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Der „Ententraum“ von International Music

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International Music veröffentlicht endlich ihr neues Album „Ententraum“.
Die dreiköpfige Band aus dem Ruhrgebiet dürfte dem eingefleischten Indie-Fan inzwischen natürlich ein Begriff sein. Ihr erstes Album „Die Besten Jahre“ bekam seiner Zeit große Aufmerksamkeit von Musikredaktionen und Feuilletons – und nicht nur das, unter anderem der Musikexpress krönte das Debüt zum besten Album des Jahres 2018. Auch ich war damals (bis heute) einfach nur fasziniert von dieser ganz eigenwilligen Klangwelt, die das Trio mit ihrem Debüt geschaffen hat.

Ihr könnt euch also vielleicht vorstellen, wie extrem aufgeregt ich war, als sich langsam und allmählich das neue Album „Ententraum“ ankündigte. Den ersten hörbaren Vorboten entsandte International Music im Januar auf dem ESNS-Festival in einem exklusiven Livestream (untoldency berichtete). Dort spielten sie den Song „Museum“ als Weltpremiere. Ich: komplett begeistert. Die Spannung stieg ins Unermessliche, die Monate vergingen langsam und tja, was soll ich sagen? Das Warten hat sich verdammt noch mal gelohnt.

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Der „Ententraum“ ist wieder ein Doppelalbum geworden. 17 (!) Songs auf einem Tonträger. Das ist heutzutage echt höchst ungewöhnlich, oder? Aber wer sonst außer International Music könnte sich das erlauben. Ein ungewöhnliches Format für eine ungewöhnliche Band eben. Wer sich darauf einlässt und einmal den Playbutton hittet, bekommt eine gute Stunde lang „traumhafte“ Gedankengänge und surreale Unterhaltung pur. Und am Ende müssen wir uns alle zum Glück nicht mehr länger fragen, wie wohl die Band von Helge Schneider, Lennon & McCartney und Ian Curtis von Joy Division klingen würde, die sie nach einer durchzechten Nacht in irgendeiner Eckkneipe in Mülheim an der Ruhr aufgemacht hätten.

Sektempfang

Begrüßt werden wir diesmal nicht vom „Metallmädchen“, sondern vom „Fürst von Metternich“, dem ersten Song des Albums. Ich bin mir auch nach mehrmaligem Hören immer noch nicht ganz sicher, ob es sich hier um eine Art Liebeserklärung an den Sektkonsum handelt oder tatsächlich die historische Figur im Mittelpunkt steht, die mir ganz vernebelt noch aus einer fast verdrängten Geschi-LK-Klausur zuwinkt. Ersteres könnte ich auf jeden Fall sehr gut nachvollziehen und möchte am liebsten mit Daumen hoch „Zielgruppe erreicht!“ aus dem Fenster Richtung Ruhrpott kreischen.

Und im Grunde kommen wir ganz am Anfang damit schon zu einem interessanten Fakt: die Lyrics von International Music sind schwer zu dekodieren und bedeuten höchstwahrscheinlich nie 1:1 das, was wir da tatsächlich hören. Ich denke, das kann man dann insgesamt getrost als Konzept bezeichnen, denn genau wie in einem Traum macht während des Träumens immer alles mächtig Sinn. Erst nach dem Aufwachen oder wenn die Platte auf der Endlosrille ihren Feierabend genießt, steht bei mir ein dickes „WTF?“ im Gesicht. Der Ententraum, so so.

Es erfordert sicherlich etwas Willen und Geduld, sich auf die Texte dieser Band einzulassen.
Wir können uns bei IM niemals ganz sicher sein, ob sie sich inhaltlich wirklich auf einer anderen Metaebene far beyond befinden, oder ob sie sich über eben diese nur auf ironische Weise lustig machen. Das Schöne daran: wir können als Hörer beides. Den Nonsens als Nonsens betrachten und darüber schmunzeln, oder den Sinn hinter den Versen erforschen und uns extrem in diesen philosophischen schwarzen Löchern verlieren, die International Music hier für uns aufreißen.

Vom Stadion ins Museum

Ziemlich neu auf diesem Album ist Text als gesprochenes Wort in Form eines Erzählers, der von Bassist Pedro verkörpert wird und immer mal wieder kryptisch philosophierend in Erscheinung tritt. So auch bei den ersten beiden Stücken. Auch neu ist der Sound der Band. Obwohl, nein, das stimmt nicht so ganz. Denn schon der „Fürst von Metternich“ ist glasklar ein International Music Song, ab den ersten Takten unverkennbar. Dennoch kommt es mir so vor, als sei ihr Sound etwas extrovertierter im Vergleich zum Vorgänger geworden. Besonders merkt man das bei den rockigen Stücken wie dem zweiten Song „Die Höhle der Vernunft“, bei dem vor allem die Drums, für die ganz großen Rockmomente, einen leichten Stadion-Touch verpasst bekommen haben.

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Ein weiterer Wandel in der Produktion fällt mir bei „Wassermann“ auf, den die Gruppe vorab schon als Single auskoppelte. Hier ist ein deutlich größerer Einfluss von New Wave aus den 80er Jahren zu spüren, der auch später auf „Ententraum“ immer mal wieder auftaucht. Der vermehrte Einsatz von Synthesizern, Vocodern und anderen Tasteninstrumenten gibt Songs wie diesem eine spannende Tiefe, auch wenn der Genremix dadurch noch wilder wird.

Apropos wild – „Spiel Bass“ ist ein super Beispiel für die bunte Punksträhne im wehenden Haar des Trios. Hier wird dann auch gerne mal gebrüllt und den Emotionen freien Lauf gelassen. Wie damals nach der Achten auf’m Schulhof mit meinen Zeckenfreunden aus der 10b. Dazu ein treibender Groove auf verzerrten Toms und ein Gemisch aus krachenden Gitarren und – natürlich – Bässen. Beim Hören muss ich leider echt ein Tränchen verdrücken, wenn ich an das eine tolle IM-Konzert zurückdenke, das ich vor Corona live miterleben durfte. „Spiel Bass“ wäre beim nächsten Mal definitiv ein Banger im Moshpit.

Es folgt „Museum“, der schon wie erwähnt vorab im Livestream Premiere feiern durfte. Der schleppende Charakter der Instrumentierung fängt hier eine ganz spezielle Stimmung ein. Im Text des Songs geht es womögllich um einen ganz intimen und besonderen Moment: vielleicht ein vorsichtiges Annähern, vielleicht das erste Date? Dann ein Kniff! Wie könnte man einen romantischen Moment wohl herrlicher zerstören, als mit den Worten „Fass bitte nichts an, das ist mein Museum“? Dieser plötzliche Bruch in der Erzählung ist ganz typisch für IM und zeigt ihren sehr witzigen, selbstironischen Humor.

„Das Fell auf meiner Haut macht sich groß und das ist mir vertraut
Die Haare stellen sich langsam auf und ab
In Tüchern und Kuverts finde ich den letzten Vers
Überheblich verwerf’ ich ihn mitsamt den Querverweisen

Fass bitte nichts an, das ist mein Museum
Hab ich dir gesagt, hab ich dir gesagt
Hab ich dir schon mal gesagt“

Ein bisschen Zucker

Die Zeit, in der Rocksongs mehr oder weniger offensichtliche Liebesbotschaften an LSD oder Heroin enthielten, scheint auch endlich vorbei zu sein. Stattdessen widmet International Music den Song „Zucker“ der größten Droge des 21. Jahrhunderts: der köstlich-süßen Versuchung. Hier ist auch weiteres Markenzeichen von IM absolut hervorzuheben: der großartige Chorgesang der beiden Frontpersonen Pedro und Peter. Nichts prägt sich so sehr ein, wie diese wunderschönen harmonischen Arrangements der Zweit- und Drittstimmen. Manchmal irgendwie monoton und spirituell angehaucht, manchmal wie ein gruseliger gregorianischer Choral und an anderer Stelle wie ein feinsäuberlich aufgestellter Barock-Knabenchor. Das ist auf dem neuen Album einfach noch mal besser gelungen, als auf dem Debüt.

„Misery“, ein Song, den ich mal vorsichtig als politisch bezeichnen würde, kommt im Refrain im musikalischen Kleid eines optimistischen Friedensliedchens daher, obwohl wir beim Text eher eine bittere Pille zu schlucken haben. Hier lässt sich eventuell eine Reaktion auf Fake News und Querdenken ablesen, die dem Stück eine dystopische Note verleiht:

„Die Sprache ist eklektisch
As you and me
Truth is not objective
Wie er und sie“

Der „eklektische“ Wechsel zwischen Deutsch und Englisch wirkt hier ganz logisch und ungezwungen und ist ein Stilmittel, das die Band inzwischen wirklich gut beherrscht.

Ein neues Glas Pop

Jetzt immer wieder zu schreiben „ein weiteres Highlight ist der Song XY“ gähnt mich selbst schon an. Aber was soll ich machen? Alles ist irgendwie ein Highlight. Wirklich herausstreichen möchte ich noch den Song „Raus ausm Zoo“, der einfach mal wieder Lust auf Reisen macht und richtig Fernweh verbreitet. Aber nicht so „perfekte-Reise-nach-Thailand-im-warmen-Regen-duschen“-mäßig. Sondern eher so richtig mies, „Mundgeruch-nach-22-Stunden-Autofahrt-nach-Moldavien“-mäßig. Der Bass spielt hier ein paar ziemlich funkige Lines, die mit einem sogenannten Chorus-Effekt versehen sind. Dadurch bekommt der Song so einen geilen, dreidimensionalen 80er Pop-Flair, der mich gerade total abholt. Und dabei genau wie die Kassette klingt, die wir auf dieser Reise unter dem Sitz unseres Opel Kadetts fänden.

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Es gibt drei Sachen, die International Music wirklich gut kann: Hooklines, Hooklines, Hooklines. Wie aus dem Nichts hauen sie in jedem Song einprägsame Verse raus, die sich sowohl lyrisch als auch musikalisch wie ein Branding ins Gehirn einbrennen. Bereits nach dem ersten Album haben sich mehrere Zeilen schon regelrecht in mein Vokabular etabliert. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich mich ohne IM-Zitate überhaupt noch verständigen soll. Und wenn ich mir so das neue Album anhöre, stelle ich mir schon vor wie ich am Kaffeetisch sitze und „ich will wie immer ein bisschen Zucker“ zu singen beginne. Oder wie „ich nehm’ die Achterbahn nach Düsseldorf“ durch meine Hirnschale schallt, wenn ich mal wieder auf dem Weg in die verbotene Stadt bin, wie man im Rheinland so schön zu sagen pflegt.

Der Band gelingt es nämlich immer wieder, alltägliche Beobachtungen und scheinbar banale Handlungen und Dinge in ein interessantes, neues Licht zu rücken. Kontext Baby! Dadurch erhalten Zeilen wie „Heute kauf’ ich mir ein neues Glas Marmelade / Heute kauf‘ ich mir ein neues Glas Pop“ eine unerwartete Dimension, die reichlich Platz für Interpretationen lässt.

Fazit

Okay, ihr merkt, ich bin total hyped. Und nicht mehr objektiv. JA! Das stimmt! Aber Entschuldigung!? Für mich ist der „Ententraum“ definitiv ein Top-Anwärter für das Album des Jahres 2021. Warum? Weil es einfach so viele gute Dinge vereint. Es ist nämlich toll produziert und klingt hervorragend, dank Produzentenlegende Olaf O.P.A.L. Die Lyrics sind wunderbar einfach auf den ersten Blick, aber haben gleichzeitig so viel weiße Fläche, um die eigenen Gedanken kreativ darauf zu verewigen. Dann dieser Ausritt durch die Genrelandschaft von 60s Beat- und Surfmusik, über early 70s Punk bis zum New Wave und Gothic der 80er. Das Zusammenspiel der Band, die Basslines, die Gitarrenriffs und die minimalistischen Schlagzeuggrooves von Drummer Joel. Und nicht zuletzt die Konstruktion des Albums an sich. Surreal und psychedelisch, und immer schön nach dem Motto „I am cringe, but I am free“. Eine wahre Flucht aus meinem langweiligen Alltag.

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Fotocredit: Harriet Mayer, Alfred Jansen

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