Im November veröffentlichte Urbannino sein Debütalbum noch Zehn gute Jahre. Die, passenderweise zehn, Tracks unterscheiden sich massiv von seinen musikalischen Anfängen und erinnern stattdessen freundlich an 2000er Indie à la The Strokes und Bloc Party, jedoch auf Deutsch. Live steht er aktuell mit ausgefallenem Anzug, Krawatte und eigener Band auf der Bühne, mit der er vor kurzem auf seiner ersten Tour das Album klassisch der Reihenfolge nach präsentierte. Nachdem er sich musikalisch bereits viel ausprobierte, scheint er nun den ernsteren Themen des Lebens in die Augen zu blicken, ohne jedoch den Spaß an der Musik dabei zu vernachlässigen. Vielleicht haben wir ihn vorher alle ein wenig unterschätzt – Nun ist das Album da und zeigt, was Urbannino sein und noch werden kann.
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Im November, ein paar Tage vor dem Releasedate, traf ich mich mit dem Musiker online für ein Gespräch. „Ist gerade einfach ein bisschen viel auf ein mal, aber das schaff ich alles„, erzählt er mir zu Beginn locker. Auf die Frage, wie der Albumtitel entstand, erklärt Urbannino, dass er auf eine Geschichte vor zwei Jahren zurückgeht: „Ich war mit Freund*innen am See und wir haben darüber geredet, dass die Welt gerade irgendwie vor die Hunde geht. Ein Freund von mir meinte dann, dass wenn nichts bleibt, wir dann noch zehn gute Jahre haben. Dieser Satz ist seit dem bei mir hängen geblieben. Aber ich überlass den Leuten auch gerne ihre eigene Interpretation dafür.“ Der Gedanke scheint hoffnungsvoll und nihilistisch angehaucht zugleich. „Hast du eine Vorstellung davon, wie dein Leben in zehn Jahren sein wird?“, frage ich. „Ne, aber das will ich auch gar nicht wissen.„
Als nächstes frage ich nach den Themen, die sich durch die Tracks durchziehen. „Zum Einen geht es um eine Person, die sich durch ihre 20er hangelt und sein oder ihr Umfeld richtig kennenlernt und auch die Liebe aus den Händen rutscht. Andererseits geht es zum ersten mal auch konkret um mein Leben und meine Familie„, erklärt Urbannino. Quasi ein Balanceakt zwischen Anekdotenartiger Geschichtenerzählung und dem Entblößen der eigenen Lebensrealität. Es sei ihm nicht besonders schwer gefallen, sich im Schreibprozess zu öffnen, da Produzent FFAK und er die Studiotage als freundschaftliche Gespräche gestalteten. Auch die ernsteren Punkte seien im Gesprächsfluss natürlich aufgekommen: „Wenn man solche Themen auf Krampf aufbringt, merkt man auch in den Songs, dass es nicht echt ist.“ Bei der Veröffentlichung sei das Gefühl aber weniger locker: „Bei dem Singlerelease von Zum Glück habe ich das schon gemerkt, dass es echt nicht leicht ist, so etwas persönliches in’s Internet zu stellen und vor allem auch zu bewerben. Mental Health zu kommerzialisieren fühlt sich seltsam an, da muss man schon aufpassen.“ Die Single schreckt nicht davor zurück sensible und persönlich treffende Themen wie Suizidgedanken und Selbstverletzung zu behandeln.
„Hast du selbst einen Lieblingstrack auf dem Album?“, frage ich neugierig. „Ich glaube das ist abhängig vom Moment. Gerade ist es Ponyhof, weil ich Shitney Beers liebe und das Feature wie ein Ritterschlag für mich war. Ansonsten denke ich, dass Kleiner Engel der wichtigste und vielleicht sogar beste Track auf dem Album ist. Der packt das ganze Album in einen Kontext und schließt das so vollkommen ab. Gleichzeitig gibt der vielleicht auch einen Ausblick auf das, was noch kommt.“ Auch ich finde, dass das Album sich auf den ruhigen, intimen Track im Finale hin aufbaut. Gleichzeitig kam der Song beim ersten Hören doch sehr unerwartet. Doch Urbannino hat schon eine Erklärung für mich parat: „Fun Fact, wieso der unerwartet klingt ist, weil es ihn eigentlich nicht gegeben hätte. Wir hatten schon zehn Songs, der letzte hieß eigentlich ‚Aus Aus und Vorbei‘. Beim Überarbeiten dachten FFAK und ich aber, dass er doch nicht gut genug ist. In der letzten Nacht haben wir gequatscht, geraucht und ein bisschen auf der Gitarre rumgespielt und dabei ist der entstanden. Also auf den aller letzten Metern um vier Uhr morgens. Kleiner Engel ist ein Zufallsprodukt, aber ohne ihn wäre das Album nicht so geworden, wie es jetzt ist.„
Endlich kommen wir auch zu dem Thema von Urbanninos neu angetretenen Indie-Rock Ära, das für mich persönlich sehr spannend ist. Davon, dass er vorher er sich vorher eher in der Ecke von New Wave und Rap aufhielt, ist nichts mehr davon zu hören. Von direkten Referenzen wie The Drums Lyrics in Sieben Leben, hin zum eingängigen Gitarrensound, der nostalgisch werden lässt und doch aktuell wirkt – Alles lässig und ungezwungen. Manche Parts klingen so bekannt und fast schon heimisch, dass man beim Hören versucht zu verstehen, an welchen Track einer großen internationalen Indie-Rock Band sie erinnern. Ich finde, genau das hat uns auf Deutsch momentan gefehlt. Scheint so, als hätte Urbannino bewaffnet mit starken Referenzen eine Nische für sich gefunden, in der er musikalisch aufgehen kann.
Wie es zu dem Genrewechsel kam, kann er selbst nicht genau sagen. „Ich glaube es gibt andere Artists, die es super gut hinkriegen, von Anfang an eine Linie zu fahren. Ich stelle mir aber ständig die Frage ‚Was will ich eigentlich sein?‘. Ich glaube was sich verändert ist, dass ich eben erwachsener werde. Mein Hörverhalten, mein Umfeld und wie ich Dinge verarbeite, verändern sich und sind auch ausschlaggebend dafür. Das Soundbild ist aber auch dem geschuldet, dass FFAK krasser Multiinstrumentalist ist und es sich durch die Zusammenarbeit im Studio automatisch in Richtung Band entwickelt hat.“ Ich denke nicht, dass unbedingt gut ist, dass manche Artists musikalisch immer auf der selben Schiene bleiben, weil sie vielleicht Angst vor Brüchen haben. „Ich glaube das ist auch ein Ding von Social Media und Vermarktung. Man hat eine Identity und will sich dann ja auch weiter in dieser einen Nische verkaufen. Zum Geld Verdienen ist es schon besser, wenn man 20 Tracks macht, die klingen wie der erste, der bekannter wurde. Das ist total nachvollziehbar, es ist halt kommerziell lukrativ„, so Urbannino. Er merke auch im Vergleich der Streamingzahlen deutlich, dass die Leute nicht bereit für den Schritt zu seinem neuen Albumsound seien. „Das ist auch okay„, fügt er hinzu.
„Meinst du, du bist mit deinem Projekt jetzt angekommen, wo du sein willst?“, frage ich und erhalte ein lachendes: „Das zu wissen wäre ultra geil“ zurück. „Zu der konzeptionellen und der visuellen Welt, die wir zum Album aufgebaut haben, würde ich sagen, ja. Ich würde gerne immer mit so viel Effort an meine Sachen rangehen. Musikalisch fühle ich mich in dieser Indie-Ecke schon ganz wohl, möchte dort aber noch mehr experimentieren. Angekommen: Ja – Für immer da bleiben wollen: Nein.“ Zum Album erschienen auch aufwendige Musikvideos, die dem ganzen einen ansprechenden visuellen Rahmen schenken:
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Ich spreche nochmal konkret auf die erweckende Indie Sleaze Nostalgie des Sounds an. „Ich finde einer der besten Songs ist Let’s Go Surfing von The Drums. Der funktioniert einfach von vorne bis hinten. Ich dachte immer, es wäre ultra nice so eine Art von Song zu machen,“ erinnert er sich zurück. Und das ist ihm gelungen. Wir sind uns beide einig, dass eine Band, die das in Deutschland schon seit einer Weile ebenfalls geschickt hinkriegt, EASY EASY ist. „Aus dieser Indie Rock Ära um 2010 herum gibt es so viele Timeless Classics, die gefühlt immer nur noch besser altern. Ich bin jetzt nicht der aller größte allwissende Fan von The Drums oder allgemein diesem Genre, aber ich finde man checkt sehr schnell den Vibe und wie das funktioniert.“ Dafür nehm ja ich die Rolle des Superfans ein. Ich erzähle, dass ich ein paar mal beim Hören des Albums einen kleinen The Strokes-Moment fühlte, was ich hoch anrechne, da es sich um eine meiner absoluten Lieblingsbands handelt. „Ach wie schön, wir haben uns auch wirklich was von The Strokes abgeschaut„, bringt er mir entgegen. Generell sei es die beste Entscheidung in seinem Musikerdasein gewesen, sich eine eigene Band dazu zu holen. „Ohne scheiß, das hat mein Leben verbessert„, sagt er sofort in hörbarer Begeisterung. Er schwärmt mit Lächeln in der Stimme von seinen Bandmitgliedern und dem Spaß, den sie gemeinsam haben. Zuvor trat der Musiker alleine live auf, doch das unschlagbare Upgrade und neugewonnene Energielevel sieht man ihm bei den Liveshows direkt an. „Jetzt sehe ich richtig wohin ich mit der Musik noch kommen kann und finde, meine Musik entfaltet mit der Band ihr Potential. Ich find’s aber auch mega wichtig, dass sich Artists zu Beginn nicht stressen lassen und auch alleine mit Laptop ihr Ding machen. Das ist ein guter Weg um etwas Geld zu verdienen und überhaupt irgendwo anzukommen.„
Meine letzte Frage ist wie immer eine untold Story, also eine Geschichte oder ein Geheimnis, das noch nicht öffentlich erzählt wurde. Ohne zu zögern fällt Urbannino auch schon was ein: „Die vorherige EP hieß Wenn nichts bleibt, dann… und das Album danach noch Zehn gute Jahre, das soll ein ganzer Satz sein. Ich hab mir das schon vor zwei Jahren ausgedacht und so darauf hin gefiebert, dass die Leute das checken. Aber es hat bisher einfach noch niemand gecheckt. Wann sagt endlich jemand was dazu?„, fragt er lachend. Eine ungewollte untold Story quasi.
Das deutsche New Wave Universum brodelt nach wie vor, entwickelt sich jedoch mittlerweile in viele unterschiedliche Stränge auseinander. So fließt auch die Musik von MODULAR organisch in verschiedene Genrerichtungen. Weg von dem kühlen NNDW Synthie-Beat-Sound der ersten EP, hinüber zu großen Indie, Alt-Pop und sogar orchestralen Klängen auf der in diesem Jahr erschienen Trümmer EP.
„Mit dem Song ‚Trümmer dieser Stadt‘ habe ich versucht, alles runterzubrennen: Ganz neuer Sound. Im Musikvideo mache ich mich nackt, um auf allen Ebenen zu symbolisieren, dass ich auf Null gehe und schaue, was danach kommt“, beschreibt die Musikerin. „Eigentlich war der Song als eine NNDW-Tanznummer geplant. Zum Glück ist er dann mit der Zeit ganz natürlich abgebogen und zu dem Sentimental-Pop-Song geworden, der er jetzt ist.“
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Mit den fünf Tracks der EP eröffnet sie sehr persönliche, sowie abstrakte emotionale Welten mit teilweise sphärischen Klängen und einem sich durchziehenden visuellen Konzept. Vor einer Weile habe ich mit MODULARim Interview über die Entwicklung ihrer Musik, die Neue (Neue) Deutsche Welle, sowie Unsicherheiten auf der Bühne gesprochen. Auf die Frage, wie MODULAR ihre Trümmer EP in einzelnen Worten beschreiben würde, entgegnet sie: „Traurig, Tanzbar, Intim“. Die EP sei, anders als ihre ersten Songs, eine intime Offenbarung und Verarbeitung eigener Lebenssituationen. „Jeder Song ist wie ein Umzug von einer Stadt in die nächste. Auch das Verarbeiten davon, dass sich mein gesamtes soziales Umfeld ändert. Das Konzept der EP ist eine Reise, die ich angetreten habe. Bei ‚Endlich‘ versuche ich dann, mich selbst zu finden.“
Ich hake weiter nach der Bedeutung von kreativen Konzepten nach. MODULAR erzählt mir, dass sie selbst Fan von Artists wie Ashnikko oder Björk ist, weil ihre Künstlerinnenpersönlichkeiten sich durch ihr gesamtes Schaffen ziehen und sich nicht nur auf ein runtergeschriebenes Konzept für ein Werk begrenzen. „Ich glaube ein Outfit oder ein Look kann nicht unpolitisch sein, du kannst als Künstlerin nicht neutral sein, in dem was du trägst. Deshalb ist es mir wichtig, Dinge aufzubrechen. Zeigen, dass ich als Frau im kurzen Rock nicht nur schön anzuschauen bin, sondern auch ernst genommen werde.“ Dass ihre Outfits, Make Up und Haare meistens weiß sind, komme aus dem Interesse an der Bedeutung der Farbe: „Einerseits ist es eine Abgrenzung zu mir selbst, weil ich privat sehr selten weiß trage und andererseits mag ich es mit der Symbolik zu spielen, dass weiß für Unschuld steht. Ich mag es, die Themen zu eröffnen, mit den Sachen, die ich auf der Bühne trage. Ich finde das Aussehen ist ein großes weiteres Fenster, mit dem man sich ausdrücken kann. Das benutze ich sehr gerne.“ Auch ich als Hörerin und Konsumentin finde es eine schönere, spannendere Erfahrung in ein kreatives Gesamtwerk hineingezogen zu werden.
Trotzdem frage ich mich, ob das als Künstlerin nicht auch Nachteile hat. Kann man da eine klare Grenze ziehen, wo MODULAR beginnt und endet? „Natürlich hat das an manchen Tagen auch Nachteile. Manchmal würde ich lieber auf der Bühne in kuscheliger oversized Hose stehen. Aber gleichzeitig hilft es mir, mehr zum Teil meiner eigenen Kunst zu werden. MODULAR ist auch immer Selena, aber Selena versucht nicht immer MODULAR zu sein„, beschreibt sie.
Wenn wir schon von übergreifendem Stil und Ästhetik reden, will ich von MODULAR wissen, für welchen Film oder Art von Film ihre Musik der Soundtrack wäre. Ich habe schon ein konkretes Bild vor Augen. Sie freut sich darüber: „Ich finde wenn Musik auch bildlich wirkt, hat man alles erreicht.“ Wir sind uns einig, dass es sich um einen künstlerischen Coming of Age Film handelt. „Der Film sollte in Irland spielen und natürlich analog gefilmt sein. Alles passiert sehr langsam, aber bei Rennfahrer gibt es eine coole Partyszene. Der Film zeigt das Erwachsenwerden der Protagonistin in sehr entschleunigten, aber wunderschön anzuschauenden Szenen.“ Warum ausgerechnet Irland? „Ich will Wind und Mäntel tragen„, erklärt sie grinsend.
Außerdem unterhalten wir uns über ihren Song Rennfahrer. Mein persönlicher Favorit – ein packend tanzbarer Mix einer starken Portion Drama und Selbstbewusstsein. „Es geht darin vor allem um eine Freundschaft zwischen zwei Girls. Ich war nicht immer supportive gegenüber anderen Mädchen. Es ist total wichtig zu realisieren, dass man Teil dieser internalisierten misogynen Struktur war oder vielleicht noch ist. Früher hatte ich nicht so viele FLINTA*-Freundschaften. Rennfahrer ist ein Song über eine weibliche Freundschaft die mir gar nicht gut getan hat. Da dachte ich aber, ich könnte die sehr enge Freundschaft nicht brechen, nur weil wir als Mädchen zusammenhalten müssten. Im Song löse ich mich tanzend von den Fesseln so einer ungesunden Freundschaft. Ich gehe und die Person kann mich dabei nicht mehr bremsen.“
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Anspielend auf ihren Song Zeit steht, frage ich MODULAR welcher Zustand ihr das Gefühl gibt, die Zeit einfrieren zu lassen. „Kennst du das, wenn man Streit mit einer geliebten Person hat und dann gerade nicht mit einander redet?„, fragt sie zurück und ich nicke nachdenklich. „Das ist für mich ultra schlimm. Ich finde man sollte nie im Streit schlafen gehen. Wahrscheinlich habe ich damit schon Grenzen übertreten, in dem ich unbedingt auf der Stelle den Konflikt klären wollte. Im Streit steht bei mir alles still, man befindet sich in einem luftleeren Vakuum voller Anspannung, die man unbedingt lösen will.“ Dieses Empfinden von Machtlosigkeit stecke für die Musikerin auch hinter der Bedeutung des Songs. Das zerrende und von Ungeduld geplagte Gefühl, wieder in Frieden bei einander sein zu wollen verpackt in Nostalgie getriebenen Wave-Pop. „Aber auch wenn ich mir die politische Lage anschaue, fühle ich mich machtlos. Ich heule viel, ich bin wütend. Man möchte das ganze einfach voranbringen und den Weg zum Guten schneller finden.„
MODULAR erwähnt nebenbei im Gespräch, dass sie auch mit ihrem Vater Musik macht und aufnimmt. Natürlich interessiert mich, wie die gemeinsame Beziehung sich darin verhält. Vor allem, wenn man intime Songs und Geschichten zusammen verarbeitet. „Es ist krank geil„, entgegnet sie lachend. „Wir haben es geschafft uns beide aus den Eltern-Kind-Rollen zu emanzipieren. Im Studio sind wir nicht Papa und Tochter, aber obviously kennen wir uns trotzdem sehr gut. Wir sehen uns als ebenbürtig.“ Das sei manchmal leichter und manchmal schwieriger, entwickle sich aber immer mehr auf dieser schönen und gesunden Ebene auf Augenhöhe.
Der größte und wichtigste Unterschied der ersten und zweiten EP sei der emotionale Zugang zu MODULAR selbst. „Ich finde Stillstand ist der Tod, deshalb bin ich sehr froh, dass mein Sound, aber auch der Zugang, ehrlicher und emotionaler zu schreiben, sich so weiterentwickelt hat.“ Auf die Frage, ob sie sich selbst der sogenannten Neuen Neuen Deutschen Welle Bubble zuordnen würde, wie ihre Musik oft kategorisiert wird, beschreibt sie: „Die damalige Neue Deutsche Welle war nie eine einzige Musikrichtung, das war eine Bewegung cooler deutschsprachiger Musik. Genretechnisch gibt es das einfach nicht, auch jetzt nicht. Nils Keppel macht zum Beispiel ganz andere Musik als Serpentin. Und das ist auch das, was jetzt passiert: Es gibt einen Boom cooler Musik auf Deutsch. Ich finde es aber schwierig und doof, wenn mir jemand anderes von Außen ein Label aufrückt. Prinzipiell finde ich das eine ultra geile, liebe Community und Bubble. Aber ich habe den Anspruch als Künstlerin, immer weiter zu gehen. Es wäre schade, sich an einem Punkt fest zu fahren. Ich versuche mich weiterzuentwickeln, denke aber das Label NNDW wird weiter bleiben. Das ist auch in Ordnung, ich kämpfe nicht mit Fäusten dagegen.“
MODULARs am meistem gestreamter Song ist ein Cover von Joachim Witts 80er Jahre Hit Goldener Reiter. Ich erzähle von jemandem bei einer kürzlich besuchten Lesung zum Thema Neue Deutsche Welle, der behauptete, was jetzt in der deutschen Musik passiert, ist nicht zu vergleichen, weil keine Rebellion stattfindet. Wir sind uns beide bewusst, dass die Fußstapfen von Grauzone und co. unfassbar große sind. „Ich glaube die Form derRebellion ist eine andere geworden. Du kannst nicht mehr wirklich mit Musik aufstoßen, weil es so ein Überangebot an verschiedener Musik gibt„, erklärt MODULAR. „Klar sind wir als Musiker*innen in unserer Kunst als Gesamtheit wesentlich unpolitischer, als die Bands der NDW damals. Aber vielleicht ist es für eine männlich gelesene Person schon eine Form von Rebellion über ihre Gefühle zu singen, weil das halt nicht easy ist. Außerdem gehen wir als Bubble weg von diesen Überproduzierten Mega-Popsongs der fettesten Produzenten, sondern gehen alleine mit Laptop in unser Schlafzimmer für Songs. Das ist auch Rebellion, nur zu einer anderen Thematik. Ich finde es aber auch sehr schön, wenn Leute sich nicht nur mit sich selbst in ihren Texten beschäftigen, sondern auch politisch aufschreien.„
Abschließend frage ich die Musikerin traditionell nach einer untold Story, also einem Geheimnis oder einer Geschichte, die sie noch nicht öffentlich erzählt hat. Nach einem lustigen Hin- und Her wird es doch unerwartet ernst. „Ich bodyshame mich übelst, wenn ich auf der Bühne stehe. Oft sehe ich Videos und Fotos von Auftritten und denke ‚Wie siehst du denn aus? Sowas kannst du nicht mehr anziehen‘. Ich bin super gerne extrovertiert auf der Bühne, ich liebe es aufzutreten. Aber in so vielen Fällen mache ich mich danach total für mein Aussehen runter. Solche Gedanken sind auf jeden Fall ein Aspekt, den ich versuche zu ändern. Aber gerade als Person des öffentlichen Lebens, die von Fremden gefilmt wird, denke ich mir währenddessen ‚Seh ich da gerade gut drauf aus? Ist mein Bauch eingezogen? Ist meine Schokoseite im Licht?‘, obwohl ich mich eigentlich freue, wenn jemand mich cool findet und filmen möchte. Ich glaube, das wissen die meisten nicht, dass ich damit auch viele Struggles habe.“ Wir stellen beide fest, dass auch das leider wieder auf internalisierte Misogynie zurückzuführen ist. „Niemals würde ich solche Gedanken über andere Künstler*innen auf der Bühne haben, nur über mich selbst. Das nervt, aber ich denke, ich bin da in einem guten Prozess. Wir sollten einfach mal darüber reden, dass es sich nicht immer geil anfühlt, auf einer Bühne vor Menschen zu stehen.„
Ich bin gespannt, was von MODULAR noch auf uns zu kommen wird. Aktuell ist sie auf Trümmer dieser Stadt-Tour durch Deutschland, hat seit der EP jedoch schon zwei weitere Singles in neuem Soundgewand veröffentlicht. Es ist klar – Die Zukunft ihrer Musik wird vielseitig, aber stets unfassbar schön.
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Habt ihr auch Lust auf Urlaub? Mit über 10 Millionen monatlichen Hörer*innen auf Spotify, über 500 Millionen Streams auf Singles und Auftritten in bekannten US Fernsehsendungen haben Vacations aus Australien bereits beachtliche Meilensteine in ihrer Karriere erreicht. Ihre Songs erreichten vor allem durch TikTok und Feel-Good Playlisten eine breite, junge Hörer*innenschaft. In Deutschland scheint die Band trotzdem noch weniger bekannt zu sein. Dass der angenehme, catchy Sound so beliebt ist, ist jedoch kein Wunder. Zwischen Indie-Rock und Bedroom-Pop legen sich die vier Australier seicht dazwischen. Dabei ist der Name Vacations nämlich Programm: Musikalisch klingen sie nach warmen Sonnenstrahlen, sanften Wellen am Strand und endlosen freien Tagen. Assoziationen, die unmittelbar durch die Kopfhörer mitfließen. Im Januar veröffentlichte die Band ihr drittes Album No Place Like Home mit 10 neuen, eingängigen Tracks, die sich ganz unaufdringlich anschleichen und doch ihren Platz im Kopf finden. Zwar klingt das Album nicht überraschend anders als seine Vorgänger, so beweist die Band, dass das auch nicht immer der Fall sein muss, um erfolgreiche und qualitative Musik zu veröffentlichen. Ich habe Sänger und Bandgründer Campbell Burns dazu mit ein paar Fragen gelöchert.
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Dascha (untoldency): When did you start working on the album? What did the process feel like?
Campbell (Vacations): Late 2022, in December. The process felt therapeutic since we had all been through so much collectively. I was happy to be in the studio again and working towards something.
Dascha (untoldency): What does “home” mean to you?
Campbell (Vacations): Honestly, I’m not sure. I’ve only just stopped travelling after 14 months of almost constantly moving. I’m learning how to be still again in Los Angeles, my new home.
Dascha (untoldency): What feeling would you like your listeners to get from the album?
Campbell (Vacations): Anything, just as long as they feel strongly about it.
Dascha (untoldency): What themes inspired the album and how did you work them into it? Is it easy for you to put personal feelings into music?
Campbell (Vacations): Home, belonging, acceptance. There’s a lot more, but I try not to analyse my own work, I simply let it happen. I think it’s easy because it’s what I’ve been doing for the past ten years, it’s how I express myself. I don’t really know any other way how to do so.
Dascha (untoldency): Do you personally have a favorite song on the album? And if so, why?
Campbell (Vacations):Lost in Translation, it’s hardly a song. I think that’s why it’s interesting to me, because it’s so different to what I’d normally write. I’m not following a conventional pop structure like with most of our output.
Dascha (untoldency): What do you think has changed the most since the first album to this point? What is the biggest development you’ve made so far?
Campbell (Vacations): That we’re more sure of ourselves and our artistic direction. There’s a greater sense of collaboration as well as purpose. The production has stepped up a few notches too.
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Dascha (untoldency): Some of your songs have gone pretty viral on TikTok and have been used for all sorts of random videos. What do you think of that? Do you think TikTok is destroying music culture or giving it new opportunities?
Campbell (Vacations): I think it’s wonderful that people are expressing their feelings about our music in their own unique way. People are discovering us and becoming fans, that’s great! For your other question, it’s both. There’s no barrier for entry into music anymore, this is a good thing. Musicians are easily able to get themselves out there now, however, people are also reducing their artist practice to fit the mould of what’s trending or what’ll be perceived as successful.
Dascha (untoldency): You recently played at Jimmy Kimmel Live, that’s huge! How was that experience for you?
Campbell (Vacations): I blacked out on strumming the first chord, but it went well and it felt surreal to be on national US television later that same day.
Dascha (untoldency): Your Instagram bio says: “Australia’s greatest boy band”. Who would be the greatest non- Australian boy band?
Campbell (Vacations): Boy band adjacent, but SWV.
Dascha (untoldency): You moved to the US recently, right? How do you think this will influence your music and career in the future? How does it influence the feeling of “home“ for you?
Campbell (Vacations): I did! I live in Los Angeles now. Moving here has already been influential. You’re in a city with some of the best musicians, songwriters, producers, and so much more. The celling is limitless. I feel like I’m not restricted like I would be back home. Everyone here is incredibly supportive and there’s a strong community of people that simply want to make great art.
Dascha (untoldency): What is the best place in the world to play concerts?
Campbell (Vacations): New York City.
Dascha (untoldency): What’s the best thing about being in a band?
Campbell (Vacations): Making art and traveling the world with my best friends.
Dascha (untoldency): What is something you definitely want to do or achieve as a band in the future?
Campbell (Vacations): I think we’ve achieved so much already, anything from here on out is a bonus. I’d love to play more festivals though.
Dascha (untoldency): Our last interview question is always an untold story. A story, a fun fact or a little secret that you haven’t told publicly yet. Can you think of anything?
Campbell (Vacations): Due to acid reflux, I can’t really hiccup. So instead, I make this terradactyl noise that’s really frighting to people that aren’t used to it.
Dascha (untoldency): Thank you for your time!
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Im März veröffentlichte die Wiener Musikerin RAHEL ihr lang ersehntes Debütalbum „miniano„. In 11 Songs ihrer außergewöhnlichen Version von Indie-Pop erzählt sie Geschichten losgelöst von starren sozialen Konstrukten und begibt sich dabei in queer-feministische Utopien. Wortgewandtheit und Absurdität gehen Hand in Hand einen Spaziergang durch diverse Themen. Mal eher unbequem, mal schützend, aber nie aufdringlich. Mit auffallend viel Feingefühl und Leichtigkeit befördert RAHEL ihre Hörer*innen in eine sanfte Welt, in der sie grenzenlosen Raum haben, um zwischen ihren realen Emotionen und surrealen Träumen zu schweben.
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Dascha (untoldency): Danke, dass du dir Zeit nimmst! Wie geht es dir damit, dass dein Album bald veröffentlicht wird?
RAHEL: Gut! Es ist interessant, weil ich mich gerade echt daran erinnern muss, worum es in dem Album eigentlich geht. (lacht) Ist alles schon eine Zeit lang her. Aber ich freue mich sehr, die Songs mit der Welt zu teilen.
Dascha (untoldency): Wie hast du den Entstehungsprozess empfunden? Gab es besondere Höhen und Tiefen?
RAHEL: Zu dem Zeitpunkt hab ich noch nicht so extrem viel live gespielt wie danach, deshalb hatte ich da glücklicherweise noch viel Zeit und war noch ein bisschen in einem anderen State of Mind. Da konnte ich mich sehr gut drauf einlassen. Das sagen zwar wahrscheinlich alle Leute über ihre eigene Musik, aber es ist tatsächlich ein sehr emotionales Album. Auch weil es zum Beispiel Themen wie Tod behandelt.
Dascha (untoldency): Würdest du sagen, du bist dabei nach einem Leitfaden gegangen oder sind die Songs alle unabhängig von einander entstanden?
RAHEL: Also es ist kein Konzeptalbum, aber es war mir schon wichtig einen roten Faden zu haben. Ich glaube, der hat sich dadurch ergeben, dass ich viel über die selben Themen nachgedacht habe und die dann in unterschiedlichen Songs verarbeitet habe.
Dascha (untoldency): Wie würdest du das Album zusammengefasst in nur drei Wörtern beschreiben?
RAHEL: Die Stimmen, die in dem Album vorkommen, sind auf jeden Fall: verletzte und verletzliche, wütende und hoffnungsvolle.
Dascha (untoldency): Das finde ich sehr schön gesagt! Hast du auch einen persönlichen Lieblingstrack auf dem Album? Und warum?
RAHEL: Ich mag wo gehst du hin später sehr gerne. Und die Zeile, die darin vorkommt:
„Es gibt noch so viel Hoffnung, wie es Zwerghamster gibt /Doch man weiß noch nicht, dass man die Hoffnung in Kleintieren misst“
Aber auch das kleine kasterl. Ein kleines Kasterl ist halt ein kleines Kästchen und es ist im Song so, als würde es sprechen:
„Wenn es uns gibt, musst du vielleicht gar nicht traurig sein /Wenn das kleine Kasterl beim Aufmachen jedes mal so trostlos singt“
Das Kasterl bekommt quasi eine Stimme, so wie die Kleintiere auch. Mir gefällt dieses Kindliche daran sehr, weil es sich auch ein bisschen wie ein Buch, eine Geschichte lesen lässt.
Dascha (untoldency): Das ist sehr schön! Mein Favorit vom Album ist bitte nicht in blicken. Vielleicht magst du mir dazu etwas mehr erzählen?
RAHEL: Ich würde sagen, das ist ein ziemlich emanzipatorischer Song, der von Gleichberechtigung im Bett handelt. Das hab ich nie so sehr betont, weil ich wollte, dass man das durch die Blume versteht. Es war mir wichtig, diese blumige Sprache zu haben, sodass man es nur versteht, wenn man genau auf den Text achtet. Es geht um Intimität und darum, dass das weibliche-ich in dem Song sagt, dass sie nicht möchte, dass die Verbindung zu eng wird und es nur auf einer körperlichen Ebene bleibt.
Dascha (untoldency): Das kommt aber sehr schön geschickt rüber. Ich bin eine sehr emotionale Musikhörerin und als ich den Song zum ersten Mal gehört habe, hat der sehr viel in mir ausgelöst.
RAHEL: Ist schön, dass er was auslöst. Ich habe zu dem Zeitpunkt, wo ich den Text geschrieben habe, mich mit Lyrik befasst, weil ich auch eine Zeit lang Germanistik studiert habe. Es erinnert mich ein bisschen an Goethe, weil es gibt dieses: Die Nacht sie reitet schnell. Vielleicht kann man es ein bisschen wie eine Ballade über zwei Liebhaber*innen interpretieren. Da gibt es viele Beispiele in der deutschsprachigen Lyrik.
Dascha (untoldency): Ja, total. Ich finde das Album fühlt sich generell an wie ein sanfter Traum. Auch das Musikvideo zu schaffner kombiniert ja traumartige Elemente. Was bedeuten Fantasie und Träume für dich?
RAHEL: Ja, voll. Das bedeutet mir sehr viel, weil pure Realität finde ich oft langweilig. Ich mag es, dass ich durch Musik andere Welten aufmachen kann. Die echte Welt finde ich manchmal ein bisschen zu stumpf, zu schwierig zu begreifen und auszuhalten.
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Dascha (untoldency): Verständlich. Und woher ziehst du die Kraft für so viel Fantasie?
RAHEL: Ich würde sagen es ist eher umgekehrt. Solche Fantasien geben mir sehr viel Kraft. Durch’s Musik Hören und Musik Schreiben kann ich da irgendwie hinkommen. Ich glaube, dass es auch viel damit zusammenhängt, wie ich aufgewachsen bin und erzogen wurde. Auch viel mit den Büchern, die ich in meiner Kindheit gelesen habe. Ich bin sehr alternativ aufgewachsen auf einem Hof mit vielen Kindern und vielen Tieren. Glücklicherweise wurde mir immer vermittelt, dass es okay und wichtig ist, zu träumen.
Dascha (untoldency): Das ist sehr schön! Träumst du auch viel, wenn du schläfst?
RAHEL: Unterschiedlich. Ich finde Träume auch etwas scary. Aber ich befasse mich auch nicht mit Traumdeutung, das ist mir oft ein bisschen zu viel.
Dascha (untoldency): Versteh ich. Fällt es dir leicht solche Gefühle und Gedanken in Musik zu verarbeiten? Auf mich wirkt es so, als würde es dir einfach gelingen, das in deiner Musik positiv klingend zu verarbeiten. Wenn ich selbst kreative Dinge tue, fällt es mir immer einfacher das Negative darin hervorzuheben. Wie ist das bei dir?
RAHEL: Also es ist nicht so, dass ich bewusst versuche trostlose Inhalte positiv klingen zu lassen. Mir macht es einfach mehr Spaß Dinge zu tun, die nach Hoffnung klingen. Wenn ich Sachen mache, die nur negativ sind und mir die später nochmal anhöre, zieht mich das nur runter. Ich glaube, dass Hoffnungslosigkeit und Hoffnung sehr nah bei einander liegen. Komik in der Trostlosigkeit zu finden funktioniert auch oft besser. Ich mag die Ambivalenz.
Dascha (untoldency): Was wäre deine perfekte Utopie und was müsste passieren, um dieser ein Stück näher zu kommen?
RAHEL: Das frag ich mich oft. Weil die perfekte Utopie hat für mich damit zu tun, wie man kreativ sein kann. Ich fänd’s cool, wenn es eine Art von System gäbe, in dem es kein Konkurrenzdenken gibt. Ich weiß aber nicht, wie das funktionieren würde. (lacht) Ich weiß nicht, ob es vielleicht etwas sehr natürliches ist, in Konkurrenz zu einander zu sein. Oder ob es eben sehr durch den Kapitalismus angeheizt wird. Es wäre sehr schön, wenn Musik ohne Wettbewerbsgedanken entstehen könnte. Ich glaube meine Utopie hat aber auch viel mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun.
Dascha (untoldency): Macht Sinn. Welche Gefühle wünschst du dir, die dein Album in seinen Hörer*innen auslösen sollte?
RAHEL: Ich merke, je älter ich werde, dass es in meiner Musik viel um das Kindsein geht. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Leute es nicht zu peinlich finden, sich mit ihrem jüngeren Selbst zu befassen. Und dass das mehr an’s Tageslicht kommen darf. Ich wünsche mir, dass die Lieder Hoffnung machen.
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Dascha (untoldency): Das ist ein schöner Wunsch! Für welchen Film wäre deine Musik der Soundtrack? Egal ob bereits existierend oder ausgedacht.
RAHEL: In Österreich haben wir schon viele sehr gute Filmemacher*innen. Ich stelle mir einen Arthouse Film vor, der nicht zu abgründig ist und irgendwas mit Natur zu tun hat.
Dascha (untoldency): Kann ich mir vorstellen. Was ist die größte Entwicklung, die du seit deinen ersten Release bis hier hin gemacht hast? Worauf bist du besonders stolz?
RAHEL: Das ist eine schöne Frage, weil ich vor Kurzem einen Auftritt beim FM4 Geburtstagsfest in Wien hatte. Damit ist ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen, weil ich gerne mal genau auf dieser Bühne stehen wollte. Da habe ich dann gemerkt, dass es mir jetzt sehr viel leichter fällt, mich selbst singen zu hören. Das hat sich in den letzten Monaten erst so entwickelt. Weil ich in den vergangen Monaten sehr viel live gespielt habe, habe ich einen Weg gefunden, wie ich mit meiner Stimme besser umgehen kann. Es ist sehr schön, wenn man Liveaufnahmen von sich anhören kann und dabei stolz ist. Da hat irgendwas bei mir Klick gemacht.
Dascha (untoldency): Voll schön! Hast du auch noch bestimmte Ziele für dieses Jahr?
RAHEL: Konkrete Ziele nicht. Das Jahr ging schon sehr schön für mich los mit einigen Touren. Sonst will ich viel spielen und viel schreiben. Ich bin momentan auch in einem Theaterprojekt involviert. Ich möchte so weitermachen dürfen wie bisher. Würde mich sehr freuen.
Dascha (untoldency):Was für Musik hörst du momentan selbst am liebsten?
RAHEL: Ich höre momentan viel Frankie Cosmos und den Juno Soundtrack zum Film. Michael Cera ist ja auch Musiker und seine Musik habe ich vor Kurzem für mich entdeckt. Ich mag Musik, die ein bisschen weird klingt und nicht so glattgebügelt. Ich höre auch gerne immer wieder das selbe Lied. Das ist so toll, wenn man zum Beispiel im Hotelzimmer sitzt und viel um die Ohren hat und dann immer wieder dasselbe hört.
Dascha (untoldency): Kommen wir zur letzten Frage. Das ist bei uns immer eine untold story, also ein kleines Geheimnis oder eine kleine Geschichte, die du noch nicht öffentlich erzählt hast. Fällt dir etwas ein?
RAHEL: Ich habe gestern einen Fisch gegessen, obwohl ich eigentlich vegetarisch lebe. Zumindest ein kleines Stück vom Fisch. Das hat sich voll arg angefühlt und auch ein bisschen verboten. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass ich vielleicht für mich nicht so ganz starr mit diesen Dingen sein sollte. Ich hoffe, dass der Fisch mir verzeiht!
Dascha (untoldency): Jetzt hast du direkt deine Sünden im Zoom Call gebeichtet. Danke dir!
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Am 19.01. startete das Jahr mit einem bemerkenswertem Album Release: Eine ordentliche Portion Post-Punk, eine Prise Lil Peep, Shoegaze-Momente und auffällige Surf-Rock Inspirationen kombiniert mit ungefilterten Lyrics warten darauf von nun an Millionen Hörer*innen zu begeistern. Der Anfang 20 jährige kanadische Musiker EKKSTACY veröffentlichte hiermit sein neues, selbstbetiteltes Album mit 13 Tracks, die direkt in’s Ohr gehen – und bleiben. In seinen Songs thematisiert er häufig Einsamkeit, Enttäuschung und Trauer. An seiner Breakout-Single i walk this earth all by myself, die vor allem durch TikTok Bekanntheit erlangte, kam man zumindest unbewusst nicht vorbei, wenn man Zeit im Internet verbringt. Über 4 Millionen monatliche Spotify Hörer*innen, ausverkaufte Shows, große Festivalnamen, GQ Coverstar und zu den Billboard Magazin „21 Under 21“ gehört er auch schon. Aber wer ist der Typ mit den düsteren Texten und den markanten Tattoos überhaupt? An einem Montagmorgen waren wir beide zum Telefonieren verabredet, um der Antwort etwas näher zu kommen.
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„I just wanna die, I just wanna kill myself, I don’t give a fuck about anyone else“, schreit EKKSTACY auf seinem Album-Vorgänger misery in die Welt heraus. Er kreiert einen Sound, der bei einer breiten Masse funktioniert, im Kern aber für die nischigen, ehemaligen Außenseiter-Kids oder die, die es noch sind, einsteht. Wie besorgniserregend seine Texte meistens auch sein mögen: Sein Sound und seine mühelose Art sie zu singen, verleihen den Songs zeitgleich ihre angenehme, leichte Art. So, als müsste der junge Kanadier kaum etwas dafür tun. So, als würden die Songs in ihm bereit liegen und er sie nur noch rauslassen müsste. Oder ist das vielleicht sogar so?
Das Album und die Liveshows
Auf meine Frage, wie er sein neues Album in nur drei Wörtern beschreiben würde, entgegnet er nach kurzem Grübeln bescheiden mit: „Amazing, short and black“. Wieso er das Album selbstbetitelt hat, scheint er selbst nicht genau zu wissen. Ich sage ihm, dass der Titel meiner Ansicht nach gut passt, weil er seine Essenz und seinen entwickelten Sound auf den Punkt bringt und aussagt: That’s who I am. „Oh hey, here we go! Nice, that sounds good“, lautet seine Antwort auf meine Annahme. Als ich ihn nach einem Konzept oder roten Faden frage, auf dem das Album basiert, antwortet er zunächst: „No, that’s why this Album is kind of weird, because there isn’t a theme at all. It’s kind of just all over the place.“ Ich entgegne, dass das für das Album perfekt aufzugehen scheint. „Thanks! Yeah, that’s what people keep saying to me, it just seems to work out. I’m glad about it.“
Außerdem interessiere ich mich für seinen persönlichen Lieblingssong auf dem Album. Stacy überlegt und entscheidet sich zögernd für goo lagoon. „This song just makes me happy. Usually my music doesn’t make me happy.“ Verständlich, denn zwischen seinen normalerweise sehr dunklen Songs, glitzert goo lagoon als potentieller Alternative-Summer-Hit und vermittelt eine ähnliche Stimmung wie Lets Go Surfing von The Drums. Meine Assoziation schien passend, denn sein Song sei dadurch entstanden, dass er oft und gerne surfen geht.
Nachdem er über seinen Albumprozess kurz nachdenkt, spricht er frei heraus: „I honestly don’t know how I’m feeling about any of these songs. I don’t even know what I was doing yesterday.“ Irgendwie freue ich mich heimlich darüber, dass wir an diesem Montagmorgen beide etwas verpeilt klingen und ich zu keinem Moment das Gefühl habe, mit einem Hype-Star zu sprechen, der sich selbst bloß gut vermarkten will. Im Gegenteil, er scheint einfach ein netter, ziemlich unsicherer Typ zu sein, der gerade ein Stück Musik veröffentlicht hat, auf das er halt irgendwann Bock hatte. Good for him – and for us.
Später fügt er hinzu, dass das Album während er auf „never ending Tour“ war, entstanden ist. Hier und da unterwegs und im Hotel was geschrieben, von den vielen neuen Orten und dem Lifestyle inspiriert. Das sei der bedeutende Unterschied zu den vorherigen Alben gewesen, bei dessen Entstehung er nur in Vancouver rumsaß, erklärt er. Es ist also anzunehmen, dass der treibende Sound des Albums auch seine Live und Tour Erfahrungen reflektiert. Also eigentlich doch ein unbeabsichtigtes Konzept? Die verarbeitete Live-Ekstase spiegelt sich auch in seinen neusten Musikvideos im DIY-Tourvlog Style wider.
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Für die Antwort, wo es am besten ist, Konzerte zu spielen, muss er nicht überlegen: „Germany or L.A.“ Auch ich habe im vergangenen Jahr EKKSTACY und seine Band live auf einem Festival spielen gesehen und war total positiv überrascht davon, wie viel energischer, schneller und mehr nach Pop Punk die Songs in ihrer Live Version klingen. Die ganze Show lang hatte er die Augen geschlossen, kaum etwas angesagt, aber dafür 100% Energie und top Sound abgeliefert. „I love playing live more than most other things. When I first started playing live, I was so bored because the songs were so soft. So I thought I had to figure out how to make it more fun. We kinda just been figuring it out over time and played so many shows since then“, erklärt Stacy. „Two years ago my shit was really awful live. So I practiced and also started making songs that would perform better. Because I haven’t even thought about that before.“ Sein vorheriges Album misery sei nur aus der Intention heraus es live zu spielen entstanden. „That’s all I had in mind, meanwhile it was just me, depressed in my room.“
The Best of Both Worlds
Ich frage Stacy, wie es für ihn war mit Trippie Redd und The Kid LAROI Features aufzunehmen. „Working with Trippie was so cool, I flew to Miami and we made the song together in person“, erzählt er. Er selbst sei großer Fan des Rappers. „LAROI was also cool, although we didn’t make the song in the same room. But we’ve hung out a couple of times and talked about it before.“ Weiter will ich wissen, mit wem er sonst noch in Zukunft gerne ein Feature hätte. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, bekomme ich Indie-Lieblinge Beach House als Antwort geliefert. „They’re currently my favorite band and inspiring me right now.“
Außerdem stellen wir fest, dass wir beide sehr in der (Midwest) Emo und Pop Punk Szene verwurzelt sind. Joyce Manor und Title Fight seien seine Lieblingsbands aus der Richtung und auch ich kann das gut nachvollziehen, während ich gleichzeitig ein altes Title Fight Shirt unter meinem Pullover anhabe. Aber als wir über seine musikalischen Anfänge sprechen, erzählt er, dass er in der Schulzeit zunächst damit begonnen hat Rap-Beats zu bauen, was man in seinen aller ersten Releases deutlich hört. „I was a little too shy to sing and everyone in school was making SoundCloud Rap at that time. My best friend was kinda doing it well. He showed me how to do it and I thought: I could do this better than you. That was in 2018.“
EKKSTACY begeistert auch heute noch die SoundCloud-Rap-Schiene der Doomscroller, streut aber Punk-Attitüde hinein und bietet das typische Emo-Verständnis für seelische Schmerzen an. Ein Musiker, der sowohl US Hype-Rapper Trippie Redd auf sein aktuelles Album holt, als auch auf dem Emo-Revival When We Where Young Festivalin Las Vegas neben Blink-182, Green Day und Good Charlotte auftritt. Damit kombiniert er verschiedene Seiten so mühelos und ohne dabei prätentiös zu wirken, als seien sie nie auseinander gewesen. Irgendwie scheint es symbolisch, dass das Wort „LOVE“ in kyrillischen Buchstaben unübersehbar seinen Oberkörper ziert, während ihm wortwörtlich „MISERY“ auf der Stirn geschrieben steht. Er als Künstler, seine Musik und seine Fanbase sind eine Kombination aus Vielem.
Auf dem Album sticht ein Song für mich besonders mit seinem schweren, episch klingenden Sound heraus: the headless horseman lost his way. Dazu entgegnet Stacy: „I just wanted to see if I could do something like that. At first I wasn’t sure if this song was good enough. I sent it to one of my friends who usually doesn’t care about any of my songs and he was like freaking out about it. That’s why I went and finished it.“ Auf mein „So you CAN do it“, lacht er schüchtern: „Yeah, I can.“
Natürlich konnte ich es nicht lassen nachzufragen, was er von der viralen Song Culture auf TikTok hält, die schließlich auch zu der Popularität seiner Musik geführt hat, worauf hin er „I think it’s great!“ entgegnet. Zugegebenermaßen etwas voreingenommen, erwartete ich eine negativ ausfallende Antwort, von dem scheinbar super edgy, alternativen Typen. „I think TikTok is cringey but it shows people music they wouldn’t have found otherwise. People who hate TikTok are stupid. They don’t understand what it’s doing. There’s so much music that’s huge because of it. Random bands from the 80s and the 90s that nobody would be talking about anymore are getting popular again. You know, some random kid makes a video with their song and now they’re touring again. That is so cool. I mean I won’t be on there posting fucking dances but it’s a cool concept.“ Ich erwähne sofort Surf Curse, die fast 10 Jahre nach eigentlichem Release von ihrem Song Freaks viral gingen und deutlich mehr Fans dazu gewannen. „Exactly, people don’t see that. Surf Curse is a good example“, fügt Stacy hinzu.
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Folgende seiner Antworten ist, ohne sie erklären zu müssen, sehr präsent in meinem Kopf verblieben:
„What would you be doing if you hadn’t become a musician?“ – „Probably die.“
Ich erzähle ihm, wie mir aufgefallen ist, dass in den Kommentaren von seinen Videos und Posts sehr häufig steht, wie viel seine Musik auch den Hörer*innen bedeutet und wie sie ihnen durch schwere Zeiten hilft. Stacy scheint das nicht wirklich bewusst zu sein. Etwas durcheinander sagt er: „I don’t ever look at comments to be honest. That’s kinda too much to process, it’s impossible to take that in. There are so many comments and so many people, it doesn’t feel real.“ In der Ära des Internets, in der alle nach „relatable Content“ suchen, stößt man eben auf die IdentifikationsfigurEKKSTACY, auch wenn er selbst davon überfordert wirkt. Obwohl man nicht besonders viel von seiner Persönlichkeit in der Öffentlichkeit mitbekommt, außer random Memes in seiner Instagram Story, scheint man durch seine Songs einen extrem intimen Einblick in seine Gedankenwelt zu erlangen. Dazu, ob es für ihn einfach ist, so offen über seine Emotionen in seinen Songs zu schreiben, sagt er erstaunlich sicher: „Yeah, that’s easy. That’s how I always wrote. It’s harder for me to write otherwise.“
Zuletzt frage ich ihn noch, in was für einem bereits existierenden Film seine Musik der Soundtrack wäre. Enthusiastisch antwortet Stacy mit „Good Will Hunting“, der sein absoluter Lieblingsfilm sei. Das erscheint mir plausibel, denn vermutlich ergeben sich Parallelen zwischen EKKSTACY und dem 20 jährigen Protagonisten, der sich im Film seiner mentalen Verfassung und seiner traumatisch belasteter Vergangenheit stellen muss, um sein Leben auf die Reihe zu kriegen.
Stacy ist wie erwartet kein besonders gesprächiger Mensch in unserem Telefonat. Ob er bescheiden, schüchtern oder es ihm einfach egal ist, konnte nicht ganz entziffern. Aber das ist auch nicht wichtig. Der Fokus liegt auf seiner authentischen Musik, die er will und offensichtlich selbst braucht und eben das trifft den Nerv der Zeit und die Herzen einer jungen Generation. Er ist selbst ein sehr junger Mensch, der Berichten, Schätzungen und eigenen Aussagen zu Folge schon sehr viele Tiefen in seinem Leben erfahren hat. Und genau das in Lyrics verbreitet, die so zugänglich und verständlich geschrieben sind, dass sie unabhängig von individuellen Erfahrungen Trost und Empathie bieten können. Zwar bieten seine Lyrics keine positive Hoffnung und keinen Ausweg aus dem schmerzvollen Zustand an, dafür aber einen willkommenen Ort sich zusammen darin einsam zu fühlen.
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Mein Jahresrückblick aus dem letzten Jahr liegt mir auch immer noch sehr am Herzen, wenn ich bedenke welche Probleme auch 2023 mit sich forttrug. (Hier: https://untoldency.de/daschas-jahresrueckblick-ich-habe-keine-lust-mehr/) Ein bisschen Besserung schien vorhanden, bis zur deutlichen Änderung steht noch vieles aus. Wie ironisch es ist, dass ich von Fortschritt träume, aber mich musikalisch in diesem Jahr nur nach einer früheren Zeit sehnte, ist mir bewusst.
Ich ertappte mich dieses Jahr oft dabei genervt von aktueller Musik zu sein. Die Festival Line Ups sahen fast alle identisch aus, die neuen Releases erkämpften sich zielstrebig die Aufmerksamkeit der Algorithmen und Playlistplatzierungen. Obwohl ich nicht immer mit Hater-Attitüde darauf schauen will und auch ich gelegentlich Domiziana und Ski Aggu pumpe, begehrte ich wohl in meinem Inneren eine andere Zeit und diese zog mich immer weiter in sich hinein: Die Indie Sleaze Ära. Da ich hoffe, dass diese Zeit niemals in Vergessenheit gerät, teile ich gerne wie viel Platz dieses Thema in meinem Gehirn einnimmt. Das wird jetzt quasi kein Jahresrückblick von 2023, sondern eher 2007.
Kurz gefasst: Die gesamte Ästhetik um die UK und US Indie Musik- und Partyszene der Zeit zwischen 2006 bis 2012 lag schon immer in meinem Interesse, begann aber dieses Jahr meine vollkommene Obsession zu werden. Alles in mir wünschte sich mehr Intensität, aber irgendwie mehr Ranzigkeit. Sleaze, zu deutsch „schäbig“, “schmutzig” beschreibt das ganze auf den Punkt. Bandmember die aussehen als würden sie ein Mal im Monat duschen, bunte Strumpfhosen mit Shorts, schlechte Digicam Fotos mit viel zu grellem Blitzlicht, exzessive, schwitzige Partys und eine große Menge aufkommender neuer Bands, die für immer ihre Spuren hinterließen.
Whatever People Say I Am…
Als erstes muss ich unbedingt erwähnen, dass Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not, das 2006 erschienene Debütalbum der Arctic Monkeys, meiner Meinung nach das beste Indie Album aller Zeiten ist. Genau darin befindet sich auch die Kernessenz und der Beginn der Indie Sleaze Ära. Auf 13 unvergesslichen Songs nehmen die damals 20 jährigen die ganze Welt auf einen nächtlichen Trip durch das Partyleben von Sheffield mit. Alex Turner fungiert als Beobachter und Geschichtenerzähler: Betrunkene junge Menschen auf der Suche nach etwas Nähe, sinnloses Drama, dreckige Dancefloors und unangenehmes Erwachen am Morgen danach. Hier scheint alles egal, denn der Rausch ist die treibende Kraft der Szenerie des Albums, das eine akkurate Zeitkapsel seines Moments darstellt, jedoch keineswegs schlecht gealtert ist. Es sind keine großen Emotionen und abstrakten Lyrics, sondern banale zwischenmenschliche Situationen, die betrunkene junge Menschen nunmal durchleben. Es scheint so, als ob genau das rohe, scheinbar simple, hässliche den Nerv der Zeit traf und das große Aufsehen quasi über Nacht auslöste. Die große Geschichte des Abends besteht eben oftmals daraus das beliebteste Mädchen der Stadt auf der Tanzfläche mit einem betrunkenen Witz nicht wie erhofft zum Lachen zu bringen. Und genau diese Geschichte dann doch so mitreißend und dramatisch zu erzählen, als sei der Rest der Welt in dem Moment ein Stück weit weniger wichtig geworden, ist die Kunst des Albums. Denn sind wir ehrlich, genau diese Fokus-Verschiebung ist es, was eine Partynacht ausmacht. Man trifft durch die Tracks auf fremde Alltags-Charaktere, von denen man doch das schwammige Gefühl bekommt, ihnen selbst schon mal begegnet zu sein.
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Die vier Musiker aus Sheffield sahen während dieser Zeit zugegebenermaßen ziemlich ranzig aus: Keine Ahnung von Fashion, nur verwuschelte Haare, laute Gitarren und Alex Turners geliebter Sheffield-Akzent. Sie wurden in Rekordzeit nach einem Hit-Single Release zu Cover Stars und Indie Ikonen. Oft denke ich an Alex Turner, der ab 2007 mit Model und Moderatorin Alexa Chung für einige Jahre das legendäre, beliebte Indie Sleaze-Paar abgab. Die Medien liebten sie und Alex Turner’ berühmter Liebesbrief an Alexakursiert bis heute im Internet. „My mouth hasn’t shut up about you since you kissed it. The idea that you may kiss it again is stuck in my brain, which hasn’t stopped thinking about you since, well, before any kiss(…)“, ja ich kann ihn auswendig. Der Mythos besagt, Alexa hätte den Notizzettel in einer Bar vergessen, doch das Internet und ich vergaßen ihn nie.
Bei einem der bis dahin am häufigsten, schnellsten verkauften Debütalben Englands ist auch der Einfluss, den das Album auf kommende Indie-Rock Bands hatte, ist nicht wegzudenken. Wer einen weiteren Tiefgang in das legendäre Album machen möchte, sollte unbedingt den in diesem Jahr erschienen BBC UK Podcast „Believe the Hype“ von Kate Nash anhören, der alles rund um den Release und die Anfänge der Arctic Monkeys behandelt. Ich bin Fan: https://www.bbc.co.uk/sounds/play/m001hlds
Selbstverständlich sind Arctic Monkeys nicht die einzige einflussreiche Band dieser Zeit gewesen. Es gibt eine Menge Bands, die genau in diese Ästhetik – ich würde es sogar eher als Phänomen bezeichnen – reinpassen. Da wären beispielsweise The Strokes, Bloc Party, Yeah Yeah Yeahs, Crystal Castles, The White Stripes, CSS, Gossip, Franz Ferdinand, Metric nur um ein Paar zu nennen. Um auf alle davon einzugehen, müsste ich wahrscheinlich ein ganzes Buch statt einem Artikel schreiben. Von knallendem Indie-Rock zu absurdem Elektro-Pop: Es ist schwierig, ihre Musik in Worten zu einer gemeinsamen Kategorie zu fassen, aber ein Gefühl verbindet sie. Ein Gefühl, dass es schafft sich beim Hören bis heute weiterzuvermitteln. Mein liebster Instagram Account ist @indiesleaze, der genau diese Party- und Musikszene, ihren Style und ihre Persönlichkeiten dokumentiert und nicht vergessen lässt. In diesem Jahr habe ich viel Zeit damit verbracht die Posts zu durchstöbern, um mir ein kleines Stückchen dieser Ära abzugreifen.
Dabei bin ich auch auf eine geniale Fotoreihe des britischen Fotografen James Mollison gestoßen, der Fans von Bands in diesen Jahren vor ihren Konzerten fotografierte:
Arctic Monkeys Fans, London 2006Gossip Fans, Birmingham 2007Klaxons Fans, London 2007
Neben Style und Musik gibt es auch Filme und Serien, die eng mit der Ästhetik in Verbindung stehen. Dabei stehen Submarine, für den Alex Turner übrigens den Soundtrack schrieb, Mysterious Skin und Scott Pilgrim vs. the World ganz oben. Michael Cera, der immer so schrecklich nachvollziehbar awkward auf Fotos aussieht, steht passend als einer der Symbolbilder der Indie Sleaze Ära ein. Die Filme sind seltsam, die Charaktere nicht den begehrenswerten Star-Standards entsprechend. Sie sind keine klassischen Meisterwerke, man könnte sagen „trashy“, aber vollkommen liebenswert.
Skins – Hautnah
Bleiben wir bei Symbolbildern: Erinnert ihr euch noch an Effy Stonem? Ich habe sie definitiv nie vergessen. Die coolste britische Teenager-Figur prägte eine gesamte Generation von Teenagern und wurde zum Vorbild einer neuen Ästhetik, auch wenn die dabei geschehene Romantisierung von psychischen Problemen selbstverständlich kritisch zu betrachten ist. Die Rede ist natürlich von Skins UK, 2007-2013. Mit genau dieser Serie bin ich aufgewachsen und ich könnte niemals nachzählen, wie oft ich sie bis heute gesehen habe. Skins ist quasi das Epitom des Indie Sleaze Begriffs: Es zeigt junge verlorene Menschen, die nicht in die breite Gesellschaft zu passen scheinen und die lieber feiern und Drogen nehmen statt auf andere zu hören. Die Serie und der damalige Hype um sie zeigt die Blase einer gewissen Zeit, rohe Gefühle, keine makellosen Schauspiel-Stars, sondern eine Clique ranzig aussehender Teenies, die wahrscheinlich ausschließlich nach Kippen und Bier riechen. Aber vor allem auch viel gute Musik. Ich bin froh, dass ich nicht an einem Punkt bin, dass ichSkins als cringe und überholt ansehe, sondern es immer mehr als einzigartigen Moment zu schätzen weiß.
Effy Stonem (Kaya Scodelario), Skins UK
Es gibt einige Musikmomente in der Serie, die immer wieder etwas in mir auslösen: Wie Main Character Effy Stonem selbstbewusst zu Shove It von Santigold feat. Spank Rock den Schulflur entlang schlendert, die Charaktere der ersten Serien-Generation einen Breakdown auf einem Crystal Castles Konzert erleben, die Skins Surprise Party auf einem Foals Konzert zu Hummer, der erste Trailer, dessen wilde Party mit Standing In The Way of Control von Gossip unterlegt war und, obwohl musikalisch nicht aus der Zeit, das große Staffelfinale mit Gesangseinlage zu Cat Stevens – Wild World. Einen besonderen Platz in meinem Herzen hat für immer auch Don’t Preach To Me von The Skallywags, den Hauptcharakter Cooks singt, wenn er die Straße entlang läuft und er vermittelt, dass alles auf der Welt im Kern egal sei. Nichts daran ist schön oder scheint künstlich, eher schäbig und manchmal brutal. Wahrscheinlich ist diese furcht- und schamlose Nahbarkeit auch das, was die Serie so anziehend macht. Es wirkt fast so, als ob ein Teil dieser Ästhetik eben genau daraus bestand zu wissen, dass das nicht ewig anhält.
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Dabei handelt es sich um ein dargestelltes, ungreifbares Gefühl, das ich nur noch aus der Ferne betrachten kann und nach dem ich mich sehne, obwohl ich es nie richtig kannte. Irgendwie nicht fremd, aber keine reale Erinnerung. Zwar hab ich die Zeit miterlebt, war aber definitiv zu jung, um mich in Clubs aufzuhalten. Vielleicht romantisiere ich eine selektiv dokumentierte Ästhetik zu sehr, vielleicht brauche ich diese unstillbare Sehnsucht aber auch, weil mich zur aktuellen Zeit nichts besonders reizt. Damals war gewiss nicht alles besser, jedoch strebt ein Teil von mir nach genau diesem unperfektem Chaos, von dem ich meine Augen und Ohren nicht abwenden kann. Vielleicht auch nur, weil ich das eben mit einem Sicherheitsabstand tue. Während mir momentan vieles in der Musikszene zu glatt und poliert erscheint, zog mich das Schäbige immer weiter zu sich hinein.
Wenn man nach dem Begriff ‚Indie Sleaze’ im Internet sucht, wird man als erstes von Modeseiten darauf hingewiesen, dass das Fashion-Revival in den Startlöchern stünde. Klar, das macht Sinn, die frühen 2000er sind bereits wieder im Trend und der Kreis dreht sich bekanntlich weiter. Allerdings erhoffe ich mir, dass wir wenigstens ein bisschen mehr aus der Ära abgreifen können, als nur gestreifte T-Shirts, Skinny Jeans und hässliche Schals und die positiven Aspekte in die Gegenwart integrieren. Schließlich besteht so ein Phänomen in seiner Gänze nicht nur aus seinen Outfits. Neue Bands wie TEMMIS haben beispielweise vorsichtig, aber offensichtlich, in ihrem Musikvideo zu Arterien und auf ihrer Tour dieses Jahr auf die Ästhetik zurück gegriffen. Auch cumgirl8 aus NYC habe ich dieses Jahr live gesehen und mir unmittelbar in einem kleinen schwitzigen New Yorker Club in 2010 vorgestellt. Zwar habe ich mein Jahr mental anscheinend nicht in 2023 verbracht, während ich mir Fotos der IT-Girls Sky Ferreira und Alexa Chung angeschaut habe, jedoch haben es die verwaschenen Spuren des Indie Sleaze trotzdem geschafft mich einzuholen. Sei es mit Hugh Harris von The Kooks zu quatschen, bei Interpol im Fotograben zu stehen, mit The Subways in einem Backstage zu sitzen, Midnight City von M83 oder zwei Songs von Whatever People Say I Am live zu erleben, es hat mich in sanfter Form auch in der Realität begleitet. Die Hits sind Hits geblieben, alles herum hat sich verändert. Ich weiß nicht genau, ob die Menschen heute insgesamt einfach langweiliger, vorsichtiger und bequemer geworden sind. Schätzungsweise wird kein versuchtes Revival das Phänomen wohl wieder in gänzlicher Kraft zurückbringen. Vielleicht ist das besser so, damit ich auch in 2024 nostalgisch in fremde verpixelte Partyaufnahmen fliehen kann.
Zuletzt findet ihr hier meine in diesem Jahr entstandene Indie Sleaze Playlist. Sie ist mit Liebe kuratiert, sie ist lang und rückt definitiv die besten Juwelen dieser Zeit in’s (Blitz-)Licht:
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„Eine Angststörung besteht, wenn Angstreaktionen in eigentlich ungefährlichen Situationen auftreten. Die Angst steht in keinem angemessenen Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung. Betroffene erleben die Angst dennoch psychisch und körperlich sehr intensiv.“
Dies ist nicht nur die erste Definition des Begriffs „Angststörung„, wenn man ihn bei Google eingibt, sondern auch die eindrückliche Eröffnung des Anfang November erschienen Albums Müde. Mit Rock, Punk und Grungeschaffen es die Wiener Leftovers, das Gefühl der Teenage-Angst auf eine unglaublich intensive und aktuelle Art und Weise zu verarbeiten und neu zu interpretieren. Wobei sie das Gefühl nicht nur verarbeitet, sondern eher durchgekaut und uns Mitten in’s Gesicht ausgespuckt haben, sodass wir uns am Ende auch noch dafür bedanken. Das Album ist hart, roh, dunkel und ehrlicher, als die meisten deutschsprachigen Rockbands es wagen zu versuchen.
Müde fängt die verschiedensten Tiefen und die treibenden Kräfte der Adoleszenz ein. Und das nicht nur durch ihre eindringlichen, bildlichen Texte, sondern auch durch die musikalische Wucht, vor der man weder weglaufen, noch sich verstecken kann. Das Album schubst seine Hörer:innen durch tiefe Wunden und Schmerzen, rebellierende Hoffnungslosigkeit und sehnliches Verlangen. „Es tut weh und dabei weiß ich nicht mal was“, damit verpacken die vier Anfang 20-jährigen Wiener*innen den Drang danach ein „Mehr“ zu finden in ein Album, das wie ein nächtlicher Begleiter fungiert. Die Frage nach der Sinnlosigkeit des Lebens und dem Überleben zwischen den Massen der Großstadt ziehen sich wie ein roter Faden durch die Tracks hindurch. Obwohl so viel Angst in den Songs steckt, schreien die Leftovers diese wenigstens selbstsicher und leidenschaftlich heraus.
Das Album schaut mit müden Augen und Außenseiter-Attitüde zu, wie der Rest der Masse sein Leben irgendwie zu bewältigen scheint. Kalte Luft, dunkle Gassen im grellen Laternenlicht, Lederjacken, Zigaretten, billiges Bier und wirre Gedanken, es bilden sich eigenständig klare Bilder einer vermittelten Stimmung. Zudem regt jeder Track des Albums das „Main Character-Syndrome„ an, als wäre man der Hauptdarsteller:in in einem Melancholie geprägtem Film. Songs wie Gegen die Wand könnten ohne Zweifel über einer Skins UK Folge laufen und das Gefühl des schmerzvollen Erwachsenwerdens passend genauso dramatisch und aufrichtig zugleich untermalen, wie das Gefühl der Serie, die eine ganze Generation prägte.
Dabei ist es kaum zu glauben, dass zwischen ihrem Album Krach und dem jetzigen Müde nur ein Jahr liegt. Die Band scheint in diesem Jahr ein Gefühl für Konzepte und eine genaue Vorstellung davon entwickelt zu haben, was sie sie eigentlich musikalisch tun wollen. Denn obwohl Müde ebenso gewaltig und ehrlich klingt wie sein Vorgänger, merkt man die deutliche Steigerung und Ausarbeitung besonders musikalisch. Währenddessen schafft die Band es, dass man ihnen zu keinem Zeitpunkt vorwerfen würde, ihre DIY-Punk-Art nur aufgesetzt zu haben.
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Tracks wie System und Fick Dich beanspruchen Energie und ziehen Hörer:innen in den gedanklichen Moshpit rein, während Tracks wie Bellen und Du schmeckst so gut an der zu verzweifelnden Melancholie zehren und 15. Bezirk die Untergrund-Anti-Hymne Wiens bildet. Man gewöhnt sich in der bestmöglichen Weise schnell daran, sich von Sänger Leonid anschreien zu lassen. Aber auch Anna, die auf Ohne Dich und du bist schon tot bevor du lebst tiefe Emotionen und ungeklärte Fragen besingt, steuert dem Album eine Menge Frische bei. Alle vier Bandmitglieder schreiben, spielen, singen und sind gemeinsam präsent. Ihr Auftreten erinnert ebenfalls an eine besondere Gang in einem Misfits-Coming of Age-Film. Jeder Song auf dem Album erzählt eine Momentaufnahme einer tragischen Geschichte – oder doch eher bloß des Alltags? Gemeinsam ergeben sie ein Ganzes, das so gut zusammenpasst und organisch harmoniert, wie es gleichzeitig Bauchschmerzen bereitet.
Punkrock ist definitiv nicht tot und hier wird er nicht einfach wiederbelebt, sondern als Hommage genutzt, aber in eine erschreckend zeitgemäße, selbstfunktionierende Version verpackt. Das Album ist weder anständig, noch brav, noch anpassungsfähig, dennoch etablierte sich die Band in der deutschsprachigen Indieszene. So betrachtet sehen die vier Leftovers aus wie Punks und verhalten sich wie Punks. Sie ziehen ihr schweres Ding durch den dichten Dschungel der Indie-Pop und Techno-Rap Tracks durch, ohne sich auch nur einen Millimeter zu verbeugen. Daher scheint es ihnen vollkommen egal zu sein, dass laute Gitarrenmusik nicht im Trend liegt und bauen etwas auf, das gerade nur wenig in der deutschsprachigen Musiklandschaft vertreten ist. In einer Ära, in der viele Künstler:innen dem Ruf der deutschen Hauptstadt folgen, bleiben Leftovers nicht nur ihrer Attitüde, sondern auch ihrer Heimatstadt treu: „Ich steh auf Saufen, nicht auf Ziehn‘ / Ich komm aus Wien und nicht Berlin / Fick dich!“
Ich bin mir nicht mal sicher, ob sich Müde mehr nach einemFiebertraum oder mehr nach brutaler Realität anfühlt. Wahrscheinlich ist genau diese schwammige Grenze der präzise getroffene Ausgangspunkt. So oder so, begleitet es mich durch meine verwirrendsten Gedankengänge und gibt diesen einen eigenen Raum um zu existieren und laut zu sein. Somit haben sich die Leftovers auf den Platz meines Lieblingsalbums des Jahres durchgekämpft.
„Auf geht’s Blondies, kämpfen und siegen!“, mit diesen motivierten Fan-Rufen beginnt das Album Perlen. Und das zu recht – für mich haben Blond mit ihrem zweiten Album quasi das Spiel der deutschen Musik gewonnen.
Von fesselnden Erzählungen, gewohnt humorvollen Bemerkungen, schmerzhaften Erkenntnissen, Euphorie und Emotionalität bis hin zu krassen, unerwarteten Parts von Johann: das ist nur ein Bruchteil von dem, was sich in den schillernden Schätzen von Perlen verbirgt. Nina, Lotta und Johann aus Chemnitz zeigen hiermit, dass ihr erstes Album ein leckerer Vorgeschmack auf all das war, was noch mehr in ihnen steckt. Sowohl musikalisch, als auch inhaltlich schien die Band über sich hinausgewachsen zu sein und erreichte damit eine bemerkenswert positive Entwicklung. Gleichzeitig kann man sich bei Blond sicher sein, dass sie nicht darauf ausruhen werden.
Obwohl Blond viele persönliche Geschichten erzählen, ist die Bedeutung der Sichtbarkeit und Identifikation für Hörer*innen nicht abzustreiten. Blond ist natürlich eine Band für alle, aber selten habe ich von so vielen FLINTA* Personen aus meinem Umfeld mitbekommen, dass sie sich so von einem Stück Musik so gesehen gefühlt haben. Und das ohne plakativ zu wirken oder Absicht irgendeine Art von feministischem Manifest schaffen zu wollen. Es tut einfach gut, mit Songs, die eine ähnliche Lebensrealität und ähnliche Erfahrungen spiegeln, mitzufühlen. Denn so sehr ich auch meine anderen Lieblingsbands liebe und bei deren Musik das Verlangen nach Identifikation und Verständnis verspüre, werde ich das von einem verrauchten Alex Turner im Anzug nie bekommen. Ich bin dankbar, diese Möglichkeit hier zu bekommen und gleichzeitig zu solchen Bangern mit dem Po wackeln zu können.
Es scheint für mich so, als würde fast niemand anderes in der deutschen Musik sich zutrauen so verdammt viel Vielseitigkeit zu bedienen und so verdammt viel Wahrheit schamlos auszusprechen. Niemand macht es so wie Blond.
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Dascha (untoldency): Hi, so sieht man sich wieder! Wie geht es euch? Wie erlebt ihr die Zeit um euer Album herum gerade?
Nina: Wir sind irgendwie immer noch ziemlich im rush. Wir waren ja gestern noch in Chemnitz und haben noch Platten signiert, sind dann nach Hause und haben dann sofort geschlafen, sind aufgewacht und machen jetzt Interviews. Das ist halt alles immer noch so viel nacheinander. Der Puls ist die ganze Zeit hoch und wir sind die ganze Zeit so in Action.
Dascha (untoldency): Kann ich mir vorstellen!
Nina: Aber es war alles sehr, sehr schön! Also wir sind auch sehr gut gelaunt und glücklich, gerade weil die Leute, die zu unseren Konzerten und zu diesen Signier-Sachen kommen, alle übelst tolle Menschen sind und dadurch ist das alles immer sehr, sehr angenehm.
Dascha (untoldency): Voll schön! Dann fange ich mal ganz von vorne an. Wie kamt ihr auf den Albumtitel? Und diese „Unterwasser“-Ästhetik, die sich gerade bei euch durchzieht?
Lotta: Wir haben mal gehört, dass wenn Schmutz in eine Muschel gerät, die diesen Schmutz nimmt und umwandelt und zu einer schönen Perle macht. Das war für uns ein sehr schönes Bild. Und es gefällt uns sehr gut, wenn man sich überlegt, dass wir diese Songs auch schreiben, um vielleicht Schmutz, der in unser Leben kommt, zu verarbeiten und zu einem schönen Song zu machen, zu dem man sich empowered, fühlen kann. Deswegen haben wir nun ein Album, auf dem ganz viele Perlen sind.
Nina: Da lag natürlich die Unterwasserwelt sehr nah, und die ist ja auch von der Ästhetik her ein sehr schönes, weites Feld und da haben wir uns komplett reingestürzt. Wir waren sehr dankbar, dass wir uns selber so ein riesiges ästhetisches Feld gegeben haben. Wir haben ganz viele riesige Moodboards dafür und die sind noch lange nicht alle fertig umgesetzt.
Dascha (untoldency): Geil! Diese ganzen Schwimmbad Prelistenings und die Aktion mit den Synchronschwimmer*innen zu eurer Musik sahen sehr, sehr cool aus!
Lotta: Ja, das war auch richtig schön. Das ist so absurd, dass wir das machen, weil sich das angefühlt hat wie ein Traum. Ich meine: Ja, ich spiele in einer Band. Und jetzt sitzen wir hier im Schwimmbad in der Bademeister Kabine und erlauben den Leuten, ins Wasser zu gehen. Wie sind wir denn hier gelandet?
Dascha (untoldency): Ein bisschen absurd, aber mega cool. Wann habt ihr angefangen, an dem Album zu arbeiten und was waren eure Highlights oder auch Tiefen?
Lotta: Wir haben in der Coronazeit angefangen. Also wir haben ja das erste Album rausgebracht, dann waren wir auf Tour und zu dem Album hätte noch eine zweite Tour im Herbst gehört. Wir kam quasi vom Tourabschluss aus Leipzig in Chemnitz an und einen Tag später war Lockdown überall. Da dachten wir am Anfang so „Nee, wir können jetzt nicht sofort neue Songs schreiben“, weil wir ja das erste Album noch gar nicht so präsentiert haben, wie wir das gerne machen wollten. Auch einfach mental ging es uns dann nicht so gut. Natürlich hatte man in dieser Coronazeit auch richtige Existenzängste und hat sich gefragt: „Okay, was passiert jetzt mit so einer Newcomer Band?“ Man hat angefangen, irgendwo anders zu jobben, man hat sich gefragt „Bleibe ich jetzt für immer in diesem Beruf? Kann man jemals wieder vor Leuten Konzerte spielen?“ und dadurch gab es keine krasse Motivation.
Nina: Wir sind schließlich eine Live-Band und wollen den Leuten die Musik, die wir schreiben, auf Konzerten zeigen. Deswegen hat es sehr, sehr lange gedauert, bis wir dann den ersten Song einfach geschrieben haben, das war Du und Ich. Danach erst, als auch wieder ein paar Festivals kamen, haben wir angefangen Songs zu schreiben und wieder ins Studio zu gehen. Johann hat sich in der Corona Zeit das Produzieren selber beigebracht, deswegen konnten wir da viel in Chemnitz machen. Was halt anfänglich total schwer war, war dieser Anfang, wieder kreativ zu werden. Das war auch ganz anders als beim ersten Album, aber eigentlich ziemlich cool, man war dann wieder in so nem kreativen Fluss drin. Also haben wir dann viel in Chemnitz gemacht und sind dann damit zu Produzenten ins Studio und haben die Songs dann da weiter ausgearbeitet.
Dascha (untoldency): Thematisch habt ihr ja auf dem Album sehr viele unterschiedliche Themen abgedeckt und viele Themen, die eben viele FLINTA* Personen beschäftigen und betreffen oder aktuell häufig im Gespräch sind. Was meint ihr, wie findet ihr für euch persönlich einen angemessenen Umgang mit solchen sensiblen Themen? Und auch, wie man vielleicht Leute außerhalb der eigenen Bubble erreicht, die sich nicht so häufig damit beschäftigen?
Nina: Wir sind natürlich nicht der Maßstab der Dinge und machen sicherlich auch nicht alles immer richtig. Unser Stilmittel ist ja immer so der Humor und wir versuchen dann halt durch Humor relativ einfach mit Themen umzugehen. Da muss man aber auch immer sagen, dass man bei einem Popsong von drei Minuten ja nie alle Facetten eines Themas abdecken kann. Das ist halt einfach Popmusik und da kann man auch nicht sehr, sehr tief in ein Thema einsteigen. Also so machen wir das, aber ich würde jetzt nicht sagen, so ist der einzig gute Umgang damit. Wir gucken immer, wie sich das für uns anfühlt und bauen das dann so aus.
Dascha: Aber es funktioniert gut! Was für einen Effekt oder was für Gefühle sollte das Album bei den Hörenden auslösen, was erhofft ihr euch?
Lotta: Wir haben jetzt auch schon relativ oft gespiegelt bekommen, dass sich Menschen gehört fühlen oder empowered fühlen oder einen Song haben, der die auch vielleicht mit ihren Freund*innen verbindet.
Nina: Man macht ja die Musik in erster Linie für sich. Um sich selber das Ventil zu geben, um Sachen einfach zu verarbeiten oder Sachen anzusprechen. Wenn es dann im zweiten Schritt quasi funktioniert, dass Leute das auch noch toll finden, sich vielleicht darüber kennenlernen, connecten und Gemeinschaften bilden, die ähnliche Einstellungen haben, dann ist das voll cool. Aber man schreibt jetzt nicht einen Song, um zu sagen, ich möchte, dass die Leute dann das und das damit machen. Sondern der ist erst mal so für uns und tut uns gut, weil wir Bock haben, über etwas bestimmtes zu singen.
Dascha: Und welche Bedeutung hat für euch persönlich weibliche Sichtbarkeit in der Musik? Besonders bezogen auf Durch die Nacht, weil vor allem die erste Strophe bei mir total hängengeblieben ist. Deswegen würde ich gerne mal hören, wer bei euch besonders zu diesem „Vielleicht kann ich das auch“ beigetragen hat.
Lotta: Also der Song ist für uns ja so ein bisschen ein „Danke“ an LaFee und Judith Holofernes. Das waren zum Beispiel zwei Künstlerinnen, die wir gehört haben, als wir zehn Jahre alt waren. Da war schon so der Moment da, dass man dachte irgendwie könnte man das doch auch, da hat man dann auf dem Kinderzimmerbett mit Mikrofon performt und sich das vorgestellt.
Nina: Ich habe mir im Saturn immer jede LaFee CD geholt. Die hatte ja Alben, EPs, Single-Auskopplungen, dann noch mit einem Instrumental und einem Textblatt drinnen, wo man dann selbst den Text mitsingen konnte und so. Ich war eigentlich nur: LaFee. Ich habe mir sogar die Biografie gekauft, die hat sie geschrieben, als sie 17 war. Alter, das ist wirklich ein Legenden-Move! Später kam auch Missy Elliott oder Gossip dazu. Aber es gab immer wieder diese Momente, auch als wir schon älter waren. Zum Beispiel waren wir zusammen auf dem Peaches Konzert und waren so: „Oh mein Gott, das ist ja das Geilste überhaupt! Wir wollen das auch!“ Also bei Peaches haben wir dann gesehen, dass man über den Song hinaus quasi das gesamte Konzert zu einer einzigen Performance verwandeln kann und dass das voll geil ist. Also es nicht so, man geht auf eine Bühne und spielt ein Lied, sondern alles gehört zusammen. Das haben wir bei ihr das erste Mal gesehen.
Dascha (untoldency): Das ist so cool! Durch die Nacht hat mich so richtig gepackt, weil das für mich immer ein richtig großes Thema ist. Auch wenn ich selbst keine Musik mache, sondern Sachen hinter den Kulissen. Aber jedes mal, wenn ich starken weiblichen Personen begegne, vergesse ich diese Begegnungen auch nicht. Da gibt es so viele tolle Vorbilder.
Nina: Ja, weibliche Vorbilder sind ja in allen Bereichen geil. Es tut einfach gut, dann eine Identifikationsfigur zu haben.
Dascha (untoldency): Ja, total. Ihr habt auf dem Album auch das erste Mal in eurer Diskografie richtige Features mit drauf. Wie kam es dazu und wie war das für euch?
Lotta: Wir haben das ja schon so immer über oft gemacht, dass wir uns so auf Festivals gegenseitig auf der Bühne besucht haben mit befreundeten Bands. Wir haben das irgendwie nicht so eingesehen, dass sowas nur im Rap komplett Standard ist. Also, mittlerweile ist es auch im Indie angekommen. Zum Beispiel bei Männer hat das für uns einfach voll Sinn ergeben, da noch eine andere Perspektive aus einer etwas anderen Musikrichtung reinzuholen. AddeN hat früher sehr viel Battlerap gemacht und war da so ein bisschen allein. Deswegen haben wir uns gedacht: Okay, sie kann das wahrscheinlich gut nachvollziehen, vielleicht hat sie ja Bock. Also wir hatten auch übelst Schiss sie anzufragen, weil wir waren so „Als ob die das macht!“ Wir dachten, die sagt safe nein. Aber dann hatte sie übelst Bock und ist ein ganz toller Mensch. Sie war jetzt auch bei unserer Releaseparty mit dabei und hat mit uns live performt und das hat alles voll Sinn ergeben.
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Nina: Auch Power Plush, das lag ja auf der Hand, weil wir sowieso immer übelst viel rumhängen und immer so einen kreativen Austausch haben. Bei Ich sage ja hatte das so gut gepasst von der Art her wie Power Plush Musik machen, durch diese harmonischen Gesänge. Die erste Zeile ist ja „Ich bin die Harmonie“ und dann kommen Power Plush mit ihrem harmonischen Wesen da rein. Das ist so geil!
Dascha: Finde ich auch. Es war aber auch cool, Power Plush mal auf deutsch zu hören.
Nina: Genau, wir versuchen natürlich auch, denen so ein bisschen die Tür zu öffnen. Vielleicht machen sie ja auch mal einen Song auf deutsch!
Dascha: Haha, vielleicht! Um bei Ich sage ja zu bleiben – Als ich den zum ersten Mal gehört habe, musste ich einfach heulen.
Nina und Lotta: Ahhh danke, das freut uns wirklich zu hören!
Dascha: Mega song, einfach richtig schön.
Nina: Wir haben den jetzt schon ein paar Mal live gespielt und es gibt ja diese Bridge mit „Fass mich nicht an“ und dann singt das das Publikum immer nach und da kriege ich jedes mal Gänsehaut. Und wir haben ja sehr viel weibliches Publikum, da singen alle immer vor allem übelst laut das „Halt dein scheiß Maul!“ Da krieg ich Gänsehaut! Man merkt, dass die das brauchen, dass einfach mal heraus zu sagen.
Dascha: Kann ich mir vorstellen. Könnt ihr mal in euren Worten aus eurer Erfahrung kurz sagen, wieso man weibliche Wut braucht? Auf den Song bezogen, also jetzt nicht unbedingt in einem revolutionärem historischen Kontext, sondern auch einfach im Alltag. Und findet ihr dieses Bild von diesem braven Mädchen, was immer ja sagen sollte, ist gerade im Wandel?
Nina: Ich glaube, das ist wieder was Persönliches. Also ich habe halt viel gelesen, wo es einfach um Weibliche Wut ging und dann bin ich selber meine Sozialisation so ein bisschen durchgegangen und habe mich dann viel im Freund*innenkreis unterhalten. Dass man sich als Frau immer blöd vorkommt, wenn man sauer ist, weil man denkt man übertreibt oder ist hysterisch, weil einem das ja auch so gespiegelt wird, als ob Wut eine Emotion wär, die mir nicht steht. Und dann hab ich aber überlegt, dass das bei Männern nicht so ist. Zum Beispiel bei Politikern oder so, wenn die eine wütende Rede halten, dann sind das die total starken Typen. Wenn eine Politikerin aber eine wütende Rede hält, dann ist die überemotional und so.
Dann sind mir total viele solcher Sachen aufgefallen. Auch im Kindergarten zum Beispiel, dass die Jungs sich immer gerauft haben, aber Mädchen sollten sich ja immer sofort vortragen und lieb sein. Man rutscht dann ja selber in so eine Rolle rein, wenn die Gesellschaft die so vorgibt. Das Thema ist also eine persönliche Sache, die aber natürlich trotzdem strukturell bedingt ist. Dann hab ich eben viel dazu gelesen und habe gemerkt, dass es Lektüre dazu gibt und dass das ein Thema ist, was schon mal bearbeitet wurde. Ich habe das Gefühl, das ist wie bei allen möglichen feministischen Themen, dass es gerade schon so ein bisschen popkulturell abgebildet wird. Die Frage ist immer nur, wie sich dann sowas wirklich auch im System verändert.
Dascha (untoldency): Ich finde, das habt ihr sehr gut in dem Song auf den Punkt getroffen. Also, dass man es irgendwie einfach persönlich auf sich beziehen kann, aber trotzdem den allumfassenden Kontext versteht.
Nina: Danke, wirklich! Wenn alle möglichen Leute gemeinsam dann „Halt einen scheiß Maul“ mitsingen und das in dem Moment ein Ventil für die ist, dann ist das geil. Es ist ja auch ungesund, seine Wut runterzuschlucken, das machen ja auch total viele. Ich habe auch gelesen, dass viel mehr Frauen als Männer Zähne knirschen, weil die da irgendwas nicht verarbeiten. Oder ganz viel mehr Frauen melden sich für diese Kurse an, wo man mit Baseball Schlägern Autos und so zerschlägt, um Wut rauszulassen. Das Gefühl ist ja da, aber wird dann einfach nicht ausgelebt. Das ist ungesund.
Dascha (untoldency): Ja, das stimmt! Apropos Gefühle, ich würde noch gerne auf Immer lustig eingehen, weil ich den Song überraschend fand. Also, vielleicht werdet ihr auch einfach von außen schon ein bisschen in die Schublade der „funny“ Band gesteckt. Den Kontrast von dem Song auf dem Album finde ich super interessant und überraschend, aber andererseits hat es auch total Sinn ergeben. Vielleicht könntet ihr einfach mal ein bisschen zu dem Song erzählen und auch zu dieser Balance zwischen diesen zwei Seiten, um die es geht.
Nina: Der Song ist der einzige auf dem Album bei dem es jetzt keinen doppelten Boden gibt, sondern der ist einfach das, was man singt ohne zusätzlich etwas zu erklären. Der ist genau so gemeint.
Lotta: Ich glaube, da geht’s auch so ein bisschen darum, dass wir gemerkt haben, dass oft Leute schnell so sind wie „Also, das hätte ich nicht gedacht, die ist doch immer so gut gelaunt“ und dass man Leuten auch mal zeigt, dass andere Leute nicht immer so sind, wie du die siehst. Wenn du Leute siehst, die nach außen vielleicht immer total funny wirken, dann kann das vielleicht auch ein Mechanismus sein, um mit Sachen umzugehen, die im Privatleben extrem scheiße sind. Es sollte einfach zeigen, dass es halt nicht so einfach ist, von außen in Leute reinzugucken. Dass es nicht so leicht ist zu sagen „Hey, dir geht’s doch gut, du scheinst doch immer gut gelaunt“ und ich glaube darum war uns das auch wichtig, da einfach mal so ehrlich zu sein, weil halt nicht immer alles schön ist. Auch bei uns nicht.
Dascha (untoldency): Ja total, das ist auch wichtig, sich dem bewusst zu sein. Der Song ist wirklich super schön geworden. Ich habe generell den Eindruck, dass ihr so eine Band seid, die irgendwie immer wieder neue Ideen einbringt und sich immer wieder weiterentwickelt und immer versucht, den Rahmen zu sprengen und irgendwas cooles neues einzubringen und damit auch irgendwie die Musikszene aufregender macht. Was treibt euch so dazu an? Also was gibt euch die Motivation, euch immer neues auszudenken?
Nina: Ich finde, und das sagen wir auch ganz oft, wir finden es übelst toll, dass wir in einer Band spielen und es könnte keinen besseren Beruf für uns geben. Zu dieser Band gehört ja auch sowas wie Musikvideos, irgendwelche Sessions, wie jetzt unsere Unterwasser Prelistenings und wir haben 100000 Ideen im Kopf, die gar nicht unbedingt in erster Linie nur was mit Musik zu tun haben. Und man kann die ja trotzdem alle umsetzen. Wir haben uns selber jetzt einen Rahmen geschaffen, wo wir einfach alles, was uns so einfällt, was wir geil finden, umsetzen können.
Lotta: Man kann sich kreativ so krass ausleben! Uns treibt dann auch an, dass man einfach umgeben ist mit kreativen Leuten. Also unser Freundeskreis ist auch extrem kreativ und so, das treibt uns dann natürlich auch an, wenn die Sachen machen und man sich darüber unterhält. Was einem außerdem so gute Gefühle gibt, ist dann halt, wenn man auf der Bühne steht und merkt, es zahlt sich aus und die Leute wertschätzen voll die künstlerische Arbeit, die man macht. Wenn man merkt, die Leute verstehen das und die Leute haben Spaß damit, dann treibt das natürlich auch wieder an, dass man wieder mit einer neuen Sache um die Ecke kommt. Das ist ein Zusammenspiel aus vielen verschiedenen Dingen, aber wir sind einfach extrem glücklich, so kreativ arbeiten zu können.
Dascha (untoldency): Das merkt man auch! Was ist für euch die größte Entwicklung, die ihr als Band gemacht habt? Von euren ersten Releases bis jetzt hier hin.
Nina: Ich finde, alles mögliche hat sich irgendwie gleich weiterentwickelt. Also, ich habe gestern unsere beiden Albumcover mal nebeneinander gesehen und die sind irgendwie trotzdem in einem Stil. Aber das zweite ist natürlich professioneller, sag ich mal, und ich kann das gar nicht an einer Sache festmachen, aber ich glaube man kann das auf alles beziehen. Musikalisch, aber auch die Ästhetik, das Bühnenbild, dann gibt es ja ein übelst tolles Team, was jetzt unsere Bühnenoutfits näht und solche Sachen. Wir haben halt quasi dadurch, dass wir jetzt ein bisschen größer sind, mehr Möglichkeiten, noch mehr Sachen, die wir uns immer gewünscht haben, umsetzen zu können. Das ist vielleicht nicht wirklich eine Entwicklung, aber einfach eine Möglichkeit.
Lotta: Man hat sich privat auch so entwickelt, dass man vielleicht ein bisschen selbstbewusster mit dem eigenen Projekt ist und sich so ein bisschen den Raum, der einen ja auch zusteht, noch mehr nimmt. Außerdem arbeiten wir halt jetzt mit Leuten, die wir einfach übelst lieben und die uns mögen, man ist einfach auf einer Wellenlänge. Ich habe das Gefühl, das ist auch so eine persönliche Entwicklung, dass wenn eine Person einfach scheiße ist, man nicht mehr mit der Person zusammen arbeitet oder die Person nicht supported. Also, dass wir uns jetzt dieses Recht nehmen.
Nina: Genau, das meinte ich auch mit Möglichkeiten. Wir sind jetzt an einem Punkt, wo man auch sagen kann: „Ist mir scheiß egal, du bist kacke, ich hab kein Bock auf dich“ und das ruiniert jetzt nicht die gesamte Karriere. Es ist natürlich immer kompliziert, aber es ruiniert jetzt nichts mehr.
Dascha (untoldency): Passend dazu, was fehlt euch persönlich momentan in der deutschen Musiklandschaft, egal in welcher Hinsicht?
Nina: Um es mal kurz zusagen: in der Musiklandschaft fehlt uns meistens einfach eine Haltung. Einfach mal ein bisschen Rückgrat zeigen.
Dascha (untoldency): Ja, gut zusammengefasst. Die nächste Frage, die vorletzte, ist sehr wichtig. Was ist euer lieblings Sims Erweiterungspack?
Lotta: Ich muss dazu sagen, ich musste Sims letztens leider löschen, weil es so viel Speicherplatz eingenommen hat. Das Erweiterungspack mit den Haustieren ist zwar schon lange her, aber das war ein großer Schritt in die richtige Richtung. (lacht) Hauserweiterung fand ich super, aber ich weiß gar nicht mehr, wie das hieß. Irgendwas mit Home Decor? Da hat man so geile Badematten für den Pool bekommen und so. Da gab’s ganz spezielle kleine Sachen wo ich immer dachte „nice“, sowas wie schöne Vasen. Ich glaube, mein liebstes Erweiterungspack ist aber Haustiere. Was ist denn dein lieblings Erweiterungspacks?
Dascha (untoldency): Ich glaube, auch Haustiere. Und Jahreszeiten ist für mich ein Klassiker. Ich denke manchmal daran zurück, dass es für Sims 2 so ein Pack gab, das hatte ich damals auf der Playstation, das hieß Sims 2 Gestrandet. Das war einfach so unnormal verstörend, da war man alleine auf der wilden Insel und irgendwann wurde man immer von Affen gejagt und getötet, ich hatte so Angst davor.
Nina: Ich weiß einfach direkt im Kopf, wie diese Verpackung aussah!Das ist aber was, wo ich immer so drum rumgelaufen bin und meine Eltern überreden wollte, mir das zu kaufen. Ich habe es nie gekriegt. Ich kenne deswegen nur diese Verpackung, bei der für mich ein Heiligenschein drum rum war, das war etwas unerreichbares für mich als Kind. (lacht)
Dascha (untoldency): Ja, das war geil, aber eben auch verstörend. Naja, okay. Die letzte Frage ist bei uns immer eine untold story, also eine Geschichte oder ein kleines Geheimnis, das ihr noch nicht öffentlich erzählt habt.
Nina: Für alle, die uns letztes Jahr auf unserer Tour besucht haben, die ging einen Monat: Ich habe den gesamten Monat lang gezahnt. Also den gesamten Monat lang sind mir meine Weisheitszähne hinten durchgebrochen und ich konnte eigentlich meinen Mund kaum aufmachen und musste immer Schmerztabletten vorm Auftritt nehmen, damit ich überhaupt ordentlich singen kann. Ich dachte halt, die Martini Sprite Tour wurde drei mal verschoben wegen Corona, wir können jetzt nicht vier mal verschieben, wegen meinen Weisheitszähnen. Das geht ja nicht! Deswegen Shoutout an alle Babys die gerade zahnen, weil ich kann das komplett mitfühlen. Wenn du dich nur noch durch schreien äußern kannst, dann tut’s mir leid. (lacht) Das ist eine Geschichte, die wir noch nicht erzählt haben. Und jetzt ist es raus: Ich habe auf Tour gezahnt.
Dascha (untoldency): Respekt, du hast es aber geschafft! Sind sie jetzt raus?
Nina: Ne, die sind noch drinnen, ich habe genug Platz in meinem Mund.
Lotta: Die leben da einfach rent free!
Dascha (untoldency): Ich danke euch für eure Zeit und das schöne Interview!
Ende des Jahres könnt ihr alle Perlen-Hits live auf Tour hören!Hier geht’s zur den Tourdaten.
Fast genau 10 Jahre ist es nun her, dass OK KID ihren Song Stadt ohne Meer als Ode an ihre Heimatstadt Gießen veröffentlichten. Außerdem ist es nun 5 Jahre her, dass sie sich dazu entschlossen der oft so grauen Stadt einen frohen Pinselstrich zu verpassen. Das Stadt ohne Meer Festival entstand aus einer witzigen Idee der Band heraus und entwickelte sich mittlerweile zu einem bekannten Bestandteil der deutschen Musikszene, der Fans aus allen Ecken des Landes nach Mittelhessen lockt. Am 09. und 10.Juni feiert das Festival nun seine Jubiläumsedition. Wieso ausgerechnet für dieses Festival entscheiden und nach Gießen anreisen?
Das Festival schafft es immer wieder, sich die beliebtesten, angesagtesten Acts aus verschiedenen Musikrichtungen für sein Line Up zu schnappen, dabei aber sorgfältig auszuwählen: Acts wie Giant Rooks, Edwin Rosen, Mia Morgan, Blond, JEREMIAS, Mine, Schmyt, Nura, Leoniden standen bereits auf dem Programm. Auch Newcomer*innen mit Wachstumspotential, sowie lokale Bands bekommen jedes Jahr die Möglichkeit sich dem Publikum zu zeigen. Dabei sind erfreulicher Weise weibliche, wie männliche Acts ausgeglichen vertreten. Somit wird ihnen die Plattform, die ihnen zusteht, geboten und dem Publikum ein vielfältiges Programm, das zum Tanzen, Feiern, Entspannen und Entdecken einlädt. Das beste ist: Man muss sich nicht entscheiden! Denn die musikalischen Acts überschneiden sich dank abwechselndem zwei-Bühnen-Konzept nicht. Die kleine, intime Schwätzer Stage und die große Elefantenklo Stage, benannt nach den, zugegebenermaßen unschönen Sehenswürdigkeiten Gießens, bieten durchgehendes Programm an und verhindern das übliche Rennen von Bühne zu Bühne.
Selbstverständlich darf auch ein ein Auftritt von OK KID selbst nicht fehlen, die jedes Jahr überwältigt lächelnd und stolz das Gelände bemustern. Und jedes Jahr aufs Neue hält die Band, die vor Ideen immer sprudelt, besondere Überraschungen für die Festivaltage parat. Was aus einem kleinen Tagesfestival entstand, entwickelte sich mittlerweile zu zwei vollen Tagen Action inklusive benachbartem kleinen Campingplatz. Doch das Stadt ohne Meer Festival bleibt sich trotz Optimierung stets treu – Es findet immer noch auf dem selben, übersichtlichen Gelände statt und der sympathische DIY-Charme bleibt vollkommen erhalten. Statt ewig langen Wegen und Hektik, fühlt man sich hier wie zu Hause und hat bei lockerer, stressfreier Atmosphäre die Möglichkeit alte und neue Freund*innen zu treffen.
Gießen ist nicht gerade als Kulturmetropole für junge Menschen bekannt und als gebürtige Gießenerin muss ich sagen, das ist den meisten von uns auch klar bewusst. Das Stadt ohne Meer Festival macht keine neue glänzende Stadt aus Gießen, sondern holt eher das Potenzial aus der verstaubten Dachboden Ecke, was schon längst bestand und darauf wartete, entdeckt zu werden und sich anderen zeigen. Vielleicht ist das der Grund, wieso die Motivation und Begeisterung bei Crew und Publikum besonders bemerkbar ist. Burger King, KFC, McDonald’s, Subway. Zugegeben: Wenn man auf der langen Hauptstraße des Schiffenberger Tals in Gießen fährt, gibt es zunächst nicht mehr als das zu sehen. Umso schöner ist die versteckte Idylle dahinter! Neben musikalischem Programm ist auf dem grünen Festival-Gelände auch jedes andere Detail mit Liebe und Mühe durchdacht. Handgefertigte Deko, Mitmach-Aktionen, besondere Essensangebote, Außermusikalisches Programm, Fokus auf Nachhaltigkeit und gemütliche Areas zum Genießen in der Sonne, machen jeden Teil des Aufenthalts angenehm und erinnerungswürdig. Ewige Schlangen an Ständen und zugemüllter Boden, wie es oft auf Festivals üblich ist, sind hier Fehlanzeige.
„Du bist so hässlich und grau, ich glaub‘ du stehst auf Beton“ – So lauten die ersten Worte im Song Stadt ohne Meer. Und diese werden zumindest an zwei Tagen im Jahr vollständig widerlegt.OK KID haben es gemeistert, das oft scheinbar verlorene Potenzial der Stadt auszugraben und zu gold werden zu lassen. Zwar hat Gießen kein Meer, aber jetzt immerhin das sympathischste, gemütlichste Festival zu bieten. Wer sich davon selbst überzeugen möchte, kann hier noch schnell die letzten Tickets ergattern, denn die gehen schneller weg, als je zuvor:
Power Plush haben wir schon ganz am Anfang ihrer Band-Reise lieb gewonnen. Nun haben die vier Musiker*innen aus Chemnitz ihr DebütalbumCoping Fantasies im Februar veröffentlicht. Zwischen leichtem, verträumtem Indie-Pop Sound, eingängigen Melodien und warmen Umarmungen, erwarten die Hörer*innen aber auch ganz klare Ansagen. Das Album nimmt mit in eine pastellfarbene Power Plush-Utopie, die sich so wohltuend anfühlt, dass man sie gar nicht verlassen will. Verschiedene Geschichten und Perspektiven von inneren Gefühlswelten und Beziehungen gleiten smooth in einander und spenden sowohl Trost, als auch Platz für Identifikation. Genauso sympathisch und respektvoll wie Svenja, Maria, Anja und Nino und ihr Umgang mit einander sind, meint man das auch in ihrer Musik zu hören. Auch eine positive Weiterentwicklungzu vorherigen Veröffentlichungen ist deutlich erkennbar, denn es scheint so, als würde die Band nun ihren eigenen Sound so richtig gefunden haben, aber auch Spielraum für weitere Entwicklungen andeuten. Power Plush haben außerdem ein volles Jahr mit vielen Festivals und unter anderem Touren mit Blond und Kraftklubhintern sich. Wir erwarten von ihnen noch ganz, ganz viel in der Zukunft, das der Musiklandschaft garantiert einen liebevollen und offenherzigen Schliff verpassen wird!
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Dascha (untoldency): Wie geht es euch zur Zeit? Wie fühlt ihr euch kurz vor dem Release von eurem Debütalbum? Fühlt es sich schon real an?
Anja: Es passiert gerade so viel auf ein mal.
Maria: Ich finde es fühlt sich so in Wellen real an. Manchmal kommen so Momente, in denen man denkt: Oh, wir haben ja wirklich ein Album. Ich vergesse das manchmal.
Anja: Wenn Leute sagen oder schreiben, dass sie es schon gehört haben, ist das so: Oh mein Gott, es existiert wirklich! Ansonsten proben wir zur Zeit auch viel.
Svenja: Entweder man ist gerade nur am hustlen und denkt gar nicht so viel darüber nach oder man hat Momente der Realisation und wird mega aufgeregt, weil es schließlich das erste Album ist.
Dascha (untoldency): Wann habt ihr angefangen an dem Album zu arbeiten?
Anja: Also im Proberaum haben wir schon im Oktober 2021 angefangen Songs zu spielen, aber mit unserem Produzenten Mario Simic haben wir im Januar 2022 angefangen.
Svenja: Es hat sich dann bis August über das ganze Jahr gezogen, da hatten wir es fertig.
Anja: Das war auch örtlich alles verteilt.
Maria: Stück für Stück ist es dann ein Album geworden.
Dascha (untoldency): Also für mich macht der Titel voll Sinn, wenn ich das Album höre, aber ich will es nochmal von euch wissen: Was bedeuten für euch Coping Fantasies?
Anja: Es war ursprünglich als Weiterführung von der EP Vomiting Emotions gedacht, wo es darum ging alles rauszulassen, egal was man fühlt. Also eine Art Ventil. Aber Coping Fantasies ist einen Schritt weiter, eher ein Versuch irgendwie einen Umgang damit zu finden. Oder sogar auch nur die Vorstellung davon, wie es wäre, mit einer Sache gut umgehen zu können. Mit dem Album wollten wir eine Welt schaffen, in der man die Chance hat mit Sachen umgehen zu können. Egal, ob das bedeutet sich einzukuscheln und nicht ansprechbar für die Welt zu sein oder es rauszuschreien.
Es soll ein Ort sein, an dem Leute wissen, dass sie mit dem ganzen Scheiß nicht alleine sind und dass es Leute gibt, denen es genauso geht. Auch wenn du gerade strugglest – we’re in this together. Es bietet nicht wirklich Lösungsansätze, weil es nicht möglich ist, außenstehend allen Personen zu helfen, aber es kann zumindest ein Safe Space sein.
Svenja: Auch ein Ort, an dem man fantasieren kann, wie man mit etwas umgehen könnte. Es heißt ja Fantasies und nicht Coping Strategies. (lacht)
Dascha (untoldency): In den Songs werden verschiedene Gefühls- und Sichtperspektiven aufgezeigt. Was ist dann das, was sie im Endeffekt zu einem Ganzen bündelt? Ist es das Gefühl eines Safe Space?
Maria: Ich denke wir haben den Titel schon so gewählt, damit die Bewältigung quasi der gemeinsame Nenner aller Songs ist. Es sind unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliche Bereiche des Lebens auf die sich die Songs beziehen. Manchmal ist es eine gesellschaftliche Ebene und manchmal eine sehr zwischen menschliche. Es ist sind immer Momente der Bewältigung, aber immer ein bisschen unterschiedlich. Dadurch ist für uns eine Art Klammer entstanden, durch die wir die Songs dann sehen konnten.
Dascha (untoldency): Ich finde das Album reflektiert auch vieles und spricht auch erstere Themen geschickt an wie auf Leave Me Alone und Girl, He Toxic, ohne dass die Songs dabei total düster klingen. Was bewegt euch dazu solche Themen in euren weichen Indie-Sound zu packen? Was ist der richtige Umgang mit sensiblen Themen in der Musik?
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Anja: Ich glaube es gibt nicht einen richtigen Umgang. Das war der Umgang, den wir gewählt haben, diese Themen zu bewältigen in dem man den Song rockig macht oder vielleicht sogar ein bisschen Humor reinbringt. Girl, He Toxic ist zum Beispiel auch ein ziemlich ernstes Thema, es wird einer befreundeten Person gesagt: Girl, hau ab, he is a toxic ass! Aber trotzdem ist der Song eine tanzbare Wir-klatschen-alle-in-die-Hände-Nummer. Das hat sich in dem Moment einfach richtig angefühlt beziehungsweise ist es auch das, was man die Leute fühlen lassen möchte.
Svenja: Bei dem Song soll es auch einfach ermutigend rüber kommen.
Maria: Bei Leave Me Alone war es uns einfach wichtig, dass es für uns auf der Bühne empowernd ist, ihn zu spielen. Dass es sich stark anfühlt, den Punkt zu nennen von: Hey, lasst uns doch einfach in Ruhe, wir wollen doch einfach unser Ding machen. Wir wollen nachts draußen rumlaufen ohne komisch angequatscht zu werden. Deshalb haben wir in der Musik extra danach geschaut, dass es diesen starken Effekt für uns hat.
Anja: Es gibt ja auch richtig dramatische oder traurige Momente auf dem Album, auch die haben sich in dem Moment einfach richtig angefühlt. Das ist wahrscheinlich wirklich auch Moment-abhängig. Wie man in dem Moment mit dem Thema umgehen möchte und kann.
Maria: Das ist ja auch ein Stilmittel ernstere Themen mit einem locker flockigem Sound zu untermalen. Einfach weil wenn ein Thema an sich schon schwer ist, muss man es nicht zwingend noch mehr beschweren. Auch das hilft zum Teil bei Bewältigung, da noch eine neue Ebene reinzuziehen.
Dascha (untoldency): Ich finde bei Girl, He Toxic auch lustig, dass ein mal das Wort Ass so ganz lang gezogen wird.
(Alle lachen)
Svenja: Das ist der beste Moment! Vor allem auch, weil unsere Backings das „Ass“ so mega dramatisch wirken lassen.
Maria: Es macht ja irgendwie auch Bock, in solchen Themen doch etwas Spaß zu finden.
Dascha (untoldency): Ja, voll. Mir hat eure letzte Single Emergency // Freeze sehr gut gefallen, ich konnte mich da sehr wiederfinden. Was könnt ihr zu diesem Zustand sagen, den ihr darin besingt? Und habt ihr eine Idee, wie man eventuell dagegen ankommen kann?
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Anja: Ich glaube wir kennen alle diesen Freeze-Zustand an unterschiedlichen Stellen. Vor allem wenn man eine sensible Person ist, der es eher schwer fällt, Struktur in das eigene Leben zu bringen. Dieser Freeze-Zustand, das ist das Gefühl gerade nichts ausrichten oder ändern zu können, obwohl du eigentlich weißt, dass du es könntest. Aber du kannst es einfach nicht, weil du wie eingefroren in einem Ohnmachtsanfall-Gefühl bist. Gleichzeitig ärgerst du dich über dich selbst, weil du weißt du könntest es eigentlich und du hättest die Option. Aber in dem Moment kannst du es einfach nicht. Aus Erfahrung würde ich sagen, dass man den Zustand auf jeden Fall überwinden kann, aber das benötigt an vielen Stellen viel Arbeit. Es ist ein Prozess. Am besten sagt man sich „du hast es schon mal geschafft, du kannst es auch nochmal schaffen“ und vor allem sollte man auch nett zu sich selbst sein. Auch wenn du es mal wieder nicht geschafft hast, solltest du lieb mit dir umgehen. Aber man kann es immer wieder probieren, aus dieser Starre rauszukommen. Es wird zwar nicht immer funktionieren, aber vielleicht mal doch. Doch eine ultimative Lösung dafür? I don’t know! (lacht)
Dascha (untoldency): Ich glaube niemand hat dafür eine perfekte Lösung.
Anja: Ja, ich kenne aber auch viele Leute, die das Gefühl gar nicht haben. Die sind so „Ich mach’s jetzt einfach“ und dann sprechen die das einfach an oder organisieren das einfach. Das ist ja übelst toll, dass Leute das direkt umsetzen können. Ich glaube manchen Leuten liegt das einfach nicht und das ist in Ordnung. Aber es für sich selbst immer mal zu probieren, ist glaube ich trotzdem eine gute Sache. Mal einen Schritt nach vorne zu schaffen. Das klingt jetzt alles so abstrakt gesagt, aber das ist eben nicht auf eine bestimmte Situation bezogen, sondern auf viele verschiedene Stellen im Leben.
Maria: Wir sind natürlich Musiker*innen und keine Psycholog*innen, aber ich denke das hat auch viel mit Verhaltensgewohnheiten zu tun. Man kann es schon schaffen, daraus auszubrechen, aber das ist halt Arbeit und anstrengend. Es gelingt nicht immer, das ist okay.
Anja: Lieb zu sich und anderen sein hilft an vielen Stellen.
Dascha (untoldency): Danke für die Motivationsstunde! Wie sähe denn eure ultimative Power Plush Utopie aus? Natürlich auch auf euren Song Utopia bezogen.
Svenja: Keine Macker. Macker-Verbot!
Maria: Lieb sein ist auf jeden Fall Teil der Power Plush-Welt. Ich denke dadurch könnten Menschen sich freier ausleben und entfalten.
Anja: „Lieb“ ist irgendwie so ein krasser wichtiger Begriff bei uns. Natürlich muss man nicht immer nur lieb sein, aber wenn man merkt, dass Intention ist, eine aufrichtige gute Person zu sein: mit solchen Menschen umgibt man sich einfach gerne. Wir sind einfach richtige Softies. Wir finden aber auch, dass in Softness sehr viel Stärke. Deswegen natürlich auch unser Bandname Power Plush. Die Welt könnte soft sein, dann haben wir uns alle gern.
Maria: In einer Power Plush-Welt können auch alle mitgestalten.
Dascha (untoldency): Und soll diese Welt auch so aussehen wie das Cover vom Album?
Alle: Ja!
Anja: Das passt auch zu der Mitgestaltung. Es könnte jede*r Bäume basteln, Sterne basteln, eigene Wege basteln.
Dascha (untoldency): Inwiefern unterscheidet oder gleicht sich diese Vorstellung von eurer Realität? Habt ihr etwas davon schon umgesetzt?
Anja: Im Kontext der Band und unseren Freundeskreisen schafft es schon weitergehend sich diese Safe Spaces gegenseitig zu geben und gemeinsam zu erschaffen. Natürlich trifft man beispielsweise auch immer wieder auf irgendwelche Macker oder Leute, die nicht lieb sind, auch wenn man das gar nicht möchte. Aber innerhalb unserer Gruppe versuchen wir das gut zu machen.
Maria: Ich würde sagen wir haben dafür gearbeitet, dass das in unserem direkten Umgang mit einander so umgesetzt ist. Als kann man schon sagen, dass wir uns eine Art Power Plush-Welt erschaffen haben. Darüber hinaus sind wir selbstverständlich trotzdem in größere soziale Strukturen eingebettet und können das daher nur bedingt verwirklichen. Bei uns selbst gelingt das aber, finde ich, ganz gut.
Anja: Das heißt nicht, dass wir nicht auch mal sauer auf einander sind. Meinungsverschiedenheiten sind menschlich. Aber wir wissen immer von einander, dass wir eigentlich nur das Beste von einander wollen. Das ist wahrscheinlich der Startpunkt, um einen schönen und sicheren Umgang miteinander zu finden.
Dascha (untoldency): Lieb! Was war denn für euch challenging bei dem Entstehungsprozess des Albums?
Maria: Zeit. (lacht)
Svenja: Aber auch, dass man sich die ganze Zeit damit auseinandersetzt. Man setzt sich unter Druck, es ist viel Stress. Da ist man ja auch permanent mit krassen Themen konfrontiert. Meistens schreiben wir über Sachen, die aus den Tiefen in uns drin kommen und dann ist man dem die ganze Zeit ausgesetzt. Das hat uns emotional herausgefordert.
Anja: Wir lieben es diesen künstlerischen Schaffensprozess gemeinsam durchzugehen, ich würde das um keinen Preis der Welt weggeben, aber auch das bringt dich an deine Grenzen. Entscheidungen haben oft auch was mit Ego zu tun und das man auch mal zurückstecken muss, wenn Teile der Band etwas anders sehen. Zum Beispiel, wenn ein Teil eines Songs, den man lieb gewonnen hat, doch nicht so gut funktioniert und der eben wegkommen muss. Sowas muss man loslassen können. Das ist schon challenging. Und dass du jeden einzelnen Tag mit den Songs aufwachst und einschläfst und keine andere Musik mehr im Kopf hast. (alle lachen)
Maria: Ich fand’s am Anfang total schwierig zu sehen, wie das ein Album werden soll und dass es mal eins wird. Man hat da diese ganzen Ideen und Skizzen und es ist schwierig sich das vorzustellen. So richtig gecheckt, dass wir ein Album gemacht haben, habe ich glaube ich, erst gegen Ende letzten Jahres. Im Prozess war es schwer das zu verstehen, weil es nicht sichtbar war. Aber haben wir alles ganz gut hingekriegt! (lacht)
Dascha (untoldency): Na das ist doch die Hauptsache! Wie Svenja schon meinte, ist man bei dem Schreibprozess ja auch mit tiefen Gefühlen konfrontiert. Findet ihr es ist eine große Überwindung das mit einander zu teilen?
Maria: Das kommt darauf an was es ist und wie roh der Text ist, den wir den anderen mitbringen. Prinzipiell ist es nicht unangenehm und wir haben zum Glück diesen Safe Space, dass wir Dinge relativ unbedenklich miteinander teilen können. Ich fand’s manchmal schon trotzdem krass Dinge auch so sichtbar und explizit zu thematisieren. Aber ich fand es auch sehr lehrreich Einblicke in die anderen zu gewinnen. Man hat über die Texte ja auch mit einander gesprochen. Ich bin sehr froh über diese Erfahrung.
Anja: Ich fand’s auch krass, die Songideen der anderen zu hören. Mit manchen Situationen war man schon etwas vertraut, weil man die aus dem Leben der Person einfach mitbekommen hat, aber das dann so gebündelt und in Kunst verpackt zu hören, ist etwas ganz anderes. Das ist auch ein totaler Vertrauensbeweis, das ist voll schön. Es bringt uns auch näher zu einander, auch wenn es am Anfang nicht immer so easy scheint.
Dascha (untoldency): Wie schön! Und was würdet ihr sagen hat sich seit der Debüt EP für euch verändert, was war die bisher größte Entwicklung als Band?
Svenja: Das Album und die EP bauen schon in gewässerweise auf einander auf, nicht nur von den Namen, sondern auch musikalisch von den Instrumenten her. Wir haben uns einfach von unseren Skills weiterentwickelt. Wir haben quasi das von der EP genommen, weiterentwickelt und das jetzt auf’s Album gebracht.
Maria: Wir haben nicht nur gelernt mit den Instrumenten besser umzugehen, sondern auch was Songwriting angeht. Wir haben ja noch mehr Songs geschrieben als die, die auf dem Album sind, wir haben uns einfach ausprobiert. Für mich ist live spielen auch ein Teil der Entwicklung. Ich denke wir machen in der Hinsicht große Steps, weil wir so viel live spielen. Das find ich übelst schön, das macht so viel Spaß.
Anja: Ich find’s auch einfach cool, dass das Album jetzt so als Ding da ist. Man hat als Künstler*in ja oft das Impostor-Syndrom, so mäßig „Is this a real job?“, aber letztes Jahr haben wir wirklich viel gearbeitet. Da hat man selbst begriffen, wie viel Arbeit man reingesteckt hat, das ist auch eine Art Weiterentwicklung. Wir haben uns den Arsch aufgerissen, als yes, this is a job! Zwar ein sehr schöner, aber immer noch ein Job.
Maria: Man findet mit der Zeit auch immer mehr Selbstbewusstsein. Alles wird ein bisschen besser. (lacht)
Dascha (untoldency): Unser erstes Interview zusammen ist nun genau zwei Jahre her. Da hatte ich euch gebeten, eure Musik in drei Wörtern zu beschreiben. Ihr habt folgende genannt: „Kraftvoll, weich und Safe Space-ig.“ Würdet ihr diese drei Wörter heute immer noch so wählen?
Anja: Wow, schon zwei Jahre? Ich finde die Wörter passen immer noch, aber ich denke wir würden auch andere nennen.
Svenja: Ich erinnere mich noch genau an die Situation, als wir das beantwortet haben.
Maria: In letzter Zeit wurde oft das Wort „plüschig“ verwendet. „Kraftvoll“ auch immer noch. Und „poppig“.
Anja: „Dramatic“ auch, das ist das Album schon an vielen Stellen. Aber das ist einfach geil.
Svenja: Stimmt, die EP war nur sweet, aber jetzt sind wir erwachsener geworden. An manchen Stellen könnte man auch „tanzbar“ als Wort nehmen.
Anja: Dann sagen wir jetzt plüschig, kraftvoll und dramatic.
Dascha (untoldency): Ja, das passt alles sehr gut. Ihr habt ja vieles als Band erlebt im vergangenen Jahr. Was waren eure absoluten Highlights?
Svenja: Mit Kraftklub auf Tour zusammen Kein Gott, Kein Staat, Nur Du zu singen fand ich richtig krass.
Anja: Generell die ganze Tour mit so coolen Leuten, das war echt special.
Maria: Mein eines Highlight war das Immergut Festival, weil das Zelt bei uns so voll war und die Leute auch mitgesungen haben. Und das andere war auf dem Kosmos. Ich kam noch Stunden nach dem Konzert immer noch nicht drauf klar.
Anja: Ja, das war eine richtig volle Hometown Show mit vielen Freund*innen, aber vorne standen auch viele Leute, die wir nicht kannten, die einfach Power Plush Fans waren! An dem Tag war so viel verschiedenes los, aber die sich entschieden zu unserem Konzert zu kommen! Das war so krass für uns.
Dascha (untoldency): Jetzt sagt das nicht so, als wäre es unmöglich das zu glauben.
(Alle lachen)
Maria: Es ist irgendwie so schwierig sich vorzustellen, dass Leute einfach nur unsere Musik feiern und deshalb vorbeikommen.
Anja: Das Album war natürlich auch ein Highlight. Der Moment, in dem wir das fertige Album abgegeben haben, hat sich so unreal angefühlt. What a year!
Dascha (untoldency): In einem Jahr frag ich euch dann nochmal zu 2023 aus.
Svenja: Das ist jetzt unsere Konstante wie dieses Billie Eilish Vanity Fair Interview.
Dascha (untoldency): Ja, stimmt! Die letzte Frage kennt ihr auch schon, das ist bei uns ja eine untold story. Also eine Geschichte, die ihr noch nicht öffentlich erzählt habt.
Anja: Wir waren ja im Herbst ewig lange unterwegs, da haben wir um die 27 Konzerte gespielt. Wir haben uns angewöhnt immer beim Reinfahren in eine neue Stadt auf Spotify nach der Stadt zu suchen. Also was für Songs es über die Stadt gibt, da haben wir schon absolute Banger entdeckt. Wir empfehlen an dieser Stelle „Würzburg“ von der Band Kleinrinderfeld. Und „Lingen (Ems)“. (Alle singen)
Maria: Wir werden in diesem Jahr auch weiter Städte-Songs sammeln.
Svenja: Wir gehen ja auch auf TOUR!
Maria: Auf TOUR entstehen neue untold stories.
Anja: Vielleicht seid ihr ja dabei auf unserer TOUR!