Kategorie: untold music

  • artists to watch 2026: Die spannendsten Künstler*innen

    artists to watch 2026: Die spannendsten Künstler*innen

    Wer uns schon ein paar Jahre verfolgt, weiß, dass wir nichts mehr lieben, als neue Musik zu entdecken. Besonders im Dezember, denn dort nutzen wir unsere kollektive untoldency-Brainpower, um uns Artists und Bands rauszupicken, die wir euch als Artists To Watch vorstellen wollen. Sie alle haben nächstes Jahr Großes vor, gehen auf Headline-Tour oder veröffentlichen ein mit Spannung erwartetes Album! Sie jetzt auf dem Schirm zu haben, könnte euch einige Pluspunkte in eurer Musik-Friends-Bubble einheimsen.

    Und jetzt zieht die Kuscheldecke fest an, wir steigen direkt ein: hier sind unsere Artists To Watch 2026:


    (Hier klicken, um parallel zu hören.)

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    Chloe Slate

    Eine unserer größten Entdeckungen dieses Jahr war Chloe Slater. Die 22-Jährige Britin hat uns aus dem Nichts überrascht und das mit so einer Wucht, dass wir sie euch mit viel Nachdruck empfehlen wollen. Ihre Songs klingen wie ein Protestschrei und das ist auch das, was uns am meisten catcht. Politisch und sozial aufgeladene Songs, die auch musikalisch diesen Drang nach Veränderung ausdrücken. Dabei hangelt sie sich zwischen Indie-Rock, Post-Punk und verträumten Bedroom Produktionen durch, als läge es in ihrer Natur. Mit ihren zwei EPs You Can’t Put A Price On Fun (2024) und Love Me Please (2025) können wir gar nicht erwarten, was da noch von der Manchesterin kommt. Eins ist sicher: Chloe Slater inspiriert nicht nur junge Menschen in Großbritannien, sondern auch uns. 

    Nina Carolina

    Fans von Holly Humberstone, Gracie Abrams und Olivia Dean sollten hier ihre Ohren spitzen. Denn hier wartet eine Newcomerin, die mit ihrer 2025 erschienenen Debüt-EP Outsider beweist, dass sie nicht lange warten will, um in dieser Liga mitzuspielen. Nina Caroline fasst die Sorgen, Ängste, Lebensentscheidungen und Herzschmerz der Zwanziger in Songs, die mit einer verdächtigen Ohrwurm-Potential-Rate von 100% nicht nur in unseren Playlisten hoch und runter laufen. Mal melancholisch, mal energiegeladen schreibt Nina Caroline Indie-Pop Songs, die internationaler klingen als ihre Reichweite gerade (noch) schließen lässt. Doch das wird sich 2026 ändern, da sind wir uns mehr als sicher. Die nächste EP soll schon geschrieben sein, ihr könnt euch also auf noch mehr freuen!

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    JACOTÉNE

    Wenn ihr die folgende Künstlerin noch nicht kennt, dann lasst euch mal auf ein kleines Kennenlernspiel ein. Spielt den meistgehörten Track in JACOTÉNES Diskographie an, schließt die Augen und tippt das Alter. Wenn ihr diese soulige Stimme hört, würdet ihr nicht denken, die Künstlerin aus Melbourne ist erst 19, oder? Wir waren schockiert. Die Zeit, in der wir 19 waren, liegt schon eine kleine Weile hinter uns, und wir haben längst aufgegeben uns zu vergleichen mit so manchen Künstler*innen und wie sie mit ihrem jungen Talent die ganze Welt erobern. JACOTÉNE könnte eine davon werden. Das erste Mal auf sich aufmerksam gemacht hat sie mit 16 mit Demo-Tracks, die auf Spotify die 2 Millionen Marke knacken. 2024 geht es dann richtig los und auch wir wurden dieses Jahr wie im Sturm von dieser unfassbar souligen und charakterstarken Stimme in den Bann gezogen. Uns ist klar: this woman is going places. Folgt ihr jetzt schon, wenn sie 2026 Songs veröffentlicht, die dann die ganze Welt hören wird. You heard it here first!

    Panda Lux

    Wir sind ehrlich, hier haben wir ein wenig geschummelt. Panda Lux haben wir schon als Artist To Watch 2022 gelistet, weil wir überzeugt waren, dass nach diesem Banger neue Musik nicht weit sein kann. Naja, wir haben ein wenig falsch gelegen. Es sollte noch ein paar Jahre mehr dauern bis aus den Schweizer Band ein neues Album rauspurzeln sollte. Aber wisst ihr was? Das Warten hat sich mehr als gelohnt und wir können mit gutem Gewissen und voller Stolz eine unserer Lieblingsbands nochmal empfehlen! Die Tiefe und Verschlungenheit der Texte kombiniert mit der Experimentierfreude von vier studierten Musikern haut uns einfach immer wieder um. Wir hatten schon die Möglichkeit in das Ende Januar 2026 kommende Album Herz reinzuhören und tun das seitdem ehrlich gesagt auf Dauerschleife, immer auch in großer Vorfreude auf die kommende Tour im Frühjahr. Das Album ist genau das, wonach es klingt: ein tiefer Einblick in das Herz von Panda Lux. Wir sind so froh, dass sie wieder zueinander und zu sich gefunden haben. Denn die deutschsprachige Indie-Welt braucht sie einfach. Und ihr auch. 

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    Mina Richman

    Eine längst überfällige Auflistung als Artist To Watch ist Mina Richman. Song für Song hat sich die deutsch-iranische Singer Songwriterin die letzten Jahre in unser Herz gestohlen. Mit ihrem Debütalbum Grown Up (2024) war dann endgültig klar: Mina Richman ist der Shit. Ehrlich, queer und selbstbestimmt fegt sie alle vom Stuhl, die sie in ihre Welt lassen. Ihr Sound ist von Einflüssen aus Soul, Folk, Reggae und HipHop – da ist also für wirklich alle was dabei. Auf „Grown Up“ beschäftigt sie sich mit dem Erwachsenwerden, kultureller Entwurzelung, vermeintlichen Schönheitsidealen und dem Suchen nach einem Platz in der Welt. 2025 ging es direkt weiter mit neuen Songs, die uns mindestens genauso packen, wenn nicht noch mehr. Im August 2026 soll dann das neue Album kommen, gefolgt von einer fetten Headline-Tour, die wir auch präsentieren dürfen. Falls Mina Richman bis jetzt also noch nicht auf eurem Zettel war, sollte sie das spätestens jetzt!

    SCHRAMM

    SCHRAMM ist jemand, der Songs und Zeilen schreibt wie “I died when you asked me to go out” oder “Komm, zünd mich an, ich bin dein Streichholzmann“ und uns damit völlig umhaut. Eine ungeschönte Ehrlichkeit verpackt in einem mal melancholisch-tanzbaren, mal deprimierend-energischen Post Punk. Mal auf Englisch, mal auf Deutsch, aber eigentlich ist all das auch egal. SCHRAMM findet für jedes klitzekleine Gefühl einen Sound, immer ein bisschen bitter-zynisch, und genau das ist es, was uns so catcht. Seine erste EP I made this for myself (I didn’t make this for you) hat der Wahl-Berliner 2022 veröffentlicht, die zweite How to fail at love EP kam 2024. In diesen Jahren hat sich schon eine kleine Fanbubble um den Künstler gebildet, denn wer sich einmal in seinem Sound verliert, will sich gar nicht mehr davon lösen. Das Gute ist, das müssen wir auch nicht! Im Gegenteil, es kommt 2026 noch mehr von SCHRAMM, weshalb wir das gerade als einen perfekten Zeitpunkt sehen, ihn euch ganz gezielt ans Herz zu legen. Seine neue EP something smelly funny erscheint am 06.02.2026. Und eine Tour gibt es auch! Wir geben euch alles an die Hand, was ihr braucht.

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    fiio

    fiio hat sich auf diese Liste mit einer großen Empfehlung aus unserer Redaktion geschlichen. Auch viele von euch haben den Wiener Indie-Rock-Musiker schon auf den Radar. Es scheint also, als sei es fast schon überfällig, ihn als Artist To Watch aufzunehmen. Sein drittes Album Athena. ist gerade einmal einen Monat alt und trotzdem können wir das Gefühl nicht abschütteln, als würde nächstes Jahr ein besonderes Jahr für fiio werden. Es kitzelt aber auch einfach besonders wenn Wiener Sprechgesang auf moderne Pop-Melodien trifft, oder? fiio gibt einen unverblümten Eindruck in das Chaos des modernen Lebens der Mitte Zwanziger, ein Coming-of-Age mit einem wahnsinnig catchigen Soundtrack. Wir sind begeistert, ihr seid begeistert, jetzt warten wir noch auf die Leute um uns herum und dann können wir sagen: wir kannten fiio schon, bevor ihn alle kannten.

    STRAHLEMANN

    Ähnlich ist es bei STRAHLEMANN. Auch diese Band hat riesengroße Fans in unserer Redaktion und ist auch schon seit einigen Jahren bei einigen von euch sehr beliebt. “Relativ idealistisch, ziemlich sozialkritisch, hauptsächlich selbstzentriert” – so steht es in der Beschreibung der Indie-Rock Band aus Münster. Was wir da noch hinzufügen würden: eine kleine Prise melancholisches Fernweh nach diffusen Momenten der tiefen Gefühle. Ihre Debüt-EP Die Sonne scheint nur für mich (2023) hat uns schon große Ohrwürmer gebracht und auch die folgende EP Tut gar nicht mehr so weh (2024) lässt uns unsere Gefühle rausschreien (und tanzen). Dieses Jahr kamen weitere fünf Songs, die sich in der  Komm, wir machen uns gemeinsam verletzlich-EP gesammelt haben und uns SO VIEL BOCK auf das kommende Album machen. Falls ihr das lest, es ist überfällig, STRAHLEMANN. Wir wollen mehr moderner Kuschelrock mit moralischem Rückgrat. 

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    Sampa The Great

    Neben Chloe Slater und JACOTÉNE haben wir mit Sampa The Great eine weitere sehr starke Empfehlung aus dem Ausland für euch. Zugegeben, Sampa The Great ist alles andere als eine Newcomerin – ihre Diskografie reicht zurück bis 2015. Die in Sambia geborene und in Botswana aufgewachsene Künstlerin macht einen unvorhersehbarer Mix aus abstrakten Hip-Hop Beats, afrikanischen Einflüssen, Jazz-Electronica und spirituellen Neo-Soul. Der Grund, warum wir sie mit in unsere Artists To Watch Liste aufnehmen, ist der nach einer zweijährigen Pause erschienene Song Can’t Hold Us feat. ihrer Schwester und R’n’B Künstlerin Mwanjé. Mit ihm hat sie ihren Sound neu erfunden, Nu Zamrock: eine kraftvolle Verschmelzung von der rohen Energie von Rock, Hip-Hop, Soul und sambischen Rhythmen. “Zamrock is my sound. It’s my voice. Being Zambian, being loud, being defiant — that’s what Zamrock is.” Und dieser Sound ist so stark, dass wir davon überzeugt sind, dass Sampa The Great 2926 ein mehr als vielversprechendes Jahr vor sich hat. Und wir dem alle gespannt folgen sollten.

    RAR

    Zu guter Letzt möchten wir euch RAR empfehlen. Eine absolute Nischen-Empfehlung, von der wir gar nicht genau sagen können, wie groß sie 2026 werden wird. Aber eins ist sicher: RAR solltet ihr auf eurem Radar haben. Vielleicht haben es ein paar von euch auch schon! Immerhin war Jonas Pentzek, der Kopf und Stimme hinter RAR, bis 2022 Teil der Post-Wave Band Fibel. Vielleicht ist euer Herz auch noch ein wenig angekratzt seit der offenen Pause der Band, und falls das so ist, könnte das hier eins der schönsten Pflaster sein, das die Musikbubble hergibt. Alte Synths, weißes Rauschen, tiefsinnige deutsche Texte – all das legt sich über eine Weite Range an BPMs und erschafft Musik, die sich in die tiefsten Poren unseres Körpers einschraubt. 

    Auch hier wird es eine Tour im Frühjahr 2026 geben! Und obwohl die aktuelle EP 1996 erst im September rauskam, hoffen wir, dass da noch viel unreleaste Musik wartet. Irgendwas Gutes muss nächstes Jahr passieren. 

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    Und damit sind artists to watch 2026 komplett! Chloe Slater, Nina Caroline, JACOTÉNE, Panda Lux, Mina Richman, SCHRAMM, fiio, STRAHLEMANN, Sampa The Great und RAR. Alle 10 solltet ihr auf dem auf dem Schirm haben, wenn eure Freund*innen nach neuem Musikinput fragen. 2026 wird ein gutes Jahr – wir manifestieren das jetzt einfach mal so. Musikalisch werden wir auf jeden Fall gut aufgefangen werden, egal, was passiert.

    Hier könnt ihr klicken, um zu den individuellen Jahresrückblicken unserer Redaktion zu kommen.

    Und hier geht’s nochmal zur artists to watch 2026-Playlist mit direkten Reinhör-Empfehlungen: 

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    Fotocredits:
    Chloe Slate: Hayley Thompson | Nina Caroline: Johanna Gußmaggk | Mina Richman: Jan Haller | JACOTÉNE: Darren McDonald | Panda Lux: Sina Meyer | SCHRAMM: Can Wagener | fiio: Fioni Versace | STRAHLEMANN: Sophia Arlena | Sampa The Great: Abu Dumbuya | RAR: Jimi Joel Eyrich

  • Blair Davie erinnert uns, wie schön die Liebe klingt

    Blair Davie erinnert uns, wie schön die Liebe klingt

    Newcomer*in Blair Davie kehrt im Herbst 2025 mit First And Last zurück – einer gefühlvollen EP über die Liebe in all ihren Phasen. Am 8. Oktober erschienen, reiht sich ein herzerwärmender Song an den nächsten. In sechs wunderschönen Tracks erzählt Blair eine Story vom ersten Herzklopfen bis zum Für-immer-Gefühl. Mit First And Last hat das schottische Ausnahmetalent eine Sammlung geschaffen, die berührt und uns daran erinnert, wie Liebe sich anfühlt und wie sie klingt, wenn man sie wirklich zulässt.


    Wenn du vergessen hast, wie sich Liebe anfühlt – First And Last erinnert dich daran. 

    Blair Davie ist eines der wenigen Talente, bei dem man beim Hören der Songs direkt gute Laune bekommt. Man hört förmlich die Freude am Songwriting und Singen in jedem Wort, und diese positive Energie überträgt sich von der ersten Note an. So wirkt auch diese EP absolut authentisch. Der Opener setzt den Ton für die gesamte EP: verletzlich und ehrlich, träumerisch und sanft. Ganz ohne Filter. Bei „Coming Back Babe“ ist die rohe Power von Blairs Stimme sofort spürbar. Als kraftvollstes Instrument entsteht zwischen Sounds ähnlich Adele und Bruce Springsteen (wie Blair selbst sagt) ein intensiver Sound, gefüllt mit verliebten Textzeilen. 

    impulsiv, unvernünftig, wunderschön

    Blair singt vom Davonlaufen, von Freiheit und der Sehnsucht nach einem Für immer zu zweit.

    „you and me runnin‘, never coming back, babe“ 
    „two hearts in a black car and we drive away“ 

    Im Zentrum steht die Flucht ins Glück, weit weg von allem, fokussiert auf eine gemeinsame Zukunft, immer mit dem beflügelten Gefühl vom Verliebtsein, das mitschwingt. 

    Dass das größte aller Abenteuer in der Liebe liegt, wird auch im nächsten Song hörbar.  „Crashing The Car“ ist ein Track darüber, jemanden so intensiv zu lieben, dass alles andere nebensächlich wird – sogar das Leben selbst:

    „if we end up crashing the car, I’m happy we made it this far
    „darling, I know in my heart, it’s a beautiful way to go into the dark if I die wherever you are“  

    Der Song erzählt von Hingabe und der Bereitschaft, intensive Liebe zuzulassen, sodass sie dem Tod entgegensteht. Trotz der etwas düsteren Metapher ist dieser Song eine weitere poetische Liebeserklärung, wobei außerdem auch ein Gefühl von Hoffnung durch den optimistischen Gedanken auf ein Wiedersehen im nächsten Leben mitschwingt: „If you asked me, I’d leave the whole world behind. If we meet in another life, then it’s alright“.  

    Im Kontrast dazu folgt im nächsten Song die Freude über das Leben zusammen. „What a Life“ erzählt vom Gefühl, jemanden zum ersten Mal in die eigene Welt mitzunehmen – ins Zuhause, in Erinnerungen, in das, was man liebt und wo man herkommt. 

    there ain’t no taste of home down the telephone, so welcome to my little slice of something called paradise“

    Zwischen den Zeilen klingt Blair Davies Herkunft aus Perth, Schottland an und es scheint fast so, als würde die Liebe die Heimat in neuem Licht erscheinen lassen.

    „all the streets sound like they’re singing now that I‘ve got you in it  – what a life“

    Die Zeilen erwecken den Eindruck, als würde Blair die Welt durch eine rosarote Brille sehen – aber eine, die ganz ehrlich getragen wird, ohne Kitsch, einfach aus purer Freude.  

    Mit Freude geht es auch in den nächsten Track. „Wouldn’t Be Right“ ist ein weiterer Feel-Good-Song über Zufriedenheit mit dem, was man hat, auch wenn nicht immer alles einfach ist. Es braucht nicht die neuesten und teuersten Sachen, solange man eins hat: die Liebe.

    „I know that it’s worth it all the days that you’re mine“
    „it might not be perfect all of the time, but with any other human, no it wouldn’t be right“

    Trompeten- und Gitarrenklänge ziehen sich durch den Song und geben dem Ganzen einen sehr glücklichen Folk-Vibe. Euphorisch und ehrlich singt Blair darüber, dass es am Ende nur darauf ankommt, jemanden zu haben, mit dem sich alles richtig anfühlt, egal, wie chaotisch das Leben gerade ist.

    Der Titeltrack verdichtet das zentrale Motiv der EP: ewige Liebe, die bleibt. Als Herzstück des Projekts fasst „First And Last“ vieles alles aus den vorangegangenen Songs zusammen. Blair macht deutlich, was es heißt, jemanden so sehr zu lieben, dass diese Person zur Hauptfigur im eigenen Leben wird. Nicht aus Selbstaufgabe, sondern aus Vertrauen und Nähe:

    „you’re the protagonist in my little life“

    Es geht um das Gefühl, jemanden gefunden zu haben, bei dem man ankommen darf. Für immer. 

    „from hellos to goodbyes, every morning, every good night – I’m all yours, you’re all mine, till the end of time“

    Der Song fühlt sich an wie eine musikalische Umarmung und transportiert Wärme, Hingabe und ein Versprechen für immer. Ähnlich weiter geht es im letzten Song, wobei es zum Abschluss nochmal kraftvoll wird: „Butterflies“ ist eine Ballade über Liebe, die nicht vergeht, über Schmetterlinge, die nicht wegfliegen. 

    „these butterflies don’t ever fly away“

    Blair singt von einer Liebe, bei der das Kribbeln im Bauch nicht verschwindet, sondern zu etwas Beständigem wird. Eine Liebe, die wächst, die reifer, tiefer, echter wird. Außerdem singt Blair von einer Liebe, die bedingungslos ist – davon, dass man sich für jemanden nicht verändern muss, weil man genau so geliebt wird, wie man ist. Diese Zeilen feiern Akzeptanz, Vertrauen und ermutigen zur Selbstannahme: „You can change but you don’t have to for me: I love you now matter what“. Butterflies bildet ein sanftes, aber kraftvolles Ende einer EP, wobei eine Mischung aus Klavier- und Gitarrenklängen Blairs unverwechselbare Stimme tragen. 


    Eine Ode an die Liebe

    First And Last ist kraftvoll, mutig und herzerwärmend. Zwischen Intimität und Euphorie zeigt Blair Davie eine beeindruckende Entwicklung, sowohl erzählerisch als auch emotional: „It’s a love story from first moment you meet that person, falling head over heels for them and then how that love grows and grows with everything you go through together“, so Blair selbst über das Projekt.
    Die EP lässt einen das Leben kurz vergessen und erinnert gleichzeitig daran, warum es so schön ist, zu fühlen, zu vertrauen, zu lieben. Sowohl musikalisch als auch persönlich hat Blair Davie bereits einen großen Entwicklungsprozess hinter sich und wir sind gespannt, wohin die Reise weitergeht.

    Fotos: MOTHER ARTISTS

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  • “I’m stronger now that I’m softer too” – pure und emanzipiert in Alice Phoebe Lous neuem Album

    “I’m stronger now that I’m softer too” – pure und emanzipiert in Alice Phoebe Lous neuem Album

    Es ist bereits das sechste Album der südafrikanischen Musikerin, die hier in Berlin seit langem schon eine feste Größe im Indie-Pop ist. Alice Phoebe Lou bespielt Orte von baumbeschatteten Plätzen des Treptower Parks in Berlin, kleinen bis mittleren Clubs in Japan, Kanada und den USA bis hin zu Festival-Großbühnen wie dem Primavera Sound in Barcelona. Ihre neue Platte Oblivion“ wird einem intimen Rahmen wohl wieder eher gerecht als der gefühlt endlosen Weite einer Festivalbühne. Verwundern würde es jedoch nicht, wenn Alice auch in dieser Weite Intimität entstehen lässt.

    Alice Phoebe Lous Einstieg ins Album mit “Sailor” gibt direkt den Kurs vor, den das Album segeln wird. Pure, reduziert, ehrlich und zart – Sailor ist ein kurzes Lied über Liebe ohne klassischen Aufbau, aber mit klassischen Alice-Ideen hier zum Beispiel eine Zither einzubringen. Auch wenn man bei Alice Phoebe Lous Liedern über Liebe an das “Glow”-Album denkt, merkt man schnell, dass dieses Album die Segel anders setzt.

    “Pretender”, das zweite Lied des Albums, welches bereits im Juli als Single herauskam, ähnelt dem ersten Titel in Länge und Aufbau. Spätestens jetzt wird klar, dass sich hier jemand mächtig aus vergangenen Dynamiken emanzipiert hat. In fünf Versen schafft es Alice, eine Reflexion zu skizzieren, in der man fast jede Zeile zitieren könnte.

    “I’m stronger now that I’m softer too. I’m older now but I feel younger than when I pretended to know everything”

    Beim näheren Hören des Albums hatte ich immer wieder den Eindruck, ihren Prozess erzählt zu bekommen, und zwar in der Rolle als beistehende Freundin. Das, was sie da in ihre Texte gepackt hat, ist dennoch und vor allem ein Dialog mit sich selbst. Vielleicht gewinne ich deshalb den Eindruck, Teil dieser Intimität zu sein, die ich sonst nur aus Deep-Talk und Emo-Talk mit Freund:innen kenne. Sie nimmt mich mit in die Prozesse zu sich selbst und ihren Beziehungen.

    Mit “Mind Reader” geht sie in die Beziehungsdynamik rein, sucht die Konversation und nimmt dabei aber eine erfahren reflektierte Distanz mit liebevoller Grenzbeschreibung ein – meine Therapeutin wär stolz. Gefolgt von “Sparkle”, was uns noch einmal auf liebevolle Art und Weise einlädt, ihr zuzuhören, welchen Wandel sie durchgemacht hat, um jetzt sagen zu können:

    “But the worst advice that I’ve gotten from the world was to never change. I won’t be staying the same”

    Man hört hier, dass äußere Ansprüche an sie herangetragen wurden, von denen sie eine Abkehr gefunden hat. Textlich sehr scharf und assoziativ formuliert, eingepackt in rustikalen Klavierklängen, macht es wahnsinnig charmant.

    “If you should see me as I sparkle in the night, don’t be a fool, it’s not for you, it is for the divine”

    Die beiden letzten Tracks haben mich textlich so weit in die Insights geführt, dass ich danach fast schon einen Bruch erwartet hätte. Dieser Bruch kommt auch, allerdings erst mit “Oblivion”, der Titelnummer 6. Es erinnert an “Galaxies” aus dem Album “Paper Castles” von 2019 – ein Rückblick? Andererseits erinnert es auch an ein Präludium von Bach (different vibe though) und klingt wie ein Vorspiel, vielleicht sogar der Beginn von etwas Neuem? Ich gerate ins Spekulieren, bin aber großer Fan von dieser Zäsur in der Mitte des Albums. In den Notizen, die ich während des ersten Hörens schrieb, steht ‘die Eingebung’ und daneben das Wort ‘Gefühl’ neben einer gezeichneten Spirale. Es ist nicht ganz offensichtlich, worum es genau geht. Es wirkt mehr wie eine Art Traum, in dem sie sich selbst begegnet ist. Dennoch hat es auch etwas Verletzliches an sich und steht im Kontext zur Welt. “Oblivion” ist mein persönliches Highlight des Albums, immer noch typisch Alice Phoebe Lou, aber musikalisch trägt es eine ganz andere Handschrift als die anderen Songs des Albums.

    Wer mitgezählt hat, stellt fest, dass ich einen Titel übersprungen habe. Kuratorisch gefällt mir hier “The Surface” leider nicht so gut zwischen “Sparkle” und “Oblivion” und reiht sich dennoch nicht ungewollt in die dialogisch gestalteten Songs ein. “The Surface” sucht die Konversation mit der vielleicht Beziehungsperson und ringt nach einem Gesehenwerden. Sie zeigt sich klar geöffnet und froh über die Veränderungsprozesse. Nun liegt der Spielball beim Gegenüber und Alice reicht wohlwollend ihre Hand. Die Begleitung mit der Akustikgitarre unterstützt hier sehr wärmend und liebevoll, ohne die Forderungen zu entkräften. “You and I” ist hier ein guter Anschluss an eine ähnliche Dynamik und wirkt noch direkter und zieht klare Grenzen.

    “And if you wanna go on loving me, you better show it, don’t keep it to yourself”

    Wobei die Antwort im darauffolgenden Song Old Shadows lautet: “Sharing it with me and it takes some to get used to“, aber hey, jede Liebesdynamik trägt ‘alte Schatten’ mit sich herum. Alice zeigt sich auch hier wieder sehr ehrlich und benennt ihre eigenen “old patterns”, die sie in You and I vielleicht schon an der anderen Person kritisiert hat. Ich nehme mit: Liebe ist nicht immer das, was man von ihr erwartet, und bedeutet vor allem Arbeit. Auch Verletzlichkeit spielt eine große Rolle und das hört man auch musikalisch heraus. Im Gegensatz zu “You and I” singt Alice in “Old Shadows” viel zarter und mit höherer Stimme.

    “Sunny with a high chance of rain”

    In “Darling” zeigt sich dann der Himmel wolkenlos. Textlich klingt es sehr verliebt, und das sei ihr nach so viel emotionaler Arbeit doch gegönnt.

    Foto: Caroline Bertolini

    “See that’s just how it works when love is on your side”

    “Skyline” und “With or Without” finden für mich kuratorisch leider nicht so viel Platz in dem Segelboot, aber vielleicht tut dem Album auch ein weniger kitschiges Ende eigentlich ganz gut.

    In diesem Album zeigt sich ganz klar, dass Zartheit und Stärke in keinem Widerspruch stehen müssen. Wie auch in vielen ihrer anderen Lieder nimmt uns Alice Phoebe Lou mit in ihr Inneres, und das trägt in diesem Album nun Früchte – Früchte, die nach Autonomie, Selbstbestimmung und Veränderung schmecken. Dieses Album wäre nicht, was es ist, wenn es die alten Alben nicht gäbe. Liebe Alice, nimm uns gern weiterhin mit auf deine Reise mit neuen Zielen.

    Foto: Caroline Bertolini

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  • ENDE nehmen uns mit in ihr UTOPIA

    Mit ihrer neuen EP „UTOPIA“ surft das wiener Duo ENDE weiter auf der neuen neuen deutschen Welle. Fans des Genres könnten die beiden schon von Songs wie „cowboy1“ oder „räuber“ kennen. Seitdem haben sie einige Singles und nun ihre erste EP veröffentlicht. Sie handelt von Unsicherheiten, innerer Zerrissenheit und von Versuchen, die emotionale Mauer um sich herum in kleinen Schritten abzubauen. Über düsteren Gitarren und Synthies versuchen ENDE komplexe und widersprüchliche Gefühle in Worte zu fassen und malen dabei mit Lyrics wie „Schreib Anekdoten In der hässlichsten Schrift / Briefe an die Toten Falls man sich trifft“ sehr eindrückliche Bilder. Sie selbst beschreiben ihre Musik mit den Worten:

    „Mal ist es das Weglaufen vor sich selbst, mal das Suchen nach einem Ort, der sicher ist. Manchmal flieht man zu zweit, manchmal ganz allein. Aber egal wie, irgendwas treibt einen immer weiter“.

    Der erste Song „kopfverdrehen“ beginnt mit eingängigen und treibenden Drums und gibt eine Energie vor, die sich auch durch die folgenden Lieder zieht. Er handelt von Selbstzweifeln in einer Beziehung und von der Angst, die andere Person nicht zu verdienen. Es geht um die Ambivalenz, zwischen der Sicherheit, die die Beziehung gibt und der Angst davor sich emotional zu öffnen. Im Refrain kommt dann aber doch ein kleiner Hoffnungsschimmer auf. Die Zeile „Komm, ich lass‘ mich darauf ein / (Komm, ich lass‘ mich darauf ein) / Ab heute nie wieder zu zweit allein“ zeigt, dass es sich auch trotz Commitment Issues lohnen kann, wenn man sich seinen eigenen Gefühlen hingibt. Das ist ein Thema, das in aktueller Musik große Präsenz findet. Auch Artists wie Sombr, Paula Hartmann oder Berq haben damit zu kämpfen und schreiben Songs, mit denen viele unserer Generation relaten können.

    Zwischen Unsicherheiten und unerfüllten Sehnsüchten

    Der Anfang von „radar“ klingt wie ein Glitch oder als würde jemand auf den Skip Back Button klicken und verdeutlicht die Unsicherheit, die die ganze EP thematisch beeinflusst. Der Song ist geprägt von düsteren Synthie Sounds und vermittelt eine ambivalente Stimmung von Euphorie und Verlustangst. Er hat den Vibe einer durchzechten Nacht, die irgendwie magisch ist, in der man aber möglicherweise die eine oder andere Fehlentscheidung getroffen hat. Gleichzeitig schwingt die Realisation mit, dass nicht jeder Moment so utopisch sein kann wie dieser und das utopische Gefühl von Unendlichkeit nicht für immer bleibt.

    Wenn Eskapismus ein Lied wäre, wäre es „laufen“. Es beschreibt das Gefühl, das bestimmt alle kennen, wenn man manchmal einfach alles hinter sich lassen und ein neues Leben am anderen Ende der Welt aufbauen möchte. Worte wie „Nimm meine Beine in die Hand / Schleich mich in ein anderes Land“ oder „Hab nichts, nur den Wind im Rücken / Hinter mir, brennen alle Brücken“ verdeutlichen dieses Gefühl sehr gut und machen den Song zu meinem persönlichen Favoriten der EP. Die Rastlosigkeit und die leichte Misanthropie, die in „laufen“ herrschen werden im Outro abgelegt und ENDE geben zu, dass sie doch nicht ganz allein sein wollen:

    „Keinen Koffer, keinen Plan / Lass alles, alles, alles da / Alles, alles außer dich / Dich nehm ich mit“

    Widersprüchliche Gefühle und ein kleiner Hoffnungsschimmer

    Der nächste Song „sterne“ startet mit flirrenden Ravesynthies und wird wieder etwas ruhiger sobald der Gesang einsetzt. Die ganze EP zeichnet sich durch Gegensätze aus und das wird bei diesem Song mit Zeilen wie „Deine Worte wärmen Meine / Blicke bleiben kalt“ besonders deutlich. Er handelt von einer emotionalen Mauer, die man um sich herum aufbaut und dem Kontrollverlust über sich selbst, der schlussendlich zum Zusammenbruch führt.

    Auch der letzte Song „überfall“ ist geprägt von Widersprüchen und beschreibt in der ersten Strophe ein Gefühl von einer lähmenden Ungewissheit, das in der zweiten Strophe zwar nicht ganz abgelegt, aber zumindest aus einer anderen Perspektive betrachtet werden kann. Besonders die Zeilen „Ich hab die Hände hinterm Rücken und die Finger gekreuzt / Ich hoffe, dass ich nichts bereu“ machen den Song zu einem passenden Outro für die EP, da sie viele Fragen unbeantwortet lassen und gleichzeitig Hoffnung für die Zukunft geben.
    All in all ist „UTOPIA“ eine Hommage ans Sich-verloren-fühlen und kann damit vielen aus der Seele sprechen, die auch nicht ganz wissen, wer sie sind und wer sie sein wollen. Die Songs haben den typisch rauen und treibenden NNDW-Post-Punk Sound, der zu den zerrissenen und nicht ganz eindeutigen Lyrics passt. Musikalisch und auch thematisch könnte die EP etwas für Fans von Steintor Herrenchor oder EASY EASY sein.

    ENDE EP UTOPIA

    Bei Konzerten stehen ENDE sogar zu viert auf der Bühne und wer Lust hat „UTOPIA“ live zu erleben, kann in diesen Städten vorbeischauen:

    04.10. Linz – Stadtwerkstatt 
    14.10. München – Unter Deck
    15.10. Köln – Jaki
    16.10. Berlin – Monarch
    17.10. Hamburg – Molotow
    18.10. Hannover – Kiezkultur Festival

    Fotos: Felix Kafka

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  • Nahbar, ehrlich, leise stark: philine über das Leben im Hier und Jetzt

    Nahbar, ehrlich, leise stark: philine über das Leben im Hier und Jetzt

    Mit der am 05. September 2025 erschienenen EP The Truth of Living in Reality gelingt philine eine Kollektion, die nicht nur ihre persönliche Geschichte erzählt, sondern die Gefühle einer ganzen Generation einfängt. Sie zeigt, dass man nicht immer alle Antworten braucht. Manchmal reicht es, ehrlich hinzuschauen, zu fühlen und im Moment zu sein. In sechs Songs widmet sie sich den großen und kleinen Fragen des Lebens in den 20ern: Beziehungen, Selbstfindung, Veränderung, Verletzlichkeit und der Akzeptanz des Hier und Jetzt. Mit rohen Emotionen, sanften Gitarrenklängen und kleinen Chören hier und da schafft sie ein Soundbild zwischen Melancholie und eindringlicher Intimität. Ihre Lyrics sind nahbar und ehrlich.


    The truth of living in reality – Fazit: It’s not always easy. 

    Selbst habe ich mich oft in den Songtexten wiedergefunden, weshalb mich die EP schon beim ersten Hören abgeholt hat. Die 20er sind die Zeit des Lebens, wo die meisten von uns viel Veränderung erfahren, sich (neu) entdecken, hinterfragen: Wer bin ich eigentlich und was will ich vom Leben? Philine verarbeitet diese Ambivalenz, das Schwanken zwischen Sicherheit und Unsicherheit, Wissen und Nichtwissen.

    Die EP überbringt die Botschaft, sich nicht mehr im Traum verlieren zu wollen, keine Scheu vor der Wahrheit, vor dem Leben im Moment zu haben. Manchmal muss man über seinen Schatten springen und der Realität ins Auge sehen, denn auch schwierige Momente lassen uns wachsen. 

    Den Anfang macht „waste a life“, in dem philine singt, wie sehr sie sich danach sehnt, nicht länger vor dem Moment davonzulaufen, sondern das Leben im Hier und Jetzt genießen zu wollen, statt es aus Angst vor der Zukunft zu verpassen.

    „I’ve already spent a few years crying over what I wanted, missing out on all the parts that were in front of me“

    Sie reflektiert den Gedanken, zu lernen, dass die Freude über Gutes größer sein kann als die Angst, es wieder zu verlieren. Sie erkennt: „I‘m always scared of losing“ und „I don’t wanna waste a life like this“. Im Song singt sie über ihre Vergangenheit, dass sie schon immer so war, sich vieles nicht getraut und Spaß verpasst hat, immer mit der Angst, zu versagen. 

    „If you think it’s gonna happen, then it’s what you get“

    Sie erkennt, sich und ihren Blick auf die Dinge ändern und nicht mehr auf Negatives fokussiert sein zu wollen, denn eine positive Einstellung bringt auch positive Dinge mit sich. Der Song vermittelt die Botschaft, nicht mehr allem hinterherrennen zu wollen, sondern im Moment zu leben und sich über das zu freuen, was da ist. Mit sanften Gitarrenklängen entfaltet der Song eine Wärme, die sich direkt überträgt.

    Auch ihr zweiter Song „ten years time“ vermittelt die Message: lebe im Moment. Sie singt zuerst über die Hin- und Hergerissenheit zwischen dem aktuellen Leben und zukünftigen Fragen, diesmal aus der Perspektive einer Beziehung. Der Song handelt von partnerschaftlicher Zukunft, Fragen nach Schwangerschaft, Liebe selbst. Philine findet keine Antworten auf diese Fragen im Song, denn auch hier ist das Fazit: Heute ist wichtiger als die Zukunft, wobei der Refrain als Plädoyer fürs Hier und Jetzt gilt: „right here in the moment’s where the magic is (…) forget about ten years time“.  


    Ein Storytelling, das im Stillen trifft

    Der dritte Song ist mein persönlicher Favorit und bildet meiner Meinung nach den Kern der EP, da er zwei Perspektiven gegenüberstellt und philines inneren Konflikt widerspiegelt. „The devil’s advocate“ erzählt auf der Suche nach Orientierung von einem Kampf zweier Seiten: „There’s one believing in a purpose, the other one is nihilistic“. Sie fragt im Song nach dem Sinn im Leben, nach der richtigen Perspektive und so trifft Reflexion auf innerliche Zerrissenheit: „to all that we know there’s an opposite“

    I can’t pick a side and just go with it

    Die Unsicherheit bleibt, beide Stimmen haben ihre Daseinsberechtigung. Wie weiß man, ob das Leben einen höheren Sinn hat oder unser Dasein zum reinen Zeitabsitzen dient? „I just can’t figure out what’s the narrative“ Die Frage nach Bedeutung vs. Sinnlosigkeit bleibt, immer mit der Rücksicht, dass jede:r die Welt auf eine eigene Weise sieht: „cause my reality is just what I perceive, so who am I to judge the things that you believe?“.

    Der nächste Song greift ebenfalls eine Zerrissenheit auf. „Heavy“ beschreibt die eigene Desorientierung in einer schwierigen Phase, nicht zu wissen, wohin mit sich und das Gefühl zu haben, für andere „zu viel“ zu sein. „Every word feels like rejection and I don’t wanna lie so I bore you with silence but believe me, I try to make sense of the sadness“. Philine äußert, selbst zu leiden und singt über innere Schwere und das Ringen um Leichtigkeit: „When did it get so heavy, and how do I get it light?“. Sie singt über ihre Gefühle in einer schweren Zeit und zeigt sich von einer sehr verletzlichen Seite. 

    Auch im folgenden Lied der EP, „josie“, spürt man pure Emotionen und eine Spur Verletzlichkeit. Sie reflektiert ihre letzte Beziehung und nutzt den Song, um Klarheit zu bekommen – etwas, das sie von ihrer Partnerin nie bekam: „I’d love to get closure but you’re not gonna give it, I know that“. Sie singt darüber, dass die Beziehung sie verändert hat und arbeitet die Fehler auf. Zusätzlich beschreibt sie den Wunsch, mehr gewollt zu haben, aber nicht viel entgegen gebracht bekommen zu haben. „When I told you, you were my first real love, then you asked for space and you broke that trust“. Sie zeigt sich sichtlich verletzt und versucht, ihre Wunden im Song zu verarbeiten. Sanfte Klänge treffen hier erneut auf unverblümte Ehrlichkeit.



    Zwischen Schmerz und Stärke

    Ein emotionaler Schmerz zieht sich ebenfalls durch die Lyrics des letzten Songs. „New year’s eve“ ist ein Track über den schmalen Grat zwischen Liebe und Verrat. „I used to trust you more than me, but everything changed since new year’s eve“. Philine singt von Veränderung, von einem Bruch von Nähe und Vertrautheit. Dabei hinterfragt sie auch ihr eigenes Verhalten. Hätte sie etwas vermeiden oder retten können? Hätte sie sich schützen können? „Maybe I should’ve been much clearer, I should’ve set more boundaries.“ Selbstzweifel machen den Song nahbar und ihre Offenheit berührt. 

    Musikalisch setzt philine auf fragile Klänge, die Raum für ihre Texte lassen. Passend zum Cover, das sie verschwommen im Sonnenuntergang zeigt, entfaltet sich zwischen melancholischer Sanftheit und catchy Indie-Melodien eine EP, die wie eine Momentaufnahme wirkt.

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  • Alehlokapi bricht mit alten Gewohnheiten auf „Erase Replace“

    Alehlokapi bricht mit alten Gewohnheiten auf „Erase Replace“

    Leider kennen wir fast alle das Gefühl sich verfangen zu haben: in alten Denkmustern und in ungewollten Routinen. Das hat für mich häufig bedeutet, dass ich in Beziehungen und Freundschaften meine eigenen Bedürfnisse hintenangestellt habe – bewusst oder unbewusst. Das zu überwinden kostet Kraft und erfordert zunächst ersteinmal sich dieser alten Gewohnheiten bewusst werden. Alehlokapis Debütalbum Erase Replace beschäftigt sich mit genau all dem, holt uns aus dem rauschenden Alltag und bricht mit alten Mustern.

    Das am 29.08.2025 erschienene Album hat mich direkt angesprochen. Alehokapis Stimme in „MMB„, die „call me out on my bullshit“ singt, war der Köder und ich der Fisch, also wurde ich voll in dieses Album gezogen. Danach bin ich tief in die Lyrics getaucht. Dabei ist mir aufgefallen, dass der Song ein mir sehr bekanntes Gefühl widerspiegelt: ich merke nicht, dass ich mich im Kreis drehe und hoffe, dass mir jemand sagt, wenn ich mich gerade wieder in schlechte Denkmuster begebe.

    Das Debütalbum besteht aus acht Songs und einem Bonustrack. Alehlokapis Stimme zeigt ihre Wandelbarkeit zwischen verletzlich und kraftvoll und mit Rap- und Gesangsparts. Im Outro erinnert ihre Stimme beispielsweise an die von Ariana Grande und Alehlokapi beweißt, dass ihre Stimme genauso wandelbar ist.

    Ihren Musikstil würde Alehlokapi zwischen FKA Twigs, Jorja Smith und James Blake verordnen. Ihren Soundbeschreibt sie selbst mit Neo-Soul, Contemporary R&B und Alternative Pop. Dabei kann man jedoch innerhalb der Songsbemerken, wie sich Alehlokapi von Genre-Grenzen löst. Produziert hat die Künstlerin das Album mit Timm Weber und das Mastering des Albums übernahm Friedrich Störmer.


    In 8 Tracks mit der Angst brechen und die eigene Stimme finden
    . Credits Yonas Tegegne

    Startend mit „Silence“ wird uns die Angst vor Ablehnung lyrisch beschrieben und musikalisch untermalt. Sie führt dazu die eigenen Bedürfnisse zurück zustellen.

    Das findet sich auch in den Lyrics wieder: „Keeping my silence for being loved“. Ich mag besonders, dass die Musik einerseits so verletzlich klingt, durch das Piano, aber andererseits auch so selbstbewusst und mutig durch den Bass wirkt. Nach eineinhalb Minuten kommt ein Break, nachdem man kein Piano mehr hört und der Beat eher vorantreibenden und treibend klingt. Das Verletzliche (Klavier) tritt zur Seite, damit der Bass und die Drums mehr Raum haben, der Song wirkt dadurch auch lauter. Vielleicht, weil man nicht mehr „silent“ bleibt?

    Ich finds außerdem sehr cool, dass die Songs Bezug aufeinander nehmen: Der zweite Track „More“ ist verlangsamt, mit einem Loop wird die Songzeile „more“ in tieferer Stimme immer wieder wiederholt. Eventuell könnten das den Anfang der Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse sein.

    Der dritte Track „BoomBoomBooom“ nimmt die Soundwelt von „More“ auf. Er wandelt sich jedoch weiter und die tiefen langsamen verzerrten Vocals von „More“ werden leiser. Wenn bei 0:51 die Drums wegfallen, hören wir die Chorusmelodie, die danach nicht mehr so leicht zu vergessen ist- zumindest für mich. In den Lyrics schreibt Alehlokapi von dem Wunsch wahrgenommen zu werden und der Sehnsucht nach Nähe. Die Angst eigene Bedürfnisse zu äußern, die in Silence so präsent war, ist nicht mehr da. Stattdessen befreit sie sich von dieser Angst und lässt die Gefühle und Nähe nun zu:

    Well u crossed my mind boy a thousand time today /
    in my thoughts my fantasy what are u doing in my head anyway/ my muse, my constant reverie“


    Von unerfüllten Erwartungen und dem Mut einer Person alle Seiten von sich zu offenbaren

    DRIVE-BY“ ist durchzogen von ruhelosen, stolppernden Drums. Der Beat untermalt die innere Unruhe und Angetriebenheit, die man hier fast am eigenen Körper fühlen kann. Er ist eine Momentaufnahme von Stress, Geldnot und Trauer um eine verlorene Freundschaft.

    Darauf folgt „Your Name“ mit Regensounds, die zunächst einen starken Kontrast darstellen und fast eine mediative Wirkung nach der Ruhelosigkeit spenden. Es geht um Selbstschutz, Abgrenzung und einen möglichen Weg, mit der Enttäuschung unerfüllter Erwartungen umzugehen. Für mich spiegelt das Auf und Ab des Albums gut den Prozess wieder, den man durchelbt, wenn man alte Gewohnheiten brechen muss. Man zurück geworfen, man geht wieder nach vorne.

    MMB“ steht für „Make My Bed“. Er handelt von der Notwendigkeit von Verletzlichkeit, damit man sich selber wandeln kann.

    „call me out on my bullshit / call me out on my lies“ und „you see through my eyes“

    zeigt eine Beziehung, in der ehrlich mit Fehlern umgegangen wird. Eine Liebe in der Nähe möglich ist, weil nicht versucht wird eine vermeintlich perfekte Fassade aufrecht zu erhalten.


    Erase Replace und so Selbstbestimmung gewinnen

    Der Titeltrack „Erase Replace“ startet mit sanften Klängen: einem mellow Klavier und mellow Drums. Er steht für den Wandlungsprozess, der im Album beschrieben wird. Alte Denk- und Verhaltensmuster werden überschrieben, das Motto ist sprichwörtlich „Erase Replace„. Man fühlt sich als würde man aus dem Schlaf eines passiven Lebens aufwachen und die eigene Selbstbestimmung wiedererlangen.

    Das „Outro“ klingt durch die Streicher wie ein Moment der Erleuchtung, der Klarheit. Angst und Euphorie treffen aufeinander und Alehlokapi findet ihre Stimme.


    Anstehende Konzerte

    Wer Alehlokapis Debütalbum live erleben möchte, ist herzlich eingeladen zur Releaseparty am 06. September nach Leipzig ins noch besser Leben zu kommen. Tickets findet ihr hier.

    Und hier könnt ihr das Album streamen!

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    Fotocredit: Karine Bravo und Yonas Tegegne

  • Das Verhör und sein erster Song 100 Lieder – ein Newcomer, den man auf dem Schirm haben sollte

    Das Verhör und sein erster Song 100 Lieder – ein Newcomer, den man auf dem Schirm haben sollte

    Wenn du auch mal sagen möchtest “Ich kannte den schon, bevor er berühmt wurde”, ist Das Verhör vielleicht das Richtige für dich. Am 01.08. hat er seinen ersten Song 100 Lieder veröffentlicht und da lohnt es sich reinzuhören.

    und doch wünscht‘ ich du wärst hier

    100 Lieder handelt von einer Person, die einen schon längst aufgegeben hat, an der man aber immer noch hängt. Mit Zeilen wie „Jede Träne voller Sehnsucht, denn ich seh‘ doch, wie egal ich dir bin“ und „Du warst nur groß, solange ich für dich klein war“ beschreibt Das Verhör das Gefühl vom Vermissen und nicht vermisst werden. Durch die eine kurze Pause im Chorus, auf die die Zeile „und doch wünscht‘ ich du wärst hier“ folgt, wird diese Ambivalenz noch einmal deutlich gemacht.

    Der Song startet unmittelbar mit Gesang und steigert sich langsam, bis er dann nach dem zweiten Refrain seinen instrumentalen und emotionalen Höhepunkt erreicht. Die NNDW-Einflüsse sind nicht zu überhören, denn 100 Lieder erinnert stark an Traumatin und Drangsal und trägt gleichzeitig einen neuen Sound zur deutschen Indie-Pop-Rock-Szene bei.

    In 100 Liedern verpackt Das Verhör das Gefühl von Liebeskummer in Worte. Ganz ehrlich und unverblümt lässt er die Hilflosigkeit spürbar werden, die entsteht, wenn die eigenen Gefühle stärker sind als die des Gegenübers. Wäre der Song ein Bild, würde es vermutlich einen Menschen zeigen, der mit Kopfhörern auf den Ohren an einem Regentag melancholisch aus dem Busfenster schaut.

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    in Hannover kannst du den Song schon live hören

    Menschen aus Hannover, die in der Musik- und Kultur-Szene unterwegs sind, könnten Das Verhör vielleicht schon kennen. Mit seiner Band Üpsilon ist er unter anderem schon im MusikKiosk oder bei einem Event des Kollektivs SPACE aufgetreten. Auf ihren Konzerten haben sie 100 Lieder schon oft gespielt und seit der Song veröffentlicht ist, kann auch das Publikum mitsingen.

    Wer Lust hat, einen small Artist zu supporten, ist hier auf jeden Fall richtig.
    Wir sind gespannt, was es in Zukunft noch von Das Verhör zu hören gibt. 100 Lieder ist auf jeden Fall schonmal vielversprechend.

    Fotocredit: @allerunfugistschwer auf Instagram

  • „So few, so proud, so emotional. Hello, Clancy“ – Twenty One Pilots und der Blick zurück bevor es weitergeht

    „So few, so proud, so emotional. Hello, Clancy“ – Twenty One Pilots und der Blick zurück bevor es weitergeht

    “We’re excited to get back into the color red again. Because the goal the whole time was learning how to utilize the thing that we were afraid of and try to win. This is kind of what the story is all about.”
    – Tyler Joseph

    Mit diesem Zitat hab ich 2024 meinen letzten Artikel zur Twenty One Pilots-Lore abgeschlossen. Die Kick-Off Single Overcompensate zum aktuellen Album CLANCY wurde Ende Februar released. Im Mai kam dann das Album – und ich höre es seitdem auf Dauerloop. Bisher hatte ich noch keine Möglichkeit gehabt, in Worte zu fassen, was eigentlich alles auf diesem Album passiert ist. Vor dem Kontext, dass es diese Woche mit einer NEUEN SINGLE zu einem NEUEN ALBUM weitergeht (!), ist jetzt der Zeitpunkt, nochmal alles zu sammeln, was bisher passiert ist.

    Was bisher geschah

    Wir befinden uns in dem sechsten Artikel zu der Lore, die Alternative Duo Twenty One Pilots seit ihrem Erfolgsalbum Blurryface (2015) rund um ihre phänomenale Musik bauen. In jedem davon muss ich zu den vorherigen Artikeln verweisen, weil es wirklich unmöglich ist, alles bündig zusammenzufassen. Wer sich also tief in die Geschichten hinter DEMA, Trench, Clancy und Blurryface einlesen will, kann sich ab hier einmal durchklicken. Es lohnt sich.

    Und weil sich die beiden sweeten Boys aus Ohio, Columbus die Mühe gemacht haben, zur jedem Song ein absolut sehenswertes (!) Musikvideo zu drehen, gehen wir genau so durch das Album. Song by Song, Musikvideo by Musikvideo. Buckle up.

    Disclaimer: Ich habe tausende Gedanken und Gefühle zu diesem Album, aber es lohnt sich wirklichwirklichwirklich alles zu lesen und in die eigene Welt von Twenty One Pilots einzutauchen.

    Can you die of anxiousness?

    Nach Overcompensate war nicht ganz klar, in welche Richtung die Story rund um den Protagonisten Clancy gehen wird. Klar war: there’s gonna be some kind of confrontation. Denn nachdem Clancy zum zweiten Mal aus DEMA (aka die mentale Gefängnisstadt) geflohen ist, hat er beschlossen, zurückzugehen, um zu kämpfen. Im Musikvideo sieht man ihn, wie er mit Sturmmaske im Gesicht in ein Auditorium schreitet und ankündigt, entweder ganz DEMA von innen zu stürzen oder selbst zu einem Bischof zu werden. Viele Gänsehautmomente mit vielen Fragezeichen in einem wahnsinnig starken Intro Song. Ob in Tylers Bassriffs oder Joshs treibenden Drums, zu Overcompensate kann man fantastisch einen Moshpit starten.

    Dann, die zweite Singleauskopplung, Next Semester. Für Fans von Songs, deren harte Riffs sich in die Seele ballern, ein absoluter Diamant. Inhaltlich geht es um Panikattacken, die Tyler im College hatte, und den Struggle, diese zu überkommen und immer weiterzumachen. Das Musikvideo wurde in einem kleinen Punkclub mit einer 130 Kapazität in LA gedreht, mit Fans, die extra für den Dreh eingeladen wurden. Der Schweiß tropft von der Decke und von jedem Körper, der sich in der Menge befindet – einschließlich Josh und Tyler. Ja, das ist schon sexy.

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    Immer wieder gibt es einen Cut vom Club auf eine leere, dunkle Straße und ein großes Licht, das auf Tyler zugerast kommt – bis er in letzter Sekunde ausweicht. Dass das Lied dann mit einem Ukulele-Outro in einem kleinen Kreis von Fans endet und mir Flashbacks zu diesem Elvis Cover gibt, dass die Band vor 12 Jahren gespielt hat, ist einfach nur ein Extra on top. Tyler selbst sagt, dass er von diesem Musikvideo geträumt hat – wie wholesome kann es noch werden?

    I don’t wanna backslide

    Der nächste wholesome Moment wartet nicht lange, sondern ist direkt im nächsten Musikvideo zu Backslide zu finden. Mein absoluter persönlicher Lieblingssong vom Album ist fast eine Hommage an das Musikvideo von Stressed Out. Man sieht Tyler, wie er am Anfang des Videos Burger Brötchen in einem kleinen Laden kauft und sich dann auf sein Bike schwingt, um irgendwo hin zu fahren. Dabei tauscht er es entweder gegen Limonade um oder beißt ab und zu in eins rein, mag es nicht, und wirft es wieder weg. Im Refrain muss er durch Stürme und Regen radeln, nur um am Ende dann bei Josh anzukommen, der beim Grill auf ihn und die Brötchen wartet. Diese sind zu dem Zeitpunkt so gut wie nicht mehr vorhanden. Tyler muss also wieder zum Laden zurückfahren – wo all das nochmal von vorne beginnt. Wer von euch mag das interpretieren?

    Produziert hat dieses Meisterstück Josh Dun selbst. Es ist das erste Musikvideo, was der Drummer eigenständig in die Hand genommen hat. Ironisch, dass es genau das ist, welches Tyler tagelang Muskelkater im Hinterteil beschert hat, weil er über 8 Stunden Fahrrad fahren musste.

    Auch inhaltlich hat das Video sehr viele Referenzen – “Backslide” bedeutet Rückfall oder Wiederholung alter schlechter Gewohnheiten, auch mentaler. Die Referenz zu dem Stressed Out Video könnte dafür stehen, dass er wieder in die Gefühle und Themen von damals zurückfällt. Was auch Sinn ergibt mit der schwarzen Farbe an seinen Händen und Hals – diese stehen für seine Unsicherheiten und erstickenden Gefühle. Sie sind immer zu sehen, wenn er sich in den Fängen von Blurryface befindet. Zurück in DEMA und in diesen alten Mustern hat er Angst, diesen erneuten Kampf zu verlieren.

    There’s no chance I will shake this again
    ‚Cause I feel the pull, water’s over my head
    Strength enough for one more time
    Reach my hand above the tide

    Die Verzweiflung, mit der Tyler den gesamten Chorus singt, macht mich gelinde gesagt fertig. Ich fühl den Pull, ich fühl alles. Ich weiß nicht, was genau es ist, was Twenty One Pilots in diesen Song gepackt haben, aber es ist fast wie eine Droge.

    Winter in Ohio

    Der nächste Song Midwest Indigo ist wiederum eine Hommage an die Region in den USA, wo die beiden aufgewachsen sind: Columbus, Ohio. Bekannt für kalte Winter, wird das Thema der Kälte nicht nur lyrisch in jedem zweiten Vers aufgegriffen, sondern auch im Musikvideo. Ganz DIY auf einem zugefrorenen See gefilmt, mit versteckten Cameos und vielen süßen Momenten.

    Obwohl der Song eine poppige Melodie hat, die tagelang in meinem Kopf rumschwirrt, ist das Thema ein wenig darker (suprise, it’s a Twenty One Pilots Song). Es geht um Isolation, schwindende Chancen, den Drang vor den eigenen Problemen wegzulaufen und eine durchweg präsente Anxiety zu spät zu sein.

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    I’m keeping my eyelids up, no matter what

    Vor den Problemen weglaufen kann Clancy. Auch im nächsten Song Routines In The Night ist genau das Thema – diesmal nur nachts. REM Cycle nach REM Cycle wird geskipped, um nicht im Schlaf von den eigenen Dämonen heimgesucht zu werden. Schlaflosigkeit ist ein häufiges Symptom von mentalen Krankheiten. Und auch das verworrene Labyrinth im eigenen Geist eine Metapher, die wir alle kennen. In dem Musikvideo sieht man Clancy, wie er anstatt zu schlafen, durch die Räume seines eigenes Geistes wandelt. An manchen ist STAY OUT an die Tür gesprüht, in anderen sitzt Josh und spielt Schlagzeug. Interessante Easter Eggs: der Raum, in dem gelbe Blumen von den Bandidos liegen (die ihn das erste Mal aus DEMA befreit haben) und ein anderer, in dem Clancy vor einem Schrank voller Bischofs-Umhängen sitzt. Will er DEMA mit den Banditos stürzen oder will er einer der Leader werden? Wir wissen es immer noch nicht.

    So beautiful, the space bеtween
    A painful reminder and a terrible dream
    I’ve been here before and I’ve got time
    I’ll give you the tour, show you why I

    Ebenfalls empfehlen kann ich euch neben dem Musikvideo diese Live-Version von Tour. Es macht wirklich Spaß, die einzelnen mit Euphorie überforderten Gesichter der Crowd zu sehen, durch die Tyler einfach so marschiert.

    No, not me, it’s for a friend

    Der nächste Song, Vignette, ist ein Song, der nicht nur ballert, sondern tief persönlich ist, denn es geht um Abhängigkeiten:

    “There’s a few interpretations of it. I think for me, it makes the most sense when I look at it from the perspective of addiction and what that can feel like at times. A certain type of season of that and that’s why this song is very special to me.” – Tyler

    Auch wenn wir alle individuell anders dazu relaten können, bestehen Abhängigkeiten in so vielen mehr Aspekten des Lebens als wir es wahrhaben wollen. Sie sind fast immer mit Scham und defensiven Verhalten verbunden, sie haben ständige Ups and Downs. Sie sind vielleicht der schwerste Kampf in uns allen.

    Das Musikvideo ist in der dunkelsten Stunde der Nacht gedreht, auf einem zugefrorenen See, von Schnee bedeckt. Tyler hat einen roten Zettel in der Hand, der ihm zu sagen scheint, wo er hingehen soll, und malt nicht erkennbare Muster in den Schnee. Er schreit Where Do I Go From Here? und hält sich mit seinen schwarz bemalten Händen die Augen zu. Am Ende erscheint dann ein wahres Meisterwerk von Josh Dun’s Gesicht in Großaufnahme – Kunst kreiert Kunst.

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    Another Love Letter

    Eine Tradition, mit der Tyler Joseph auch auf diesem Twenty One Pilots Album nicht gebrochen hat, ist einen Song nur für seine Frau zu schreiben. Von Tear In My Heart, zu Smithereens und Formidable haben die letzten drei Alben einen Song, der nur seiner Frau Jenna gewidmet ist. The Craving (Jenna’s Version) ist dieser Song auf CLANCY. Ein paar Tage vor Album-Release kam eine Single Version raus, ebenfalls mit eigenem DIY Video. Auf dem Album wurde jedoch Jenna’s Version veröffentlicht. Viel ruhiger als die Single-Version und nur mit einer Ukulele, hat dieser Song ein Musikvideo bekommen, das genau diese Intimität einfängt. Mit alten Videos auf einer Leinwand projiziert, kommt die Nostalgie hoch, um die es in The Craving geht. Die Hoffnung, dass diese eine Person für immer im Leben bleibt und man ihr die eigene Liebe gut genug zeigt.

    Welcome to the new way of living

    Welcome to the most underrated track on the album: Lavish. Es ist wahrscheinlich der Track, der am meisten aus dem Album hervorsticht. Es geht um den abgehobenen und verschwenderischen Lifestyle der Musikbranche, und alles wird ein wenig auf die Schippe genommen. Inmitten vieler Referenzen (wie die Capri Sonne aus dem Stressed Out Video oder die Anzüge, die sie bei ihrer 2017 Grammy-Verleihung anhatten) haben sie ein wahnsinnig cooles Musikvideo kreiert, vielleicht das coolste aus der ganzen Reihe. Die Magie von Google Maps und Straßenschilder kann einen nur zum Lächeln bringen. Welcome To The Lavish-Lifestyle:

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    Pardon my delay, I’m navigating

    Wir befinden uns im letzten Drittel von CLANCY und falls ihr hier noch dabei seid, es warten wirklich noch die besten Songs auf euch. Sobald Navigating anfängt, öffnet sich der Mosh – da ist es mir egal, ob ich in einer Arena mit 20 anderen euphorisch rumspringe, oder ob ich alleine in meinem Bad bin. Hier wird aufgestaute Energie ausgeschüttet.

    Das liegt nicht nur an den treibenden Riffs, sondern auch daran, dass die Lyrics aus dem Nichts so ins Schwarze treffen. “Pardon my delay, I’m navigating my head” beschreibt einfach perfekt das, was ich so oft fühle. In einer ewigen Dissoziation, überfordert mit allem, und immer diese Angst, dass Leute gehen.

    If you really want to know what I’m thinkin‘
    Kind of feels like everybody leaves
    Feelin‘ the reality that everybody leaves
    My dad just lost his mom, I think that everybody leaves
    And now I’m tryin‘ to hold onto you ‚cause everybody leaves

    Für Lore Zwecke müsst ihr euch das Musikvideo angucken. Es knüpft direkt an das letzte Lore-Video von The Outside an, welches ich zum Glück schon hier für euch auseinander genommen hab. Dort ist Clancy aus DEMA ausgebrochen und wurde an eine einsame Insel gespült. Mit Torchbearer Josh an der Seite, wird er ins innere der Insel geleitet und lernt seizing – das Ergreifen und Steuern eines entfernten Körpers. (Das wird dann zum Beispiel im Musikvideo von Overcompensating wieder aufgegriffen). Am Ende sieht man beide mit Fackel in die Nacht auf das Meer schauen und ganz viele andere Fackeln, die am Horizont zurückleuchten. Von diesen Personen werden beide am Anfang von Navigating am Ufer begrüßt. The rebels are preparing to fight.

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    Das Riff startet und Josh hämmert auf seine Drums ein in tiefster Nacht. Hinter ihnen ein riesen Feuer, das brennt. Dann, Szenenschnitt zu den Banditos (Rebellen, die helfen wollen, die Bischöfe zu stürzen). Sie führen Clancy und Josh durch einen Wald, durchschreiten Täler, laufen an gelben Blumen vorbei. Josh hilft Clancy einen kleinen Abhang hinauf und ermuntert ihn, weiterzulaufen, als dieser zu erschöpft war. So laufen sie scheinbar stundenlang bis in die Nacht hinein. Dann treffen sie auf eine Lichtung. Auf der anderen Seite tritt Josh in Bandito-Kleidung hinein, und Clancy schaut sich verwundert um. Der Josh, der ihn gerade noch begleitet hatte, ist nicht mehr da. Turns out: er war nie da. Man sieht Flashbacks aus den vorherigen Szenen, in denen Clancy ihn gesehen hat, in denen er aber nie da zu gewesen zu sein scheint. Ich hab Gänsehaut.

    Navigating endet mit Torchbearer-Josh und Clancy, die sich vor dem Lagerfeuer erneut zusammenschließen. Im Hintergrund hört man das Knistern des Feuers und ganz leise die Snythie-Melodie von My Blood. It’s another wholesome moment in this fandom. Take him home, Josh.

    It’s a backslide

    Während es im vorderen Teil des Albums darum ging, nicht in alte Muster zu verfallen, ist genau das, was nun passiert. Snap Back ist ein, wie ich finde, underrated Track, der mit seiner Melodie direkt im Ohr bleibt. Es knüpft an Themen von Backslide und Vignette an. Clancy will mit Muster und Abhängigkeiten zu brechen, spürt aber auch den einher kommenden Druck, nicht zu scheitern. Relatable oder?

    Got a bad feeling that I’m about to break
    Been a good streak, but the pressure’s overweight
    Is it even good for my head to keep track?
    If I’m gonna snap necks, I’m gotta snap back

    Wer sich das Musikvideo zu Snap Back anschaut, sieht Tylers braunen Haarschopf abrasiert werden. Fans wissen, das ist ein common theme, das sich schon in manch andere Musikvideos geschlichen hat. Es passiert nicht viel, aber strahlt irgendwie doch die Verzweiflung aus, die der Song inne trägt.

    Der Song für die Fans

    Fast direkt daran anknüpfend, kommt Oldies Station, der Song, den Tyler für seine Fans geschrieben hat. Es ist ein Song für alle, die auch gegen Muster, Abhängigkeiten und ihre eigene Art von Dunkelheit ankämpfen. Auch wenn Tyler mit Clancy und DEMA und allem drum herum eine komplett fiktive Welt gebaut hat, so sind es reale Probleme, die er von sich und seinem Umfeld verarbeitet. Es ist ua. diese Ehrlichkeit und Offenheit, über solche Themen zu sprechen, die Twenty One Pilots über die Jahre eine so große und loyale Fanbase beschert haben. Dieser Song ist nur ein kleines Danke, dafür aber ein sehr deutliches. Denn so wie Tyler durch seine Depressionen kämpft und nicht aufgibt, so wünscht er sich dasselbe auch für seine Fans.

    Make an oath, then make mistakes
    Start a streak you’re bound to break
    When darkness rolls on you
    Push on through

    Das Video dazu ist einfach nur wholesome. DIY, ohne viel Budget, inklusive Workout für Josh Dun. Es braucht eine Weile, weil das Video sich erstmal nur auf Tyler mit seiner Ukulele fokussiert, der einen von Schnee bedeckten Waldweg langläuft. Doch dann bekommt man einen Blick hinter die Kulissen und sieht die auf Tyler gerichtete Steadycam, die auf einer Holzplatte gezogen wird. Damit sie so gezogen werden kann, braucht sie Rohre unter sich. Diese werden von Josh selbst immer wieder vor die Holzplatte geworfen. Wie ein Hamster im Rad muss er sich Rohr für Rohr holen, hinschmeißen, das nächste holen, hinschmeißen – alles, damit das Rad weiter läuft. Ich fang beim Zuschauen schon an zu schwitzen. Und je länger man das so betrachtet, desto mehr kommt auch der Gedanke auf, dass sich so das eigene Leben anfühlt.

    It’s not worth the risk of losing a friend

    Der nächste Song beschäftigt sich ebenfalls damit wie wichtig es ist, aufeinander aufzupassen. Während es in Oldies Station eher darum ging, auf sich selbst aufzupassen, geht es in The Risk Of Feeling Dumb darum, auf andere aufzupassen, die mit ihrer Mental Health strugglen. Vor allem wenn diese das nicht wollen oder sich abgrenzen. Wir wissen, dass “Danke, gut” die Standard-Antwort auf die Frage ist, wie es einem geht. Es fällt uns allen schwer, nach Hilfe zu fragen wenn es uns nicht gut geht, weil man nicht will, dass andere deswegen ihre Pläne ändern oder sich Sorgen machen. Genauso kann es schwerfallen, die eigenen Herzensmenschen zu fragen, wie es ihnen wirklich geht. Wenn alles okay ist, fühlt man sich vielleicht ein “dumm”, gefragt zu haben. Doch umso wichtiger ist es, trotzdem da zu sein.

    Musikalisch einer der rockigsten Songs auf dem Album und definitiv einer meiner Favoriten. Das Video dazu macht auch einfach Spaß zu schauen. Die Metapher des Pläne fallen Lassens (“drop everything”) wird wörtlich genommen und im Laufe des Videos immer mehr gesteigert. Es fängt an auf Heuballen, über kleine Scheunen zu Hausdächern. Überall sieht man Josh seine Drums spielen. Ähnlich wie das Video baut sich auch der Song auf und endet fast explosiv auf dem Dach eines Hochhauses. It’s worth a watch:

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    Das Ende naht

    Wir sind am Ende. Also fast. Paladin Strait ist der abschließende Lore-Song auf CLANCY. Clancy, der sich auf den letzten Kampf seinem Endgegner Blurryface vorbereitet. Wir wissen, dass Clancy die Macht erhalten hat, tote Körper in Beschlag zu nehmen (“seizing”). Er hat den Versuch aufgegeben, aus DEMA zu fliehen. Stattdessen will er die Konfrontation suchen und den Kreislauf durchbrechen. Diese Geschichte wird im Musikvideo von Paladin Strait wie in einem Film festgehalten. Man sieht die Berg- und Tallandschaften von Trench, das Camp der Banditos, die sich mit Clancy auf die Kampf vorbereiten, die Wellen vom Paladin Strait Gewässer im Sonnenuntergang. Und: die Gefängnisstadt DEMA. An den Außenmauern treffen Banditos auf eine Armee aus Körpern, die von den Bischofs aus ihrem Turm heraus kontrolliert werden. It’s an old fashion Kriegsschlacht, die sich beide Gruppen leisten – zu einem wahnsinnig epischen Song.

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    On the ground are banditos
    Fighting while I find Nico
    Even though I’m past the point of no return
    Climb the top of the tower
    „Show yourself,“ I yell louder
    Even though I’m past the point of no ret—

    Clancy schafft es in die Stadt und erklimmt den Turm, von dem aus die Bischöfe ihre Macht ausüben. Er schaltet sie aus, doch wird dann von der plötzlichen aufspringenden Tür überrumpelt. Blurryface rast auf ihn zu und legt seine Hände würgend um seinen Hals.

    So few, so proud, so emotional
    Hello, Clancy

    Paladin Strait ist mit 6:28 Minuten der längste Song in der Diskografie von Twenty One Pilots und mit Abstand der schönste auf dem gesamten Album. Alles, was es braucht, ist diese Ukulele. Ruhig und melodisch zieht sie einen in das Outro der Geschichte, hält aber auch einen unglaublichen Cliffhanger in sich. Denn es endet genau an dieser Stelle. Es scheint, als sei das ultimative Duell zwischen Blurryface und Clancy das, was jetzt aussteht. Fans spekulieren seit über einem Jahr, dass hier noch was kommen muss. Ein Doppelalbum oder ein Nachfolgealbum? Irgendetwas, das die Geschichte weitererzählt. Denn jetzt steht noch alles offen.

    Ein Jahr später bestätigt sich diese Theorie. Nach dem Ende ihrer Welttour haben Twenty One Pilots ihre neue Single The Contract für den 12. Juni angekündigt. Das Album The Breach wird im September 2025 veröffentlicht.

    Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.

  • Levin Liam macht auf „gesicht verlieren“ die Kunst zur Priorität

    gesicht verlieren – Levin Liam sticht auf seinem neuen Album noch tiefer in seine Wunden, um die Splitter herauszuholen, die die Oberfläche schon lange nicht mehr gesehen haben. Auf 11 Tracks offenbart der Hamburger Artist alles, was sich an Emotionen angestaut zu haben scheint und reißt uns musikalisch in eine Hypnose, der wir erst entkommen, wenn der letzte Song die Wut im Bauch weckt.

    Träumen am akustischen Kaminfeuer

    Im langsamen 3er-Takt tanzt der erste Song „verseucht“ das Album ein, ehe das wohl am meisten nach Kaminfeuerstimmung-klingende Instrument der Erde „nicht mehr“ einleitet – ein Rhodes Piano lässt hauchzart die ersten Melodien einschweben, bis Levin Liam in Kopfstimme das erste Mal unser Herz packt und es einen Moment zu lang stillstehen lässt. Während der warme Piano Sound sich im Kreise dreht, wärmt erst ein Kontrabass die Tiefen, bevor Streicher und weitere Synthklänge die Höhen ausmalen. Den Höhepunkt erreicht dieser Song zum stundenlangen Träumen in einem Gitarrensolo, das sich zu keinem Zeitpunkt aufdrängt. Dieser Song braucht so wenig, um so groß zu sein.

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    Signature Sound: Gitarrensolo

    „rauch“ treibt etwas mehr nach vorne durch die rhythmischen Claps und knüpft gleichzeitig nahtlos an. Erneut sind es warme, sich wiederholende Keys, die die Stimmung etablieren und die durch verschiedene musikalische Elemente komplementiert werden. Leichte Chöre wehen ab und zu im Hintergrund, ein sanfter Shaker unterstützt den Groove und Streicher füllen die Breite. Wodurch kann dieser Song am besten abgerundet werden? Korrekt, mit einem Gitarrensolo!

    Das perfekte Maß an Kitsch

    Es sind weiterhin Keys, über die Levin Liam seine Zeilen legt, wenn der nächste Song erklingt. „leben lang“bleibt dem Minimalismus treu und unterstreicht, was wichtig ist: lyrische Bilder in Form von Melodien, die mit uns zum Mond fliegen und viel weiter.

    „ich guck‘ wieder an die decke vom hotel
    ich mach‘ die augen zu,
    trotzdem seh‘ ich die welt“
    („leben lang“)

    Irgendwie geht dann am Ende alles auf. Harmonien begleiten die Vocals, Streicher stützen die Gesangsmelodien und eine zurückhaltende Conga hält uns in der Spur. Ich dachte, ich würde Kitsch nicht lange aushalten können, aber ich liebe jede Sekunde. Gib mir mehr davon.

    Unser Lieblingsproducer-Duo

    „trauen“ holt für uns eine Lieblingskombo zurück. Die Gitarren sagen uns gefühlvoll: unser aller Lieblingsproduzent Cato ist da! Das Duo, das uns auf der EP „vergiss mich nicht zu schnell“ bereits musikalisch die Augen geöffnet hat, verzaubert erneut. Intim besingt Levin Liam Unsicherheiten des Commitments, während unaufdringliche Vocal Samples und gedämpfte Drums die Stimme behutsam begleiten. Aus dem nichts wird der Song dann ganz groß, sobald das Gitarrensolo einsetzt, das kurz aufblüht, sich dann aber schnell wieder zurücknimmt. Und jedes Mal, wenn man denkt, schöner kann es nicht werden, kommt der nächste Track. „auf den“ nimmt überraschend Tempo auf, ohne an Sentimentalität zu verlieren. Und weil langsam die Worte fehlen, um die klangliche Emotionalität immer und immer wieder zu beschreiben, kommt hier der Tipp: selbst anhören!

    „ausschlafen und rausgehen
    paar gedanken aufnehmen
    ich glaub, das muss ein truam sein
    wie soll das doch alles augehen?
    frust, liebe, träume, wünsche, freunde, feine
    auf den
    wenn das ein truam ist
    dann willl ich nie wieder aufstehen“
    („auf den“)

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    Von der Ballade zum Disstrack

    Fifty Shades of Pain. Levin Liam zeichnet so viele verschieden Nuancen der Melancholie, dass wir überfordert sind von all den neuen Gefühlen, die wir zuvor noch nie ernsthaft spürten. „nicht alles“ reiht sich dabei in die Trauer der zuvor beschriebenen Songs ein, während uns „such mit mir“ und „als wär alles normal“hoffnungsvoller stimmen. Das liegt an der Dankbarkeit, die der Artist der Liebe und seinem Leben als stetig erfolgreicher werdender Künstler entgegenbringt. Diese Dankbarkeit mündet zuletzt in Hochmut, die Levin Liam in der Disziplin des klassischen Rappers genauso gut bedienen kann, wie die sonst so tief emotionale Seite des Artists. Auf „aufwachen“ liefert Levin Liam zusammen mit reezy einen klassischen Hip Hop Banger, ohne klassisch nach Hip Hop Banger zu klingen und schafft es auch hier, den Olymp scheinbar mühelos zu ersteigen. Keine Ahnung wie er es macht, aber er macht es richtig! 

    Hoffnung auf mehr

    Vergangene Alben und EPs von Levin Liam waren vor allem dann besonders gut, wenn sein musikalisches Team das beständig war. Seine EPs mit Cato oder Miksu/Macloud sind dafür gute Beispiele. Dass es Levin Liam auf seinem neuen Album schafft, als Executive Producer und Artist verschiedene Kreative zu einem Ganzen zu vereinen, ist ein Fortschritt, der sein künstlerisches Wachsen beweist. Dieses Album ist leise und laut zugleich, weil es Maßstäbe setzt und die Kunst zur Priorität macht, während gleichzeitig die großen Hallen auf ihn warten. Die Hoffnung guter deutscher Musik ist kein anderer als Levin Liam!

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  • Even in Arcadia: Sleep Tokens bisher persönlichstes Werk

    Even in Arcadia: Sleep Tokens bisher persönlichstes Werk

    Fast anderthalb Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal meine Gedanken über Musik für untoldency niedergeschrieben habe. Und beinahe zwei Jahre ist es her, dass eine mir damals noch völlig unbekannte Band mein Leben im Sturm erobert hat: Sleep Token. Seitdem sind sie nicht mehr aus meinem Alltag wegzudenken. Umso schöner, dass ich jetzt meine ungefilterten Gedanken zur neuen Platte „Even in Arcadia“ teilen darf.

    Meine Obsession verdanke ich einer langjährigen Freundschaft, die einst im Fangirling über Post-Hardcore-Bands begann und heute in reflektierte Wertschätzung für Musik gewechselt ist. Sind wir nicht alle froh, dass wir nicht mehr 16 sind! Auf ihre Empfehlung hin hörte ich – halb verschlafen im Zug Richtung Arbeit – zum ersten Mal The Summoning. Ich hatte keine Erwartungen, nur Kopfhörer im Ohr, und wurde bei den ersten Drums direkt überrannt. Vielleicht etwas früh am Morgen… aber seitdem machen Sleep Token etwa 80 % meines Spotify-Verbrauchs aus – siehe Beweisstück A.

    Sleep Token 101: Zwischen Musik und Mythos

    An wem Sleep Token vorbeigegangen ist, kurzer Umriss: Es handelt sich um eine anonyme Band, die maskiert auftritt und aus 4 Briten besteht, die sich Vessel, II, III, IV nennen. Sleep Tokens Musik lässt sich nicht wirklich festlegen, denn sie ist genrelos. Zwischen herzzerreißenden Balladen finden sich brutale Breakdowns, Rap-Verses bis hin zu Trip-Hops-Beats. Ein Klangspektrum, das überrascht – aber immer punktet.

    Neben unerwarteten Sounds dreht es sich lyrisch nicht um banale alltägliche Sorgen, sondern um eine mystische Gottheit namens Sleep, die als übernatürliche Verkörperung von Liebe, Abhängigkeit und Schmerz erscheint. Über die Alben Sundowning, This Place Will Become Your Tomb und Take Me Back To Eden erzählt Vessel von seiner Beziehung zu dieser Gottheit: ein Wechselspiel aus Anbetung, Zurückweisung und Verzweiflung, die im letzten Album in einer Mischung aus Trotz, Abschied und Aufarbeitung gipfelt.

    Doch was nun, nach dem Abschluss einer unfassbar innovativen Trilogie? Even in Arcadia scheint eine neue Ära einzuleiten. Teilweise jedenfalls… Zwei Instanzen prallen aufeinander: House Veridian (grünes Artwork – Lore) und Feathered Host (weißes Artwork – der Man hinter der Maske). Lyrisch und musikalisch hab ich noch nie sowas erlebt wie bei Sleep Token. Wie viele Details, Recherche, Tiefe und Easter Eggs hier versteckt sind. Man müsste eine Wissenschaft nur dafür entwickeln. Wer tiefer in die Materie einsteigen will, der/dem empfehle ich den Podcast Sleep Study.

    Look to Windward

    Auf den ersten Hörer ist Look to Windward sensory overload. Synth Beats, Breakdowns, Trap Beats, Drum Solos, Streicher – ihr bekommt es alles. Ein opulenter, überladener, filmischer Auftakt. Ich habe das Gefühl, dass die Band alles in den Song reingesteckt hat, was sie in ihrem Repertoire hatten. Stolze 7 einhalb Minuten ist der Song lang. Und das Ergebnis ist ein Song, den man erst bei wiederholtem Hören richtig schätzt, aber der als passender Öffner des Albums agiert. Und trotz aller Spekulationen: Sleep tritt auch in diesem Album noch einmal auf die Bühne.

    Emergence

    10/10 – Der Song hat einfach alles: einen herzzerreißenden Start dank Vessels einzigartiger Stimme, verspielte Build-Ups, Rap-Verses und ebenso erschütternde Breakdowns… und ja wer hätte es gedacht: ein jazziges Saxophon-Outro von Gabi Rose von BILMURI. Eine Wundertüte, wie sie besser nicht schmecken würde.

    Die erste veröffentlichte Single Emergence ist Sleep Token in Reinform: Genresprengend. Was für andere riskant wäre, ist für die Band business as usual. Inhaltlich geht es um Transformation, emotionale Turbulenz und die bittersüße Akzeptanz, dass manche Beziehungen – vermutlich die mit Sleep – einen nie ganz verlassen, egal wie sehr man innerlich kämpft.

    Past Self

    Ein Song, den ich zunächst nicht gebraucht hätte. Definitiv anders als alles, was man bisher von Sleep Token gehört hat, aber meiner Meinung nach etwas langweilig und gezwungen. Ich persönlich hätte das Autotune und die Trap Beats nicht gebraucht und trotzdem schätze ich das Experiment. Und beim vermehrten Hören, gewinne ich langsam Gefallen daran. (Fun Fact: Hier sampelt Vessel die Melodie des Computerspiels Zelda)

    Lyrisch ist er aber wiederum interessant, da das Album zwischen Lore und Momenten wechselt, wo der Charakter Vessel bröckelt und Hörer:innen hinter die Maske blicken können. Vessel versucht mit Past Self sein echtes Ich durchblicken zu lassen („Stepping up from my future, uploading my true self“) und alte Geister hinter sich zu lassen („Apologising for shit that frankly I stopped thinking of years ago“). Vessel versteht es wie kein anderer Poesie in seine Lyrics zu bringen:

    „And you know I deliberate on cutting out the demons
    I still need a dark side, they just need a reason“

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    Dangerous

    Ja, es geht doch! Einer meiner Favourites auf dem Album! Im Vergleich zu Past Self finde ich, dass die Experimentierfreudigkeit bei Dangerous mehr als geglückt ist. Vielleicht auch, weil der Song auf halbem Weg familiärer wird. Denn das kann Sleep Token am besten: langsamer Build-Up bis zu völliger Anarchie. Im gesamten Album finden sich Referenzen zu vergangenen Alben wieder, wie hier zum Beispiel zu Vore. Die Intonation von Vessel finde ich hier am interessantesten, die Lyrics bilden die Melodie beinahe selbst. Was eine willkommene Abwechslung zu den Rap Verses in den vorherigen Songs ist.

    Caramel

    Als ich den Song zum ersten Mal gehört habe, war ich etwas perplex über den Pop/Reggae-Mix (ja, Reggae – man weiß wirklich nie, was man mit Sleep Token bekommt). Aber auf einmal stellt sich eine unterschwellige Traurigkeit ein, wenn man die Lyrics aufschnappt. Denn die Aussage ist ziemlich eindeutig:

    „This stage is a prison, a beautiful nightmare“

    Vessel thematisiert hier die den toxischen Character, den ein Teil der Fanbase angenommen hat und die Realisation, dass mit steigender Bekanntheit die eigentliche Message der Band, die Musik für sich stehen zu lassen, entkoppelt von den Personen in der Band, etwas verloren gegangen ist. Mit dem krassen Aufstieg nach Take Me Back To Eden haben einige Personen ungesunde parasoziale Beziehungen zu den Band-Membern aufgebaut. Sie wurden sexualisiert, ihre Privatsphäre verletzt, Identitäten geleakt etc. Und das, wenn Vessel nur ein Gefäß für die Hörer:innen sein wollte, das als Mittel zur eigenen Verarbeitung stehen sollte, daher auch der Name Vessel.

    Und trotz dessen, dass er realisiert, dass er undankbar klingt, dass er Angst hat, seine Haustür aufzumachen und er mit mentalen Problemen kämpft, dass die Hintergründe seiner Worte diese Fans nicht interessieren, fühlt er sich verpflichtet, weiterzumachen und auch diesen Leuten zu geben, was sie wollen. Und zum Schluss: ein Deathcore-Drop und die resignierte Frage:

    „Tell me, did I give you what you came for?“

    Even in Arcadia

    Ich hätte nicht erwartet, dass ich auf Even in Arcadia einen meiner allerliebsten Sleep Token Songs finde. Aber der Title Track hat mir schon beim ersten Hören pure Gänsehaut verpasst. Der Song startet mit dem Spieluhr-Intro, das im gesamten Promo-Zeitraum präsent war und geht dann über in die schönste Piano-Melodie, die auch schon zu Anfang geteasert wurde.

    Der Song ist eine Offenbarung und hat eine Selbstverständlichkeit trotz mythischer und weiter Bildsprache. Vessel scheint mit seinen Dämonen abzurechnen. Wo im letzten Album vom Paradies Eden die Rede war, findet sich Vessel in einem neuen wider, diesmal in Arcadia. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt.

    „It seems that even in Arcadia you walk beside me still“

    Selbst in seinem neuen Paradies entkommt Vessel Sleep nie ganz. So fesselnd wie das Bild, so vereinnahmend der Song. So ganz lässt er mich nie los, den Rest machen die Streicher am Ende (bitte mehr davon).

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    Provider

    Sexy Token ist zurück. Obwohl Provider mich schon mit dem Titel skeptisch machte, haben mich die ersten zwei Minuten mit dem poppigen Dance-Vibe zusätzlich verwirrt. Ein paar der Lyrics finde ich etwas cringe, aber nach dem ersten Drittel findet jedenfalls die Melodie seine Berechtigung im Breakdown und dem darauffolgenden Chorus.

    Der Song ist offensichtlich sehr sexuell angehaucht. Es dreht sich und eine frühere, toxische Beziehung, der man eine neue Chance gibt und Spoiler: keine gute Idee. Die immer wiederkehrende Zeile „I wanna be your provider“ balanciert zwischen Selbstbewusstsein und Verzweiflung. Es geht um die verschwommenen Grenzen zwischen körperlicher und emotionaler Abhängigkeit. Der Song ist ein Grower (ich entschuldige mich hiermit für das gescheiterte Comic Relief).

    Damocles

    Ein so ehrlicher Blick hinter die Fassade des Mannes hinter der Maske wie je zuvor. Sleep Token reflektieren die Kehrseite ihres Erfolgs – mit einer Referenz zur Legende des Damoklesschwerts. Ich komme wieder zurück auf den Fakt, dass Sleep Tokens Popularität so extrem in kürzester Zeit gewachsen ist, dass sich wahrscheinlich niemand darauf vorbereiten konnte, schon gar nicht die Band. Der Fame bringt Druck, utopische Erwartungen, psychische Last. Alle erwarten ein episches Meisterwerk in jedem Song. Auch Vessel erkennt das an:

    „I know these chords are boring
    But I can’t always be killing the game“

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    Sleep Token wären nicht Sleep Token, wenn nicht ein paar Easter Eggs in der Musik versteckt wären. In Minute 02:14 hört man, eine Kassette, die umgedreht wird. Es könnte das Signing beim Major Label RCA Records am 14.02. andeuten – ob bereut oder nicht, bleibt offen. Es muss nicht alles Schwarz und Weiß sein, aber das Signing, die Zusammenarbeit mit Spotify selbst, Songs in den Top 50 Charts, riesige Anzeigetafeln am Times Square, endlose Merch-Drops, zeigen, dass es nur weiter bergauf gehen soll. Sicher ist Druck vom Label da, aber es handelt sich hier, um vier erwachsene Männer, die genau wissen, was sie wollen und was nicht. Deshalb haben Songs wie Damocles und Caramel für mich einen kleinen Beigeschmack.

    Gethsemane

    Wo in Provider Vessel noch komplett von seiner Obsession vereinnahmt war, sehen wir in diesem Song die andere Seite der Medaille, denn die emotionale Abhängigkeit beißt zurück. Musikalisch erzeugt der Song absolute Verletzlichkeit. Der Titel verspricht nichts anderes (wer interessiert ist, googelt den biblischen Hintergrund). Vessel erkennt jetzt, dass die Beziehung toxisch war und er nur die Illusion geliebt hat. Er zeichnet sich als Opfer und zugleich stiller Zeuge seines eigenen Untergangs.

    Lyrisch finde ich den Song etwas basic, aber vielleicht braucht es die großen Wörter und spirituellen Metaphern nicht, wenn man schlichtweg verletzt ist. Der Song klingt wie ein Tagebucheintrag – schlicht, ehrlich, zerbrechlich. Ein Song über das Erkennen toxischer Beziehungen – und darüber, dass man sie nie ganz loswird.

    „You never saw me naked, you wouldn’t even touch me“
    „And I was trying my best, and that’s the thing I tell the mirror“

    Infinite Baths

    Fast geschafft durch diese endlos lange Review und wie könnte es nicht besser passen als mit einem genauso langen Song. Infinite Baths ist mit 8 Minuten 23 Sekunden der bisher längste Sleep Token Song. Infinite Baths und auch infinite tears meinerseits. Vessel klingt erschöpft, aber entschlossen. Nach dem zehrenden Kampf mit seinen Dämonen hat er es endlich in das vermeintliche Paradies geschafft. Es ist der emotionale Höhepunkt des Albums:

    „I’m so tired inside, I could sleep through a landslide, but I’m finally here and I’m not leaving this time“

    So stark wie die Message ist, so massiv endet der Song auch: mit den heavy Screams des Gitarristen IV über ganze 3 Minuten. Ich bin mir nicht sicher, ob es Vessels Sieg über die Dämonen zeigt oder doch ist diese Wiedergeburt mehr Schein als Sein und die Dunkelheit dämmert, und mit ihr auch Sleep. Der Song endet mit einer Zeile und demselben Beat aus dem ersten Song: „Will you halt this eclipse in me?“. Ein richtiger Full Circle Moment, was vermuten lässt, dass Vessel in einem ewigen Kreislauf gefangen ist – und jede neue Phase doch nur ein weiterer Anlauf bleibt, zu entkommen.

    Ein Echo der Veränderung und was bleibt, ist das Gefühl

    Ein würdiges emotional aufgeladenes Ende eines polarisierenden Albums, mit unfassbar schönen Momenten, neuerem poppigerem Sound und einen völlig neuen Blickwinkel auf die Band. Transformation beschreibt das Album, sowie die aktuelle musikalische Reise der Band wohl am besten. Kein einfaches Album, kein perfektes – aber ein ehrliches.

    Sleep Token versteht es wie keine andere Band, disparate Genres in perfekte Harmonie zu bringen und Progressive Metal der Masse schmackhaft zu machen. Wer sich darauf einlässt, bekommt nicht nur Musik – sondern eine immersive Erfahrung.

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