Ladies, Gentlemen, nonbinary sweethearts – heute gibt’s einen Künstler, der sich Stück für Stück in unser Herz gestohlen hat und jetzt vielleicht darin lebt. Tóke kommt musikalisch eigentlich aus dem Reggae, findet sich aber stetig im Selbstfindungsprozess und ist jetzt bei einer Mischung aus R’n’B und Soul gelandet, die sich gut als „feel good vibes“ zusammenfassen lässt. Wir haben ihn passend zu seinem EP-Release von „The Art Of Letting Go“ zum Interview eingeladen und viel über seinen musikalischen Weg gesprochen, die Themen, die er in der EP verarbeitet hat und wie er als Künstler mit der Pandemie umgegangen ist (kontroverser Clickbait: „2020 war das beste Jahr, was ich seit langem hatte“).
Tóke im Interview
Anna: Hey Marco, freut mich, dass es endlich geklappt hat! Wie geht’s dir, wie war dein Tag?
Tóke: Hey! Ich hatte einen sehr schönen Morgen, hab mit Majd, meinem Mitbewohner, der der krasseste Koch ist, ein richtig geiles arabisches Frühstück gemacht. Das war schön (lacht).
Anna: Für die, die dich jetzt erst kennenlernen: Wer ist Tóke und welche Musik macht er?
Tóke: Ich bin Tóke, Singer-Songwriter aus Indonesien/Norddeutschland. Ich bin erst so mit Reggae-Mucke in die Musikszene gekommen und jetzt nach und nach dabei, meinen eigenen Sound zu finden. Die EP, die jetzt rauskommt, ist sozusagen ein weiterer Schritt auf diesem Weg.
Anna: Ich hab dich erst dieses Jahr entdeckt, aber du machst schon viel länger Musik, deine Diskografie reicht bis 2014 zurück. Wie bist du zum Musikmachen gekommen?
Tóke: Ich bin Indonesien geboren und mein Vater ist auch Musiker, auch wenn er es nie professionell gemacht hat. Eigentlich sind wir uns voll ähnlich, er spielt Gitarre und singt, aber er ist da zu konservativ gewesen, um das mehr zu machen. Aber eigentlich bin ich durch ihn zur Musik gekommen. Ich glaub, je älter ich werde, desto mehr check ich, wie musikalisch eigentlich mein Umfeld war, was Familie anbetrifft. Und ich merk erst jetzt, wie sehr mich das geprägt hat. Obwohl sie in einigen Hinsichten sehr liberal und offen sind, sind sie in anderer Hinsicht sehr Leistungsgesellschafts-mäßig unterwegs gewesen. Ich hab das so ein bisschen aufgebrochen (lacht).
Aber ja, das war ein sehr musikalisches Umfeld und dadurch hab ich überhaupt das Verständnis für Harmonien und Songs schreiben bekommen. Und das hat sich voll verstärkt, als ich mit 9 nach Deutschland gezogen bin. Mit 13 gings schon los, dass ich meine erste Ska-Punk Band hatte. Und wir haben echt viel gespielt auch! Ich bin ja in Buxtehude aufgewachsen und wir waren damals so voll Ding in der Stadt, weil wir so voll jung waren alle. Und wir haben dann so vor 200 Leuten zwei Abende hintereinander im Jugendfreizeithaus gespielt. Dann hab ich irgendwann angefangen, Hip Hop Beats zu bauen und so ist die Palette gewachsen an musikalischen Einflüssen.
Und Reggea kam dann irgendwann richtig krass reingesebelt durch einen Freund, der mich auf ein Festival mitgeschleppt hat. Das Reggea Jam, weiß nicht, ob du davon mal gehört hast, ist unter den Reggea Leuten in Deutschland und Europa eigentlich das beliebteste Festival. Und ich hab mich dort so hart in die Mucke verliebt. Dieser ganze Vibe hat mich reingezogen, bis zu dem Punkt, dass ich zwei Mal auf Jamaica war.
Anna: Das hört sich an wie eine große Liebe.
Tóke (lacht): Ja, mega! Ich hab eine ganz krasse Beziehung zu Reggae, die wird auch nie weggehen, aber meine Palette erweitert sich halt, und das find ich auch cool.
Anna: Und jetzt bist du hier.
Tóke: Jetzt bin ich hier. Die EP ist eigentlich voll der Ausdruck dieser Reise. Für mich ist das der erste richtige Schritt der „Öffnung“, wodurch ich auch einfach mit ganz anderen Leuten ins Gespräch komme, wie mit dir zum Beispiel. Und das ist auch gar nicht strategisch oder so von mir gewesen, sondern einfach, dass ich diese Seite von mir präsentieren wollte. Weil so Songs wie Brown Face oder I Don’t Know, das bin voll ich! Das hab ich voll gefühlt beim Schreiben und Singen (lacht). Und das ist halt voll schön, weil ich das vorher vielleicht ein bisschen unterdrückt hab, vielleicht aus Angst vor Reaktionen oder so.. Und jetzt ist halt das Loslassen dieser Ängste.
„Wir suhlen uns in dem Gefühl der Sicherheit.“
Anna: Hammer Überleitung. Die EP heißt ja „The Art Of Letting Go“ und beschäftigt sich ja mit genau dem: der Kunst, loszulassen. Wenn auch gerade schon angedeutet: Was genau lässt du los?
Tóke: Ganz vieles und jeden Tag immer wieder was. Deshalb fand ich auch den Titel so spannend. Wir sind eigentlich jeden Tag damit konfrontiert. Wir wachsen mit so einer Idee auf, dass es Sicherheiten und Dinge gibt, die nicht veränderbar sind. Und dann gewöhnen wir uns da dran und mögen dieses Gefühl der Sicherheit, suhlen uns so ein bisschen darin. Und dann gibt es aber immer wieder Situationen im Leben, die dich halt so voll aus der comfort zone holen.
In dieser EP lass ich von alten Beziehungen los, von Vorstellungen, wer ich sein kann und wer ich nicht sein kann, sowohl persönlich als auch künstlerisch. Im Prozess gabs immer wieder diese Momente, wo ich vom Künstlerego loslassen musste, weil ich mich so sehr an ne Idee von einem Song gewöhnt hatte. Wenn irgendein Änderungsvorschlag von außen kam, hat mein Künstlerego direkt die Zähne gefletscht, „bloß nicht, was willst du, das ist mein Baby!“ (lacht). Aber jetzt bin ich total happy damit, wie die Songs geworden sind.
Anna: Als erste Singleauskopplung kam „I Don’t Know“, ein entspannter Roadtrip-Song, auf dem du das „sparkly, tingly feeling of the magic of the first morning after” beschreibst. Was bedeutet der Song für dich?
Tóke: Der Song ist ganz krass mit der Person verbunden, mit dem ich ihn geschrieben habe. Es ist halt genau dieser Vibe, wenn man am Morgen aufgewacht ist nach einem ersten Date, einer ersten intimen Erfahrung, wo es so voll Schmetterlinge ist, aber weiß halt noch nicht so. Und dann kommen die Ängste ins Spiel, Ängste, sich in etwas zu verlieren, vor Bindung, die glaub ich viele Menschen haben, gerade in Berlin (lacht). Das ist halt genau dieser Vibe, wo man nicht genau weiß, wohin geht die Reise. Diese Spannung einfach.
„Jeder Gedankenanstoß verändert schon die Lebensrealität von Menschen.”
Anna: Die nächste Single war „Brown Face“, da hab ich schon ein paar Worte zu niedergeschrieben, deshalb weißt du ja, wie ichs finde – nämlich wahnsinnig gut, immer noch. Die Single schien aber auch neben mir viele andere Leute zu begeistern – wie war das Feedback, was zu dazu bekommen hast?
Tóke: Ich hab jetzt länger nichts released, ich war generell gespannt, wie Feedback ist. Aber die Qualität ist jetzt besonders, weil ich noch deepere Themen anspreche als vorher. Und „Brown Face“ ist auf jeden Fall ein Beispiel dafür, weil ich nie über Rassismus-Erfahrungen gesprochen hab in meiner Musik. Und dementsprechend hat der Song unterschiedliche Leute, vor allem von Rassismus betroffene Menschen, auf ‘ner ganz besonderen Art getouched. Es sind richtig Gespräche entstanden dadurch – und das war so ne Qualität, wo ich gedacht hab „wow“. Es war krass. Ich hab von allen Teilen der Welt so Nachrichten gekriegt. Meine indonesische Cousine aus Australien hat mir so voll die lange Sprachnachricht geschickt, sie wusste das alles gar nicht, und wir sind dann gemeinsame Erfahrungen durchgegangen. Ich war sehr ehrfürchtig vor der erneuten Erkenntnis, was Musik machen kann. Ich merke wie der Song Leute berührt hat und wie er mich berührt.
Anna: Das ist ja auch viel mehr wert.
Tóke: Voll! Und es hat mich voll motiviert auch andersrum. Man sagt immer so „Musik hat voll die Kraft, Dinge zu verändern“, voll die Phrase, aber es ist halt real. Und jeder Gedankenanstoß, den es gibt, verändert schon die Lebensrealität von Menschen.
„Der Song bietet die Möglichkeit, dass Leute mit Fluchterfahrungen mehr individualisiert werden.“
Anna: Auch deine aktuelle Single „The Sun Has Died“ behandelt ein dir sehr am Herzen liegendes Thema. Kannst du erzählen, worum es in dem Song geht und was dich inspiriert hat?
Tóke: Mein Mitbewohner, der Majd, kommt aus Syrien und ist seit 2015 hier in Deutschland. Wir leben seit eineinhalb Jahren zusammen, sind extrem tight geworden in der Zeit. Es ist natürlich nicht so, dass ich mich davor nicht mit der Thematik Flucht befasst hab. Aber ich hab keinen Zugang gefunden. Vielleicht waren auch meine Position oder Gedanken dazu nicht geordnet genug, aber ich wusste, dass ich das Thema Flucht behandeln möchte. Es ist mega wichtig, dass wir weiterhin über diesen grundsätzlichen krassen Missstand sprechen, dass es so wenig Support gibt für Leute auf der Flucht. Und dadurch, dass Majd und ich so tight wurden, hab ich natürlich einen ganz anderen Zugang gekriegt, weil ich jetzt sehr hautnah mitbekommen, was eigentlich die Implikationen sind von so einer Situation.
Es ist halt so layered, weißte, es ist halt nicht nur „ich mach eine Reise, die krank anstrengend ist“, sondern „was mach ich mit meinem Job, kann ich hier arbeiten, Sicherheit, wie geht’s meiner Familie,..“. Es sind so Sachen, die sich ansammeln zu nem Hardcore-mega-krank-schweren-und-unsichtbaren Rucksack für Leute, die geflüchtet sind. Das sieht man halt häufig nicht. Vor allem in der medialen Darstellung, wie abfällig Leute teils darüber sprechen, ist furchtbar. Das geht schon so hin zu Sarkasmus und Zynismus, während das halt wirklich Individuen sind mit eigenen Geschichten, eigenen Persönlichkeiten, über die da gesprochen wird. Und deshalb wars mir wichtig, da was beizutragen.
Bevor ich Majd kennengelernt hab, hab ich angefangen, den Song zu schreiben, und der hat sich dann verfestigt, als er hier eingezogen ist. Es war mir wichtig, auch seine Perspektive zu haben. Darum geht’s. Ich glaube, der Song bietet die Möglichkeit, dass Leute mit Fluchterfahrungen mehr individualisiert werden. So bisschen wurde der Song auch zusätzlich inspiriert von dem Song von Max Herre, Sans Papier.
Anna: Krasser Song!
Tóke: Voll! Ich hab echt richtig krass Tränen in den Augen gehabt, als ich das Video gesehen und den Song gehört hab. Der schlägt ne ähnliche Kerbe, hat die gleiche Absicht, diese Situationen zu vermenschlichen. Ist krass, dass man das noch machen noch, aber ist halt einfach leider nötig.
„Ich möchte Tag für Tag versuchen, was ich so machen kann.“
Anna: Ich kann mir vorstellen, dass du die Songs auch einfach unfassbar gerne live performen würdest. Wie geht’s dir gerade inmitten all dem Chaos, das 2020 anfing, sich über ein halbes Jahr Halb-Lockdown zog und jetzt mit der Bundesnotbremse geendet ist? Wie gehst du als Künstler damit um? Und was hilft dir, hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen?
Tóke: Also… Ich splitte mal die Frage eben auf. Wie’s mir ging die ganze Zeit: unterschiedlich. Das erste Jahr, 2020, davon ausgehend, dass ich hier in der privilegiertesten Position bin, war das beste Jahr, was ich seit letzter Zeit hatte. To be real honest. Ich für mich persönlich. Weil, ich hab gemerkt, wie sehr mit dieses FOMO (Fear Of Missing Out) in Berlin zu schaffen macht und das war weg.
Anna: War ja nichts (lacht).
Tóke: War ja nichts! Eben. Und ich hab dann erst gemerkt, wie sehr mich das gestresst hat. Und das hat einfach so eine Tempo-Verlangsamung gebracht. Die Luft war auch so viel besser in Berlin! Vor allem nach so 1-2 Wochen Lockdown im März, es war ruhig! Keine Autos, die Noise-Pollution war runtergeschraubt, und alle hatten so voll das langsame Tempo. Und dann halt zusätzlich zu dem Ding, dass du eh nicht reisen kannst, du bist sozusagen gezwungen, für dich in Ruhe zu sein und wenig zu machen. Ich meditier schon ne Weile und so und das hat den Vibe haart verstärkt bei mir (lacht).
Aber ja, ich bin so hart in so’n Gratitude-Mode gekommen, in dem Wissen, wie krank privilegiert ich eigentlich bin. Und daraus hat sich irgendwie so ein Flow ergeben. Dann kam das mit der EP, wo klar wurde, okay ich bin jetzt eh hier, jetzt hab ich die Zeit. Ich war so sehr in meiner Mitte 2020, richtig krass. Richtig klar wissend, wo ich bin, wer ich bin, wie ich sein möchte,…
Ich hab auch so den geilsten Urlaub gemacht, den ich seit tausend Jahren gemacht hab. Ich bin einfach spontan alleine mit nem Mietwagen an die Ostsee gefahren. Das waren so zwei Tage, die waren richtig geil warm. Ich war da an so nem Strand, voll schön, und hab denn da zwei Nächte alleine am Strand gepennt. Mit Sonnenaufgang auf und mit Sonnenuntergang wieder einschlafen. Ey… wenn ich dir Bilder zeigen würde! (lacht) Es war so ne krasse Erfahrung.
Und dann halt Richtung Lockdown Light und so, Richtung Winter, wuchs so ein bisschen das Unverständnis für warum wir nicht einfach krasser durchgezogen haben. So’n gewisser Überdruss, was glaub ich sehr viele gerade spüren. Es ist ne ganz dolle Herausforderung gerade für jede einzelne Person glaub ich, zu versuchen, im Moment zu sein und eben nicht, anspielend auf deine Frage, zu sehr in die Zukunft zu gucken. Was hatten wir schon für Zukunftsprognosen seit Beginn dieser Zeit? Erst dachten wir, ist im Sommer zu Ende, dann spätestens im Winter. Ohne jetzt schwarzmalerisch zu sein, wir kommen da wieder raus und ich bin auch grundsätzlich optimistisch und freu mich drauf. Es wird ne Zeit danach geben und die ist hoffentlich auch nicht allzu lang hin, aber ich möchte halt keine falschen Erwartungen haben und einfach Tag für Tag versuchen, zu gucken, was ich so machen kann. Ausharren so ein bisschen.
Anna: Damit sind wir auch schon bei der Abschlussfrage. Was ist deine untold story, etwas, das du noch nie in einem Interview erzählt hast?
Tóke: Uhh, das ja ne mega schwierige Frage (lacht). (überlegt). Ich war in Indonesien auf einem Neujahrskonzert als Special Guest. Die Bühne war so ein Whiteboard-Belag und ich hatte so nice Clarks-Schuhe an, die hatten aber so ne Gummisohle und waren hart rutschig. Und da ruft er mich so auf die Bühne „ahh are you ready for Tóke?!“ und ich komm auf die Bühne gehüpft und rutsch aus. Erster Step auf die Bühne, ich rutsche aus, vor fucking 5000 Leuten. Also ja, ich bin vor sehr vielen Menschen auf die Fresse gefallen und hab mich dann versucht, durch die Performance zu quälen, weil das war so rutschig, es war wie als wenn du auf Eis stehen würdest! War ein Erlebnis (lacht).
Wen Tóke trotz Blamieren vor 5000 Leuten hier für seine Musik abwerben konnte, darf in diese wunderbare EP reinhören:
Fotocredit: Alex Kleis, Gavi Ravi