Der neueste Stern am deutschen Musikhimmel: Tilman
Die, die Ahnung haben, haben die junge Band aus Bad Neustadt an der Saale schon eine Weile auf dem Schirm. Aber jetzt gibt es endlich frische Ware. Ihre Debüt EP „Blume im Grau“, produziert von Christian Stapff, ist kürzlich erschienen und ist alles andere als farblos.
Anfang 2020 starten Sänger Tilman Kerber und Gitarrist Fabio Schmitt das Projekt. Im Oktober letzten Jahres stößt dann Peter Diestel als Schlagzeuger dazu und gibt der Truppe eine ganz neue Dimension. Und schon jetzt merkt man: Das hier wird gut. Das hier wird groß.
Was die Musik für mich so besonders macht, ist die Tiefe, die sie erzeugt. Vor allem der charismatischen Stimme von Tilman geschuldet. Mit der könnte er mir meine Steuererklärung vorlesen und ich würde wahrscheinlich dahinschwinden. Von Indie-, Pop- und Jazzmusik beeinflusst, erzeugt die Band mit einfachen Instrumenten atmosphärische Klänge, die emotional und gleichzeitig ernst wirken. Erinnert mich ein klein wenig an Sizarr (*eine Träne fließt*).
Nachdem Tilman den Support für Jeremias im September 2020 in Würzburg gespielt haben, wurde auch hier – im Jugendkulturhaus Cairo – die neue EP aufgenommen. Hach, auch ich habe hier schon so viele Nächte und Künstler gefeiert. Mein unterfränkisches Herz schmilzt dahin (*die nächste Träne fließt*).
Die Stimme, die mich lieben lässt, redet mich so heimlich klein
Bei der energiereicheren Single der EP ist sogar der kleinste Tanzschwung mit drin. Obwohl das Thema ein ganz schweres ist. Tilman singt in “Zeit verrannt” über seinen Selbstzerstörungsdrang und die Ambivalenz in seiner Seele. Einerseits predigt man, dass man sich selbst liebt und möchte sich feiern, aber kann sich in der nächsten Sekunde selbst zu Nichte machen.
Ich glaube, die meisten von uns kennen es: Man vergleicht sich mit anderen, möchte ihnen gefallen und statt Stärken und Gemeinsamkeiten zu sehen, fallen einem nur die Schwächen und Unterschiede auf. Man verliert sich völlig und trägt seine Unsicherheiten in jede Situation mit rein. Das Ende des Songs geht nahtlos in den Nächsten um. Tilman hat Land gefunden, auf dem er stranden kann und widmet den nächsten Song seiner Blüte.
“Dein Blumenduft bringt mich zum Blühen, ich mich leise fallen lass.”
Unbeschwerte Leichtigkeit
Und damit setzt „Zuckersüß“ ein. Auch was ganz Besonderes. Die erste veröffentlichte Single und gleich absolutes Gold. Eine hingebungsvolle, aber doch irgendwie schwermütige Liebeserklärung. Das macht es so wunderschön.
Malte Huck, ehemaliges Annenmaykantereit Mitglied, hat die Jungs als Bassist auf der ganzen EP unterstützt. Der Bass kreiert diese sphärischen Klänge, die sicher das Kennzeichen von Tilman werden.
Und die Blicke trafen sich
Mein Standout Song ist „Blume im Grau“, pure Gänsehaut. Der Song beschreibt den Moment, wenn sich der Blick zweier Geliebten trifft und die leise Ahnung einsetzt, dass sie wohl beide mit der ganzen Sache noch nicht abgeschlossen haben. Das ist jedenfalls meine Interpretation dazu. Mit den sanften Drums und fernen Gitarrenklängen fühl ich mich in eine Art Traumwelt katapultiert.
“Und bei jedem Blick geht das nicht lieben nicht.”
Zwischen vorsichtig sein, nicht zu viel zulassen wollen und sich sofort wieder hingeben wollen. Ein mehr als gelungenes Zusammenspiel zwischen den ruhigen Strophen und dem dynamischeren Refrain, in dem man sich dann doch hilflos den Gefühlen überlassen fühlt.
In Sicherheit wiegen
In „Kurz vor der Frage“ wird der Zwiespalt noch größer und realer. Das ständige Hin und Her zwischen: ‚Wage ich den Schritt jetzt oder wage ich ihn nicht’. So erwachsen manche von uns auch sein mögen, Gefühle wirbeln uns immer wieder auf. Tage und Nächte voller zerstreuter Gedanken.
Und dann fasst man sich ein Herz, gibt der Verletzlichkeit Raum und denkt, man wäre bereit, dem Gegenüber seine Gefühle zu gestehen. Und zieht dann doch zurück, weil man die Reaktion des anderen abwartet. Sicherheit siegt über Risiko.
Plot Twist
Der letzte Song „Trau dich” bildet den optimalen Abschluss für diese Liebeszwickmühle. Man hört nur Tilmans tiefe Stimme und ein Klavier in dumpfen Tönen. Ich finde, den Song kann man unterschiedlich deuten, aber für mich ist es quasi ein musikalischer Plot-Twist. Der Protagonist entscheidet sich seinen Gefühlen nachzugehen, was aber kein gutes Ende nehmen soll. Anders als man sich vielleicht erwartet oder erhofft hat. Ich wage den Gedanken, dass die ‚Blumenwiese‘ vom Anfang schon von Anfang an der eigentliche Grund für die Selbststörung war.
“Trau dich oder trau dich nicht
Ist ein Kuss schon zu viel
Gibst du dich jetzt schon auf
Siehst du wie ich ins lodernd Feuer lauf“
Für mich ist das Debüt rundum gelungen. Man will einfach bloß die Augen schließen und sich verlieren. Die Platte lässt mich mehr als zufrieden zurück und macht unglaublich Lust auf alles, was da noch so kommt. Und da wird viel kommen, da bin ich mir sicher. Ich nehme dann auch gern eure Wetteinsätze entgegen, danke.
In naher Zukunft könnt ihr euch jedenfalls auf das Release Konzert aus dem Cairo am 01.05.2021 freuen, das gibts dann als Stream. Und am 02.07.2021 dann hoffentlich auch live in Person im wunderschönen Würzburg (ja, als gebürtige Würzburgerin bin ich biased, sorry).
Fotocredits: Christian Stapff