Der nächste Lieblingsrapper des Feuilleton, von dessen Existenz die großen Zeitschriften noch nicht wissen, heißt Apsilon. Der in Moabit groß gewordene Künstler ist frische 24 Jahre alt und hat am 14. Januar seine überaus reflektierte Debüt-EP „Gast“ veröffentlicht. Authentische Gesellschaftskritik trifft auf einen modernen Sound und lässt jedes politische Hip Hop Herz höher schlagen.
Von der Straße bis nach Moabit
Apsilons Texte erinnern an den amerikanischen Hip Hop der 90er, als Tupac, Biggie Smalls oder Snoop Dog noch über ihre Lebensumstände sowie die Probleme ihrer Hood gerappt haben. Hip Hop war eng geknüpft an authentische Beschreibungen schwarzer Lebensrealitäten, ebenso wie die damit verbundene Kritik des Status Quo. Mit der zunehmenden Kommerzialisierung von Rapmusik und deren Angleichung an konfliktscheue, profitorientierte Popmusik ging der politische Gehalt allmählich verloren. Große Teile aktueller Trap Hits aus den USA blubbern ebenso sinnbefreit durch die Radios und Playlisten wie deutscher Schlager von Helene Fischer. Apsilons Texte hingegen ziehen ihre Kraft wieder aus der Wut und Verzweiflung marginalisierter Gesellschaftsgruppen.
Vom Beobachter zum Kritiker
Auf „Gast“ erzählt Apsilon aus der Perspektive eines Gastarbeiterkindes. Als direkter Beobachter der Lebensumstände seiner Eltern und Großeltern schildert er Gesellschaftsverhältnisse direkt und unverblümt und verknüpft dabei aktuelle Zustände mit historischen. Apsilon holt das gut versteckte Gewissen der gutbürgerlichen weißen Bevölkerung wieder aus dem Keller und hievt die Schuld zurück auf ihre Schultern.
»Tag für Tag am Ackern für das Kapital in Taschen vom
Gleichen Pack, das dreißig Jahre vorher ohne
Wimpernzucken Menschen in die Gaskammern verfrachtet hatte
Und während Molotows auf die Unterkünfte prasseln
Auf dеr Arbeit und beim Amt immer lachеn, immer lachen
Und Enkel kriegt kein’n Job und keine Wohnung wegen des Namens
Bei den Enkeln der Fabrikbesitzer, die die Großeltern damals ausgebeutet hab’n«
„Köfte“
Die Rolle des reflektierten Beobachters ergibt sich womöglich aus Apsilons innerer Zerrissenheit in Hinblick auf sein Herkunftsgefühl. Anstatt sich mit den deutschen oder türkischen Einflüssen seiner Biographie identifizieren zu können, distanziert er sich von beiden. Aus seinem Moabiter Kiez schreibend, thematisiert er die auftretenden Konflikte, wenn vor seinen Augen zwei Kulturen nicht zueinander finden wollen.
»Ich brauchte dreiundzwanzig Jahre, bis ich merkte, dass ich statt zweien
Keine Heimat habe, außer meine eigene Straße und den Kiez, in dem wir war’n, ja
Die Beats, auf die ich sprach, nein
Keine Heimat eins und auch keine Heimat zwei, nur der
Streit mit dem, was sich in beiden Ländern so rumtreibt«
„Köfte“
Deutsche Identität im Kreuzfeuer
Doch wenn man ehrlich ist, fühlt sich die Distanz zur deutschen Identität auf „Gast“ um einiges größer an. Denn Apsilon nimmt die deutsche Gesellschaft an allen möglichen Ecken auseinander. Der Künstler zieht seine Kraft und Wut aus den Rassismen und Klassismen dieses Landes und legt sie ungeschönt offen. Diplomatisches Verhandeln scheint dabei keine Option zu sein. Denn die unterdrückten Gesellschaftsgruppen, denen Apsilon ein Sprachrohr verleiht, warten schon zu lange auf Gerechtigkeit.
»Deine Leute klatschen Beifall für ein’n Nazi, wenn es sein muss
Meine Leute klatschen Nazis von der Straße, wenn es sein muss
Seit dem Eisprung in 030, mein Bro, keiner guckt auf sein Plus
Hier wird alles schön geteilt, Bro, meine Leute komm’n in kein’n Club
[…]
Dein Homie hat am Kotti Angst, dass ihn ein Kanak abzieht
Mein Homie hat kein’n Bock, dass deiner ihn wie’n Bastard ansieht (Yeah)
Ihr kriegt Logenplätze (Yeah), Bruder, wir kriegen Zelle (Yeah)
Ihr könnt große Sätze, wir könn’n rennen«
„Sport“
Gesellschaftskritik meets Generationensound
Die eindrucksvollen und zum Teil beklemmenden Zeilen des Rappers werden unterstützt durch einen zeitgemäßen Hip Hop Sound. Der besonders bei düsteren und melancholischen Stimmungen glänzende Rapper und Produzent Ahzumjot hat einen Teil der aus sechs Songs bestehenden EP produziert. Cato erscheint ebenfalls als mehrmaliger Produzent auf „Gast“ und bringt sein Gespür für klassische Hip Hop Banger mit an den Tisch. Lyrics und Beats treten in eine stimmige Symbiose und verleihen der gesamten EP eine besondere inhaltliche sowie klangliche Homogenität. Einzig „Kes“ fällt minimal aus der Reihe, da hier die inhaltlichen Qualitäten ein wenig durch den Fokus auf das Schreiben eines Hip Hop-Club Hits in den Hintergrund rücken. Doch selbst dafür bekommt Apsilon Drops. Denn kaum eine Künstler*in springt so leichtfertig zwischen … hin und her.
Visuals im Einklang
Die erwähnte Homogenität zieht sich zudem durch die Visuals des Tapes. Das Team um Director Foli Creppy und Produzent Thabo Paul schafft zusammen mit Apsilon authentische Einblicke in das Leben des Künstlers im Retro Look. Besonders Erwähnung verdient das Musikvideo zu „Köfte“. Das Video nimmt dank Aufnahmen aus dem Bundesarchiv einen dokumentarischen Charakter an. Schwarz-Weiß-Aufnahmen von schuftenden Gastarbeitern werden protestiereden Rechten gegenübergestellt und verdeutlichen die gesellschaftliche Zerrissenheit, die bis heute andauern.
Zeitgemäße Gesellschaftskritik
Musik, die nur der Gesellschaftskritik willen existiert und ästhetische Motive vernachlässigt, wirkt auf mich in der Regel unbefriedigend. Gute Produzenten und Ausnahmekünstler, die einen Hit nach dem anderen schreiben, sind hingegen auch keine Seltenheit mehr. Die große Kunst ist meines Erachtens nach Musik, die inhaltlich sowie klanglich ausgereift ist. Ich denke da im Hip Hop beispielsweise an Tupac Shakur, Jay-Z oder Kendrick Lamar, die ebenso politisch waren wie einen Sound der Zeit geprägt haben. Sie haben Musik erschaffen, die emotional in einem hohem Maße berührt oder schockt und gleichzeitig den Finger tief in die Wunde drückt. Apsilon wählt diesen anspruchsvollen Weg mit seiner EP und liefert politische Statements am Fließband ohne dabei klanglich aus der Zeit zu fallen. Dieses Projekt ist eine absolute Empfehlung an ausnahmslos alle und gibt Vorfreude auf kommende Songs, EPs oder Alben.
Fotoocredits: Sina Lesnik