Wir präsentieren euch heute das neue Musikvideo zu „Mehr Fucked“ der Kölner Indie-Band Komplizen der Spielregeln. Ohne Video bereits letztes Jahr auf ihrem vierten Album erschienen, legt das Trio jetzt das Bildmaterial nach. Mit dem Song „Mehr Fucked“ brechen die Komplizen der Spielregeln das Schweigen und rechnen mit Realitätsverdrehern und Ewig-Gestrigen ab.
Mehr Fucked als Fakt
Passend wie die Faust aufs Auge erscheint das Video zu „Mehr Fucked“ an gerade diesem heutigen Datum, dem 19. Februar. Vor genau einem Jahr tötete ein Attentäter in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven, anschließend seine Mutter und sich selbst. Nicht nur diese Tat ist ein Grund dafür, einen Protestsong zu schreiben, denn sie ist kein Einzelfall. Die Lage in unserem beschaulichen Land, sowie in vielen anderen Ländern gleichfalls, ist alarmierend. Die Komplizen der Spielregeln nehmen sich diese bedrückende Stimmung zum Anlass und schreiben einen Song über den sich unverstanden fühlenden, kleinen Mann. Über die politische Selbstradikalisierung am heimischen Küchentisch. Und über die Verdrehung von Fakt und Fiktion.
Besonders auffällig ist die verlangsamte Geschwindigkeit des Videos. Alles läuft in Zeitlupe, langsam und zähfließend. Drei Gestalten mit wirr behangenen Kostümen aus Fetzen, Schnüren und Fäden bewegen sich langsam in einem abwechselnd farbig beleuchteten Raum. Die Stimme von Sänger Tobias Ortmanns führt uns treffsicher in die Thematik ihres Songs ein:
„Dieses Land wurde markiert
Vor Deiner und meiner Zeit eine Flagge gehisst“
Seit diesem furchtbaren Ereignis vor fast 90 Jahren, leben wir in einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft, die uns die Komplizen der Spielregeln hier näher bringen wollen. Im Text geht es um Menschen aus unserer Mitte, um unsere Nachbarn oder vielleicht sogar Bekannte. „Mehr Fucked“ zeichnet eine Karikatur derjenigen, die von Wahnvorstellungen und falschen Ängsten besessen sind.
Getarnte Gedanken
Während die Gestalten im Video weiter durch urbane Räume ziehen und schwerfällig voranschreiten, merke ich, dass es sich bei den Kostümen um Tarnanzüge aus dem militärischen Bereich handeln könnte. Einer in grün, einer in weiß und einer in braun. Das schafft eine bildliche Verbindung zu jenem gewaltbereiten Milieu, das für Stimmungsmache und Gewalttaten bekannt ist.
Zum einen sind diese seltsam gekleideten Figuren vielleicht ein Symbolbild für verworrene und falsche Theorien, wie sie heute an jeder Litfasssäule zu lesen sind. Sie schlendern durch unseren Alltag, wie die giftigen Gedanken einiger Mitmenschen, unbeachtet und unerkannt. Getarnt. Wie ein „Virus“ oder ein „Infekt“ schleichen sich diese z.B. fremdenfeindlichen Gedanken in unsere Mitte und ersetzen Fakt durch Fiktion. Die Komplizen der Spielregeln stellen diesen Missstand unserer Zeit in ihrem Song ganz richtig fest und singen weiter:
“Gift in deinen Adern
Peinlich, langweilig, ernst
Leider mehr fucked, als Fiktion”
Das Wort „Fakt“ wird hier in das gleichklingende Wort „fucked“ umgewandelt und zeigt uns: Ja, leider ist es Fakt, dass diese Gedanken und Menschen, die sie verbreiten, existieren. Sie wurden zu lange verschwiegen und kleingeredet. Der ironische Twist des gesamten Textes kommt hier durch die Doppelbedeutung schön zur Geltung.
Diese drei Gestalten, mutmaßlich in Tarnanzügen, könnten aber auch für ein viel direkteres Bild stehen. Nämlich für genau die, die sich unverstanden fühlen, radikale Gedanken entwickeln und sich in einer „normalen“ Welt wie Aliens, Alleingelassene und Vernachlässigte fühlen. Und man findet sie, wie im Video, überall. Wenn man denn hinschauen würde. Im Park, im Industriegebiet. Auf den Straßen deiner Stadt, im Freibad oder im Auto neben dir.
Aleppo, Auschwitz, Disneyland
Musikalisch bewegen sich die Komplizen der Spielregeln bei „Mehr Fucked“ in Indietronic-Gefilden. Eine akustische Gitarre leitet den Song zunächst gezupft unschuldig ein und steigert sich im Laufe des Songs in eine rockige Variante. Ein tiefer Synthesizer liegt als Fläche unter dem Song und betont dessen finstere Thematik. Die verwaschenen Drumgrooves, die prägnanten Basslicks und die Stimme von Tobias Ortmanns erinnern mich immer wieder an die Pixies.
Zum Ende des Songs hört man auch den Noisefloor aus Kllicken, Klacken und sonstigen steampunkigen Geräuschen gut heraus und die Band gerät in einen beeindruckenden Spoken Word-Teil, der die Wut über absurde und alternative Realitäten verdeutlicht:
“Kleiner Mann – Heimat – Wut – Allein
Die da und Du dort
Die kriegen mehr als Du
Aleppo, Auschwitz, Disneyland
Macht Dir so viel Stress
Amüsier Dich, kleiner Mann, Heimat, kleiner Mann,
Trauriges Remake”
Mit ihrem Video zu „Mehr Fucked“ spenden uns die Komplizen der Spielregeln Hoffnung. „Wir sind mehr“ ist zwar inzwischen auch schon ein plattgeredeter Slogan, aber er ist wahr. Fakt. Denn auch die drei getarnten Gestalten stehen in der letzten Sequenz allein auf weiter Flur. Fucked.
Der Song und das Video werden vielleicht nicht dazu beitragen, ein verlorenes Schaf zurück zu holen. Allerdings führt er sicherlich dazu, der verbleibenden Herde bewusst zu machen, welche die einzig richtige Seite ist.
Mehr zu den Komplizen der Spielregeln findet ihr hier!