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Schamlose Scham: IDER winken in „shame“ der Perfektion zum Abschied

Ider Album Photoshoot shame

IDER sind Lily Somerville und Megan Markwick aus London. Vielen sind sie durch ihr Debut-Album Emotional Education bekannt, mit welchem sie sich sofort einen Platz in der Liga der aufregendsten und vielversprechendsten Newcomer:innen gesichert haben. Seit letztem Freitag ist nun das zweite Baby der Musikerinnen draußen. Mit shame starten die zwei ein neues Kapitel, geprägt von Unabhängigkeit und Selbstakzeptanz. Released auf eigene Faust, geht es in shame dem Namen nach nicht über Scham und Unsicherheit. Im Gegenteil, Somerville und Markwick werden sich in den prägnanten 8 Songs ihren Fehlern, Ängsten und ungesunden Verhaltensmustern bewusst und lernen sie zu akzeptieren, um zu stärkeren Frauen heranzuwachsen. Sie geben uns ein bisschen Realität zurück und ein Verständnis dafür, dass wir alle gar nicht so unterschiedlich sind und die meisten von uns wahrscheinlich genau dieselben Sachen vorm Schlafengehen bis zum geht nicht mehr zerdenken.

Eine spirituelle Reise

Mit Cross Yourself wird uns die Tür zu IDER 2.0 geöffnet. Was wir hier finden hat einen orientalischen, geheimnisvollen Vibe, aber auch einen Funken Sexyness. Ja, obwohl es mehr oder weniger um Religion geht. Viele der Songs wurden in Berlin geschrieben, wo IDER eigentlich geplant haben, sich ein paar Monate niederzulassen. Bis das große Unglück passiert ist, ihr wisst schon Pandemi Lovato und so. Und das spürt man auch in dem Song, diese düstere Berliner-Clubluft. Cross Yourself ist keine Kritik am religiösen Glauben per se. Es geht mehr um die Suche nach einem Sinn im eigenen Leben, sei es über Kunst, Menschen oder ja, auch Religion. Aber definitiv nicht über Social Media:

Can’t find it on Instagram, I’m still f***ing miserable


Ich liebe es, wie die beiden mit religiösen Elementen im Song selbst spielen. Der Chorus wirkt stellenweise schon fast wie ein Chor, wird dann aber durchbrochen durch ein schrilles „All rise“. Wogegen sich „Cross yourself“ wie ein hypnotisierendes Mantra, ja gar ein Glaubensbekenntnis versteht.

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Can’t be bothered

Ach, bei diesem Song kriege ich einfach Urlaubsfeelings *books flight instantly*. Trotzdessen, dass das Thema nicht gerade von Leichtigkeit geprägt ist. IDER leiten uns durch warmes, metallisches Klimpern in Cbb to be sad ein. Man denkt „ja, das klingt nach einem leichten sommerlichen Song“ und dann kommt der erste Lyric: „Well, I hate myself“. Die beiden singen über Selbsthass und das Entwachsen aus einer Beziehung, die einem nicht mehr das gibt, was man anfangs meinte von ihr zu bekommen. Und somit entfremdet man sich mittlerweile sogar von sich selbst. Hands down einer meiner Lieblings-Songs. Der Vibe ist einfach on point und irgendwie auch voll nachempfindbar.


Die Flucht aus toxischen Erwartungen

Knocked Up ist meiner Meinung nach musikalisch nicht allzu spannend, lyrisch aber umso mehr. Als ich den Song das erste Mal gehört hab, war mein Gedanke einfach nur: „DAAAAAAAMN“. Ohne jeglichen Filter sprechen Lily und Megan mir und mit Sicherheit auch vielen anderen Frauen direkt aus der Seele. Erwartungen, die Frauen über ihre Weiblichkeit, ihre Körper und ihre Entscheidungen von Leuten aufgequatscht bekommen, die sowas von kein Mitspracherecht haben sollten.

Well you didn’t mean it but you were brought up

In a world that reminds me that I’m a girl

And I can’t come first so I gotta play catch up


Aber der Song bleibt keinesfalls pessimistisch. Zum Ende hin, kommt ein Anflug von Freiheit auf, wenn man sich von diesen Erwartungen frei macht, sich von seinem alten unterdrückten Selbst verabschiedet und aus einem einsamen Schamgefühl ein gemeinschaftliches Gefühl von Zusammenhalt und Selbstliebe schafft.


Zynische Langeweile

BORED gehört neben cbb to be sad und Embarrassed ebenfalls zu meinen Favourites, er wirkt einfach so mühelos cool. Kurzgefasst zählen die zwei alles auf, was sie so langweilt. Darunter reihen sich ein paar mondäne Sachen, aber auch Kritik an sich selbst, anderen und unserer Generation generell. Und weil sich bei IDER so viel Zynismus und Groll aufgestaut hat, gibt es da eine ganze Liste abzuarbeiten. Die Strophen wirken schon fast wie Rap-Verses. Der Song hat für mich eine ganz besondere Energie: eine empowernde „Scheiß auf alles“-Attitude. Ich tanze dazu in Gedanken alleine mit einem Glas Wein in der Hand in einer Altbauwohnung in Berlin. Genau das habe ich auch gemacht, nur nicht in Berlin und auch ohne Wein. Es wird definitiv Zeit, mal wieder die Bar aufzustocken…

I’m bored of the impatient perfectionism

I’m bored of the only wanting the things that I’m missing

I’m bored of the scrolling, I’m bored of the choosing

Bored of the soul we’re losing

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Zwischen stürmischer Hingabe und Verlegenheit

Anstatt jeden einzelnen Song zu sezieren, lass ich hier mal obsessed, waiting 17 03 und das Schlusslicht Midland’s Guilt, was mir richtige The Japanese House Vibes gibt übrigens, außen vor. Soll ja auch noch spannend für euch bleiben durchzuhören und auch weil sie mich nicht so sehr begeistern wie der Rest der Platte. Deswegen hier meine Gedanken zu einem weiteren persönlichen Liebling: embarrassed.

Ich verliere mich schon von Anfang an in diesem Feeling, dass das Intro auslöst. Ich befinde mich wieder in der Berliner-Clubszene. Etwas angeheitert verfalle ich in leicht selbstzerstörerische Gedanken, die sich aber in dem Moment gleichzeitig irgendwie befreiend anfühlen. Wisst ihr, wenn ihr mal wieder so richtig das Bedürfnis verspürt zu heulen und das dann auch so krass guttut? Das gibt mir dieser Song.


Der Titel sagt es schon: In embarrassed geht es genau um diese Angst: Sich zu blamieren, sich zu schämen, wenn man sich gerade neu auf eine andere Person einlässt. All diese neuen Regeln und Fragen: Wie verhält man sich? Habe ich jetzt was Dummes gesagt? Rede ich zu viel? Bin ich noch interessant für meinen Gegenüber? So viele Hirnzellen und Nerven, die man darauf verschwendet. Dating, am I right? Indem IDER genau das ansprechen, wird diese Scham schambefreit. Weil man sie mit anderen teilen kann und merkt, es gibt gar keinen Grund, sich zu schämen. Das sind alles ganz normale Gedanken einer/s Jeden.

Dieser unverfrorene Umgang mit eigenen Sorgen, Ängsten und Problemen macht shame zu einem sehr starken zweiten IDER Album. Die beiden Londonerinnen haben gelernt, ihre Unsicherheiten zu akzeptieren, sie haben zu sich selbst gefunden und sind stärker geworden. Diese Stärke wird deutlich in dem Nachfolger zu Emotional Education, musikalisch wie lyrisch. Hört definitiv in die neue LP von IDER rein, ihr werdet eure Zeit auf jeden Fall nicht verschwenden.

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Fotocredits: Georgia Strawson & Dani Monteiro

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