„Wenn man sich mal mit der globalen Finanzwirtschaft und der Arbeitswelt auseinandersetzt, muss man eigentlich zum Marxisten werden.“ – Worte gesprochen von Ariel Oehl, ein Teil des Wiener Duos Oehl. Kennt ihr? Falls ja, mega. Falls nicht: Oehl sind der Wiener Liedermacher Ariel Oehl mit eben berühmten Worten und der isländische Multiinstrumentalist Hjörtur Hjörleifsson. Zusammen schaffen sie genau das, was man sich vorstellt, wenn ein poetischer Wiener und ein musikalisch kreativer Isländer aufeinandertreffen: geile Musik. Sie sind das Österreicher Musik-Phänomen, von dem ich schon öfter was gehört, aber mich bisher noch nicht genug mit auseinandergesetzt habe. Das soll sich jetzt ändern. Mit ihrer neuen EP „100% Hoffnung“ haben sie mich und die Marxistin in mir vollkommen abgeholt. Warum, lest ihr jetzt.
„Es ist nur die Arbeit“
„Es ist nur die Arbeit, sie wächst über Köpfe“ – mit diesen Worten eröffnen Oehl ihre EP „100% Hoffnung“. Bevor wir uns in die inhaltliche Tiefe stürzen (ist wirklich tief), kurz zum musikalischen Setting, für das ich genau eine Strophe brauchte, um mich überzeugen zu lassen. Here’s why:
- Eine funkige, catchige Bassline, check ✅
- Ja, Oehl haben eine von diesen geilen Stimmen, ebenfalls check ✅
- Bassline + tiefe, geile Stimme erzeugen musikalische Hypnose, kriegt man mich eh immer ✅
- Kleine funkige Gitarrenriffs, we love those ✅
- Jedes Lied wird besser durch fette Trompeten ✅
- Wahnsinns Lyrics, check mate ✅
Da wir nun ganz schnell und strukturiert geklärt hätten, warum ich jedes Mal durch die Wohnung tanze, wenn der Song auf Shuffle kommt, nun zum Inhaltlichen. Was man zu Oehl nämlich wissen muss, ist, dass sie schon immer eine der Bands waren, die sprachlich vor allem durch poetische und lyrische Tiefe überzeugen – und das auf Deutsch! Ganz weit weg von Mark Forster und Co. wird hier noch ehrlicher, deutschsprachiger Pop gemacht. Ja, da könnt ihr mich gerne zitieren.
Wie man vom Anfangszitat und dem Titel des Songs ausgehen kann, ist Arbeit eine knallhart reflektierte Kritik an, nun ja, der Arbeit halt.
„Wir bauen uns ein Schloss aus Granit
Wir machen keine Tür’n odеr Fenster rein
Wir hauеn und wir beißen auf Granit
Dann decken wir uns mit ihm zu“
Arbeit als Granit, der uns beschützt und an dem wir uns die Zähne ausbeißen – gibt es eine treffendere Metapher? Wir arbeiten alle viel mehr als wir sollten für viel zu wenig Geld. Ist es nicht krass, dass man das wirklich so fast verallgemeinernd sagen kann und es stimmt? Der stetige Druck, zu liefern, Deadlines zu treffen, Resultate zu erzeugen, alles für den Job zu geben – dieser Druck kommt sogar mit nach Hause. Oder ist schon da, je nach Homeoffice. Vor allem in kreativen Jobs ist diese Grenze zwischen Arbeit und Privatleben eigentlich kaum vorhanden. Und von diesem kreativen Job, den ich gerade in meiner Freizeit mache, brauchen wir gar nicht erst anzufangen, der ist nämlich obendrauf auch noch unbezahlt. Ach, die Ironie. Dabei gibt es so viele Stellschrauben, an denen man drehen müsste und viel schlimmer – auch könnte, um da wenigstens einen Hauch mehr Balance reinzukriegen. Mehr Geld für kulturelle Arbeit wäre definitiv eine davon.
Mehr Geld für so vieles! Für Care-Arbeit, überhaupt die Anerkennung, dass es etwas wie Care-Arbeit gibt. Sex-Arbeit, können wir auch gerne mal vernünftig anerkennen und soziale Sicherheiten für geben. Mehr Geld für alles, was man macht, nachdem man Soziale Arbeit studiert hat. Mehr Geld für Physios, mehr Geld für Arbeitslose (ha) und wirklich einfach weniger Geld für Männeregos im CEO-Vorstand. Ja, ich verlier mich gerade in einem kleinen Wut-Rant und ich weiß auch nicht, ob der Song hier schon die richtige Stelle ist, um all diese Wut abzuladen. Es ist ja immerhin „nur die Arbeit“. Aber wir funktionieren nur über sie, wir definieren uns über sie, wir brauchen sie, um zu überleben. Und wir beißen uns an ihr die Zähne aus. Und jetzt schüttelt die Granit-Decke aus, ich hab mich wieder beruhigt.
Seid nicht Schneewittchen
Beruhigt, weil der hier. Der nächste Song Amazon.de/signout ist ein ganz entspannter mellow Vibe á la FKJ. Es ist wie ein Schlafsack aus knapp 3-minütiger Entspannung und ich wiege mich vollkommen glücklich hinein. Während ich so vor mich hin wiege, fällt mir auf, dass Oehl eine dieser seltenen Stimmen haben, die mir wirklich alles erzählen könnten, ich wäre glücklich und tiefenentspannt. So einer Stimme vertraut man einfach! Auch wenn mir die Lyrics ehrlicherweise gar nicht immer so verständlich erscheinen (nuschelnde Wiener <3) – ich würde alles davon unterschreiben. Mit einem guten Gefühl.
Nachdem ich das so blind ins Internet geschrieben habe, hab ich festgestellt, dass die Lyrics doch viel trauriger sind als vielleicht vermutet. Aber vielleicht auch nur auf den ersten Blick:
„Denn als wir uns liebten
Ich liebte mich selbst nicht einmal
Und seit wir uns bekriegen
Hab ich schon lange verloren“
Ich muss zugeben, ich war schnell auf dem Heartbreak-Zug, aber dann kam irgendwie doch der mittlerweile schon 8 Jahre zurückliegende Deutsch-LK wieder in mir auf und ich musste einfach bisschen rumanalysieren. Heartbreak wäre auch viel zu einfach für das gesellschaftskritische Duo. Und ein einfacher Verweis auf den Titel des Songs (Amazon.de/signout) lässt auch folgende Strophe in einem anderen Licht erscheinen:
„Deine leuchtenden Reize
manchmal greif ich nach ihnen
wie Schneewittchen nach dem vergifteten Apfel“
Ich weiß, es klingt super weird, aber manchmal vermiss ich Gedichtsanalysen. Sprache ey, sie macht so viel mit mir. Wenn wir uns für dieses Jahrhundert auf einen ultimativen „Bösewicht“ festlegen müssten, würden wir zwar viel diskutieren, aber der Name Jeff Bezos würde definitiv fallen. Als Beweis steigt auch mein Blutdruck gleich ein bisschen an, wer sagt’s denn. Wir alle wissen, dass Amazon scheiße ist und doch scheinen wir nicht ganz drum herum zu kommen. Aber im Unterschied zu Schneewittchen wissen wir eigentlich, wonach wir da greifen, dass nicht alles, was leuchtet unbedingt gut ist und dass der Apfel folglich nicht so gut schmeckt wie er aussieht. Und doch kriegt man uns mit Rabatten auf Prime und allem anderen möglichen Scheiß, den man sonst wahrscheinlich nicht so günstig und einfach finden würde, wie auf Amazon. „Seit wir uns bekriegen, hab ich schon lange verloren“.
„Das geht runter wie 100% Hoffnung.“
Wahrscheinlich hab ich an dem Punkt hier schon über die Hälfte von euch verloren als ich gesagt hab, ich vermiss Gedichtsanalysen. Ist legitim, aber die meiner Meinung nach besten Songs auf der EP kommen erst noch. Keine Angst zum Beispiel, der auch streammäßig am weitesten vorne liegt. Auch ich hab ihn seit Release schon so oft gehört, dass er bestimmt irgendwo in meiner Spotify-Statistik Ende des Jahres auftauchen wird. Der mellow-Faden, den Amazon.de/sign.out vorgegeben hat, zieht sich weiter durch, aber jetzt durchaus poppiger mit kleines bisschen mehr Beat: „Das geht runter wie 100% Hoffnung, am besten Über Nacht und untertags. Oder auch im Spiegel, tanzend.“ – Worte wieder geklaut von Oehl , aber das ist ja auch ihre eigene Review, deshalb geht das bestimmt klar. Und auch hier: ich unterschreib’s. Ist ein kleiner Hit.
Ich erspar euch hier den Analysen Part, aber hört euch mal den Text an. Vollgespickt mit Metaphern, dass man das durchaus in so ne Abi-Klausur packen könnte anstatt die armen Schüler:innen immer wieder Faust lesen zu lassen, ohne darüber zu sprechen, warum das vielleicht auch problematisch sein könnte. Aber das ist ein anderes Thema. Stattdessen hier der Refrain, der am meisten mit mir gemacht hat:
„Hab keine Angst, Mamá
unser neues Haus hat viele Räume
Es ist nur ein bisschen kleiner
dafür schöner
Wir bauen es aus Hoffnung und Träumen“
Wenn das nicht der weak spot von uns allen ist, weiß ich auch nicht. Den eigenen Eltern die Angst nehmen und versuchen, ihnen wenigstens ein bisschen von dem zurückzugeben, was sie jahrelang für uns geopfert haben. „Wir bauen es aus Hoffnung und Träumen“ .. Oehl wollen mich hier echt noch zum Heulen bringen. Aber wenigstens kann ich dabei tanzen. Weil musikalisch ist Keine Angst astreiner Indie-Synth-Pop, den die beiden an den Start bringen und diese Kombi aus beiden – herzzerbrechenden Lyrics und tanzbaren Indie-Bässen – lässt mich in der Mitte der EP ein bisschen sehr schwach werden.
Sowahr dir Geld helfe..
Mindestens jetzt solltet ihr die Oehl EP schon parallel am Laufen haben. Der nächste Song Arbeit II greift das Thema des ersten Songs auf, das legt ja schon der Titel nahe. Auch musikalisch ist es ähnlich, setzt sich aber doch nochmal ein bisschen ab und geht inhaltlich auch sehr viel tiefer. Und toppt auch die Granitdecken-Metapher:
„Mit zahmen Händen
Umarmt sie dich erst zärtlich
Dann legt sie dir die Fesseln an
Ganz ohne Widerstände
Mit Handschuhen aus Leder
So fängt das Würgen an
So fängt das Würgen immer an“
Oehl ey, können wir davon bitte mehr davon im deutschsprachigen Indie-Pop haben? Dann hör ich nämlich auch gerne Deutsch-Musik, laut, ohne mich zu schämen. Ist ein bisschen hart ausgedrückt, aber das ist tatsächlich der Grund, warum ich sehr ungerne deutschsprachige Popmusik höre – sie ist mir einfach viel zu cringy, bei allem. Dabei kann man aus deutscher Sprache so viel rausholen. Das hab ich zumindest von Faust gelernt…
Da wir wieder bei Sprache sind, hier ein interessanter Einschub an der Stelle vielleicht, mit Erlaubnis geklaut von unseren Freund:innen des Musiknewsletters Zwischen Zwei Und Vier (wer ihn nicht kennt -> click here):
Wörter, die Oehl auf ihrem ersten Album benutzt haben: – Erlkönig – Schlummern – Beckenknochen – rostig – Ehrenmann – Handymastgestell |
Wörter, die Oehl auf ihrem zweiten Album benutzen sollten: – Karausche – helllicht – stanzen – Büchse – Gänsemarsch – murren |
Natürlich hab ich das quick gegengecheckt und leider ist keins der vorgeschlagenen Worte auf Oehls zweitem Album zu finden. Hab deshalb eine neue Liste angelegt:
Wörter, die Oehl auf ihrem zweiten Album benutzt haben: – Festung – Schneewittchen – dehydriert – Nagelstudio – untertauchen – korrupt |
Wörter, die Oehl auf ihrem dritten Album benutzen sollten: – Gandalf – Spesen – verheddern – auf Lunge – entlieben – Feenstaub |
Über Geld spricht man nicht
Wir schließen ab mit dem ehrlichsten, traurigsten und schönsten Song auf der ganzen EP: 300.000. Ich bekomm immer noch Gänsehaut wenn ich es höre, es wird hier verhältnismäßig so wenig genuschelt, dass man den Text auch versteht, ohne ihn vorliegen zu haben. Und das ist auch wichtig, denn 300.000 erzählt wahre Geschichten von einem Bankskandal in Österreich, bei dem die regionale Commerzbank ca. 705 Millionen Euro veruntreut hat – und als Folge des Skandals rund 14.000 Privat- und Geschäftskunden eingefroren hat. Das sind reale Zahlen und reale Menschen und eine reale Geschichte, die Oehl im letzten Song der 100% Hoffnung EP aufgreifen. Und die Art, wie sie das machen.. ich würde Oehl wirklich gerne irgendeinen Preis in die Hand drücken, nur um auszudrücken, wie sehr mich das musikalisch auch berührt.
„Es ist nur Geld“ singt Oehl immer und immer wieder und wenn man dazu die individuellen Geschichten der Strophen lauscht, wirkt das nicht nur unglaublich tragisch sondern auch so absurd. Wie kann man denn 705 Millionen Euro veruntreuen? Ich komm erneut an diesen Punkt, der mich mehr taub zurücklässt als wütend. Ich weiß nicht mal, auf wen ich wütend sein soll, weil das so ein krankes System in itself ist, dass egal, wo man anfängt, die Schuld hinzuschieben, sie immer weiter geschoben wird. Aber die Leute, die an dessen Ende alles verloren haben, die kann man anhand von Namen ausmachen. „Es ist nur Geld“ …
Ich glaube, die erste richtige Assoziation, die ich als Kind mit Geld hatte, war Dagobert Duck und sein Goldmünzen-Keller. Der hatte sogar einen Sprungturm. Wie absurd. Vor ein paar Tagen hat Casper zu seinem neuen Album bei KrasserStoff vier verschiedene Vinyl-Platten in Shop gestellt, in vier verschiedenen Farben und mit vier verschiedenen Release-Daten. Warum? Warum müssen wir alles nur produzieren, um es zu verkaufen, warum ist alles immer nur auf Profit ausgelegt, auf einen ständig hochangelegten Gewinn. Ich beantworte meine eigene Frage und präsentiere euch: Capitalism, die ewig steigende Blase, vor deren Platzen ich schon in der Schule Angst hatte. 10 Jahre später, geplatzt ist noch nichts. *looks nervously to the left and to the right*
Was ich jetzt abschließend mit Dagobert Duck und Casper sagen wollte, weiß ich auch nicht so ganz. Ich glaub, ich bin einfach nur sehr müde. Von allem. So wie Oehl auch: „1/3 Traum für ein ganzes Leben – tut mir leid.“ Das ist die letzte Zeile der EP und was passenderes als „tut mir leid“ fällt mir auch nicht ein. Ich will jetzt aber auch gar nicht so negativ abschließen, deshalb, hört euch die EP an, checkt dieses Duo aus, wenn sie irgendwo live bei euch spielen, geht hin. Und jetzt hab ich doch noch was Positives zum Abschluss, denn drei Mal Worte von Oehl selbst klauen macht die Sache rund:
„Wir brauchen echte Zeichen der Hoffnung, echten Optimismus. Sonst wird das nichts mehr mit uns.“
Fotocredit: Tim Cavadini
Memecredit: El Hotzo