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Traurige Indie-Songs für Außenseiter: Philine Sonny ermutigt mit ihrer “Invader”-EP

Musik für Außenseiter – das klingt erstmal total uncool, aber zeugt von großer Stärke. Philine Sonny bezeichnet sich selbst oft aus Außenseiterin oder Eigenbrödlerin. Sie hatte zu Schulzeiten keine feste Freundesgruppe, konnte sich nirgendwo so richtig einfinden und hat einen Großteil ihrer Freizeit in ihrem Zimmer verbracht, wo sie (zu unser aller Glück) ihre Gefühle in Songs verpackt hat und sich selbst das Produzieren beigebracht hat. Wenn ich sagen würde, Philine Sonny macht Indie-Musik, dann könnte ich wohl kaum eine allgemeinere Beschreibung finden – und das wird ihr auch nicht gerecht. Aber trotzdem reiht sich ihre Musik perfekt in die deutsche Indie-Bubble ein. Kein Wunder, dass sie zusammen mit Shelter Boy, Amilli oder Brockhoff musiziert.


Ungeschönte Ehrlichkeit – verpackt in Songs

Im Februar habe ich Philine Sonny als Vorband beim Giant Rooks Konzert gesehen. Etwas abgehetzt, weil ich mal wieder viel zu spät los gefahren bin, kam ich gerade rechtzeitig zum ersten Song der Künstlerin in der Konzerthalle an. Und was soll ich sagen – ich habe direkt geweint. Ich weiß nicht einmal genau warum, aber diese Emotionalität in den Songs von Philine Sonny kickt live einfach nochmal ganz anders. Ein Moment ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Bevor die Band „same light“ anstimmt, erzählt Philine, welche Geschichte hinter dem Song steckt: Sie erzählt, dass es ihr oft peinlich war, mit 22 noch Jungfrau zu sein und sich komisch gefühlt hat – und genau das in dem Song verarbeitet hat.

Ganz ehrlich und ermutigend gesteht sie dann sich und dem Publikum ein, dass es doch total bescheuert ist, sich dafür zu schämen und doch jede*r das machen sollte, was und wie einem am besten passt. Diese Ehrlichkeit auf Konzerten ist nicht selbstverständlich und hat einfach ein verdammt gutes Gefühl bei mir hinterlassen. Deshalb habe ich mich auch gefühlt als würde ich in der Wolke einer wohl-warmer Umarmung liegen. Und genauso fühlt sich für mich auch die EP „Invader“ an.

Warum heißt die EP „Invader“ Invader – also Eindringling? „Ich habe gemerkt, dass das etwas ist, wo ich Angst vor habe – in verschiedenen Bereichen meines Lebens“, erklärt Philine. „Zur Therapie zu gehen hat mir geholfen das Thema aufzuarbeiten und mir gezeigt, dass es ein großes Ding ist, was mich schon lange begleitet.“ Auf der EP nimmt Philine uns mit auf eine Art Therapiestunde und zeigt uns, dass wir uns nicht zu fühlen brauchen als wären wir ein Eindringling oder alleine mit diesem Gefühl.

Mit „I wanna take drugs“ gibt es wohl kaum einen deutlicheren Einstieg in eine EP. Textlich zeichnet Philine ein klares Bild im Kopf: „Es ist eine romantisierte Idee, wie das Leben aussehen würde, wenn man ganz dreist und rücksichtlos die Angst hinter sich lassen würde und alles riskieren würde, um sich lebendig zu fühlen.“ Ganz im Gegensatz dazu zieht der Sound ein verträumtes Bild und lässt Grenzen verschwimmen. Egal, ob es gewollt ist oder nicht: Die romantisierte Idee wird zur Realität. Eine Realität in der alles schei*egal ist und das Bauchgefühl entscheidet, was richtig ist.


„Somebody out there?“

In Denial“ ist der Weckruf. Nach der verträumten Indie-Pop-Hymne rüttelt der zweite Track auf „Invader“ uns wach aus unserem Traum. Der Fokus liegt auf dem Bass und wird durch Post-Punk-Elemente  mit dem richtigen Retro-Gefühl unterstrichen – passend zur Coming-of-Age-Story, die Philine Sonny über die Lippen bringt. Immer wieder fragt sie „Somebody out there?“ und bekommt keine Antwort. Ein Gefühl, dass vermutlich viele nachvollziehen können.

Die selbsternannte Außenseiterin spricht die Gedanken eines jeden Eigenbrödlers aus. Zwischen Einsamkeit und Wohlfühlen im Alleinsein. „Es versteckt nicht den Schmerz, der mit hoffnungsvoller, jugendlicher Beharrlichkeit daherkommt, die von der Erkenntnis überschattet wird, dass einige Dinge einfach nicht sein sollen. Es ist auch eine Erinnerung daran, wie wichtig es ist, zu lernen für sich selbst einzustehen.“


Viele Fragen, wenig Antworten

Nach dem Power-Track der EP, versetzt der langsame Acoustic-Track „Stranger In Your Living Room” uns wieder zurück in eine Gedankenwelt voller Fragen. Gehöre ich hier hin? Bin ich zu viel? Geht es gerade zu schnell? Überschreite ich hier eine Grenze? Was passiert hier gerade mit mir? All diese Fragen stellt Philine Sonny sich in „Stranger In Your Living Room”. Und all diese Fragen bleiben auch offen. Der Song hinterlässt beim Hören irgendwie ein leicht schlechtes Gefühl und bringt viele dieser Fragen in einem selbst hoch. Das gilt natürlich nur, wenn man sich drauf einlässt, denn „Stranger In Your Living Room” lässt auch sehr gut nebenbei hören und die ganzen Gefühle in den Lyrics ignorieren. Denn so viele alle Songs auf der EP von Philine Sonny verlangt dieser Song besonders, dass man sich auf ihn einlässt und sich selbst hinterfragt.

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Die Gedankenwelt, in die Philine Sonny uns seit 3 Songs gesungen hört auch mit dem folgenden Track nicht auf – doch gibt mal wieder einen kleinen Lichtblick. „Take A While“ baut sich erst langsam mit atmosphärischen Gitarrenakkorden auf und geht dann über in einen offenen, treibenden Refrain. „Der Song ist ein Liebesbrief an alle, die damit strugglen, ihre Verletzlichkeit dem Schmerz überleben zu lassen“, erklärt Philine.

Etwas, das ich vorher noch gar nicht erwähnt habe, fällt bei diesem Track besonders auf: Die Stimme von Philine Sonny kommt sehr sanft daher und geleitet und quasi immer weiter rein in unsere Gedankenwelt – ohne dabei aufdringlich zu werden. Zu meiner großen Freude darf aber bei „Take A While“ die Gitarre mal wieder in den Vordergrund, was dem Song eine erstaunliche Leichtigkeit verleiht.


Die Erlösung?

Und dann es endlich: Das Piano. Gibt es ein Instrument, das besser zu einem balladigen Track mit der zarten Stimme von Philine Sonny passt? Wohl kaum. „Lovely“ ist der wohl verletzlichste Song der EP, was durch den Einstieg des Pianos wunderschön unterstrichen wird. Und dann kickt der Herzschmerz so richtig als die verzerrte Gitarre, das hämmernde Becken und Philines hemmungsloses Jammern einsetzen. Also wer jetzt den Schmerz in dem Song nicht fühlt, dem ist wohl auch nicht mehr zu helfen.

Could you really tell something’s off,
or did you just find what you were looking for?
Did you really know from the start,
or did you just never get over your fear of abandonment?

„Das sind die Fragen, die „Lovely“ nie stellt“, erklärt Philine. „Diese nicht gestellten Fragen lassen Raum für Wut und Frustration, die für einen Moment die Überhand nehmen, alles rauslassen, um dann für das nächste Kapitel bereit zu sein: Selbstbeobachtung und Wiedergutmachung.“

Mit ihrer „Invader“ EP beweist sich Philine Sonny nicht nur sich selbst eine Menge Mut, sondern ermutigt auch ihre Hörer*innen. Schmerz, Wut, miese Gefühle und ein schlechtes Gewissen – all diese Gefühle, Gedanken und Zustände sind Teil der EP, so wie sie Teil des Lebens sind. Philine Sonny besingt genau das in roher, ehrlicher und trotzdem irgendwie aufmunternder Art und Weise. Die selbsternannte Außenseiterin nimmt sich alle Außenseiter*innen da draußen und zieht sie mit sich aus ihrem Loch heraus. Und damit beweist die Künstlerin, wie relatable sie und ihre Musik sind.

Wenn es für euch diesen Text brauchte, um auch von Philine Sonny zu überzeugen, dann hört spätestens jetzt unbedingt in ihre EP „Invader“ rein:

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Fotocredit: Nicolas Blanchadell

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