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Grim104 und Summertime Sadness im brennenden “Imperium”

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Kein schöner Land in dieser Zeit

Wenn mir im Sommer die Sonne erbarmungslos auf den Kopf ballert, brauche ich Pommes rot-weiß im Prinzenbad, kaltes Gösser auf der Bank vor meinem Späti und neue Nikes – dann kann Sommer sein und dann bin ich bereit. Natürlich muss das alles auch von einem angemessenen Soundtrack unterlegt werden, denn jeder Sommer ist ja „the summer of my life“. Und ob nun Yaya Bey oder Ravyn Lenae, gute Musik gibt es auch in diesem Jahr für diese Momente. Allerdings halten sich die „The Sun is shining, the weather is sweet“-Yeahs nur solange, bis sich der erste Sonnenbrand auf der eigenen Gefühlswelt zeigt – und der kommt meistens sehr schnell. Spätestens im Juli schon schmecken die Frites pappig, das Radler ist zu süß und die Sneakers riechen irgendwie dann doch nur nach billigem Plastik, dessen Geruch mich an Bilder von brennenden Fabriken in Bangladesch erinnern. Die Summertime Sadness droppt rein – und in der Playlist läuft nur noch „Cruel Summer“ (Bananarama), „Summertime Sadness“ (Lana Del Rey) und „Moments in Love“ (The Art Of Noise) auf endlos Repeat.

Wobei ich mit dem letzten Song bei Grim104 und seinem 3. Soloalbum angekommen bin. Denn dieser lässt mit dem besagten „Moments of Love“ sein 10-Track starkes „Imperium“ untergehen. Während Testo – die eine Hälfte von Zugezogen Maskulin – sich im Frühjahr mit „Nullerjahre“ durch den deutschen Feuilleton knüppelte und all denen eine Stimme gab, die Kohl und Schröder mundtot machten, arbeitete Grim104 an seiner Dekonstruktion der „Blühenden Landschaften“. Dabei stehen auf „Imperium“ – anders als zuvor – keine wiederbelebten Leichen und „Graue Grafen“ im Mittelpunkt sondern Ü30 Männer und ihre zerfallenden Reiche. Grim104 beleuchtet mittelalte weiße Männer, die dabei zusehen, wie vergessene Limousinen („Honda Legend“) einrosten, veraltete TV-Stars („Bam Margera“) sterben und erarbeitete Statussymbole („Voo Store“) Klassengrenzen dennoch nicht aufbrechen können. Er verhandelt auf „Imperium“ die Frage: Was macht ein „Nischenrap-Überboss“-Star, wenn die Dinge, die ihn prägten, verschwinden und alles, für was sie gestanden haben, bedeutungslos geworden ist? Gibt es für einen mitte-dreißig „Weirdo- Rap CEO“ noch andere, alternative Lebensentwürfe oder bleibt nur die große Midlife- Crisis?

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Too Sad to Flex

Potente Selfmade-Storys sind eng mit Rap verbunden. Dieses Genre vereint schillernde „Machertypen“, „Karrierefrauen“ und „Erfolgsmenschen“ und stellt sie im besten Social-Media-Licht dar. An diesen Erzählungen hatten ZM von Beginn an kein Interesse. Konsum-Gehabe diente ihnen immer dazu, aufzuzeigen, dass Menschen bei der Star- bzw. Boss-Transformation auf der Strecke bleiben, arme Fans reiche Stars reicher machen („Fans“) und für Musiker*innen nach dem Rausch nur kalte Asche bleibt („Exit“). Ging es um Status, ging es ihnen dabei auch immer um dessen Reflexion.

Das ist auf „Imperium“ genau so. Sicherlich hat Grim104 immer noch klassische Flex-Momente: „[…] Ey, das ist AMI Paris, mein Parfüm von Diptyque […]“. Diese werden aber in den meisten Fällen nicht stehengelassen sondern eher lustig gebrochen: „[…] Du trägst […] Fishbone – wieso bist du so beliebt? […]“. Auf diese Weise ist sein Album auch kein verstaubter Vortrag aus dem Rosa-Luxemburg-Haus. Er doziert und moralisiert nicht – oder wie es in „Sonnenuntergang“ heißt: „[…] Was denn für mich links ist? Nicht das Suzie Grime-Links. Moralisch-überlegen-passiv-aggressive Instaslide-Links […]“). Vielmehr entwaffnet er sich selbst ehrlich und schonungslos. In „Voo Store“ schreibt er: „[…] Und vielleicht ist auch mein Ringen nach Klasse ein Zeichen dafür, dass ich doch gefangen bin in meiner Klasse […]“. Der Besitz und das Wissen über Upper Class-Symbole führen also nicht nur nicht zum Glück, sie verdeutlichen auch, dass ein Next-Level-Klassenaufstieg faktisch nicht möglich ist. In „Numb“ heißt es dazu: „[…] Alles tut weh, die Jobs, die wir machen, die Schulden, in den wir stecken seit Jahr’n […]“. Oder man muss schmerzlich erfahren, dass da an anderer Stelle deutlich mehr Kapital vorhanden ist: „[…] Wenn ich Yin Kalles Instagrampage auschecke. Wieso haben die mit zwanzig jetzt Geld für Dior? […] Ich kam mir damals mit Fred Perry wie ein Millionaire vor […]“. Das ist treffender Rap über die soziale Undurchlässigkeit in Deutschland. „[…] Kann da noch so viel Jil Sander gegen ankaufen. Im Voo Store seh’ ich aus wie grad eben verlaufen. Der Preis, er ist hoch für ein Markenschwein sein. Ich geb’ die Scheine gerne aus, sie bewahren den Schein […].“ Grim104 lässt auf diese Weise das neoliberale Narrativ „Vom Bordstein bis zur Skyline“ im Sand versinken oder – um es in einem anderen sprachlichen Bild auszudrücken – spült es wie ein heftiges Sommergewitter davon. Das ist für mich ernüchternd aber wohltuend.

Rave the Summertime Sadness

Warum „Imperium“ am Ende dann aber doch kein Midlife-Crisis-Totentanz ist, liegt vor allem an der Produktion von Kenji451. Insgesamt bieten die meisten Tracks trappige Hi-Hats und warme Synthie-Sounds, die mal verspielt vor sich hin zwitschern („Numb“), mal euphorisch die Gesangsmelodien begleiten („Abrakadabra“) und mal die ästhetische Chord-Fläche eines Songs bilden („Voo Store“).

Wenn sich Grim104 zurücknimmt und die Musik ohne Rap-Parts durchläuft, fühle ich mich schnell in Momente versetzt, in denen ich etwas matt aber irgendwie glücklich durch eine warme Berliner Sommernacht fahre. Unterstützt wird dieses Gefühl auch durch Grim104s Entscheidung, weitestgehend auf seinen überschlagenden Wut-Rap („Rap.de“ vom ZM) zu verzichten und zum singenden Erzählen („Imperium“) zu wechseln. Die Teenage-Wut ist bei ihm gewichen und so wandelt er sich zu einem desillusionierten Ü30-Texter, dem man jetzt aber irgendwie lieber zuhört – nicht, weil man sich vor unbequemen Wahrheiten verschließt, sondern um Luft zu holen und nachzudenken, wie man diesen weiterhin begegnet. LGoony, einer der wenigen Gaststars auf dem Album, singt an dieser Stelle treffend: „[…] Ich krieg keine Luft, ich kann nicht mehr laufen. Ich brauch eine Pause, lass mich kurz chillen […].“

Wie wichtig diese musikalischen Kurztrip-Retreat-Urlaube für mich sind, wird deutlich, wenn Songs wie „Bam Margera“, „Komm und Sieh“ und „Das Versprechen“ mich mit Themen wie Tod und Vergänglichkeit konfrontieren. Der Sensenmann sorgt bei mir nämlich selten für tropical Vibes. Hinzu kommt, dass die angesprochenen Tracks von tiefen Synthie-Bässen musikalisch untermalt werden. Die Bassheads unter den Hörer*innen wird es freuen.

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Die größte musikalische Überraschung bietet der Track „Ü30 Männer im Club” (feat. Kaiii). Hier stolpert Grim104 mit seinen Rap-Parts einem housigen Disco-Song hinterher. Gehetzt und aber nie wirklich cool, versucht er in der Musik anzukommen, ohne es wirklich zu schaffen. Das irritiert beim ersten Hördurchgang, macht beim zweiten aber schon wieder Sinn, da es die Deplatziertheit des Lyrischen Ichs im Club exakt musikalisch widerspiegelt. Sicherlich sollte die Tanzkultur grundsätzlich einen freien Raum für jede/ jeden anbieten und frei von Ageshaming sein. Grim104 stellt hier aber eine Figur aus, die weniger unbeholfen als viel mehr unangenehm ist. Das zeigt auch das Ende des Tracks:

»Ich kann mir ein Taxi leisten und besoffen was zu Essen,
ihr müsst auf den Nachtbus warten
und kriegt nachher hoffentlich noch richtig auf die Fresse
«

Aus diesem Grund gelingt es Grim104, aus einer untighten House-Nummer ein Statement zu machen. Weißer Rap hat in einem Genre der Black Community so wenig zu suchen, wie ein besoffener, reicher und gehässiger Ü30 Mann auf einer Party.

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Eine Alternative für Weirdo-Rap CEOs

Rap-Musik steht in der Regel für Gegenwärtiges. Futuristische Versionen – ob nun textliche oder musikalische – werden eher in anderen Genre verhandelt. Sicherlich gibt es Ausnahmen wie Missy Elliott und Zebra Katz, der Großteil der Künstler*innen arbeitet sich aber am Hier und Jetzt ab.

Das ist auf „Imperium“ auch nicht anders – fast jedenfalls. Bereits auf dem letzten ZM-Album wurde die Frage aufgemacht, was für einen Musikerbleibt, wenn man „[…] alles schon erzählt […] [und] bei Rock am Ring gespielt [hat]“ („Exit“). Den Strang nimmt Grim104 wieder auf und überrascht mit einem neuen Motiv. Gleich im ersten Song „Abrakadabra“ wird es mit dem Vers eingeführt: „[…] Ich bin ein Blatt, getragen vom Wind, wo trägt’s mich hin? Trägt es mir in meine Arme ein Kind? […]“. Der „Weirdo-Rap CEO“ („Voo Store”) setzt sich zaghaft mit dem möglichen Vatersein auseinander. Das ist für Deutschrap neu.

Tatsächlich gibt es Musiker wie Sido, die über ihre Vaterschaft rappen. Dabei geht es aber immer schon darum, dass man Verantwortung für ein bereits lebendes Kind hat. Die Möglichkeit Vater zu werden, wird im Rap dagegen nie als Alternative zur Sinnfrage des Lebens aufgemacht. Grim104 versucht sich hieran, ohne dabei aber unglaubwürdig und pathetisch zu werden. Vielmehr spielt er verschiedene Szenarien durch und reflektiert deren Wirkung auf sich. In „Sonnenuntergang“ schreibt er: „[…] Ich bin […] eines Tages sicher Vater eines Kindes, das mich fragen wird, was denn für mich links ist […]?“. Die omnipräsente Summertime Sadness kann er damit auf „Imperium“ auch nicht vertreiben. Er schafft aber einen Grundton, der die Hörer*innen hoffen lässt, dass es nach dem Sommer noch etwas gibt, worauf man sich freuen kann. Der brennende Horizont – so auf dem Cover zum Album zu sehen – wartet vielleicht doch mit etwas Schönem auf.

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Fotocredits: Ben Schieck

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