It’s a Smash – no Pass! Hiermit kann dieser Artikel eigentlich enden, weil wir alles notwendige bereits wissen, nämlich: DIESES TAPE IST EIN F***ING SMASH! Die am 4. März erschienene EP „Lychee“ von der Neuseeländerin BENEE aka „viel-zu-jung-um-international-erfolgreich-zu-sein“ ist so unglaublich vielseitig, dass ich mich frage, wo alle diese Gefühle eigentlich herkommen sollen. Mit 22 Jahren war ich noch in einer post-pubertären Phase, in der Essen und (der Gedanke) an Sex all meine körperlichen Bedürfnisse abgedeckt haben. BENEE hingegen zeichnet auf 7 Songs, 7 verschiedene emotionale Nuancen, die faszinierend und relatable zugleich sind. Von den klassischen Sommergefühlen über depressives Selbstmitleid zur Bad-Bitch Attitude ist alles dabei, doch noch längst nicht alles gesagt!
Sommer im Cabrio
Mit good Feels eröffnet BENEE ihre EP „Lychee“. „Beach Boy“ zeichnet einen lauen Sommertag mit offenem Cabrio Verdeck, viel Wassermelone und einer langen Nacht am Strand. Das Commitment zum Beach Boy reicht nur für einen Tag, aber das ist okay, denn die Stimmung ist genauso leicht und unbeschwert wie die Gitarren des Songs. Viel mehr gibt es nicht zu sagen, außer dass mein Drang sehr groß ist, mich zu diesem Song auf eine Wiese zu legen und stundenlang in den Himmel zu blicken.
Die unbekümmerte Stimmung fließt nahtlos in den nächsten Song, nur dass „Soft Side“ elektronischer sowie tanzbarer klingt. Statt sonniger Gitarren, schweben wir auf Synthflächen, während die durchgehende Kick zusammen mit der housigen Off-Beat Hihat unser Blut im Rhythmus pulsieren lässt. Aus der Beach Boy Liaison für einen Tag wächst der Wunsch nach Intimität und dem besseren Kennenlernen des Gegenübers.
»I wanna know everything that there is about you
I wanna try to understand your mind and how you
Weave through walls you hide behind, I wanna try«
Soft Side
Bye bye Beach Boy
Doch bevor der Sommer endet, mischen sich erste kleine Zweifel in die Beziehung. „Hurt you, Gus“ führt uns in einen seichten Spätsommer, in der die Beziehung lyrisch nicht mehr felsenfest auf dem Boden steht. Die rosarote Sonnenbrille verliert an Farbe und die Gedanken werden rationaler. Musikalisch springt BENEE zum Indie. Das Einzige was hier nicht in Hall getränkt ist, sind die Drums. Die Vocals und Gitarren verschwimmen, fließen ineinander über und zeichnen ein träumerisches, etwas nachdenkliches Bild, das zum ersten Mal die gemeinsame Zeit reflektiert.
Female Nirvana
Anschließend kippt die Stimmung ins Melancholische und erreicht mein persönliches Highlight der EP. Die ungetrübte Sommerstimmung färbt sich doch noch grau bis schwarz. „Never Ending“ beginnt schwermütig mit einer nirvanaesken Gitarrenmelodie. Die Stimme bekommt die Worte nur elegisch und eintönig über die Lippen, während sie das Ende der Beziehung anzweifelt. Schwer getroffen von dem überraschenden Ende der Beziehung drehen sich die Gedanken um die immer selben Fragen, weshalb jetzt plötzlich Schluss ist. Die Stimme nimmt im Refrain an Verzweiflung zu und klammert sich gezwungen am einzigen noch bleibenden Hoffnungsschimmer fest: „For what it’s worth, try moving forward.“ Der durch punchige Hip Hop Drums nach vorne schiebende Refrain mündet am Ende des Songs in einer sphärischen Bridge. Eine in Hall getränkte Gitarre und ein choraler Synth bereiten den Höhepunkt vor: das Outro! Ein wuchtiges Schlagzeug untermauert die grungige Stimmung und motiviert zum depressiven Headbanging während sich die gleichen Zeilen immer wieder und wieder im Kreis drehen. Die Rückkehr zu den Hip Hop Drums gibt uns das Gefühl, dass die Beziehung endgültig vorbei ist.
»It’s a never-ending thing with you
Think about your face too much
I wanna follow every move
Don’t like it when we’re out of touch«
Never Ending
Be a bad bitch they said!
Die Trotzreaktion folgt prompt: BENEE heiratet einfach sich selbst. Die Musik von „Marry Myself“ treibt wieder nach vorne, die Beziehung scheint weitestgehend verarbeitet und der Sommer ist noch nicht ganz vorbei. Auf „Doesn’t Matter“ kommt dann zum ersten Mal die Sicht in das Innere, ohne jegliche Ablenkungen von außen. Die Lead Single des Tapes beschäftigt sich mit einem Lieblingsthema der neuseeländischen Künstlerin: Mental Health. Fragend wie es wäre von den eigenen Gedanken in Ruhe gelassen zu werden, schweben die dreamy Popvocapols über einen Slow Dance Schlagzeug-Groove.
Das Finale bildet der experimentellere Song „Make You Sick“, der über harte Drums zu distorted vocals und zurück zu sommerlichen Akkustikdrums führt. Aus der Unsicherheit wächst ein neues Selbstbewusstsein und wir sagen „Hi!“ zur Bad Bitch Attitude. BENEE kann ihr neu gewonnenes Mantra nicht oft genug wiederholen: No further explanation needed!
»Bad bitch, I am a bad bitch
I’m a bad bitch, I’m a bad bitch
But you can’t have this
Cannot have this, no you can’t have this, this
No, you can’t have a bad bitch, bitch’«
Make You Sick
TikTok meets Reality
Auf ihrem Konzert in Berlin hat die Künstlerin nicht nur musikalisch eine Must Watch-Performance abgeliefert, sondern auch ihre Entertainer Qualitäten offenbart. Warum auch immer schafft BENEE es, auf der Bühne cringy zu sein ohne tatsächlich cringy zu sein. Würde ich mich genauso verhalten wie sie, der Fremdscham wäre grenzenlos. Doch BENEE aka die coolere Indie-Version von Billie Eilish lässt alles an ihr ganz natürlich und normal wirken. Wie kann es sein, dass sie selbst mit Clown-Makeup zweifelslos die Bad Bitch Energy verkörpert. Die Neuseeländerin hat auf der Bühne einen Ort gefunden, an dem sie aufgedreht und sensibel zugleich sein kann, ohne an Authentizität einzubüßen. Die größte Errungenschaft daran ist, dass wir dadurch eine Künstlerin mehr im Mainstream Pop-Business haben, die eine Repräsentanz für alle Persönlichkeiten schafft, die nicht zu den vermeintlich Coolen auf dem Schulhof gehören.
Never Ending Love
BENEE durchläuft auf ihrem Mixtape „Lychee“ das potenzielle Gefühlschaos einer Beziehung. Die sieben verschiedenen Songs umreißen sieben verschiedene Moods. Vom Beginn einer unverfänglichen Liebschaft, zur verzweifelten Liebe, bis hin zur emotionalen Neuorientierung nimmt uns die EP ohne Umwege auf eine emotionale Reise mit, die in unser aller Leben in der Dauerschleife läuft. Mit einfachen, aber nahbaren Texten, ästhetischer und inhaltlicher Vielseitigkeit bei einem zugleich homogenen Sound sowie einer unverwechselbaren Attitude trifft die Sängerin ins Schwarze. Wir haben nur eine letzte Anmerkung: Let this EP be Never Ending!