Gibt es coole Bands mit Zwillingen? Diese Frage hab ich mir in dem Kontext der heutigen Band gestellt und bin irgendwie auf keine super coole Antwort gekommen. Natürlich darf man mich hier jederzeit korrigieren, aber andersrum geht’s auch. Denn kennt ihr LIONLION? Das ist eine coole Band mit Zwillingen. Eineiigen Zwillingen, um genau zu sein. Die Band um Michael und Matthias Rückert sind eine coole Band mit Zwillingen – eineiigen um genau zu sein. Zusammen mit Schlagzeuger André und Bassist David machen sie als LIONLION Indie-Rock, der jetzt seit Freitag auch in Form ihres zweiten Albums „Perspective“ überzeugt. Worum’s da geht, wie geil Musikvideos aussehen können, wenn man mit der Symmetrie von Zwillingen spielt und welchen kulturellen Sommer-Tipp sie uns ans Herz legen, all das könnt ihr hier lesen:
LIONLION im Interview
Anna: Hey ihr! Unsere kleine Standard-Frage am Anfang ist immer eine kleine Bandvorstellung. Könnt ihr euch und eure Musik vielleicht á la „Fans, die xx mögen, mögen auch LIONLION“ vorstellen?
Michi: Jemand, der die Beatles für ihre Diversität in Songwriting und Arrangement schätzt, wird auch Perspective dafür mögen. “Indietronica” hat uns neulich mit Lex Audrey und außerdem mit Death Cab For Cutie, Phoenix, Keane, Mutemath und The Eels verglichen. Kann man machen, finden wir, und ergänzen als deutsche Referenzen Slut und The Notwist.
Anna: Euch gibt es ja auch schon eine kleine Weile. Wie habt ihr euch zusammengefunden?
Michi: Matthi und ich kennen uns als eineiige Zwillinge zwangsläufig schon eine Weile … André haben wir quasi im Freibad mit 15 kennengelernt, hatten dann auch schon eine gemeinsame Band zu Schulzeiten mit dem etwas unrühmlichen Namen “The Bohemian Streetfuckers”. David hab ich im Musikstudium kennen und schätzen gelernt!
„Es ging an die Substanz.“
Anna: Euer Debütalbum The Atlas Idea kam 2017, jetzt, vier Jahre später, kommt euer zweites Album Perspective. Wie würdet ihr eure eigene Entwicklung innerhalb der vier Jahre beschreiben?
Michi: Perspective knüpft dort an wo The Atlas Idea aufgehört hat. The Atlas Idea war ja ein eher introvertiertes Konzeptalbum, es ging viel um Vertrauen und Loslassen. Perspektive beginnt für uns im Kopf: Passt mein Leben zu meinen Gedanken und Gefühlen? Wie groß ist die Deckungsgleichheit zwischen dem gelebten Traum und der Wirklichkeit? Wir haben uns im Zuge unserer Musikvideodrehs sehr viel mit Architektur und Design beschäftigt.
Matthi: Es geht um Blickwinkel, Perspektivwechsel, Reduktion und Fokus. Inspiration war die Architektur des Bauhaus und der klassischen Moderne. Die letzten 1,5 Jahre haben mit der Pandemie dann nochmal alles auf den Kopf gestellt für uns. Es ging an die Substanz. Letztlich ist das Empfinden von Glück doch vermutlich eine Frage der Perspektive und des Blickwinkels.
Anna: Wie sah der Prozess hinter der Albumentstehung aus? Gab es ein Konzept oder einen Pool an Themen, die ihr auf jeden Fall verarbeiten wolltet?
Michi: Unsere Texte sind immer ein Spiegelbild dessen, was wir erleben und was uns beschäftigt. Für mich persönlich waren die letzten 4 Jahre emotional durchaus turbulent, das hört man dem Album auch an. Und durch die Pandemie hat sich unsere Sichtweise als Kunstschaffende auf das, was wir tun und lieben, nochmal drastisch verändert. Es geht um Existenzfragen, Privilegien und Relevanz. Wie können wir Veränderung anstoßen? Kann ich überhaupt etwas verändern? Mir persönlich war es wichtig, Zuversicht zu vermitteln. Trotz aller Widerstände.
„Wir begeben uns auf die Suche nach Sinn und den Zusammenhängen des Seins.“
Anna: Was mir auf jeden Fall sehr aufgefallen ist, sind die Konzepte hinter den Musikvideos. Sie scheinen nicht nur als visuelle Untermalung zu dienen, sondern erzählen richtige Stories. Woher kommt eure Affinität zu Musikvideos?
Matthi: Wir lieben es ganzheitlich und konzeptionell zu denken. Die visuelle Ebene ermöglicht es uns, eigene Bilder zu kreieren, Assoziationen zu schaffen und zwischen den Zeilen zu kommunizieren. Man hört die Songs danach mit anderen Ohren. Insofern spiegeln diese zugegebenermaßen für uns sehr aufwändigen Videoproduktionen die Liebe zum Detail wider, welche eben auch in unserer Musik steckt.
Michi: Außerdem haben wir beginnend mit dem Dreh unseres Musikvideos Oceans Rise im Stile des Mid-Century Modernism und durch die visuelle Verknüpfung des Videos zu Language mit dem Bauhaus eine Liebe für Architektur und Formensprache entwickelt, die natürlich einen maßgeblichen Einfluss auf unser Album hatte.
Anna: Das Musikvideo zu What Remains, dem Opener des Albums, erzählt zum Beispiel die Geschichte eines verschollenen Forschers und geht dem perspektivischen Paradoxa von M.C. Eschers auf den Grund. Könnt ihr erklären, worum genau es in der Story geht?
Matthi: Wir begeben uns auf die Suche nach Sinn und den Zusammenhängen des Seins. Machen also ein großes Fass auf. Das Musikvideo nimmt sich augenzwinkernd diesem großen Thema im Forschungslabor an und geht gleichzeitig den perspektivischen Paradoxa M.C. Eschers auf den Grund.
Michi: Ich spiele im Musikvideo den Leiter eines Instituts für Energieforschung, der mit Hilfe einer Zeitmaschine seinen verschollenen Forscherkollegen (Matthi) wiederfinden möchte. Entgegen aller Naturgesetze. Angetrieben durch das Streben nach Plausibilität und Erkenntnis lotet der Song die Grenzen des eigenen Verstands aus. Er handelt vom Zusammenspiel von Raum, Zeit, Bewegung und Glück. Die natürlich funktionale Zeitmaschine haben wir übrigens selbst zusammengebaut.
“Er sieht mir im Spiegel noch verblüffend ähnlicher als sonst.”
Anna: Womit ihr auch in den anderen Musikvideos spielt, ist der Zwillingseffekt, der manchmal überrascht aber auch verwirrt, wenn man vorher nicht weiß, dass ihr Zwillinge seid. Hat euch das am Anfang ein bisschen genervt oder nehmt ihr das jetzt eher als Wiedererkennungswert wahr?
Michi: Zwilling abschaffen könnte schwierig werden, insofern machen wir einfach das Beste daraus.
Interessanterweise sind wir ja “symmetrische” Zwillinge. Matthi ist Linkshänder, ich Rechtshänder. Und er sieht mir im Spiegel noch verblüffend ähnlicher als sonst. Das ist doch irgendwie auch faszinierend. Und wer hat schon die Möglichkeit des Dopplungseffekts ohne großen technischen Aufwand? Also für die Musikvideos ist das sehr zuträglich.
Anna: Welcher Song hält eine besondere Bedeutung für euch persönlich?
Michi: Für mich persönlich ist Sidewalk das Herzstück des Albums. Deswegen ist er auch genau in der Mitte des Albums positioniert. Ein vielschichtiger Song über den Fortschritt, dem eine repetitive Schlichtheit innewohnt. Er handelt davon den Blick nach vorne zu richten und seinen eigenen Weg zu gehen. Das passt gerade sehr gut zu uns.
Anna: Gibt es was, was für euch als Band noch auf eurer To-Do-Liste steht? Vielleicht im Sinne von einer Venue/Festival, wo ihr auf jeden Fall mal spielen wollt, Traum-Features für zukünftige Projekte oder andere Ziele, die ihr euch gesetzt habt?
Michi: Ganz salopp gesagt: Glastonbury Festival wäre natürlich nie verkehrt.
Matthi: Außerdem wäre eine Amerika-Tour fantastisch. Andre und David sind Halbamerikaner, Michi und ich waren noch nie dort. Mal sehen wohin uns die nähere Zukunft trägt. Von der Musik leben zu können wäre schonmal ein erster Schritt. Kauft mehr Merch und Tonträger! 😉
“Shakespeare – durchaus ein Revival wert.”
Anna: Weil ich euch als sehr Kunst-affin einschätze: Habt ihr vielleicht einen „unbedingt auschecken!“-Sommer-Tipp für uns? Das kann ein richtig guter Film oder ein geiles Buch sein, bin grundsätzlich interessiert an allem.
Matthi: Ich bin neulich auf den südafrikanischen Dokumentar-Film “Mein Lehrer, der Krake” gestoßen. Er erzählt die Geschichte eines Filmemachers der sein Leben verändern möchte und um den Kopf frei zu bekommen täglich tauchen geht. Dabei trifft er auf ein Oktopus-Weibchen, dass ihn in seinen Bann zieht und ihm hilft wieder zu sich zu finden. Eine herrlich entschleunigende und gleichzeitig unglaublich berührende Geschichte die zeigt, dass es sich lohnt genauer hinzuschauen. Unbedingt ansehen und darauf einlassen, auch wenn es anfangs erstmal etwas langatmig scheint.
Michi: Ansonsten lest Shakespeare, keine klassische Neuentdeckung, aber durchaus ein Revival wert.
Anna: Zuletzt fragen wir immer nach einer untold story: Was habt ihr noch nie in einem Interview erzählt, wollt aber hier mit uns teilen?
Michi: Wir haben unsere Perspective CDs mit einem “Schönheitsfehler” auf dem Cover veredelt. Als die Lieferung letzte Woche kam, dachte ich im ersten Moment an Reklamation – ein Fehler des Presswerks. Nach dem digitalen Abgleich wurde mir dann aber schnell klar, dass wir das selbst so abgesegnet hatten. Habe die Druckdaten ja gefühlt 15 mal gecheckt, sicher ist sicher. Das Resultat: 500 Unikate. Wer von euch findet den “Fehler”?
Ein guter erster Schritt, um genannten “Fehler” zu finden: Hier reinhören.
Fotocredit: Sophia Jung