Vollblutmusikerin, erfolgreiche Fotografin und Yoyo-Akrobatin. All das ist Faye Webster, die jetzt ihr neues Album „I Know I’m Funny haha“ veröffentlichte. Ein selbstbewusstes Folkpop-Album zum Mitlachen und Mitweinen im schlichten Soundkleid.
„Oh, we got both kinds, country and western!“
Es kommt nicht so besonders häufig vor, dass sich Country in meine Gehörgänge verirrt – und vor allem auch dort bleibt. Auch wenn es nur ein Hauch von Country ist. Woran das liegt weiß ich natürlich nicht genau, aber ich vermute, dass ich diese Musikrichtung einfach immer ein bisschen zu kitschig finde. Und weil ich immer an Monstertrucks und Bullenreiten denken muss. Irgendwo in der Wüste. Und an diese komischen rollenden Staubbälle, begleitet von einer Mundharmonika. Und an 3 Liter Colaflaschen. Naja, ihr merkt schon, alles Klischees und wahrscheinlich echt großer Quatsch. Sieht man jetzt ja auch wieder schön, denn Faye Webster war für mich Liebe auf die ersten 20 Sekunden Stream.
Witzigerweise muss ich bei ihrem neuen Album „I Know I’m Funny haha“ kein einziges Mal an meine Vorurteile denken. Obwohl es musikalisch doch schon klare Signale in Richtung Country gibt, zum Beispiel in Form von Slidegitarren. Aber zu meiner eigenen Überraschung ist das sehr gut so, wie es ist. Und bei Faye Webster sind es eben diese Roots ihres Schaffens, die das Fundament bilden. Ein bisschen wie bei Taylor Swift, nur eben in cool. (*wegduck*)
Ein berühmter Fan und bittersüßer Sarkasmus
Aber hey, sagt mir bitte mal wie mein Album cooler eröffnen kann, als mit einem Song, der einfach einer der Lieblingssongs 2020 von Barack Obama war. HALLO? Ja, das habt ihr alles schon richtig gelesen. Barack f*cking Obama. Friedensnobelpreisträger. Vierundvierzigster US-Präsi. Ich meine, Faye Webster ist 23 Jahre alt, Baujahr ’98. Was möchte die Frau denn noch erreichen? Ich hätte es ihr nicht übel genommen, hätte sie danach mal schön die Füße hochgelegt. Aber nee, Frau Webster macht ein ganzes Album draus, was nicht nur Barack, sondern auch mir zu den sommerlichen Temperaturen ziemlich gut in den Kram passt.
Eben erwähnter Song „Better Distractions“ ist ein Song voller Sehnsucht und Schmacht. Ganz sanft schaukeln uns schon die ersten Takte des Tracks in Stimmung. Wie in der Vertonung einer Traumsequenz hat die Slideguitar mit ihren langen, wabernden Tönen direkt zu Beginn ihren großen Auftritt. Jetzt ist Abschalten und Zuhören angesagt. Na gut! Wie der Titel schon verrät, sucht Faye im Song nach Ablenkung. Sie beschreibt die gähnende Langeweile und die Lustlosigkeit, irgendetwas anderes zu machen, als an die schmerzlich vermisste Liebe zu denken.
Die Musik unterstreicht das wirklich hervorragend, da ist einfach etwas super lethargisches und faules in der Instrumentierung zu hören. Passt auch wunderbar zu diesem viel zu heißen Tag heute, während ich mir die Schweißperlen von der Oberlippe wegpuste. „Will you be with me?“ fragt Faye Webster schüchtern (und wirklich oft) im Refrain. Dabei bleibt offen, ob sie ihren Schwarm direkt anspricht, oder die Frage quasi in die Glaskugel hineinfragt. Das schöne daran; wir wissen nicht, ob es sich hierbei vielleicht sogar um unerwiderte Liebe handelt. Oder die angehimmelte Person überhaupt etwas von diesen Gefühlen weiß.
Bittersüße Melancholie flechtet sich also schon ganz früh in dieses Album ein. Auch im zweiten Song „Sometimes“, ein Song über das Verlassenwerden, aber irgendwie doch nicht so ganz Loslassenkönnen. Oder im Titelstück „I Know I’m Funny haha“, das irgendwie herzzerreißend sarkastisch ein paar kleine Fetzen aus einer Liebesbeziehung erzählt und ich nicht klar sagen kann, ob das jetzt irgendwie wunderschön oder ganz toxisch klingt.
„I think your sisters are so pretty
Got drunk and they forgot they met me
I made her laugh one time at dinner
She said I’m funny and then I thanked her
But I know I’m funny haha“
A different vibe
Das Musikvideo ist auf die gleiche ironische Art und Weise berührend, denn hier wurden verwackelte Handycam-Clips aus dem Alltag so perfekt zusammengeschnitten, dass es an einigen Stellen schon fast zu gut zum Text passt. Und wäre es nicht so super authentisch, würde ich kreischen: „safe gescripted!!!“. Aber glaube, das ist echt. Ehrlich, wer sich beim Schauen nicht auch heimlich in den Lifestyle von Faye Webster (und in sie selbst) verguckt, da weiß ich auch nicht mehr. Könnte ich mir Millionen Mal angucken.
Ich bin übrigens ursprünglich auch durch ein Musikvideo auf sie und das neue Album aufmerksam geworden. Und zwar zum Song „Cheers“. Ich habe wirklich selten so ein extrem cooles Posing vor motorisierten Gefährten gesehen, wie in diesem Musikvideo. Zur Abwechslung sieht man dort keine Ferraris oder Lambos, sondern Motocrossmaschinen. Und an solche habe ich bestimmt seit MX Unleashed für die Playsi 2 nicht mehr gedacht. Die Grafik war damals der Hammer. Ne Spaß, ich hab echt überhaupt keine Ahnung von Games, aber wollte das auch mal sagen.
Musikalisch hat „Cheers“ auch ganz schön was zu bieten und ist eigentlich mein Lieblingssong der Platte. Der stampfende Rhythmus von Drums und Bass in der Strophe fließt übergangslos in einen luftig-lockeren Refrain mit gezupften Chorus-Gitarren. In den Lyrics finden wir eine zuckersüße Liebeserklärung, die den ganzen Coming-of-Age-Charakter des Albums widerspiegelt. Denn ohne dass Faye uns das aufzwingen würde, erfahren wir auf dem Album so einiges über ihre momentanen Gefühlslagen. Und auch wenn ich immer erstmal etwas vorsichtig mit der Auslegung der Texte bin, können wir uns hier sicher sein, dass sie ihre eigene aktuelle Beziehung einfach gerade sehr genießt und das auch aller Welt zeigen möchte.
Did I fall in love with someone I don’t know?
Schaut man sich Faye Websters bisherige Karriere an, hätte man sich diese eigentlich gar nicht schöner ausdenken können. Bereits mit 16 hat sie ihr erstes Album released, dann wenig später ein Signing bei Awful Records aus ihrer Heimatstadt Atlanta, einem Label für überwiegend Hip-Hop und R’n’B. Mittlerweile zwar bei Secretly Canadian unter Vertrag, spürt man ihre Liebe zu R’n’B und die Einflüsse aus vergangenen Tagen aber auch weiterhin in ihrer Musik. Am stärksten fällt mir das im Song „A Dream With a Baseball Player“ auf. In diesem souligen Stück tönt uns sogar ein Saxophon entgegen. Da bin ich ja gerade sowieso sehr Fan von.
Der laid-back Groove des Songs ist der perfekte Soundtrack zu so einem Traum, wie ihn Webster wohl auch schon einmal hatte: Sie war, während sie eigentlich ständig nur auf Tour war, zu einer großen Baseballverehrerin geworden. Und da bleibt es natürlich nicht aus, sich auch mal in einen dieser Supersportler zu vergucken. Ein richtiger Crush! Vor allem, wenn man pausenlos reist und „echte“ Crushs nicht an jeder Ecke stehen. Im Song stellt sie sich selbst und uns immer wieder die Frage: „How did I fall in love with someone I don’t know?“. Damit thematisiert sie einen ziemlichen Klassiker aus meinen Jugendzeiten. Manchmal war ich auch so doll verknallt, dass ich ganze Gespräche mit meiner großen aber unerwiderten Liebe nur in meinem Kopf geführt habe. Und bei Faye könnte mir das auch passieren. Ja lacht ruhig!
Spätzünder
Obwohl diese Themen jetzt so gar nicht mehr meine Welt sind (weil ich jetzt alt und langweilig bin), tut es gut, mal wieder dahin zurückzukehren und diese Gefühle durch Songs wie „A Dream With a Baseball Player“ noch einmal durchzumachen. Ich denke für mich ist das ein Knackpunkt des Albums: Faye ist jung und manchmal mag sie wohl at first sight auch etwas naiv klingen. Aber sie schämt sich nicht, einfach mal zu erzählen, was sie so auf dem Herzen hat. Und das macht sie mit ihren Texten meistens ganz unmittelbar, aus dem Kontext gerissen, ohne lange Einleitung oder öde Moral zum Schluss.
Verabschiedet werden wir auf „I Know I’m Funny haha“ von einer ganz intimen Gitarrenballade im 3/4 Takt, die Faye auch nicht im Studio, sondern Zuhause am Schreibtisch aufgenommen hat. „Half Of Me“, eine Hymne für die einsamen Seelen. „Alone, alone, what could go wrong again?“ singt die Musikerin und weiß nichts mehr mit sich anzufangen. Muss schon ziemlich heftig sein die Sehnsucht, wenn sie sich außerdem fragt, was überhaupt der Sinn von allem so ist? Hier schließt sich thematisch so ein bisschen der Kreis zum ersten Stück und auch hier fühle ich mich persönlich ganz arg angesprochen (ich kann auch einfach nicht allein sein!). Richtig geil, Coming-of-Age mit Mitte/Ende 20. Danke!
„With nothing to do but thinking
I cried all the way home last week
And I felt bad for the stranger sitting next to me“
Fazit
„Vielleicht ist man auch nie zu alt für diese frischen und jugendlichen Themen?“, höre ich mich sagen und erinnere mich selbst dabei gerade stark an meine Oma. Ich weiß ich bin lustig haha. Aber komme nicht an Faye Webster ran, egal was ich mache. Und ihr müsstet sie erstmal diese krassen Tricks mit dem Yoyo performen sehen! Zum Glück gibt sie in ihren Musikvideos regelmäßig Kostsproben ihrer Kunst. Ich liebe an diesem Album, dass es so natürlich klingt, als würde sie mit ihrer Band bei mir im Wohnzimmer spielen. Und dann ist Faye Websters Stimme und ihr Südstaatendialekt natürlich absolut catchy. Die Ausstrahlung stimmt und sie präsentiert uns mit „I know I’m Funny haha“ ein selbstbewusstes Charakteralbum. Die sehr erwachsene lyrische Verarbeitung der kindlich-naiven Themen macht das Hörerlebnis spannend und lässt jeden altklugen Adult mit offener Kinnlade zurück. Von Faye Webster kann man einiges lernen!
Hat den Obamas sicherlich auch gefallen.
Fotocredit: Pooneh Ghana