„Kurz vorm Ende der Welt“ heißt das zuletzt erschienene Mixtape von Ami Warning und es hält was es verspricht: Eine Untergangsstimmung, die sich so warm anfühlt, dass jede Angst vorm Ende verfliegt und jeder Atemzug, jeder Gedanke sich ganz klar anfühlt. Ami Warning liefert uns Musik, die alles gut sein lässt, so wie es ist und jeglichen emotionalen Ballast abfallen lässt. Sprich, genau das was wir derzeit alle so dringend brauchen!
Lost & Found
Ich gebe zu, mein Zugang zu deutscher Musik ist beschränkt. Ich höre mir immer wieder unterschiedliche deutsche Interpret*innen an, aber bleibe zu selten hängen. Deutsche Musik, die sich nachhaltig in meine Synapsen einbrennt, muss mich mit außergewöhnlichen musikalischen Stimmungen, kreativen Textzeilen, eingängigen Melodien, spannenden Musikproduktionen oder am besten mit einer Kombination aus allem catchen. Mit dem Song „kurz vorm Ende der Welt“ bin ich aus dem Nichts auf eine Künstlerin gestoßen, die für mich all diese Faktoren auf dem gleichnamigen Mixtape auf ihre Art vereint.
Angenehme Melancholie
Dabei war mir noch nicht bewusst, dass mir diese Musik so sehr gefallen könnte. Ami Warning kreiert Stimmungen, die sich für mich besonders anfühlen. Diese zu beschreiben, fällt etwas schwer, weil sie sich so sehr durch meine subjektiven Höreindrücke auszeichnet, but I’ll give it a try! Das Tape zeichnet sich für mich durch eine gedämpfte, melancholische, manchmal angenehm bedrückende Atmosphäre aus, die sich zugleich doch hoffnungsvoll und sogar befreiend anfühlt. Ohne inhaltliche Aspekte einzubeziehen, fühlt sich die Musik auf einer gewissen Weise verständnisvoll an und lässt mich dem Gefühl sorglos hingeben.
Melodien für den nächsten Weltuntergang
Puh, das war chessy. Springen wir straight zu den Details, die die vorherigen Gefühlseindrücke stärker umreißen. Das 8 Songs lange Mixtape startet mit der Single „kurz vorm Ende der Welt“. Eine träumerische Gitarre gibt mit langsamem Anschlag eine unglaublich schöne Stimmung vor, bis das Schlagzeug den Einsatz der Stimme vorbereitet. Über einen minimalistisch groovenden Beat schwebt die simple, wie geniale Zeile „kurz vorm Ende der Welt, kann ich dir verzeihen“, denn „kurz vor Schluss, soll es wohl so sein“. Ein paar melodiöse Keys im Hintergrund und fertig ist der Titelsong des nächsten Weltuntergangs.
Die Strophe setzt die Linie des Refrains fort und beschreibt in klaren Worten emotionale Zustände, über die ich mir sonst tagelang den Kopf zermürbe. Die Aussagekraft dieses Textes wirkt in seiner Einfachheit unglaublich stark. Das einzige Problem ist, dass es von dem Song keine 10h Dauerschleife gibt, die mich nicht nach zweieinhalb Minuten dazu zwingt, wieder auf Repeat zu drücken.
»Ich hab‘ schon so lange gewartet
Auf den guten Moment
In dem jeder von uns beiden seine Fehler erkennt
Ich bin immer noch sauer und du bestimmt auch
Am meisten tut’s weh, dass ich dich trotzdem brauch’«
„kurz vorm Ende der Welt“
Musikalische Wärme mit langsamen Puls
Der nächste Song übernimmt die ruhige Art des Anfangstracks, hebt sich allerdings durch ein lockereres und luftigeres Gefühl gegenüber der vorangegangenen Abenddämmerungs-Stimmung ab. „Schöne Stunden“ besingt die Tage, Stunden oder sogar Sekunden, in denen wir nicht dem Alltagsstress hinterherrennen und uns ganz dem Moment hingeben. Weniger Zwänge, mehr Freiheit und Stand jetzt: 2 von 2 Songs sprechen mir aus der Seele.
„Es ist wie es ist“ bleibt dem slow groove treu und wirft eine neue atmosphärische Nuance in den Raum, weniger träumerisch, dafür ein bisschen bestimmter und zugleich reflektierender. Die bisherigen akustischen Drums werden durch einen Lo-Fi type Beat ergänzt und geben den spielerischen Gitarrenmelodien im Hintergrund eine zielstrebige Form. Im Refrain zieht Ami Warning auf dem ersten Wort „Gut“ die Melodie angenehm wohlig nach oben. Charakteristisches Element in der Hook mit Wiedererkennungswert: Check! Hinzu kommt das einzige Feature auf der EP durch Témé Tan, und zwar auf französisch.
Watte für die Ohren
Auf dem vierten Track des Projekts „jetzt“ zieht eine treibende Gitarre das Tempo plötzlich an und wir werden zum ersten Mal für einen Augenblick aus der musikalischen Trance herausgerissen. Zwei knackige Strophen münden in einem stimmungsvoll gesummten Refrain. Kein Text, nur unglaublich schöne Melodien mit viel Gefühl. Der ausschließlich in der Hook einsetzende Bass gibt den rastlosen Gesangsmelodien eine zusätzliche Tiefe.
Nach nur zwei aufreibenden Minuten fängt uns die weiche Klangwelt des folgenden Tracks „simsalabim“ wieder auf und 10 Sekunden reichen aus, um unsere Ohren wieder in Watte zu packen. Ein langsames Schlagzeug sowie gefühlvolle Gitarrenakkorde, komplementiert durch eine schöne Melodie und der Signature Sound des Mixtapes ist wieder komplett. Als wäre das nicht genug, dreht der Refrain nach dem ersten Mal hören bereits Dauerschleifen im Kopf. Interessanterweise bricht das Stück zum ersten mal aus der Loop Struktur der vorangegangenen Songs aus. Strophe und Bridge weichen von den Akkorden des Refrains ab und bauen etwas Spannung auf, die im Refrain wunderbar weich aufgelöst wird.
Blaue Augen
Ein weiteres Highlight des Albums heißt „blaue Augen“ und appelliert an das Kind in unserem Geist und Körper. Eine Sekunde vom Intro und ich weiß, mir wird der Song gefallen. Mir stellt sich nur die Frage, was ich da am Anfang höre: einen Kinderchor, ein Sample oder einen verrückten Synth? Ich bin mir nicht sicher, aber weiß, dass es unglaublich schön klingt. Den Rest könnt ihr euch vermutlich denken: ein langsam groovendes Schlagzeug und Gesangsmelodien mit balladigem Hitpotential und fertig ist ein weiterer Song zum Verlieben. Ganz besonders empfehlenswert ist es, sich das Musikvideo zum Song anzuschauen. Die Bilder fangen die Stimmung des Liedes unglaublich gut ein und bestärken die besondere Atmosphäre.
Hoffnungsvolle Träume
Das Tape schließt mit einem hoffnungsvollen, fast frühlingshaften Gefühl. „Dort“ lässt uns noch etwas weiter träumen und zeichnet einen Ort, an dem alle Seelen dieser Welt sorglos vereint sind. Begleitet von einer unaufdringlichen Melodie fließt die Stimme erzählend über ein lockeres Gitarrenriff. Kein Schlagezug mehr, dass uns ein Tempo vorgibt, nur noch begleitende Schnipser, die ein wenig Halt bieten, während unsere Gedanken langsam abschweifen.
Synonym für „schön“
Beim Schreiben dieses Artikels hatte ich dauerhaft die Google Suche „Synonyme für schön“ in der Tableiste offen. Ich habe mich ganz einfach in die musikalischen Stimmungen dieses Mixtapes verliebt und mir fehlen die passenden Worte. Aber am Ende ist halt alles irgendwie schön. Allerdings so unglaublich schön, dass ich gar nicht zu träumen vermag, dass es Menschen auf dieser Welt gibt, die diese Musik nicht kennen. Und das erschreckende ist, dass Ami Warning auch auf der lyrischen Ebene kein müh weniger gefühlvoll agiert. Ich bin wahnsinnig froh diese Musik entdeckt zu haben und noch froher, sie hier teilen zu können. Springt schnell rüber zur Musik und zu allen sozialen Medien von Ami Warning und lasst euch für einen Augenblick verzaubern.
fotocredits: Stef Zinsbacher