat, mussten halt alle noch mal ran. (Überlegt) Die Songs sind auf jeden Fall ein bisschen deeper. Es sind andere Stories, die da erzählt werden.
Jörg: Ja, ich glaube wir wollten etwas anderes erzählen mit dem SAFT-Album.
Lukas: Inwiefern?
Jörg: Bei Junk haben wir Songs aufgenommen, die wir einfach schon lange geschrieben und super viel live gespielt hatten. Bei SAFT wollten wir schauen, wie wir uns und die Songs weiterentwickeln können. Da hörst du Sounds, die du vorher bei uns nicht gehört hast.
Lukas: Seid ihr denn zufrieden mit dem Album? Was würdest du z.B. im Nachhinein gerne noch ändern wollen?
Jörg: Also wie gesagt, wir haben für SAFT Songs aufgenommen, die wir noch nie vorher gespielt hatten. Du kannst dir einen superschönen Song ausdenken, alles cool, aber so richtig zum Song wird er für mich erst, wenn er live so richtig eingekocht wird, weißt du was ich meine?
Lukas: War es denn jetzt andersrum schwierig für euch, die neuen Studiosongs für eine Liveperformance vorzubereiten?
Jörg: Ich hatte schon das Gefühl, wir hatten ein bisschen Angst, die neuen Songs zu performen. Nicht weil die Songs schlecht wären, sondern weil wir nicht wussten, wie fühlt sich das live denn jetzt an? Worauf müssen wir achten?
Lukas: Und? Hat es funktioniert?
Jörg: Voll, ich glaube das Publikum hat es gut angenommen. Wir haben ja auch ruhigere Songs auf dem Album und ich glaube, weil wir ja auch so ne Ballerband sind, hatten wir schon Angst davor, die Balladen zu spielen. Weil wenn die Leute jetzt nicht abgehen, headbangen und pogen, gefällt ihnen der Song vielleicht nicht. Aber das ist Quatsch, wir hatten jetzt ein geiles Konzert in Bochum und haben die fette Ballade gespielt. Und die Leute in der ersten Reihe haben ganz erwartungsvoll geflüstert: „Ey, das ist doch „Yes““!
Lukas: Welche Songs liegen euch persönlich mehr, die schnellen, traditionelleren Songs oder die düsteren, experimentellen Songs wie zum Beispiel „The Inner Hulk“ oder „Yes“?
Jörg: Das kann man nicht so sagen. Das ist wie mit Menschen. Ist jetzt sehr esoterisch, aber Marlon hier zum Beispiel. Ich mag den ja super gerne, aber manchmal hasse ich den ja auch! (lachen) Ich glaube wir müssen die ruhigen Songs halt so spielen, dass sie auf einer anderen Ebene genau so ballern, wie die schnellen Songs. Darum geht’s.
Lukas: Würdet ihr sagen, ihr habt euren Sound gefunden? Seid ihr da, wo ihr hinwolltet?
Jörg: Viel mehr natürlich als vor sieben Jahren. Unsere DNA haben wir gefunden. Aber das jetzt auszuarbeiten, da sind wir noch dran. Die DNA ist schon diese Jazzmukke würde ich sagen, und da gibt es dann verschiedene Attitudes, wie wir die spielen können. Wir sind viel näher dran, unseren Sound zu finden, aber andererseits sind wir auch immer gerne auf der Suche danach. Das ist ja ein Prozess, irgendwie. Wir sind noch nicht da, aber vielleicht werden wir auch einfach nie da sein.
Lukas: Wie geht es mit Botticelli Baby weiter? Welche Pläne habt ihr?
Jörg: Wir haben noch ein paar Nachholtermine für ausgefallene Konzerte, es sind also schon ein paar Gigs für nächstes Jahr geplant. Und es gibt zwar noch keine konkreten Pläne, aber ich gehe mal davon aus, wir veröffentlichen auch neue Musik nächstes Jahr. Jetzt wahrscheinlich kein großes Album, aber heutzutage kann man ja auch mal ne 3-Song EP veröffentlichen oder sowas.
Marlon: Und die Stimmung ist noch gut. Wir haben noch Bock eine Band zu sein und weiterzuarbeiten, egal ob uns jetzt Corona die Touren verhagelt oder nicht.
Lukas: Wenn ihr jetzt sofort in dein Spotifyprofil schauen würdet: welchen Track habt ihr zuletzt gehört?
Marlon: Ich glaube es waren die Ramones.
Jörg: Bei mir sind es Regengeräusche (lacht). Aber ich hab vor ein paar Tagen gesehen, dass José González ein neues Album hat. Das hab ich mir mal angehört.
Marlon: Ich sehe gerade, bei mir war es On The Phone von Civil Attack. Warum hab ich das denn gehört? Ich glaube das war in einer Playlist oder so.
Lukas: Und welchen Botticelli Baby Track würdet ihr den untoldency-Leser:innen hier und jetzt gerne ans Herz legen? Welchen spielt ihr am liebsten live?
Marlon: Am liebsten spiele ich Ballerspring live. Das ist mein favorite Song! Welchen würden wir empfehlen? (überlegt) Vagabond in a Dandy Suit vielleicht.
Jörg: Oh ja, der macht auch echt Bock zu spielen, mit den Kicks, die da zwischendurch drin sind. (beide stimmen gleichzeitig die Stelle im Song an) (lachen)
Lukas: Zum Schluss fragen wir immer gerne nach einer UNTOLD STORY. Gibt es irgendeine peinliche, kuriose oder witzige Story aus eurem Bandalltag, die ihr vorher noch nie erzählt habt?
Jörg: (überlegt) Also, als wir das SAFT-Album im Studio in Köln aufgenommen haben, haben wir Pedro Lombardi getroffen, der da ein paar Räume weiter aufgenommen hat. (alle lachen) Dann haben wir mit dem Pizza gegessen in der Studioküche. Wir haben da abgehangen und er war auch da, mit seiner Käppi, die er immer aufhat (lacht). Der war echt nett!
Lukas: Viele Dank für eure Antworten und eure Zeit! Viel Erfolg auf der Tour!