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Tech-Milliardär statt Rockstar: UWE mit “Junge Milliardäre”

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Mit der im Oktober veröffentlichten Single Junge Milliardäre karikieren das Duo UWE aus Hamburg eine absurde Parallelwelt der Reichen und Schönen mit feiner Ironie und verpacken Kapitalismuskritik in einen sommerlichen Mambo, der sogar meine Weißwürste von Beinen zum Zappeln bringt.

Die schwarzen Ritter des 21. Jahrhunderts

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Im Song der Band UWE ist es nicht etwa der Erlkönig, sondern die jungen Milliardäre und Entrepreneure, die ihren Streifzug vorbereiten. Und in deine Stadt kommen, um Deals auszuhandeln und ganz casual mit dir eine Cola an der Pommesbude zu trinken. Die schwarzen Ritter des 21. Jahrhunderts quasi. Die märchenhafte Aufmachung des Textes und das Arrangement des Songs unterstreichen in meinem Kopf die Bilder dieser jungen und erfolgshungrigen Reichen perfekt. Ich stelle mir vor: Kashmir-Pullover um die Schultern gebunden, beige Chinos und sündhaft teure Segelschuhe aus Rochenleder. Das alles zu luftiger Tanzmusik samt World-Touch und Bläsersatz.

Im Musikvideo des Songs sieht man außerdem Elon Musk (wen sonst?) als gelungenen Deep Fake, der von Bandmitglied Jansen verkörpert wird und mit richtig nicen Dad-Tanzmoves an den Start geht. Apropos Deep Fake: Der Sound des Songs kommt mir nach den ersten Sekunden und spätestens nach dem Einsatz der Leadvocals irgendwie sehr bekannt vor. Unter dem Musikvideo finde ich einen sehr passenden Kommentar:

„Wurde Zeit, dass mal wer den
Grönemeyer-Swag moderngentrifiziert.”

“Stella & Sheba official” bei YouTube

Da stimme ich voll zu! Im Song höre ich außerdem auch starke Paul Simon-Einflüsse. Der Eindruck verfestigt sich als ich in der Pressemitteilung der Band lese, dass Bandmitglied „[…] Uwe das Graceland Album von Paul Simon auch ganz gut findet“. Wie ein Fake oder Cover wirkt Junge Milliardäre aber trotzdem nicht, eher wie eine Hommage an einen fast vergessenen Sound.

Das Märchen vom Tech-Milliardär

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Ich mache die Augen zu und sehe sie also vor mir, die jungen Milliardäre. Wie sie lässig tänzelnd an der Promenade entlang schlendern. Wie sie mit einem Handschlag die nächste Investition besiegeln. Ziemlich schnell stelle ich mir dann die Frage, was ich denn eigentlich schlimmer finde. Goethes Erlkönig a.k.a. der personifizierte Tod oder UWEs Junge Milliardäre a.k.a. die personifizierte Geldgeilheit. Ein schauderhaft schönes Märchen, das die beiden Musiker Uwe und Jansen uns hier erzählen. Es wird allerdings noch gruseliger als ich erkenne, dass UWE mit der bildhaften Beschreibung nur ihre Kulisse für ein Gedankenspiel bauen. Dazu passend meint die Band selber:

„Früher wollten die jungen Leute Rockstars werden, heute Tech-Milliardäre.”

Beim ersten Hören dachte ich nämlich noch: Geil! Reichenbashing! Bin ich ganz bei euch. Im weiteren Text geht es primär aber gar nicht um diese skurrile Gruppe der Gesellschaft, denn zwischen den Zeilen ist eine raffinierte Subebene versteckt. Im Chorus steigt der Chor mit ein:

„Ich muss zur Arbeit um sechs Uhr früh,
Muss stehen in der Bahn und brauch’ dringend Koffein
Ich schätz’ es kriegt jeder, was er verdient
Und ich steig’ bald aus aus der Maschinerie“

Oh my God, denke ich, that’s so me. Und ich glaube das bin nicht nur ich, das sind wir doch alle irgendwie. Und dann fängt der Text ganz tief an zu wirken. Denn ich merke, dass hier vom Träumen die Rede ist. Träumen von der nächsten Super-App oder dem nächsten richtig großen Start-Up. Und die Frage, die UWE uns damit unweigerlich stellt, ist:

Wie geil findest du Kapitalismus? Wie geil findest du Geld und den Traum einer perfekten Geschäftsidee?

Denkanstoß (mit Lanze)

Das trifft voll ins Schwarze! Sicherlich sind solche Gedankengänge für einen Großteil der Bevölkerung völlig normal. Aber wer aus dem linksgrünen Milieu (höchstwahrscheinlich auch UWEs Hörerschaft) gibt schon gerne zu, dass man morgens in der Bahn ab und zu dann doch gerne mal von viel Geld träumt, während man zum ungeliebten Job fährt? Und vielleicht auch klammheimlich eine „Entrepreneurin“ mit ‘ner Coke auf einer Parkbank sein möchte, der*die „[…] nie wieder öffentliche Verkehrsmittel benutzen muss und auch die eigenen Kinder und die Kinder der Kindeskinder nicht“, wie in der Pressemitteilung zu lesen ist.

Ich habe mich mit diesem Gedanken jedenfalls schwergetan, erwische mich aber ehrlich gesagt schon manchmal dabei. Hands up, wer noch? Zwinker 😉

Deckel drauf und Fazit

Für mich machen UWE im letzten Teil dann den Deckel drauf. Mit einem fulminanten Aufgebot an Blasinstrumenten geht der Instrumentalteil zum Ende hin dann nochmal richtig ab. Das ist der Moment, in dem ich endgültig die Kontrolle über mich verliere. Und nur noch mit Bastrock bekleidet, das verschwitze Hawaihemd über meinem Kopf kreisend, die Hüften schwingen muss.

Für mich ein absolut gelungener Song. Das ist Kapitalismuskritik, die nicht platt wirkt und nicht mit dem Finger auf andere zeigt. Ich hätte mir diesen Song gerne beim DJ in der Indie-Disko meines Vertrauens gewünscht und ordentlich dazu abgeschwoft. Und wenn die Pandemie vorbei ist, mache ich das auch. Und gebe euch allen einen aus (wenn ich mein Darlehen bekommen habe)!

Mehr Infos zu UWE und ihrer neuen Café Togo EP findet ihr hier.

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Fotocredit: Henning Rogge

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