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Betterov trifft mit „Viertel vor Irgendwas“ direkt ins Herz

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Endlich, die Debüt-EP Viertel vor Irgendwas von Betterov ist da! In 6 Akten geht es neben dem Leben auf dem Land u.a. auch um ein Thema, was uns alle begleitet: die Liebe. Jule hat’s die Schuhe ausgezogen. Wieso, weshalb und warum lest ihr jetzt in der Review!

Wer immer mal wieder ein Auge auf den Newcomer-Bereich wirft, dem sollte Betterov inzwischen ein Begriff sein. Schauspielstudium, 26 Jahre jung, aufgewachsen in einem Dorf in Thüringen, seit mehreren Jahren in Berlin. Ende letzten Jahres hat er seine Debüt-Single Dynamit veröffentlicht und dann mit zwei weiteren Singles nachgelegt. Die logische Konsequenz daraus ist jetzt natürlich die EP. Dank der lieben Leute von NEUBAU Music durfte ich bereits Mitte Februar reinhören. Und das habe ich getan, ziemlich exzessiv sogar.

Zuerst möchte ich von meinem allerersten Hörerlebnis erzählen: Wir schreiben den 10.02.2020. Es war wahrscheinlich wieder einer dieser typisch verregneten Tage – Berliner Winter halt. Da mir die ersten beiden Singles von Betterov schon unfassbar gut gefallen haben, habe ich mir vorsorglich vorgenommen, diesen Moment ausgiebig zu zelebrieren. Die Sound-Anlage ist auf Anschlag gedreht und nur die Lichterkette im Fenster (die halt seit Weihnachten hängt) leuchtet soft. Die Platte geht los und von der ersten Sekunde an beamt sie mich völlig weg. Die Texte, die Stimme, die Instrumente. Betterov, you fucking got me. Die kompletten 20 Minuten dieser Platte verbringe ich in folgendem Mix: Offener Mund, Lähmung, geschlossene Augen, Fassungslosigkeit, aufgerissene Augen. Eventuell muss ich mir zwischenzeitig auch das ein oder andere Tränchen verkneifen. Und haargenau so verbringe ich die nächsten ein bis drei Stunden.


Akt 1: Wenn die Liebe gegangen ist – eine starke Exposition

Der erste Song der EP ist zugleich auch der Titelsong: Viertel vor Irgendwas wirft uns direkt ins Geschehen. Zunächst erzählt Betterov semibegeistert, welch ein Wunder es sei, wie die Vögel auf den Stromleitungen sitzen. Relativ schnell nimmt der Song aber an Emotionen auf. Aufgebrachte Menschen zitierend lässt er durchblitzen, dass ihm aktuell einfach alles wirklich völlig Wurst ist. Wir befinden uns in der akuten Situation, dass eine Liebe zerbrochen ist. Wir realisieren, dass das gemeinsame Leben nicht mehr existiert. Und das ist schmerzhaft.


An mir geht alles vorbei, ich bin die pure Langeweile.
Das Einzige, was ich weiß: Ich ertrag‘ mich nicht alleine.


Irgendetwas in der Stimme von Betterov macht mich direkt mit traurig. Heftig, wie krass man dieses Gefühl in Gesang umsetzen kann. Der eingängige und griffige Sound der Gitarren unterstreicht zusätzlich den Moment, in dem wir komplett von unserer Niedergeschlagenheit eingenommen werden. Wenn wir erst weinen, dann lachen und letztlich in uns zusammensacken. Ich bin heftig gerührt. Unfassbarer Einstieg in die EP und unfassbare Umsetzung des Themas.


Akt 2: Eine Umleitung

Angst, den zweiten Song der EP, habe ich bereits ausführlich auseinandergenommen – die Single-Review könnt ihr hier nachlesen. Ich spare mir daher hier die Wiederholung meiner Lobeshymne.


Akt 3: Die Reise ins Weltall

Weiter geht es mit Dynamit, die erste Single-Auskopplung dieser EP. Es geht darum, dem Alltagstrott zu entfliehen. Um die Sehnsucht nach Größerem. Und wenn es auch nur gedanklich ist, indem man sich auf Juri Gagarins Spuren begibt und ins Weltall träumt. Mit rauer Stimme besingt Betterov, wie er durch den Flur fliegt. Ich fühle mich direkt in meine Kindheit zurückversetzt, als Abenteuer-Rollenspiele einfach der absolute Shit waren – do you remember?


Wenn ich wiederkomm‘, werd‘ ich ein Anderer sein
Vielleicht komm‘ ich ja auch gar nicht wieder heim


Etwas, was Betterov bemerkenswert gut beherrscht, sind Melodien. Dynamit ist ein beschwingter Song, den man spätestens nach dem zweiten Mal hören mittrommeln kann. Als Großstadtmädchen ist es für mich super spannend, ein Gefühl für das Landleben zu bekommen. Die Vorstellung, dass es Freunde gibt, die sich gemeinsam aus ihrem trostlosen Leben wegträumen und zusammen spannende Geschichten erfinden – irgendwie beruhigt mich das. Auch dieser Song ist auf seine einzigartige Art ein echter Hinhörer, so kann es weitergehen.


Akt 4: Verwundbarkeit – eine leise Peripetie

Das nächste Lied heißt Das Tor geht auf. Die erste langsame und zurückhaltende Nummer – was natürlich nicht bedeutet, dass es hier nicht ebenfalls geile Gitarren-Sounds gibt. Mir persönlich fällt es echt schwer, die genaue Bedeutung des Textes zu verstehen. Ich habe schon einmal erwähnt, dass ich nicht die krasseste Analytikerin bin. Die Lyrics sind zwar aussagekräftig und bildlich, aber dennoch so flexibel, dass ich nicht genau weiß, was Betterov mir hier erzählen will. An dieser Stelle wird’s mal interaktiv: Mich würde interessen, wie ihr diesen Song deutet. Slidet dafür gerne mal in unsere DM’s auf Instagram und lasst mich an euren Interpretationen teilhaben!


Das Tor geht auf. Das alles dreht sich.
Ich würd‘ gern noch bleiben.
Doch hier ist kein Platz für mich.


Mal von der Interpretation abgesehen habe ich ehrlicherweise auch etwas länger gebraucht, um den richtigen Zugang zu Das Tor geht auf zu finden. Er fällt ein wenig aus dem Rahmen, was den sonst so nach vorne gerichteten Sound der EP angeht. Inzwischen finde ich ihn im Gesamtpaket aber sehr schlau gewählt und platziert. Und irgendwie macht für mich den Song erst so richtig aus, dass ich seine Bedeutung noch nicht zu 100 % durchschaut habe. Dadurch bleibt er auf viele Emotionen und Situationen spiegelbar.


Akt 5: Wenn die Liebe gegangen ist 2.0

Irrenanstalt heißt der nächste Song, in dem es wieder um die Liebe geht. Gewohnt lethargisch beginnt der Gesang von Betterov. Dann kicken Gitarren, Bass und Drums rein und es folgt einer der vielen wunderschönen Sätze in diesem Song: „Der Plan, der mal mein Leben war, ist jetzt ein Stück Papier“. Mit dieser Zeile singt er sich sein Herz aus der Brust und wirft es mir mit voller Wucht an den Kopf. Das ist wieder der Moment, in dem ich es nicht fassen kann, wie viel Emotionen man mit seiner Stimme in nur einen Satz packen kann.


“Doch falls ich irgendwo unter die Räder komm‘,
dann möcht‘ ich neben dir bestattet sein”


Dieser Song ist für meinen Geschmack ein lyrisches Meisterwerk. Ich habe bereits zwei Sätze herausgepickt und ich muss weitermachen: „Und ich bleib‘ dabei, ich bin ab jetzt allein.“ – wie Betterov auch diese Stelle singt.. ciao. Ich liebe liebe liebe jedes einzelne Wort in diesem Stück. Ich habe zwar noch eins vor mir, aber Irrenanstalt ist auf jeden Fall mein allerliebstes Lied auf dieser EP. Hier passt einfach alles zusammen: Text, Stimme, Instrumente, Melodie, Stimmung. Alles.


Akt 6: Leben – ein lautes Finale

Kennt ihr diese Szenen in Filmen, in denen die jungen Protagonisten nachts auf Fahrrädern durch’s Dorf hechten? Weil das letzte Bier vielleicht eins zu viel war. Einer fährt, einer sitzt hinten drauf und manchmal findet auch noch jemand einen Platz auf dem Lenker. Das sind die Bilder, die ich im Kopf habe, wenn ich den letzten Song der Platte höre: Nacht. Für mich erzählt er von einer lauen Sommernacht, in der man einfach nur geschehen lässt. Die Augenblicke so nimmt, wie sie kommen.


“Die Leute in den Häusern kommen nach Haus‘.
Wir ziehen uns an, die Nacht lockt uns raus.”


Das ist der erste Song, der für mich mehr von den Drums lebt, als von den Gitarren. Wenn die loslegen, fühle ich genau die oben beschriebene Heiterkeit – auch wenn „heiter“ nicht unbedingt das passende Adjektiv für die Lyrics ist. Auch hier gibt es wieder eine Textzeile, die es mir völlig angetan hat: „Drück den Schalter an der Wand und die Sonne ist am Start. Strahlt mit 60 Watt und hängt an einem Draht“. Fürs Songwriting gibt es von mir einfach eine glatte 1.


Eine EP, die dein Freund sein kann – mein Fazit

Obwohl es sein Debüt ist, lässt sich schon nach dem ersten Hören feststellen, dass Betterov einen ganz eigenen Sound hat. Eine klare Linie, die sich von Lied zu Lied zieht, ohne langweilig zu werden. Prägnante Gitarren-Riffs, die sich sofort ins Hirn bohren. Massive Drums, die eine einmalige Stimmung erzeugen. Texte, die gesungen werden, als wäre es das Letzte, was man tun kann. Der Sound ist strikt, geradeaus und nach vorne. Dass Viertel vor Irgendwas mega gut produziert sein würde, war mir ab dem Moment klar, als ich gelesen habe, dass the one and only Tim Tautorat seine Finger im Spiel hat. Der Titel passt für mich übrigens auch wie die Faust auf’s Auge – wenn ich es mir explizit gemütlich mache, um sie zu hören, dann verliere ich jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Wann ich mich hier hingesetzt habe? Muss so Viertel vor irgendwas gewesen sein…

Solltet ihr euch Betterovs Debüt noch nicht angehört haben, dann folgender Tipp: In Zeiten von Quarantäne und social distancing gibt es sicher die eine oder andere ruhige Minute, in der Viertel vor Irgendwas der so dringend gebrauchte Freund sein kann. Bitte schenkt dieser Platte all eure Aufmerksamkeit und lasst jedes einzelne Wort in euer Herz – das hat sie wirklich verdient. Und wenn ihr soweit seid, dann klickt ihr einfach nur noch hier auf Play:

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