Dortmund ist zugegebenermaßen nicht besonders bekannt dafür, das Zuhause von Indie-Bands zu sein. Walking On Rivers brechen dieses Vorurteil. Die Indie-Folk Band aus dem Ruhrpott besteht aus David, Borsti und Martin. Seit 2015 machen sie in teils wechselnder Besetzung Musik. Ihre Songs haben sich über die Jahre leicht verändert. Wenn das Ganze zu Beginn noch stark nach Folk klingt, gehen die neueren Songs eher in Richtung Pop oder Rock. Aber eins bleibt: die Stimme von Sänger David.
Ich habe Walking On Rivers zum (digitalen) Interview getroffen und mit ihnen über ihre “Time to Lose Control” EP geredet und aufgeklärt, was die Musiker immer noch im Ruhrpott hält.
Das Setting
Zwei der drei Bandmitglieder von Walking On Rivers sitzen in ihrem Home Studio in Dortmund. Über den Zoom-Bildschirm sehe ich 2 Männer auf Bürostühlen, die mehr oder weniger gut in den beschränkten und minimalistisch eingerichteten Raum, den sie Studio liebevoll nennen, passen. “Hier gibt es alles, was wir brauchen”, versichern sie mir. Die Nachbarn seien ebenfalls cool drauf und würden sogar ab und zu ein paar Songs mitsingen.
Nach dem ersten Smalltalk und Lobliedern auf die Dortmunder Nachbarschaft, steigen wir in die Musik ein. Ich stelle manchmal gerne unangenehme Fragen, das scheint die Jungs von Walking On Rivers aber nicht zu stören und aus dem Konzept bringen lassen sie sich schon gar nicht.
Walking On Rivers im Interview
Anna: Dass ihr aus Dortmund kommt und da immer noch Musik macht, haben wir ja schon geklärt. Jetzt frage ich mich: Woher kommt der Indiepop/ Folk Sound aus Dortmund? Das ist jetzt nicht gerade das Erste, was ich mit der Stadt oder mit dem Ruhrpott generell verbinde. Aber ihr könnt mich natürlich auch eines Besseren belehren.
David: Ich würde nicht sagen, dass die Stadt uns zu dieser Musik inspiriert hat. Ich glaube, es ist einfach so ein bisschen herkunftsunabhängig. Wir sind aufm Dorf in NRW aufgewachsen und von dort aus irgendwie in den Pott gekommen irgendwann. Aber ich glaube, es ist eine Mischung aus allem, was wir so über die Jahre uns angehört haben an Musik. Und ich persönlich bin mit Punk eher sozialisiert worden, als ich anfing, Musik zu hören. Ich habe zwei Brüder, der eine Bruder hat sehr viel Punk gehört und der andere Bruder ist auch in die Richtung gegangen, aber noch mit ein bisschen Techno. Und von beiden hab ich mir dann so ein bisschen meine Sachen rausgefiltert. Dann ist es irgendwie bei dem jetzt gelandet.
Borsti: Also die härtere Schiene kann ich auch vermelden in meinem Lebenslauf. Ich habe selber mal längere Zeit in einer Metal-Band … geschrien sogar. Also ich war Frontmann. Aufgewachsen bin ich irgendwie mit anderen musikalischen Einflüssen. Von meinen Eltern her habe ich viel klassische Musik mitgenommen. Mein zwei Jahre älterer Bruder, mit dem habe ich zusammen viel Jazzmusik gemacht. Und selber als Teenie habe ich dann halt in die härteren Musikgenres mal reingeschnuppert, da war ich so 12 oder 13: Rock, Hard, Rock, Metal, solche Geschichten. Das heißt, da ist jetzt nicht zwingender Weise der Indie Einfluss in der Musik, die wir machen, vorgeschrieben. Das entspringt eher aus ganz vielen anderen Einflüssen.
Anna: Ich möchte das einmal kurz klarstellen: Du hast schon “geschrien” und nicht “geschrieben” gesagt, oder?
Borsti: Ganz genau!
Was Walking On Rivers an Dortmund lieben und warum sie nicht nach Berlin ziehen
Anna: Okay, wild. Zurück zum Ruhrpott. Ich komme nicht von dort, wie ihr vielleicht schon bemerkt habt. Wie ist der Ruhrpott sonst so? Was hält euch noch da? Und warum zieht ihr nicht nach Berlin, wie jeder andere Indie Band?
David: Das ist eine gute Frage. Berlin macht es einem natürlich einfacher, was das connecten und so angeht. Ich finde aber persönlich: auf dem Papier sieht es supergeil aus, wenn man nicht aus Berlin oder Hamburg oder Köln kommt, sondern vielleicht mal aus dem unkonventionellen Dortmund, was nicht so bekannt ist für die Bands, die aus dieser Stadt kommen. Was uns hier hält, ist glaube ich vor allem das Umfeld, das man sich in den letzten Jahren angelacht hat. Wir wohnen jetzt alle schon paar Jährchen hier. Ich mein, Borsti war zwischendurch auch mal in Darmstadt und in Luxemburg und natürlich auch in Berlin. Aber wir sind sehr verwurzelt hier. Das macht die Stadt einfach schön. Und ja, Berlin ist immer ganz nett am Wochenende, aber dann reicht’s mir auch meistens wieder.
Borsti: Also Berlin hat einfach nicht so den Flair, der mich auf natürlicheweise anzieht. Zumindest nicht so, dass ich sage: Ich muss da unbedingt wegen der Musik hinziehen. Denn die kriegen wir hier in Dortmund auch ganz gut so hin und hier kann man halt günstiger wohnen. Musiker*innen haben sowieso nie Kohle. Ich finde das ist ein ziemlich guter, wenn auch sehr pragmatischer Grund hier zu leben.
Anna: Da stimme ich dir voll und ganz zu! Ich bin noch mal ein bisschen zurückgegangen in eurer Band Historie und ihr habt zu dritt angefangen, wart dann zwischenzeitlich zu viert, zu fünft, jetzt aber wieder zu dritt. Wie kommt das, dass ihr so verschiedene Konstellationen hat? Habt ihr einfach gemerkt, es hat nicht geklappt und gesagt, wir gehen jetzt “back to the roots”?
David: Ich bin eigentlich noch das einzige originale Überbleibsel aus dieser Dreierkonstellation. Da gab es am Anfang ja noch Markus und Flo. Dann kam Martin, der ja immer noch Trommler bei uns ist – derzeit leider nicht aktiv dabei, aber immer noch auch Teil der Band. Dann haben wir uns irgendwann noch jemand fünften dazugeholt an der E-Gitarre. Das war der Niklas. Und dann haben wir im Laufe der Entwicklung so ein paar Mitglieder verloren. Wie das halt immer so ist bei Bands: Wir waren dann alle irgendwie fertig mit dem Studium und manche wollten lieber auf die sichere Karte setzen. Da kam Borsti aber zum Glück genau zur richtigen Zeit zurück nach Dortmund. Und dann haben wir uns aber, als dann die diversen Mitglieder abgezogen sind, ganz bewusst dazu entschieden, das dann zu dritt weiter zu machen, weil es einfach sowohl kreativ als auch organisatorisch einfach nur Vorteile mit sich gebracht hat. Ich glaube, das war alles.
Borsti: Und ich muss sagen, wir genießen es halt auch ziemlich, nur uns drei zu haben. Dadurch können wir schon ziemlich intensiv Songwriting betreiben. Von dem ganzen anderen Quatsch, den man als Band machen muss, braucht man jetzt gar nicht reden. Aber zumindest die kreativen Prozesse funktionieren halt super gut. Wenn wir zusammen Songs schreiben, dann wissen wir eigentlich schon immer, wenn wir bestimmte Songtitel haben oder bestimmte Melodien, wie die anderen darüber denken und haben uns mittlerweile ziemlich gut aufeinander eingeschossen. Wir ziehen eigentlich musikalisch immer an einem Strang und wenn nicht, dann sind halt auch schnell Entscheidungen getroffen. Da ist zwei gegen eins ist immer ein einfaches Demokratie-Verhältnis.
Über Vergleiche und Inspiration
Anna: Aber was beeinflusst denn jetzt wirklich den Sound von Walking On Rivers? Oder gibt es bestimmte musikalische Vorbilder, an denen ihr euch vielleicht manchmal orientiert?
Borsti: Extrem viele, ja!
David: Ich glaube, das war früher – also ganz am Anfang der Band – noch anders. Da war die Auswahl an Inspirationen kleiner. Damals hätten wir vielleicht so zwei, drei Bands genannt, die uns inspirieren. Heute ist das viel breiter gestreut. Früher hat man uns oft mit den Mighty Oaks oder Mumford Sons verglichen. Das war so ganz am Anfang, als das Projekt noch in den Kinderschuhen war. Und jetzt finde ich das schwieriger, Bands zu nennen.
Borsti: In der letzten Zeit hören wir auch alle privat noch noch mehr Mucke als sonst schon. Das ist gar nicht so maßgebend ein bestimmtes Genre, sondern eigentlich ein bestimmter Sound. In welchem Genre oder bei welchen Artists sich das dann widerspiegelt, ist halt wirklich immer ein anderer Schuh.
David: Ja, also wenn ich jetzt mal ein Beispiel nennen sollte: ich liebe die Fleet Foxes einfach abgöttisch. Was die Vocals angeht, ist das voll die krasse Inspiration.
Anna: Euer Sound selbst hat sich ja auch ein bisschen verändert. Ich würde zumindest sagen, dass so die ersten Songs, die von euch draußen waren, so ein bisschen mehr in die folkige Richtung gehen und es jetzt eher so poppiger, rockiger wird. Kommt natürlich auch darauf an, welche Songs man sich jetzt rauspickt. Würdet ihr sagen, dass das einfach so eine natürliche Entwicklung war und die Musik mit euch zusammen erwachsen wird?
Borsti: Also die Entwicklung ist schon ziemlich aus uns selbst herausgekommen. Aber das hat so einen kleinen Anstoß gebraucht. Als ich vor drei Jahren in die Band gekommen bin, habe ich genau das Bild gehabt, was du gerade beschrieben hast von dem Indie Folk. Die erste Zeit hab ich versucht, mich erst einmal so in das Bild einzufügen. Aber das Bandkonstrukt an sich hat sich ein bisschen verändert, weil zwei Leute rausgegangen sind aus der Band. Wir wollten uns einfach etwas professionelleren Sound verleihen als Band.
David: Es wa eine gute Symbiose aus unseren Ideen und ein paar kleinen Arschtritten von unserem Produzenten Sven in eine andere Richtung. Wenn ich mir die Platte jetzt anhöre, denke ich sogar ist das gar nicht so krass, wie ich das damals empfunden habe.
Die Sorgenkinder der “Time to Lose Control” EP
Anna: Welcher Song war der längste Prozess auf der EP “Time to lose control” oder welchen mochtet ihr erst nicht?
David: “Selfmade Delusion” hat ziemlich lange gedauert. Der Song an sich stand schon – eigentlich so wie er ist mit den Chords und den Vocal Lines und so, aber das Arrangement hat so lange gedauert.
Borsti: Der hat wirklich lange gedauert und hat irgendwie so viele verschiedene Arrangements gehabt. Da wurden dann immer wieder dazugeschriebene Parts rausgeschmissen und alles umgekrempelt, was bisher gewesen ist.
David: “In Vain” war der erste Song von der Platte und hat die meisten Entwicklungsschritte durchlaufen. Was mir am meisten Spaß gemacht hat, war “Time to lose Control“. Das ist ja auch der Titeltrack und am Anfang hatten wir eigentlich nur so eine Grundidee vom Song. Also es gab eine Akkordfolge und eine Melodie, aber auch nur für einen halben Song und den Rest haben wir im Studio dann geschrieben.
Anna: Ich muss ja gestehen, dass es bei mir klassischerweise “Overachiever” ist. Der Song hat mich zumindest von Beginn an am meisten gecatched. Merkt ihr sowas auch, bevor ihr die EP rausbringt, das ein bestimmter Song, der wird, den die Leute am meisten feiern?
Borsti: Ja, wir haben uns das schon gedacht. Also das war von Anfang an einer meiner Lieblinge von der Platte. Mittlerweile würde ich sagen, ich habe gar keinen Liebling von der Platte mehr. Die Songs mag ich halt alle super gern. Aber wir waren uns ziemlich sicher, dass “Overachiever” funktioniert und haben uns auch dazu entschlossen, den als allererste Single von der Platte rauszugeben. Das war auch ein guter Spagat zu dem, was wir vorher gemacht haben.
Anna: Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Kommen wir jetzt mal zu eurem neuesten Song “Lights Go Out“. Der ist im Vergleich zur “Time to lose control” EP doch schon eine deutliche Spur persönlicher und auch ruhiger. Wie kam es dazu, jetzt so einen kleinen Soundswitch einzubauen und auch textlich auf diese Ebene zu gehen?
David: Wir hatten Bock auf einen Piano-Song, der einfach vom Klavier getragen wird. Und dann haben wir zu der Zeit irgendwie darüber gesprochen, was uns gerade beschäftigt. Und sonst ist ja in unseren Songs immer eher so was Gesellschaftliches drin oder auch mal Kritik. Aber zu der Zeit war es dieses interne, persönliche Beziehungskonstrukt, was uns beschäftigt hat. Es geht darum, dass man merkt, dass es nicht mehr so funktioniert, wie es vielleicht mal hat und das beide spüren, aber keiner traut sich so richtig, die Lichter auszumachen. Ich meine, bei so einem persönlichen und vielleicht ein bisschen melancholischen Text würde es ja auch komisch klingen, einen nach vorne gehenden Indie-Pop Sommerhit zu schreiben.
Anna: War dann auch eine gewisse Skepsis dabei, den Song zu veröffentlichen? Oder wart ihr euch von Anfang an sicher, dass das funktionieren wird und dass es auch gar keine so eine Wagnis ist, sowas rauszubringen?
David: Also skeptisch war ich jetzt nicht. Ich mochte den Song. Also klar, man zieht sich ja vor den Leuten immer sprichwörtlich aus, wenn man Musik rausbringt – egal worum es geht. Und das Gefühl kennen wir schon. Es ist da so, dass man etwas, was man in einem nicht so guten Moment sich ausgedacht hat, überlegt, das dann in Musik zu pressen. Ich habe mich eigentlich nur gefreut, den rauszubringen und zu gucken, was die Leute sagen. Ich glaube, am wichtigsten ist, dass man es selber mag und wenn man es dann rausbringt und es den Leuten gefällt und wenn nicht, dann hat man ja immer noch ein Stück, was einem selber gut gefällt.
Und mit welchem Getränk bereitet ihr euch auf eine Show vor?
Anna: Das ist, glaube ich, genau die richtige Einstellung! So jetzt als letztes ist noch die untold story an der Reihe. Habt ihr lustige, unerzählte Story parat?
David: Vor jeder Show kommen wir noch mal in einen Kreis zusammen. Das machen ja viele Bands. Wir legen dann aber immer ganz spontan ein Motto fest für die Show. Das kann alles sein. Das muss dann immer spontan aus irgendwem heraus schießen und da waren schon sehr witzige Sachen bei. Meistens sind das irgendwelche komischen Wortspiele, die auch am besten niemand anderes hören sollte.
Borsti: Aber meistens hat das was mit dem Tag oder mit der Tour zu tun. Mir fällt gerade kein gutes Beispiel ein.
David: Spontan fällt mir auch nichts ein. Aber Martin trinkt auch immer eine Königs-Mische vor der Show. Das ist vielleicht auch noch eine witzige Geschichte.
Anna: Was ist denn eine Königs-Mische?
David: Er hat es selber so genannt. Das ist schon ziemlich ekelhaft eigentlich: eine Flasche Bier, ein Red Bull und ich glaube, noch ein Pfeffi. Das trinkt er dann nacheinander. Mit der Kombination ist er anscheinend bestens vorbereitet, aber wirklich Konzert.
Anna: Naja, wenn’s ihm hilft. Aber wie muss ich mir das mit dem Motto vorstellen?
Borsti: Wir sammeln uns im Kreis und rufen direkt vor der Show noch das Motto rein, um uns auf die Show einzustimmen. Und keiner denkt sich vorher was aus, sondern das muss halt wirklich erst eine Minute vor der Show gehen. Spontan!
David: Da kommen manchmal schon sehr lustige Dinge bei raus.
Anna: Ja, cool. Danke euch, dass ihr das geteilt habt und danke für das Interview. Macht’s gut!
Borsti: Danke dir, Anna!
Falls ihr es nicht längst schon getan habt: Dann könnt ihr hier jetzt in die “Time to Lose Control” EP von Walking on Rivers reinhören:
Fotocredit: Thilo Rohländer