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Daschas Jahresrückblick: Über Veränderungen, Konstanten und vor allem Wünsche

Dass dieses Jahr für alle absolut seltsam war, brauch ich wahrscheinlich gar nicht zu erläutern. Vom Verlust jeglichen Realitätsgefühls durch ewigen Lockdown in der ersten Jahreshälfte, zu jeden Tag busy und unterwegs sein in der zweiten Jahreshälfte – ich weiß nicht genau, wie ich das Jahr für mich bewerten soll. Und auch jetzt, wo ich musikalisch auf das Jahr zurückgeblickt habe, bin ich ein wenig ratlos. Ich habe versucht, Auffälligkeiten oder Veränderungen innerhalb meines Musikgeschmacks festzustellen. Super Dascha, du hast wie jedes Jahr seit 2013 extrem viel The Kooks gehört. Krass, wie außergewöhnlich und neu! So ein verrücktes Jahr, aber kaum Wandel in meiner Spotify-Schatzkiste? Nun ja, vielleicht habe ich in 2021 jeden Tag Rikas gehört, statt nur jeden zweiten oder dritten, wie im vorherigen Jahr. Doch nach längerem überlegen ist mir klar geworden, dass dieses Jahr dafür eine Menge Newcomer:innen, vor allem aus Deutschland, meine Kopfhörer erreichten. Da lohnt es sich mal genauer zu schauen!

Ziemlich neu und ziemlich gut

Beim Durchstöbern meiner Spotify Top 100 Playlist fielen einige neue Acts immer wieder auf – denn von ihnen war immer mehr als nur ein Song vertreten. Ganz vorne vor allem Zimmer90, die mit ihrer gesamten Debüt-EP Fall Back plus Singles wie Drowning vertreten sind und mich das ganze Jahr über nicht losgelassen haben. (Zu meinem Interview mit der Band gerne hier klicken!) Vor allem Momente, in denen ich Entspannung von Welt und Kopfschmerzen gebraucht habe, gab es in diesem Jahr einige. Genau diese konnten perfekt mit den sanften Synthie-Sounds von Zimmer90 gedeckt werden.

Brandneue Bands, die ich dieses Jahr besonders in’s Herz geschlossen habe sind die lieben Menschen von Power Plush und FORWARD (Interviews gibt’s hier und hier). Beide haben im September fantastische Debüt-EPs veröffentlicht, die ich in 2021 nicht hätte missen wollen. Ich bin mir sicher, dass das für beide Bands erst der Startschuss war und sie 2022 komplett aufblühen werden. Kann’s kaum erwarten in einem Jahr ganz emotional zu schreiben, wie schön das rückblickend ist! Die zwei Singles Realität und Alle Worte Tanzen von den Lieferanten haben mich außerdem komplett von der Band überzeugt, auch da bin ich gespannt auf mehr. Aber auch Debütalben hatten dieses Jahr eine Menge zu bieten. Besonders die von Alli Neumann, Shelter Boy und girl in red haben mich für sich gecatched.

Zwar keine Newcomer, aber neu in meinem Herzen (sorry, Kitsch) sind Buntspecht. Das war mit ziemlicher Sicherheit die Band, für die ich mich in diesem Jahr am meisten neu begeistern konnte. Keine Musik hat meine Nächte besser untermalt und keine Wortwahl mich so sehr mit ihrer Geschicklichkeit fasziniert.

Okay, wie exakt kann man meinen Musikgeschmack treffen und vereinen? Donkey Kid hat die Antwort wohl parat. Ein weiterer Newcomer, der dieses Jahr richtig begonnen hat Musik zu releasen und mich komplett (!) mitgerissen hat, ist nämlich dieser junge Herr. Mit bisher nur vier Singles hat er sich bereits über 46 Tausend monatliche Hörer:innen erspielt. Und ich bin definitiv eine davon. Jede Single war anders als die vorherige und hat meine Aufmerksamkeit erneut auf ihn gelenkt. Deep Blue war einer meiner meistgehörtesten Songs des Jahres und ich habe jede Sekunde geliebt! Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so hungrig auf mehr von einem Künstler war. Ey, scheiß auf Glück und Gesundheit, wenn ich mir eine Sache für 2022 wünsche, dann mehr Donkey Kid Songs.

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Hype mit Freude

Besonders freut es mich, dass neue Künstler in Richtung New Wave / Post-Punk wie Edwin Rosen, dessen uns allen bekannter Hit leichter//kälter schon in 2020 zu meinen top Spotify-Songs gehörte, so viel Aufmerksamkeit erhielten. Verdienterweise eben! Dieses Jahr spielte Edwin seine erste Tour und ich hab seine Liveshows auch ein paar mal erwischt. Die Energie, die die Zuschauer:innen mit sich gebracht haben, beweisen, dass das viel mehr als nur ein kurzweiliger Internet-Hype ist. Hierzulande für die breite Masse neu angekommen sind in diesem Jahr auch Molchat Doma. Anfang 2020 hab ich sie noch für 13€ in einer kleinen Location zwischen zurückhaltenden Kenner:innen gesehen. Aber vergangenen Monat dann auf ihrer World Tour in einer ausverkauften, engen Halle für mehr als verdoppelten Ticketpreis. Zwischen Moshpits, Crowdsurfer:innen und jubelnden Fans. Es ist so faszinierend und verwirrend zu erleben, wie eine Band, die ihre Songs ausschließlich auf meiner Muttersprache schreibt, hier so eine Welle an Aufmerksamkeit generiert. Bei Leuten, die keinen Plan davon haben, was sie da überhaupt singen! Nicht mit mainstreamtauglichen Pop, Rock oder Rap, sondern Dark Wave! Verrückt! Und ziemlich unerwartet. Meine Mutti glaubt mir auch immer noch nicht, dass die belarussische Band, die klingt wie die Lieblingsbands ihrer Jugend, hier so gefeiert wird. Ob ich ihr wohl noch beweisen kann, dass ich nicht übertreibe?

Da ich schätzungsweise zu 50% russischsprachige Musik konsumiere, freut es mich umso mehr, dass jetzt so viele auf den Genuss dieser krass guten Musikecke gekommen sind. Wenn ich ehrlich bin, ist es auch ein bisschen amüsant zu sehen, wie die teilweise ahnungslosen Fans zu den traurigsten Songs, die vom Wunsch zu sterben handeln, auf den Konzerten abgehen und jubeln. Aber hey, gute Musik kann eben alle überall für sich überzeugen! Für alle, die auch auf den Genuss gekommen sind und mehr davon wollen, kann ich das neue Album der russischen Band Ploho nur empfehlen. Weitere neue Albumveröffentlichungen aus dieser Richtung, die mich begleitet haben, stammen unter anderem von Levin Goes Lightly, Amiture, Luis Ake und Electroforez. New Wave blüht auf und begeistert nun, meiner Beobachtung nach, auch Leute, die vorher nichts damit anfangen konnten. Ein Wandel, der mich sehr freut und hoffentlich länger hält, als der durchschnittliche Hype.

Gute, schlechte und wichtige Nachrichten

Das lässt sich für mich relativ kurz zusammenfassen. Eine der besten Nachrichten des Jahres: Die neue EP Avatar von Fibel erblickt endlich das Licht der Welt. Eine der schlechtesten Nachrichten: Fibel sagen kurz nach Release alles ab und kündigen eine Bandpause auf unbestimmte Dauer an. Aua. Letzteres möchte ich am liebsten verdrängen und so tun, als wär das einfach nicht passiert. Die EP hingegen ist meiner Meinung nach eine der besten Veröffentlichungen des Jahres, das wusste ich schon, bevor ich sie gehört hatte. Wie kann eine Band so krass gut sein? Winter hat mich in der Anfangszeit des Jahres wie eine herzliche Umarmung empfangen und mir jeden Lockdown-Tag ein kleines Stückchen Durchhaltevermögen geschenkt. Vielleicht hab ich echt dringend jemanden gebraucht, der mir sagt „Irgendwann ist der Spuck vorbei!“. Jetzt ist es Dezember und ich kann den Song passenderweise wieder hören, mitfühlen, permanent mit mir tragen. Aber auch die restlichen Songs der EP reichen von Bangern wie Odyssee, zu Melancholie wie in Ufo. Und das alles mit ganz abstrakten, unwirklichen, mystischen Texten, die mich bei jedem Hören zum Staunen und in eine ferne Welt bringen. Bitte, bitte bleibt nicht für immer weg, Fibel! 🙁

Der Song aus meiner 2021-Sammlung, der wohl die wichtigsten Nachrichten vermittelt ist Frühling Winter und kommt von meinen geliebten OK KIDs. Die haben in diesem Jahr wieder richtig sich selbst und ihren Sound gefunden, sich von allem losgelöst und jetzt alles auf eigene Faust weitergemacht. Geil! Als erster Teil dieses neuen Abschnitts diente die eben genannte Single. Die wies nicht nur auf durch Lockdown aufgedeckte und verstärkte Probleme der Kulturbranche hin. Sondern befasste sich auch mit dem Verdrängen von eigener Verantwortung bei wichtigen Problemen unserer Zeit. Ich glaube nicht nur OK KID haben den Release dieses Songs gebraucht. Um wieder zu zeigen, wer sie eigentlich sind, wofür sie stehen und dass man sie sich gegeben falls in Erinnerung rufen sollte. Ich glaube, alle haben diesen Song gebraucht. Ende Januar 2021, als der Song rauskam, schien das Land wie in einem festen Winterschlaf. Dann Zack – ein Release schlug allen mitten ins Gesicht. Und das nicht nur wegen dem überraschenden, großen Rock-Finale des Songs, das klingt, als würde die Apokalypse eingeleitet werden. In Reviews las ich damals häufig, dass der Song als offener Brief diene. Ich finde aber, er hat so viel mehr Dringlichkeit und Intensität. Einen Brief ließt man und denkt im Nachhinein vielleicht darüber nach. Frühling Winter hingegen schreit jeden an und lässt niemanden wegschauen. Zurecht. Vielleicht sind wir besonders in diesem Jahr müde geworden und haben versucht vor den unzähligen Missständen die Augen zu verschließen. Genau deshalb bin ich dankbar, dass sich OK KID zur Aufgabe gemacht haben, uns das vor Augen zu führen. Besonders froh bin ich darüber, dass das von Menschen kommt, die ich eh gern hab. Lasst uns den Song auch in 2022 nicht vergessen!

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Livemusik und Wünsche

Nachdem ich mich in der ersten Jahreshälfte ganz, ganz schrecklich nach Events und Livemusik gesehnt habe, sah die zweite schon viel besser aus. Um einiges. Ich hatte von Mitte Juni bis Ende November keine einzige Woche, in der ich keine Livemusik gehört habe. Manchmal waren es auch mal vier Konzerte pro Woche, aber ich hatte ja einiges nachzuholen. Ich glaube viele hatten, vor allem im Sommer, das Gefühl, sie müssten jeden Tag komplett nutzen und ganz viel erleben. Einerseits, um nach zu holen, was im Lockdown verloren ging, andererseits aus Angst, dass das alles im nächsten Lockdown wieder verloren geht. Dieses eingeengte Gefühl ließ auch mich nicht los und leitete mich durch einige schöne Abende und schlaflose Nächte.

Besonders verliebt bin ich in die Liveshow von Drangsal, den ich dieses Jahr mit neuem Album im Gepäck zwei Mal live gesehen habe. Zwar hatte ich ihn und seine Musik schon immer auf dem Schirm, aber hätte ihn wohl nicht zu meinen Herzensfavoriten gezählt. Exit Strategy war wohl der letzte Ruck, den ich gebraucht habe. Das Album ist rückblickend mein absolutes Lieblingsalbum 2021. Jede:r Hörer:in braucht wahrscheinlich keine Erklärung dafür. Vor allem sind die Songs live das energiereichste, was ich seit Langem erlebt habe. Ich konnte nichts anderes, als Begeisterung zu empfinden. Diese zwei Shows werden mir sicherlich noch ganz lange in bester Erinnerung bleiben. Auch die zwei Leoniden Shows, bei denen ich im Sommer war, müssen unter „energiereich“ genannt werden. Zwar hab ich sie schon oft live gesehen und jedes Mal geliebt, aber sie haben es wieder geschafft mich vom Hocker zu hauen. Haha, literally. Denn wie geil kann eine Liveshow trotz Corona-bedingter Bestuhlung sein? Krasseste Live-Band des Landes, diese Meinung wird nie jemand ändern.

Neben gewöhnlichen Konzertbesuchen prägten mein Musik-Jahr auch ein paar andere Faktoren. Natürlich das Dasein als Teil von untoldency, aber auch mein Job in einem Club, durch den ich einige Konzerte mitnehmen konnte. Im Sommer noch ein eigenes Festival mitorganisiert (1A Acts wie Mia Morgan und Cinemagraph) und dann zum dritten Mal als Teil des Stadt ohne Meer Festivals mitgearbeitet. Letzteres gehört auch zu meinen absoluten Highlights, wie jedes Jahr. Vor allem als, zu dem Zeitpunkt, erste 2G Veranstaltung ohne Abstände! Auf all den vielen Events hab ich natürlich nette Freund:innen und Bekannte getroffen, neue Kontakte geknüpft und gehofft, dass das nie wieder verschwindet. Jetzt ist Dezember und ich befürchte, wir sind an einem viel zu ähnlichen Punkt wie vor einem Jahr. Zumindest was Live-Musik betrifft. Wie es um die Kulturbranche zu so einer Zeit steht, ist euch wahrscheinlich allen bewusst. Dazu haben in den vergangenen Lockdowns schon genug Menschen die passenden Worte gefunden.

Aber weil ich am Anfang des Artikels über fehlende Veränderungen geschrieben habe, wünsche ich mir welche für das kommende Jahr. Rückblick heißt ja auch immer Neubeginn, oder? Ich wünsche mir, dass Musik, Kunst und Kultur nicht wieder in den Schatten rücken. Ich wünsche mir, dass sich alle daran erinnern, was wir aus den ersten Lockdowns gelernt haben. Als Kunst- und Filmstudentin wird mir immer wieder bewusst, was für einen wichtigen Einfluss Kultur auf jegliche Formen von Gesellschaft hatte. Und das so gut wie immer in der Geschichte! Immer sehnten sich Menschen nach Formen der Unterhaltung, zugänglich vermittelter Kunst, verbindender Kultur. Wir sollten jetzt diesen Wert sehen, schätzen und Kultur nicht immer an die aller letzte Stelle rücken. Kultur und Live-Musik ist mehr als nur belangloser Spaß und Bierchen sippen, sowohl für Teilnehmende, als auch für Zuschauende. Also wünsche ich mir, dass wir alle diesen Stellenwert anerkennen und sichtbar machen. Und ich wünsche mir noch, dass wir alle unsere Lieblingskünstler:innen noch mehr supporten. Ich habe mir bereits für 2021 vorgenommen, dass ich jedes Mal, wenn ich mir denke, wie genial ein Album oder eine EP sind, ich dem Artist etwas zurückgebe, in dem ich etwas kaufe (wenn das zu dem Zeitpunkt finanziell möglich ist) oder mindestens etwas von der Musik teile. Denn schließlich verdienen die Künstler:innen so gut wie nichts an meinem Stream, während ich den Zugang zu ihrer Kunst als selbstverständlich wahrnehme. Der Gedanke tut jedes Mal ein bisschen weh und ist sogar, wie ich finde, mit Scham behaftet.

Außerdem wünsche ich mir, dass die Musikszene noch diverser, offener, freundlicher und belehrbarer wird. Zwar sind wir auf einem sehr guten Weg und weiter als manch andere Musik-Ecken, so gibt es beispielsweise trotzdem das immer wieder auftauchende Muster der basic Band-Männer, die sehr viel von sich halten und ganz wenig von allem anderen. Ich bin müde davon und erhoffe mir für 2022 ganz frischen Wind und neue Überraschungen. Ich wünsche mir, dass wir alle mehr Musik von nicht-männlichen Bands und Künstlerinnen hören und unterstützen. Auch, wenn dieser Diskurs sich lobenswerterweise in diesem Jahr entwickelt und gesteigert hat, gibt es noch eine Menge zu tun. Zum Glück ist mittlerweile mehr Sensibilität und Plattform für diese Themen geschaffen worden. Es werden mehr Künstlerinnen gebucht, umworben, gefeiert. Aber raus aus der kleinen, gemütlichen Bubble. Trotzdem sehen die Line Ups der großen Festivals zum Beispiel einfach traurig aus, wenn man immer als erstes die Diversität überprüft. Ich will hier keine Schuld zuweisen, denn in meinen Top 5 Spotify Artists sind zugegebenermaßen ausschließlich Männer vertreten. Obwohl in diesem Jahr natürlich auch so viel fantastische Musik von Frauen in meinem Radar gelandet ist! Das nehme ich aus meinem persönlichen Jahresrückblick mit. Ich wünsche mir, dass auch ich noch bewusster Musik konsumiere.

Wen es interressiert: Das hier sind ein paar meiner liebsten Songs, die dieses Jahr erschienen sind. Denn es gab viel zu viele gute Releases, es wäre unmöglich gewesen, die alle zu erwähnen. Zusammengefasst in einer netten Playlist, voilá! Lasst es euch schmecken.

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