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Mine im Interview: »Ich mache immer, wonach mir die Nase gewachsen ist«


Die BAUM TOUR 2024 zum gleichnamigen Album von Sängerin Mine ist vor etwas mehr als einer Woche zu Ende gegangen. Untoldency hat diese Tour mitpräsentiert und Redakteur Leif hatte die Gelegenheit das Konzert in Hannover im Capitol zu besuchen und vorab ein Gespräch mit Mine zu führen.

Triggerwarnung/Content Note: Drogen, Drogenkonsum und Sucht
In der letzten Frage dieses Interviews geht es um die Thematisierung von Drogen und Drogenkonsum. Bitte achtet auf euch selbst und eure Gesundheit.

Mine im Interview mit untoldency zu ihrem Album BAUM

Leif: Hallo Mine! Schön, dass du dir Zeit nimmst, ich freu mich richtig. Zum Warmwerden beginne ich mit einer Frage zu deiner Musik. Du hast deine eigene Musik schonmal als „Deutschsprachigen Folk mit Hip Hop-, Jazz- und elektronischen Elementen“ beschrieben. Würdest du das noch so unterschreiben?

Mine: Deutschsprachiger Folk? Ne, eigentlich nicht. Habe ich das mal gesagt? (lacht) Wenn man mich fragt, sage ich immer ganz grob Deutscher Indiepop mit verschiedenen Genreeinflüssen. Ich finde es voll schwierig mich da festzulegen, weil ich voll gerne mit verschieden Genres arbeite. Manchmal fühle ich mich mehr in die Richtung Dance, andermal eher in Richtung Chanson, manchmal wiederum Klassik. Deswegen überlasse ich das lieber anderen Menschen, meine Musik einzuordnen. Jeder hört es anders und nimmt es anders wahr.

Leif: Auf die Klassikeinflüsse kommen wir später noch zu sprechen, sie ist ja auch eine Charakteristik deines neuen Albums. Wobei das ja auch schon seit Februar draußen ist.

Mine: Das gilt noch als neu!

Leif: Und deshalb: Gratulation zu deinem Album BAUM! Bald ist es zehn Jahre her seit der Veröffentlichung deines Debütalbums Mine, ein Jubiläum also! Seitdem hat sich viel getan. Bist du rückblickend zufrieden und gibt es etwas, das dich bei mehr als zehn Jahren Musikmachen immer begleitet?

Mine: Es hat sich viel getan, aber hallo! Und ich bin mehr als zufrieden – zufrieden ist gar kein Ausdruck. Ehrlicherweise läuft alles viel viel besser, als ich es mir jemals erträumt habe. Ich hatte ja gar nicht vor, das beruflich zu machen und dachte, dass sich das gar nicht vereinen lässt. Also diese freie künstlerische Arbeit mit künstlerischer Musik als Beruf. Deswegen fühle ich mich gerade sehr privilegiert und dankbar dafür, dass ich das machen darf. Und was mich bis jetzt in den letzten zehn Jahren begleitet hat, ist auf jeden Fall meine Crew. Wir sind schon so lange unterwegs. Das ist ein sehr familiäres Gefühl.

Leif: Das ist ja richtig toll! Cool, dass ihr euch auch nach zehn Jahren dann noch „treu geblieben“ seid.

Mine: Voll, wir sind halt auch Freunde und arbeiten sehr gern zusammen. Es ist alles immer sehr harmonisch.

Über die freie Kunst und die Frage nach dem Besonderen

Leif: Du hast eben schon das Künstlerische in deinem Schaffen angesprochen. Deine Leidenschaft erstreckt sich auch auf Videodreh von zum Beispiel Musikvideos. Und auf Social Media hast du ein kleines Reel-Format namens SWEETE INSTRUMENTE, was ich persönlich ganz cool finde. Wie kam es denn dazu?

Mine: Ich weiß auch nicht, ich hatte einfach Bock. Ich bin so eine Instrumentensammlerin und interessiere mich für neue Klänge, die ich noch nicht kenne und wollte selbst ein wenig mehr über die Instrumente, die ich bereits habe, herausfinden. Da lag es nahe als Format kurze Instrumentenkunde zu machen. Aber wo genau das herkam, kann ich gar nicht so genau sagen. Ich hatte einfach Bock drauf.

Leif: Es passt ja bei deiner Musik auch total ins Bild – und damit kommen wir auch schon zu deiner Musik und zum Album BAUM. Auf den ersten Blick fällt auf, dass es viele Intros und Reprisen gibt. Hört man rein, vernimmt man zum einen Pop, Hip Hop, Electro, Funk, viele außergewöhnliche Instrumente und starke Arrangements. Zum anderen sind viele Elemente aus der Klassik verbaut. Hast du als studierte Musikerin hohe Erwartungen an „das Besondere“ in deinen Songs?

Mine: Ne. (lacht) Ich mache immer, wonach mir die Nase gewachsen ist.

Leif: Das ist eine sehr tolle Antwort!

Mine: Ich bin einfach ein sehr neugieriger Mensch und bin auch sehr schnell gelangweilt und hungrig. Aber das bezieht sich auf alles im Leben. Ich google alles, ich will alles wissen und ich lese mir alles durch. Wenn ich eine Künstlerin geil finde, schaue ich mir alle Videos und Interviews an. Und so geht’s mir eben auch bei der Musik, die ich selbst mache. Ich höre super viel Musik und wenn mich etwas catcht, überlege ich: Was ist da so drin und wieso klingt es so, wie es klingt? Dann versuche ich mich weiterzubilden, weil es mir Spaß macht Dinge zu machen, die ich vorher noch nie gemacht habe. Diese Euphorie im Musikmachen will ich dann nie verlieren. Das würde passieren, wenn ich immer das gleiche machen würde.

Leif: Also nicht stehen bleiben, sondern immer weiter. BAUM ist bisher dein chartmäßig größter Erfolg. Wie fühlt sich das an?

Mine: Stimmt, da habe ich gar nicht so viel Ahnung von. Ich wüsste auch gar nicht auf welchem Platz es war. (lacht)

Leif: Das kann ich dir sagen: Platz 7.

Mine: Ahh, sieben. Ich bin da gar nicht so interessiert, mein Management schon eher. (lacht) Für mich ist das immer so gewesen, dass ich von dem Job nicht abhängig bin. Ich wollte eigentlich als Musiklehrerin arbeiten, damit ich freie Kunst machen kann, ohne über des Geldverdienen nachzudenken. Mir ist es wichtig, dass ich nicht so einen Druck habe und meine Kunst frei bleibt. Deshalb können mir Zahlen auch egal sein. Diese Unabhängigkeit genieße ich sehr.

Leif: Dieses Privileg befreit deine Kunst bestimmt sehr.

Mine: Total. Für mich ist es auch die einzig richtige Herangehensweise. Unter Druck könnte ich gar keine freie Kunst machen. Das Musikmachen an sich ist ja das Schöne an dem Job. Und wenn das verloren geht, dann hätte ich gar keinen Bock mehr das zu machen.

Leif: Das verstehe ich sehr. Du kannst das am besten beurteilen: BAUM ist voll mit persönlich und biografisch wirkenden Songs. Wie viel Mine steckt in den Texten?

Mine: Es ist schon sehr persönlich, ich denke mir da nichts aus. Für mich ist das Musikschreiben immer Safe Space und Dinge aussprechen, die ich mir vor anderen Menschen so nicht traue. Deshalb ist das alles eigentlich privat. (lacht) Bei jedem Song geht es um eine gewisse Situation, die ich empfunden habe. Und den Dampf lasse ich dann in der Musik raus.

Leif: Es gibt ja auch Storytelling im Songwriting, aber du musst da schon einen persönlichen Bezug zur Handlung haben?

Mine: Ich finde es fühlt sich dann so an, als würde man sich selbst covern. Es ist dann eher die Schauspielerei. Und ich finde das auch voll geil, wenn das Leute können. Die haben dann auch ein Alter Ego und schreiben dann Sachen, zu denen sie gar keine Gemeinsamkeiten haben. Aber so ist es bei mir nicht. Ich bin genau die gleiche Person wie hinter der Bühne. Zumindest fühle ich mich nicht anders.

Der BAUM zieht sich bei Mine als optisches und rhetorisches Mittel wie ein roter Faden durch Album und Bühnenbild.


Leif: „Werde geboren und werde dann groß, lerne zu leben und dann bin ich tot“ – Hören wir da Kritik an einem kapitalistischen Mittelmaß im Titelsong BAUM?

Mine: Ich liebe diese Interpretation, auch wenn sie nicht die Gedanken waren, als ich den Song geschrieben habe. (lacht) Aber ich kann sehr zu ihr relaten. Weil ich auch richtig abgef*ckt bin vom Kapitalismus. (lacht lauter) Ich finde es ganz schlimm, wie das Schulsystem kleine Arbeitssoldat*innen zusammenschustert, die, sobald sie außerhalb dieser Leistungsgesellschaft keinen Platz finden, durch das System fallen. Deshalb finde ich diese Interpretation super.
Aber eigentlich hatte ich beim Schreiben eher an den Zyklus gedacht, den zwar jeder Mensch individuell durchlebt, der sich aber auch ganz unemotional ständig wiederholt. Das soll gar nicht so emotional aufgeladen sein. Es ist einfach Fakt, dass unsere Großeltern, Eltern und Kinder das Gleiche machen. Du wirst da reingeworfen, dann versuchst du klarzukommen, denn gehst du wieder und nach zwei Generationen kann sich keiner mehr an dich erinnern. Ich glaube, dass Menschen sich selbst prinzipiell ein bisschen zu wichtig nehmen. Manchmal ist es gut sich bewusst zu machen, dass das Allerwichtigste ist, dass man Menschen gut behandelt. Alles andere, wie „Ich hinterlasse Fußspuren“ finde ich etwas lächerlich.

Die BAUM TOUR 2024

Leif: Die nächsten Fragen zielen auf deine BAUM TOUR 2024 ab. Tourst du gern?

Mine: Ja, ich lieb‘s! Für mich ist das total Quality Time. Ich bin Mutter von Zwillingen und arbeite sehr viel. Daher habe ich nie so viel Zeit für mich selbst wie jetzt auf Tour. Das genieße ich sehr. Und auch, dass ich mein Team um mich herumhabe. Das sind alles meine Freunde und mit denen unterwegs zu sein fühlt sich an wie eine Klassenfahrt. Ich liebe es mit ihnen Musik zu machen. Aber die Tour ist generell so krass! Es läuft alles so gut und es ist sehr erfüllend.

Leif: Die ausverkauften Veranstaltungen und die hochgebuchten Konzerte machen es doch sicher noch besser, oder?

Mine: Ich habe ab dieser Größe hier nach unten alles gespielt. Jede Größe von 30 Leuten bis zu dem, was ich momentan spiele. Ich fand’s auch vorher cool. Was es natürlich mit sich bringt, wenn man mehr Zuschauer*innen hat, ist, dass man alle aus dem Team gut bezahlen kann. Für mich ist das sehr entspannend, wenn ich weiß, alle können davon leben. Denn man investiert super viel Zeit. Aber vom Publikum her ist es ganz egal, es ist immer ein geiles Gefühl. Diesbezüglich ist es bei uns auch nie schlechter geworden. Es kamen immer etwas mehr Leute dazu als vorher. Es gab da nie einen Sprung, sondern ging konstant weiter nach oben. Total angenehm, aber crazy, dass wir jetzt so groß unterwegs sind. Und total entspannt.

Leif: Entspannt?

Mine: Ja! Ey, früher sind wir noch hunderte Kilometer selbst auf der Autobahn gefahren mit einem Sprinter. Danach ist man anders müde.

Leif: Und dann muss noch performt werden!

Mine: Genau. Das war zwar auch cool, aber jetzt haben wir natürlich Luxus.

Leif: Was machst du denn beim Touring zwischen den Auftritten am liebsten?

Mine: Sport! Ich mache jeden Tag Sport. Und heute habe ich noch einen Beat produziert. Sonst geht der Tag ziemlich schnell rum. Wir fangen schon um 14 Uhr an, so viel Zeit ist dann gar nicht mehr. Sport, Duschen, Bühne vorbereiten, Einsingen, Essen und Interviews geben. (lacht und klopft mir auf die Schulter)

Leif: Du hast eben deine Zwillinge angesprochen. Was fehlt dir am meisten, wenn du unterwegs bist?

Mine: Auf jeden Fall meine Kinder. Meine Kinder, das Studio und das Alleinesein. Man hat immer Menschen um sich rum und Zurückziehen ist da eher rar. Und meine Freunde in Berlin fehlen mir auch sehr. Aber sonst vermisse ich ehrlich gesagt gar nicht so viel.

Leif: Das reicht ja auch! Selbst eine Sache zum Vermissen kann ja schon schwer wiegen.

Mine: Im Großen und Ganzen sind es auch eigentlich nur meine Kids. Alles andere ist nicht der Rede wert. Die sind so süß. (lacht)

An dieser Stelle sei erneut auf die anfängliche Triggerwarnung hingewiesen:
Sollte euch die Auseinandersetzung mit den Themen Drogen und Drogenkonsum schwerfallen, lest diesen Artikel ab dieser Stelle bitte nicht weiter.

Leif: Bei uns endet ein Interview immer mit einer Anekdote oder etwas, was du noch nie über dich erzählt hast. Was ist deine untold story?

Mine: Eine Sache kann ich dir verraten. Was ich noch nie gesagt habe, weil ich das eigentlich nicht verherrlichen will, ist, dass es bei einem Song von mir um LSD geht. Ich habe das noch nie erzählt, denn ich bin nicht so ein Fan davon, über Drogen in der Öffentlichkeit zu reden. Ich denke, das Thema muss mit sehr großer Vorsicht betrachtet werden. Und ich rate Leuten prinzipiell erstmal davon ab, weil es sehr gefährlich ist für Leute mit psychischen Vorerkrankungen und man sehr aufpassen muss.

Leif: Der Titel des Songs bleibt daher an dieser Stelle lieber unerwähnt. Und damit endet unser Interview! Ich danke dir für deine Zeit, für das schöne Gespräch und freue mich auf’s Konzert!

Mine: Mich hat es auch gefreut! Wir geben heute alles!


Dass zum Beinahe-Tourende alles gegeben wurde, verspürte man in jeder Sekunde des Konzertes. Die kraftvolle und energiegeladene Performance zeichnete sich durch einen abwechslungsreichen Mix aus Mine-Klassikern und neuen Songs des Albums aus. Auch die Support Acts Shelly Phillips und ffortissibros heizten dem Saal ordentlich ein.

Am Ende wird hier die klare Empfehlung ausgesprochen, ein Mine-Konzert zu besuchen. Auch, wenn die Tour nun vorbei ist, stehe weitere Daten in der bald startenden Festivalsaison an.


22.06.2024 – Duisburg, Traumzeit Festival
24.07.2024 – Freiburg, Zelt-Musik-Festival
25.07.2024 – Marburg, KFZ
16.08.2024 – Leipzig, Parkbühne Geyserhaus
17.08.2024 – Hamburg, MS Dockville
07.09.2024 – Berlin, Lollapalooza
08.09.2024 – Berlin, Lollapalooza


Wer sich das Album BAUM bisher noch nicht angehört hat, sollte es schleunigst tun. Die Möglichkeit zum Reinhören gibt es hier.

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Fotocredit: Bastian Bochinski

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