Das deutsche New Wave Universum brodelt nach wie vor, entwickelt sich jedoch mittlerweile in viele unterschiedliche Stränge auseinander. So fließt auch die Musik von MODULAR organisch in verschiedene Genrerichtungen. Weg von dem kühlen NNDW Synthie-Beat-Sound der ersten EP, hinüber zu großen Indie, Alt-Pop und sogar orchestralen Klängen auf der in diesem Jahr erschienen Trümmer EP.
„Mit dem Song ‚Trümmer dieser Stadt‘ habe ich versucht, alles runterzubrennen: Ganz neuer Sound. Im Musikvideo mache ich mich nackt, um auf allen Ebenen zu symbolisieren, dass ich auf Null gehe und schaue, was danach kommt“, beschreibt die Musikerin. „Eigentlich war der Song als eine NNDW-Tanznummer geplant. Zum Glück ist er dann mit der Zeit ganz natürlich abgebogen und zu dem Sentimental-Pop-Song geworden, der er jetzt ist.“
Mit den fünf Tracks der EP eröffnet sie sehr persönliche, sowie abstrakte emotionale Welten mit teilweise sphärischen Klängen und einem sich durchziehenden visuellen Konzept. Vor einer Weile habe ich mit MODULAR im Interview über die Entwicklung ihrer Musik, die Neue (Neue) Deutsche Welle, sowie Unsicherheiten auf der Bühne gesprochen. Auf die Frage, wie MODULAR ihre Trümmer EP in einzelnen Worten beschreiben würde, entgegnet sie: „Traurig, Tanzbar, Intim“. Die EP sei, anders als ihre ersten Songs, eine intime Offenbarung und Verarbeitung eigener Lebenssituationen. „Jeder Song ist wie ein Umzug von einer Stadt in die nächste. Auch das Verarbeiten davon, dass sich mein gesamtes soziales Umfeld ändert. Das Konzept der EP ist eine Reise, die ich angetreten habe. Bei ‚Endlich‘ versuche ich dann, mich selbst zu finden.“
Ich hake weiter nach der Bedeutung von kreativen Konzepten nach. MODULAR erzählt mir, dass sie selbst Fan von Artists wie Ashnikko oder Björk ist, weil ihre Künstlerinnenpersönlichkeiten sich durch ihr gesamtes Schaffen ziehen und sich nicht nur auf ein runtergeschriebenes Konzept für ein Werk begrenzen. „Ich glaube ein Outfit oder ein Look kann nicht unpolitisch sein, du kannst als Künstlerin nicht neutral sein, in dem was du trägst. Deshalb ist es mir wichtig, Dinge aufzubrechen. Zeigen, dass ich als Frau im kurzen Rock nicht nur schön anzuschauen bin, sondern auch ernst genommen werde.“ Dass ihre Outfits, Make Up und Haare meistens weiß sind, komme aus dem Interesse an der Bedeutung der Farbe: „Einerseits ist es eine Abgrenzung zu mir selbst, weil ich privat sehr selten weiß trage und andererseits mag ich es mit der Symbolik zu spielen, dass weiß für Unschuld steht. Ich mag es, die Themen zu eröffnen, mit den Sachen, die ich auf der Bühne trage. Ich finde das Aussehen ist ein großes weiteres Fenster, mit dem man sich ausdrücken kann. Das benutze ich sehr gerne.“ Auch ich als Hörerin und Konsumentin finde es eine schönere, spannendere Erfahrung in ein kreatives Gesamtwerk hineingezogen zu werden.
Trotzdem frage ich mich, ob das als Künstlerin nicht auch Nachteile hat. Kann man da eine klare Grenze ziehen, wo MODULAR beginnt und endet? „Natürlich hat das an manchen Tagen auch Nachteile. Manchmal würde ich lieber auf der Bühne in kuscheliger oversized Hose stehen. Aber gleichzeitig hilft es mir, mehr zum Teil meiner eigenen Kunst zu werden. MODULAR ist auch immer Selena, aber Selena versucht nicht immer MODULAR zu sein„, beschreibt sie.
Wenn wir schon von übergreifendem Stil und Ästhetik reden, will ich von MODULAR wissen, für welchen Film oder Art von Film ihre Musik der Soundtrack wäre. Ich habe schon ein konkretes Bild vor Augen. Sie freut sich darüber: „Ich finde wenn Musik auch bildlich wirkt, hat man alles erreicht.“ Wir sind uns einig, dass es sich um einen künstlerischen Coming of Age Film handelt. „Der Film sollte in Irland spielen und natürlich analog gefilmt sein. Alles passiert sehr langsam, aber bei Rennfahrer gibt es eine coole Partyszene. Der Film zeigt das Erwachsenwerden der Protagonistin in sehr entschleunigten, aber wunderschön anzuschauenden Szenen.“ Warum ausgerechnet Irland? „Ich will Wind und Mäntel tragen„, erklärt sie grinsend.
Außerdem unterhalten wir uns über ihren Song Rennfahrer. Mein persönlicher Favorit – ein packend tanzbarer Mix einer starken Portion Drama und Selbstbewusstsein. „Es geht darin vor allem um eine Freundschaft zwischen zwei Girls. Ich war nicht immer supportive gegenüber anderen Mädchen. Es ist total wichtig zu realisieren, dass man Teil dieser internalisierten misogynen Struktur war oder vielleicht noch ist. Früher hatte ich nicht so viele FLINTA*-Freundschaften. Rennfahrer ist ein Song über eine weibliche Freundschaft die mir gar nicht gut getan hat. Da dachte ich aber, ich könnte die sehr enge Freundschaft nicht brechen, nur weil wir als Mädchen zusammenhalten müssten. Im Song löse ich mich tanzend von den Fesseln so einer ungesunden Freundschaft. Ich gehe und die Person kann mich dabei nicht mehr bremsen.“
Anspielend auf ihren Song Zeit steht, frage ich MODULAR welcher Zustand ihr das Gefühl gibt, die Zeit einfrieren zu lassen. „Kennst du das, wenn man Streit mit einer geliebten Person hat und dann gerade nicht mit einander redet?„, fragt sie zurück und ich nicke nachdenklich. „Das ist für mich ultra schlimm. Ich finde man sollte nie im Streit schlafen gehen. Wahrscheinlich habe ich damit schon Grenzen übertreten, in dem ich unbedingt auf der Stelle den Konflikt klären wollte. Im Streit steht bei mir alles still, man befindet sich in einem luftleeren Vakuum voller Anspannung, die man unbedingt lösen will.“ Dieses Empfinden von Machtlosigkeit stecke für die Musikerin auch hinter der Bedeutung des Songs. Das zerrende und von Ungeduld geplagte Gefühl, wieder in Frieden bei einander sein zu wollen verpackt in Nostalgie getriebenen Wave-Pop. „Aber auch wenn ich mir die politische Lage anschaue, fühle ich mich machtlos. Ich heule viel, ich bin wütend. Man möchte das ganze einfach voranbringen und den Weg zum Guten schneller finden.„
MODULAR erwähnt nebenbei im Gespräch, dass sie auch mit ihrem Vater Musik macht und aufnimmt. Natürlich interessiert mich, wie die gemeinsame Beziehung sich darin verhält. Vor allem, wenn man intime Songs und Geschichten zusammen verarbeitet. „Es ist krank geil„, entgegnet sie lachend. „Wir haben es geschafft uns beide aus den Eltern-Kind-Rollen zu emanzipieren. Im Studio sind wir nicht Papa und Tochter, aber obviously kennen wir uns trotzdem sehr gut. Wir sehen uns als ebenbürtig.“ Das sei manchmal leichter und manchmal schwieriger, entwickle sich aber immer mehr auf dieser schönen und gesunden Ebene auf Augenhöhe.
Der größte und wichtigste Unterschied der ersten und zweiten EP sei der emotionale Zugang zu MODULAR selbst. „Ich finde Stillstand ist der Tod, deshalb bin ich sehr froh, dass mein Sound, aber auch der Zugang, ehrlicher und emotionaler zu schreiben, sich so weiterentwickelt hat.“ Auf die Frage, ob sie sich selbst der sogenannten Neuen Neuen Deutschen Welle Bubble zuordnen würde, wie ihre Musik oft kategorisiert wird, beschreibt sie: „Die damalige Neue Deutsche Welle war nie eine einzige Musikrichtung, das war eine Bewegung cooler deutschsprachiger Musik. Genretechnisch gibt es das einfach nicht, auch jetzt nicht. Nils Keppel macht zum Beispiel ganz andere Musik als Serpentin. Und das ist auch das, was jetzt passiert: Es gibt einen Boom cooler Musik auf Deutsch. Ich finde es aber schwierig und doof, wenn mir jemand anderes von Außen ein Label aufrückt. Prinzipiell finde ich das eine ultra geile, liebe Community und Bubble. Aber ich habe den Anspruch als Künstlerin, immer weiter zu gehen. Es wäre schade, sich an einem Punkt fest zu fahren. Ich versuche mich weiterzuentwickeln, denke aber das Label NNDW wird weiter bleiben. Das ist auch in Ordnung, ich kämpfe nicht mit Fäusten dagegen.“
MODULARs am meistem gestreamter Song ist ein Cover von Joachim Witts 80er Jahre Hit Goldener Reiter. Ich erzähle von jemandem bei einer kürzlich besuchten Lesung zum Thema Neue Deutsche Welle, der behauptete, was jetzt in der deutschen Musik passiert, ist nicht zu vergleichen, weil keine Rebellion stattfindet. Wir sind uns beide bewusst, dass die Fußstapfen von Grauzone und co. unfassbar große sind. „Ich glaube die Form der Rebellion ist eine andere geworden. Du kannst nicht mehr wirklich mit Musik aufstoßen, weil es so ein Überangebot an verschiedener Musik gibt„, erklärt MODULAR. „Klar sind wir als Musiker*innen in unserer Kunst als Gesamtheit wesentlich unpolitischer, als die Bands der NDW damals. Aber vielleicht ist es für eine männlich gelesene Person schon eine Form von Rebellion über ihre Gefühle zu singen, weil das halt nicht easy ist. Außerdem gehen wir als Bubble weg von diesen Überproduzierten Mega-Popsongs der fettesten Produzenten, sondern gehen alleine mit Laptop in unser Schlafzimmer für Songs. Das ist auch Rebellion, nur zu einer anderen Thematik. Ich finde es aber auch sehr schön, wenn Leute sich nicht nur mit sich selbst in ihren Texten beschäftigen, sondern auch politisch aufschreien.„
Abschließend frage ich die Musikerin traditionell nach einer untold Story, also einem Geheimnis oder einer Geschichte, die sie noch nicht öffentlich erzählt hat. Nach einem lustigen Hin- und Her wird es doch unerwartet ernst. „Ich bodyshame mich übelst, wenn ich auf der Bühne stehe. Oft sehe ich Videos und Fotos von Auftritten und denke ‚Wie siehst du denn aus? Sowas kannst du nicht mehr anziehen‘. Ich bin super gerne extrovertiert auf der Bühne, ich liebe es aufzutreten. Aber in so vielen Fällen mache ich mich danach total für mein Aussehen runter. Solche Gedanken sind auf jeden Fall ein Aspekt, den ich versuche zu ändern. Aber gerade als Person des öffentlichen Lebens, die von Fremden gefilmt wird, denke ich mir währenddessen ‚Seh ich da gerade gut drauf aus? Ist mein Bauch eingezogen? Ist meine Schokoseite im Licht?‘, obwohl ich mich eigentlich freue, wenn jemand mich cool findet und filmen möchte. Ich glaube, das wissen die meisten nicht, dass ich damit auch viele Struggles habe.“ Wir stellen beide fest, dass auch das leider wieder auf internalisierte Misogynie zurückzuführen ist. „Niemals würde ich solche Gedanken über andere Künstler*innen auf der Bühne haben, nur über mich selbst. Das nervt, aber ich denke, ich bin da in einem guten Prozess. Wir sollten einfach mal darüber reden, dass es sich nicht immer geil anfühlt, auf einer Bühne vor Menschen zu stehen.„
Ich bin gespannt, was von MODULAR noch auf uns zu kommen wird. Aktuell ist sie auf Trümmer dieser Stadt-Tour durch Deutschland, hat seit der EP jedoch schon zwei weitere Singles in neuem Soundgewand veröffentlicht. Es ist klar – Die Zukunft ihrer Musik wird vielseitig, aber stets unfassbar schön.