Heute gibt es mal einen Artikel, der nicht straight aus der untoldency-Redaktion stammt. Denn Annekatrin (ihr kennt sie bestimmt von ihrem Blog abgefreakt.de) hat sich für uns als Gast-Autorin mit Niklas und Christian von RAZZ virtuell zum Interview getroffen und mit ihnen u.a. über ihren Sound, den Entstehungsprozess der im Juni 2021 erschienenen EP „Might Delete Later“ und vergangene Konzerte gequatscht. Das, und warum RAZZ inzwischen wohl ein eher schwieriges Verhältnis zu Fisch haben, lest ihr jetzt.
Das Setting
Es ist ein Donnerstag im Juni 2021, Punkt 11:00 Uhr vormittags. In einem weiß gestrichenen Raum vor einem etwas größer als kniehohen Holzschränkchen, auf dem eine Monstera-Pflanze ihre Blätter in alle Richtungen streckt und kleine Kakteen in Tontöpfen stehen, sitzen zwei Personen auf Stühlen mit gemütlich aussehenden Rückenlehnen. Sie sind für eine dritte Person nur über den Laptopbildschirm zu sehen, durch welchen per Videoanruf ein fast unmittelbar scheinendes Gespräch zwischen den drei Personen initiiert wird.
Die Personen
Niklas Keiser: Sänger, 1/4 der Band RAZZ, bestellt bei Umami immer die Shaolin Bowl.
Christian Knippen: Gitarrist, ebenfalls 1/4 der Band RAZZ, hat noch Tickets für Bon Iver, von dem er hofft, dass es sein erstes After-Pandemie-Konzert wird.
RAZZ im Interview
Annekatrin: Lasst uns mal mit einer etwas banalen Fragen beginnen – Was habt ihr heut zum Frühstück gegessen?
Christian: Spätzle mit Champignon-Rahmsoße! (lacht)
Niklas: … hast du wirklich?!
Christian: Jaa…
Niklas: Wtf, alter?! (lacht) Aber du hast es nicht gekocht, sondern noch von gestern übrig, oder?
Christian: Meine Mitbewohnerin hat gestern Abend gekocht und wir waren so spät zuhause, dass ich keine Lust mehr hatte, was zu essen. Dann hab ich’s halt heute Morgen zum Frühstück gegessen.
Niklas: Ich hatte nur einen Kaffee und ein halbes Käsebrötchen…
Christian: Oah ja, ich hatte das auch in Verbindung mit einem Kaffee! Also Champignon-Rahmsoße mit Spätzle und einen Kaffee dazu.
Alle anwesenden Personen schmunzeln.
Niklas: Annekatrin, was hast du denn zum Frühstück gegessen?
Annekatrin: Haferbrei mit Himbeeren.
Niklas: Das hört sich nach der ausgewogensten Variante von uns dreien an.
Annekatrin: Ja… das mag sein. Aber seid ihr denn sonst gut in den Tag gestartet?
Niklas: Wir waren gestern lang unterwegs, weil wir eine Show und auch ein Interview hatten. Ich war noch bis 1 oder 2 Uhr wach und bin heute Morgen um 7 Uhr wieder aufgestanden. Auf jeden Fall merke ich schon, dass der eine Kaffee noch nicht ausreichend war.
Christian: Also ich fühle mich ganz gut!
Annekatrin: Was war das denn für eine Show gestern?
Niklas: Das war so eine Art Tiny-Desk-Konzert vom Konzept her. Wir waren dafür in Hildesheim und das wurde aufgezeichnet. Also ohne Publikum.
Annekatrin: Und wie lief’s? War’s gut?
Christian: Es war etwas weird, nur in der Zweierkonstellation zu spielen, aber trotzdem ganz cool!
Niklas: Wir haben uns auf jeden Fall einen schönen RAZZ-Buddytag gemacht, Christian und ich. (lacht)
„Wir haben versucht, jeden Song so zu schreiben, dass er mit Klavier und den Vocals gut funktioniert“
Annekatrin: Das hört sich doch schön an! Vor allem nach so langer Zeit mal wieder ein Konzert zu spielen, wenn auch ohne Publikum… Die „Might Delete Later”-EP ist überwiegend im letzten Jahr entstanden, als keine Konzerte möglich waren. Hat es euren Songwriting-Prozess beeinflusst, dass ihr die Songs noch nicht auf der Bühne ausprobieren konntet, um Resonanz vom Publikum zu bekommen? Oder war das überhaupt etwas, das ihr vor Corona für die ersten beiden Alben gemacht habt?
Christian: Ja voll! Die Songs der ersten beiden Alben hatten wir live irgendwann ausprobiert und konnten dann nochmal Sachen verändern, weil wir gemerkt haben, was live gut funktioniert. Das haben wir aber quasi beibehalten, indem wir die Songs immer wieder bei den Proben durchspielen. Wir haben versucht, jeden Song so zu schreiben, dass er mit Klavier und den Vocals gut funktioniert und dann versucht, ihn in das Bandbild reinzubauen, dieses „Drumherum“ zu bilden…
Niklas: (nickt zustimmend) Aber es fehlt auf jeden Fall! Ich finde es gut, die Songs vorher live auszuchecken und direkte Response von den Leuten zu bekommen. Man merkt es auch meistens selbst, wenn man auf der Bühne steht und die Leute gerade mega Bock hätten und ich selbst auch – dann muss da jetzt nochmal so und so ein Part hin. Das fehlt schon ein bisschen. Bei den ersten beiden Alben „With Your Hands We’ll Conquer“ und „Nocturnal“ hingegen haben wir das, was Christian meinte, nicht so krass gemacht – die Songs an sich, wie sagt man, auf Herz und Nieren zu überprüfen. Bei den aktuellen Songs ist uns das ganz gut gelungen, glaub ich. Dass die Songs auch basic funktionieren. Dass man sie nur mit Klavier oder nur mit Gitarre begleiten könnte und dass die Harmonien stimmig sind.
„Es war super erleichternd zu sehen, dass diese Songs funktionieren“
Annekatrin: Auf Herz und Niere habt ihr ja auch den Sound von RAZZ überprüft und in Frage gestellt. Was war das für ein Gefühl, als ihr nach dieser relativ langen Zeit des Experimentierens gemerkt habt: „Das ist es“?
Niklas: Erleichterung! Also ich glaube „1969 – Conrad“ oder auch „Ocean (Without Any Waves)“ waren die Meilensteine bei dieser EP. Aufgrund dieser beiden Songs haben wir gecheckt, dass es das ist, was wir jetzt gerade machen wollen. Obwohl auch vorher gute Songs dabei waren, haben wir vier uns nicht immer zu 100% wohl damit gefühlt. Und deswegen war es super erleichternd zu sehen, dass diese Songs funktionieren. Daraufhin hat sich der Rest entwickelt. Das ging auf einmal relativ fix.
Annekatrin: Stumpft man nicht nach ’ner Zeit ab, wenn man so viele Songs schreibt und sich dann irgendwann mit einem Sound „arrangiert“? Wie bringt ihr da wieder frischen Wind rein?
Christian: Wir hatten sehr viel weirdes Zeug dabei, das wir verworfen haben. Niklas, der schreibt so viele Songs und wenn er mir die zeigt, sage ich manchmal schon: „Ey das ist geil, aber passt nicht aufs neue Album. Heb’ das mal für ein RAZZ-Techno-Projekt oder Keiser-irgendwas-Soloding auf!“ Ich glaube nicht, dass wir da zu wenig Input haben, oder zu wenig Output.
Niklas: Was mir immer ganz gut geholfen hat, ist mit irgendwelchen random Sounds anzufangen. Das ist auch das Schöne, wenn man neues Equipment oder gerade etwas Neues gelernt hat, das direkt einfließen zu lassen. Dabei bleibt man auch inspiriert. Aber wir haben auch nie Probleme gehabt, musikalische Inspiration zu finden. Das Problem ist eher der Text, das habe ich auch in der Corona-Zeit gemerkt. Wenig Input umgehe ich meistens so, dass die Songs mit irgendwas Denglischem anfangen – Hauptsache eine Melodie. Erst wenn wir dann ins Studio gehen und die Songs von uns vorsortiert sind, schreibe ich die Texte, sodass ich nicht mein spärliches Pulver verschieße. (schmunzelt)
„Meine Hoffnung war, dass ich die Songs nach Monaten noch gut finde“
Annekatrin: Jetzt, wo ihr auf das fertige Werk blickt – haben sich eure Hoffnungen, die ihr damit verbunden habt, erfüllt? Oder gibt es vielleicht auch eine Hoffnung, die ihr während des Prozesses aufgeben musstet?
Christian: (überlegt) Also meine Hoffnung war, dass ich die Songs nach Monaten noch gut finde. Das hat sich bewahrheitet, da es bislang immer noch der Fall ist. Also dass ich, wenn ich die jetzt veröffentlichten Songs höre, kein ekliges Gefühl dabei kriege.
Niklas: Ja, da schließe ich mich an. Ich höre unsere Songs im Gegensatz zu Christian grundsätzlich nie. Christian hört sich die immer nochmal an, wenn wir aus dem Studio kommen. Das mache ich sonst nie. Aber in den letzten Tagen habe ich mich ertappt, wie ich einen Song tatsächlich gehört habe und dachte… Cool! (schmunzelt) Es wirkt auf mich, als wären wir langfristig happier damit und haben noch mehr gefunden, womit wir uns wohlfühlen. Und eine Hoffnung, die sich nicht bewahrheitet hat, da muss ich kurz nachdenken… Also mir fällt jetzt spontan nichts ein.
Christian: Nö, grad ist alles cool! (lacht)
Annekatrin (lacht ebenfalls): Ich muss sagen, ich finde eure EP auch ziemlich cool!
Niklas: Und, was ist dein Lieblingslied bisher?
Annekatrin: Also ich mag alle sehr, doch am meisten gecatcht hat mit „Constant Flow“.
Niklas: (erstaunt) Ach, interessant!
„Wenn vier oder fünf Menschen richtig Bock haben, dann erreichst du selbst Heinz-Jürgen in der letzten Reihe“
Annekatrin: Ich freue mich auf jeden Fall, die EP endlich live zu hören! Gibt’s denn für Konzerte schon was auf dem Zettel?
Niklas: Das Frühste ist im Januar 2022. Die erste Show auf der Might Delete Later-Tour ist in Berlin. Da habe ich noch ein bisschen Bauchschmerzen, weil Berlin sonst immer so ein guter Abschluss ist, wenn man schon eingespielt ist. Und das Berliner Publikum ist oft erst ein bisschen distanziert…
Christian: (verwundert) Echt? Ich finde, das ist eher in München so.
Niklas: Das kommt auch immer sehr auf die Leute an… Manchmal reicht es aus, wenn ein paar dieser Leute in der Menge sind: (Niklas imitiert begeistertes Jubeln mit entsprechender Handbewegung). Die haben eine positive Aura. Wenn allein vier oder fünf Menschen in dieser Menge richtig Bock haben, dann hast du selbst auch mehr Bock und erreichst selbst Heinz-Jürgen in der letzten Reihe.
Alle lachen.
Annekatrin: Und in welcher Stadt geht das Publikum am meisten ab, so aus Erfahrung?
Christian: Hamburg!
Niklas: Hamburg ist schon krass! Leipzig auch.
Christian: Leipzig, Dresden, Hamburg. In Dresden waren wir mal in der Groovestation, da spielen wir jetzt auch wieder – das war das heißeste Konzert, was wir jemals gespielt haben. Ich habe bei diesem Konzert so viel Flüssigkeit verloren, dass ich wirklich dehydriert von der Bühne gegangen bin, ohne Witz.
„Ich hasse das Warten zwischen Show und Soundcheck“
Annekatrin: Ach ja, die schönen alten Konzerterinnerungen. Es ist ja noch ein bisschen schmerzhaft, jedenfalls für mich, an solche Momente zurückzudenken. Aber gibt es eigentlich auch etwas am Touren, das ihr gar nicht so vermisst? Wo ihr sagt, das ist gar nicht so schlimm, davon mal ein Jahr Pause zu machen?
Niklas: Schleppen!
Christian: (fast zeitgleich) Schleppen und warten.
Niklas: Ja!
Christian: Ich liebe Touren! Aber ich hasse das Warten zwischen Show und Soundcheck. Du hast einfach nichts zu tun und fühlst dich irgendwie so sinnlos. Alle arbeiten und du bist derjenige, der in drei, vier Stunden dasteht und spielen muss. Aber was machst du in der Zwischenzeit. Essen?
Niklas: Irgendwann hat man sich auch nichts mehr zu sagen und kein Bock drei Stunden durchgängig zu lesen oder so… Und dieses Schleppen! Zeug ab- und aufbauen und ahhhh. Das vermisse ich auf jeden Fall nicht!
Christian: Wir versuchen auch gerade unser Equipment so zu reduzieren, dass wir nur noch so wenig wie möglich schleppen müssen, wenn wir wieder auf Tour gehen.
Annekatrin: Und, funktioniert das gut? Sich zu reduzieren?
Christian: Na mal schauen…
Niklas sieht in Richtung Annekatrin und schüttelt schmunzelnd den Kopf.
Christian: …bislang noch nicht, wir kaufen eher noch neues Zeug dazu.
Annekatrin: Apropos Tour… Habt ihr vielleicht eine untold Story von RAZZ auf Lager, die ihr uns zum Abschluss auf den Weg geben möchtet?
Niklas: Also… Es ist schwierig, denn die meisten Dinge haben wir natürlich schon irgendwo verballert… Ich überlege, was jetzt noch untold ist. (lacht) Da fällt mir nur diese Story ein.
Christian: Diese Story?
Niklas: Eine Person aus der Band hat sich mal eine Lebensmittelvergiftung-
Christian: Oh nein! (lacht und hält sich die Hand für eine nonverbale Facepalm-Geste vors Gesicht)
Niklas: -geholt. In Flensburg.
Christian: Auf der Kraftklub-Tour.
Niklas: Und hat dann nach der Show das komplette Bad (kurze Pause, sucht nach dem passenden Wort) renoviert.
Alle lachen.
Christian: Es war übrigens verdorbener Fisch.
Niklas: Und das war schon viel zu viel Detail (lacht). Einer von uns hat also mal ein Hotel-Badezimmer… renoviert.
Annekatrin: Immerhin hat er damit bis nach der Show gewartet!
Niklas: Ja, finde ich nur fair von ihm! Auch gegenüber dem Fisch… Eine gute Fisch-Aktion!
Annekatrin: Dann danke ich euch für eure Zeit und das schöne Interview!
Hier könnt ihr euch die „Might Delete Later”-EP von RAZZ anhören:
(Dickes Dankeschön und viel Liebe an Annekatrin <3 – bitte checkt abgefreakt.de ab!)
Fotocredits: Can Wagener / Nils Lucas / studio 2712