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Tom Taschenmesser mit Debüt-EP “Verstehst du nein gut”

Tom Taschenmesser, verstehst du nein gut, EP, review, untoldency, untold music, indie, post punk, singer, songwriter, Credits Lea Dinger

„RATATATA – Hört sich gut an. Es ist sehr laut, aber ist geil – Lass so“. Das sind die ersten eindrucksvollen Worte der jetzt erschienenen „Verstehst du nein gut“-EP des Wuppertaler Musikers Tom Taschenmesser. Eine alles in Grund und Boden rauschende EP voller Lofi-Sound und Wut im Bauch. Mit den drei Singles „Meine Schwestern“, „Maury“ und “Niemand kann alle sein” hat sich im Vorfeld schon ein recht detailgetreues Stimmungsbild dieser EP ergeben, die zwei weiteren Songs ergänzen den verschrobenen Style in Perfektion. Immer auf der Suche nach der Schönheit in ihrer hässlichsten Verkleidung, fließen Toms Texte und Songs wie in einem Bewusstseinsstrom flussabwärts.


Kampfansage

„Meine Schwestern“ beeindruckt mich schon, bevor der Song überhaupt angefangen hat. Die absolut wache und irgendwie dauergereizte Stimme von Tom Taschenmesser führt in seinen Opener ein, der mir ab der ersten Sekunde eine Gänsehaut verpasst. Hier wird nicht um den heißen Brei geredet, denn es geht thematisch direkt zur Sache. Feministisches Empowerment ist zwar im Moment in aller Munde, aber bei „Meine Schwestern“ kriegen wir es alle noch mal gehörig auf die Fresse. Pardon, da ist es glatt mit mir durchgegangen. Mir steht dieser Stil vielleicht nicht so, aber Tom schafft es, zu singen wie er spricht. So scheint es zumindest.


“Junge was weiß ich, Bruder was weißt du
Von unerzogenen, räudigen Hunden
Von ungezähmten, hungrigen Hyänen
, von giftigen Insekten
Die allesamt vergessen, dass sie sterben wenn sie stechen”


Das Mitglied des Indiekollektivs die neue leichtigkeit ruft zum Kampf auf, gegen das Patriarchat, gegen toxische männliche Strukturen in unserer Gesellschaft und gegen die enorme Gewalt gegen Frauen. Solidarität, ohne Geheuchel und ohne Geltungssucht, so wie ich sie mir viel häufiger von Männern wünschen würde. Seine derbe und ungehobelte Sprache hinterlässt dabei Splitter im Gehörgang. Die Band tut es ihm gleich und fetzt ein dissonantes und schweres Brett raus. Und trotzdem, sein Stil ist nicht vulgär oder daneben. Man kann seinen Ekel in jedem Wort hören und er kotzt einfach nur aus, was ihn ankotzt.


Von den Verlorenen und Vergessenen

Die „Verstehst du nein gut“-EP besticht weiterhin mit gekonntem Storytelling. Als wäre man live dabei, erzählt uns Tom Taschenmesser im Song „Verzeih Dir deine Schönheit“ zum Beispiel von Besuchen in einer psychatrischen Klinik. Das bedrückende Gefühl der Ohnmacht, das man als Besucher verspürt, wenn man Freunde oder Bekannte in solchen Einrichtungen besucht, wird hier sehr eindringlich transportiert. Und es trifft – wieder einmal – den Nerv der Zeit, denn psychische Erkrankungen und vor allem deren Gewichtung sind so präsent wie nie zuvor. Trotz der doch irgendwie sehr traurigen Story des Songs, gelingt es Tom, mir am Ende doch noch ein Lächeln zu entlocken und mir wenigstens den Apfelkuchen in der Cafeteria des Krankenhauses schmackhaft zu machen. Hier ist wirklich jeden Wort an der richtigen Stelle.

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Ein Grund, warum ich dieser EP so gerne zuhöre, ist der Gesangsstil von Tom Taschenmesser. Von „Gesang“ im klassischen Sinne kann hier schon eigentlich keine Rede mehr sein, denn sein Stil ist sehr viel brutaler und dadurch ehrlicher im Vergleich zu anderen Singer/Songwritern. Er spuckt mir seine Worte vor die Füße und ich lese wirklich jedes gerne auf. Wie auch im Song „Maury“. Hier werden Lebenssequenzen eines „Wuppertaler Originals“ mit schnellen und präzisen Bildern erzählt. Durch den Sound der Band, der hierbei noch kräftiger und dreckiger ausfällt als zuvor, gestaltet er eine authentische Slow-Retro-Rock Kulisse für den „Tunichtgut und Taugenichts“ namens Maury.


“Und wenn man ihn so sieht
Wünschte man sich irgendetwas müsste doch mit ihm passieren
Irgendetwas anderes als das hier”


Jeder ist viele, aber niemand kann alle sein

Wo man herkommt und in welchem sozialen Milieu man aufgewachsen ist bzw. lebt, beschäftigt den Song „Niemand kann alle sein“. Auf feinfühlige, lyrische Art verknüpft er hier Situationsminiaturen glaubwürdig und authentisch miteinander und stellt uns auf subtile Weise die Frage, welche Bedeutung das ganze überhaupt hat. Und ob wir uns selbst vorgaukeln können, etwas oder jemand anderes zu sein als die Summe unserer Lebensumstände. Das alles fast schon fotorealistisch, aber auf jeden Fall so, dass ich zu jeder Zeile instant ein konkretes Bild vor Augen habe. Musikalisch geht es hier gefühlt das erste Mal auf der EP ruhiger und gelassener zur Sache, als hätte die Wut in den vorherigen Tracks ihre Hörner abgestoßen.

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Die EP beendet Tom Taschenmesser mit einem schnulzigen Liebeslied. Nein, das ist natürlich Quatsch. Denn was er auch singen mag, es ist niemals kitschig oder pathetisch. Selbst wenn er aus „Rosen sind rot, Veilchen sind Blau“ einen Song machen würde. Oder einen über das Ende des Lebens, wie das letzte Stück „Brügge“. Hier schlägt er einen Bogen zum Film-Klassiker „Brügge sehen und sterben“. Dort wird die wunderschöne belgische Stadt Brügge als ein „must see before death“ glorifiziert. Falls ihr diesen Film noch nicht gesehen habt, hier nebenbei meine unbedingte Empfehlung. Ich dachte bei diesem Song ganz ehrlich kurz „Rio, bist du es?“, weil die Artikulation und die Attitüde in der Stimme von Tom mich so sehr an Ton Steine Scherben und Rio Reiser erinnert hat. Der Song fragt uns zum Ende der EP hin eine wirklich heikle Frage, nämlich die nach der Zufriedenheit im eigenen Leben. Aber wenn ich die jetzt für mich beantworten soll, lest ihr morgen noch. Deswegen lasse ich euch mit dieser schönen Frage und der schönen EP jetzt allein.


Fazit

Ja, was soll ich sagen!? Wir haben hier eine im besten Sinne laute, dissonante, instrumental chaotische Debüt-EP mit einem wirklich wirklich charismatischen Sänger und Songschreiber. Interessante Gitarrenriffs- und Voicings, brachiale Drums, schmetternde Basslines. Allerdings findet man auf „Verstehst du nein gut“ ebenso melancholische Balladen, bei denen man ein Tränchen verdrücken kann. Die Mischung macht’s! Und ja, das ist auf der Kürze der Strecke wirklich sehr gut gelungen. Tom Taschenmesser erzählt uns aus seiner Debüt-EP von all den Dingen, die alle anderen rausretuschiert hätten. Thematisch absolut aktuell und dennoch zeitlos, kickt uns diese EP von hinten in die Kniekehlen. “Verstehst du nein gut” hinterlässt einen bleibenden Geschmack mit Suchtfaktor.


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Fotocredits: Lea Dinger, Philipp Czampiel, Jonathan Ungemach (Layout)

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