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Oehl im Interview: »Wir müssen uns von den Privilegien unserer Zeit verabschieden«

„Es tut mir leid, dass du wegen mir geweint hast“ – das sind die ersten Worte, die mir auf dem neuen Oehl-Album von Ariel in die Ohren geflüstert werden, nachdem ich ohne zu zögern auf Play gedrückt habe. Dass mich emotional vollgeladene Texte erwarten, war mir bewusst. Doch so eine persönliche Ansprache trifft dann doch nochmal anders.

Keine Blumen“ ist das zweite Album von Oehl. Bereits die erste Single des Albums „Weitergehen“ kündigte ein textstarkes Album an. Mir geben die Texte von Ariel oft das Gefühl ich würde einen Einblick in seine Gedanken bekommen – fast so als wäre ich exklusiv dabei, wenn er diesen einen Gedanken zum ersten Mal formuliert und fühlt. Es gibt wenige deutschsprachige Pop-Künstler*innen, die es (für meinen Geschmack) so gut schaffen, sich zwischen gefühlvollen Texten und verspielten Sounds nicht im Kitsch verlieren.

Gib mir mein Herz, gib es zurück. Denn ich hab lieber einen Stein als so ein Loch in meiner Brust

Auf „Keine Blumen“ geht es um das Leben. Es stellt das Leben in Frage. Es geht um Abschied, Geschlechterrollen, Zukunft, Sucht und Mental Health. „Du hast gesagt: Bitte keine Blumen mehr“ singt Oehl auf dem titelgebendem Song. Genau diese Ehrlichkeit zieht sich durch das gesamte Album.

Ich habe Ariel von Oehl auf dem Appletree Garden Festival in Diepholz Anfang August getroffen und mit ihm nach seiner Show gequatscht. Im Folgenden reden wir über „Keine Blumen„. Ariel erzählt, wie es für ihn ist, jetzt als Solo-Künstler zu erscheinen und wie ihm sein Autismus schon das ein oder andere Mal im Weg stand.

Oehl im Interview

Anna: Magst du dich zu Beginn einmal vorstellen?

Ariel: Ich bin ein bisschen zwiegespalten: Bin ich jetzt eine Band oder ein Solo Act? Also live bin ich auf jeden Fall eine Band. Und ansonsten bin ich vor allem der Ariel, der Musik macht und in Wien wohnt, und jetzt ein Album rausbringt – und das zum ersten Mal alleine.

Anna: Das passt perfekt zu meiner Anschlussfrage: Wie ist es für dich, jetzt alleine Musik zu machen? Vorher hast du ja immer zusammen mit Hjörtur veröffentlicht.

Ariel: Ach, das hat sich gar nicht so sehr verändert. Also ich sehe Hjörtur ja eh, wenn er in Wien ist – eigentlich jede Woche. Und im Studio-Prozess hat sich in den letzten Jahren eh dahin entwickelt, dass ich halt sehr viel zu Hause mache. Durch Corona hab ich auch sehr viel selber produziert. Dann kam es an den Punkt, wo auch er gemerkt hat, dass es am Anfang wichtiger war, dem Projekt Flügel zu geben, indem wir es gemeinsam machen, aber dann funktioniert es auch so. Da bin ich ein bisschen mehr zum Solo-Produzenten geworden. Für ihn war das auch, dass er noch seine anderen Projekte machen kann.

Mir ist es aber wichtig, wenn wir live sind, dass wir als Band auftreten. Ich wollte nie so ein Artist sein, der mit der Gitarre da sitzt und allein spielt. Also ich glaube, Musikmachen lebt davon, dass Menschen gemeinsam etwas kreieren und schaffen. Deswegen fühlt es sich auch nicht so an als ich würde alleine Musik machen, weil ich immer Leute mit dabei habe. Hjörtur fehlt mir natürlich trotzdem in der Band, aber ich sehe ihn ja zum Glück auch so noch. Er hat einfach so eine Energie. Ich habe ihn ja auch kennengelernt, als er sich auf einer Bühne bewegt hat und ich war so begeistert davon. Also das werden wir vielleicht nicht wieder einholen und ersetzen können. Aber ich kann mein Bestes tun, seine Energie irgendwie aufzufangen.

Oehl wäre nicht Oehl ohne die Sounds des Isländers Hjörtur

Anna: Meinst du, dass es Oehl ohne Hjörtur auch nicht so geben würde, wie es jetzt ist?

Ariel: Auf jeden Fall! Das ganze erste Album haben wir ja ganz viel zu zweit geschrieben und da haben wir auch diesen Sound entwickelt. Es hat angefangen mit einer Drum Machine und Hjörtur hat dazu Bass gespielt und gesungen. Dann hat er noch Keyboard gespielt und das war’s. Unsere ersten Demos zu „Keramik“ klingen auch so. Ich muss sagen, es hat seinen eigenen Charme.

Anna: Stand es für dich/euch jemals zur Debatte, auf Englisch zu Singen?

Ariel: Also Hjörtur spricht ja eher Englisch als Deutsch, einfach weil die Sprache ihm viel näher ist. Deswegen war das schon ein Ding. Er ist so ein kreativer Kopf und für ihn war das Singen für Oehl nie ein Thema. Deswegen singe ich auf Deutsch. Aber auf Englisch singen würde ich jetzt eher nicht. Was mich am Musikmachen interessiert, ist, irgendwas zu machen, was noch keiner gemacht hat oder ich will es zumindest probieren. Auf Englisch ist das viel schwieriger, nach mir zu klingen. Wenn ich Deutsch singe, dann weiß ich, es klingt nach mir.

Musikmachen ist, etwas zu machen, was noch keiner so in der Form gemacht hat – das ist so meine Grundannahme der Musik. Es ist auch eine gewisse Challenge, den Song so zu schreiben, dass es nicht peinlich klingt. Es ist einfach nur super ehrlich. Du spürst, auch wenn es nicht ehrlich ist. So viel Deutsch-Pop klingt zwar mega emotional, aber ich spüre es nicht so als ehrlich. Es kann trotzdem gut sein, aber im Endeffekt kannst du jedes Wort umdrehen und auf die Waagschale legen.

Anna: Würdest du sagen, dass man jetzt bei dem zweiten Album hört, dass du das alleine produziert hast?

Ariel: Auf jeden Fall! Also es ist sowieso noch sehr viel im Austausch mit zwei Produzenten entstanden, aber ganz viel stand jetzt aber auch schon bei mir zu Hause. Es  entwickelt sich ja oder so immer weiter, aber da ist es mir wichtiger, was Spezielles zu erhalten. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht so genau, ob man es so stark hört. Das einzige, was auffällt, ist Hjörtur’s spezielles Bassspiel. Aber er hat auf diesem Album auch ein paar Sachen eingespielt. Also er ist auf dem Album auch nicht komplett weg und das ist auch gut so. Er wird auch in Zukunft vielleicht mal was einspielen. Aber für uns ist eher wichtiger, das nach außen zu trennen. Man wird es auf den Songs wahrscheinlich daran merken, dass der Bass meist etwas mehr im Hintergrund ist. Das war einfach so Hjörtur’s Rolle, die halt etwas weniger präsent ist jetzt.

Anna: Ich hatte auch das Gefühl, dass dieses Mal wirklich der Text noch mehr im Vordergrund steht.

Ariel: Vielleicht auch, weil ich bewusst mehr drauf geachtet habe. Das könnte es sein. Also ich schreibe jetzt einfach auch die Songs sehr persönlich. Also das erste Album war da etwas politischer, aber auch ein Mix aus allen möglichen Dingen, die mich beschäftigen. Ich hatte dieses Mal das Gefühl, ich kann da jetzt auch mehr meine Stimmung.

„Wir sollten auch einfach mal mit weniger zufrieden sein können“

Anna: Gibt es ein Überthema, eine Klammer auf „keine Blumen“?

Ariel: Abschied ist ein großes Thema auf dem Album – gar nicht primär im Sinne vom Tod. Also es gibt auch ein paar Songs, wo der Tod eine Rolle spielt, aber für mich ist es mehr ein Symbol auch für Abschiede im Allgemeinen. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der wir das Verabschieden noch lernen müssen. Also einerseits merken wir, dass es nie wieder so ökonomisch und ökologisch wird, wie es mal war. Das wissen wir halt einfach. Wir sind die erste Generation seit langem, die einfach weiß, dass es nicht mehr besser wird. Deswegen ist diese Übung im Verabschieden so ein Thema, was sich durchzieht auf dem Album.

Abschied mit Chance zur Erneuerung

Ariel: Ich will es aber auch nicht unbedingt als ein Weltuntergangs-Szenario sehen, sondern eher die Werte dahingehend verschieben, dass man genügsamer wird. Wir sollten einfach auch mit weniger zufrieden sein können. Deshalb geht es auch um den Abschied von gewissen Privilegien, die wir in unserer Zeit haben. Sehen wir es mal ganz pragmatisch: Es ist ein Privileg, dass wir einfach in einen Laden gehen können und vier Avocados, 20 Orangen und sonst was kaufen können. Ach und wenn die Küche nach acht Jahren kaputt ist, dann kauft man einfach eine neue bei Ikea. Da müssen wir einfach mal uns, die Gesellschaft und wie wir leben wollen, hinterfragen. In dem Sinne hat Abschied auch eine Chance zur Erneuerung für mich.

In „Schönland“ geht es zum Beispiel auch darum, dass ich mich in gewisser Weise bei meinem Sohn entschuldige. Kinder zu kriegen ist zwar das schönste, was ich mir vorstellen. Aber es ist auch einfach sehr naiv. Ich muss ihm ja jetzt schon erklären, dass wir nicht wissen, was in 50 oder 60 Jahren ist. Das ist irgendwie eine große Verantwortung, die man da auch übernimmt. Ich merke auch, dass ich eine gewisse Schuld dem Kind gegenüber empfinde. Ich möchte einfach nicht noch mehr Scheiße bauen jetzt. Zumindest ein bisschen will ich dafür kämpfen, dass er auch noch eine Zukunft hat.

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Anna: Ich habe gesehen, dass du im Podcast „Danke, gut“ von Miriam Davoudvandi über deinen Autismus gesprochen hast. Wie war das für dich? War das das erste Mal, dass du öffentlich darüber geredet hast?

Ariel: Ja, es ist das erste Mal. Ich bin eigentlich eher so jemand, der seine Persönlichkeit nicht so in den Vordergrund drängen möchte. Ich dachte mir immer, das ist gar nicht so wichtig, denn es geht ja um die Musik. Aber ich habe erkannt, dass es jetzt, wo solo unterwegs bin, auch eine Chance sein kann. So habe ich vielleicht die Möglichkeit, über Themen zu reden, denen ich vorher keinen Platz gegeben habe.

Der Podcast ist schon eine tolle Ehre, weil da noch ganz viele andere tolle Künstler*innen zu Besuch waren, die sich auch sehr ehrlich und verletzlich gezeigt haben. Gerade bei so einem persönlichem Thema möchte man ja auch eine Bühne haben, wo es wertgeschätzt wird, dass man das teilt und die man auch selbst wertschätzt. Dafür war der Podcast extrem gut. Ich hätte mich jetzt glaube ich nicht in eine Talkshow gesetzt mit sieben weiteren Leuten, um dann über meinen Autismus zu reden.

„Es ist ein Missverständnis, dass Autisten nicht empathiefähig sind“

Anna: Gab es schon einmal eine Situation, wo dich der Autismus in eine sehr unangenehme Lage gebracht hat oder dir im Weg stand?

Ariel: Ja, auf jeden Fall. Ein großes Missverständnis ist ja zum Beispiel, dass Autisten nicht empathiefähig sind. Also die Asperger, die ich kenne, sind alle sehr viel weniger durch emotionale Reaktionen geleitet, sondern mehr durch Impulse – also in ihrer Sprache. Das heißt für Menschen, die das nicht wissen, sind wir oft schwer zu durchschauen. Mein Learning daraus ist auch, die Grenzen und Bedürfnisse anderer besser erkennen zu können. Es gibt Situationen, da ist es einfacher und dann gibt es noch so klassische Situationen, wie beispielsweise im Supermarkt, da kann es auch ein Struggle sein. Aber es ist natürlich permanent die Gefahr im Alltag, dass eine gewisse Überforderung da ist. So ein Festival kann ich auch privat kaum besuchen. Im Arbeitsmodus geht es viel besser. Da weiß ich, ich funktioniere jetzt. Privat sind mir da zu viele Menschen und Sounds.

Anna: Das kann ich sehr gut verstehen, das geht mir auch manchmal so. Ich habe noch eine Frage zum Schluss: und zwar ist das die Frage nach deiner „untold story“?

Ariel: Ah, da fällt mir was ein: Der Song „Keramik“ wäre fast nicht veröffentlicht worden. Irgendwie fand ich die Version ein paar Monate, nachdem ich den Song geschrieben hab, gar nicht mehr so gut und ich war kurz davor, den Song bei dieser Albumproduktion zu kicken und gar nicht rauszubringen. Ich weiß noch, es gab diesen einen Moment, als ich ihn gehört habe und mir gedacht habe: Oh Gott, ist es das? Gefällt mir dieses Intime? Gebe ich mich zu verletzlich? Ich weiß nicht, was es war, aber irgendwie konnte ich es nicht locker flockig rausgeben.

Und dann saßen wir irgendwann mit unserem Booking im Büro in Wien und irgendwer meinte so: „Das ist mein Lieblingssong, wenn du den nicht rausbringst …“. Dann habe ich mich echt überreden lassen von Hjörtur. Naja, ich finde es jetzt auf jeden Fall auch gut, dass wir ihn mit drauf genommen haben. Es ist auch immer schön, wenn wir den Song live spielen. Mittlerweile würde ich sogar sagen, dass „Keramik“ für mich mit ein Grund war, weiterzumachen. Es ist ja der bekannteste Song von Oehl und ich merke einfach, wie gut er bei den Leuten ankommt und wie viele Türen er geöffnet hat.

„Keramik“ handelt von der Zerbrechlichkeit seines Sohn bei der Geburt

Ein weiterer Fact über den Song ist mir gerade auch noch eingefallen: Ich habe den Song gerade geschrieben, als mein Sohn im Bauch seiner Mutter war. Er war zwei Monate zu früh auf der Welt und die Zeit war nicht so einfach für uns. Diese Zerbrechlichkeit des Kindes, die ich in der Zeit gefühlt habe – die habe ich in dem Song beschrieben. Ich glaube, dass diese Intimität in dem Song und das Persönliche, Verletzliche eine besondere Stärke ist. Es ist halt einfach sehr ehrlich und ich kann nichts verstecken.

Anna: Aber ich glaube, dass der Song gerade dadurch so gut funktioniert.

Ariel: Der Song ist auch in einer Writing-Session entstanden. Also das ging so von Herz und Kopf in Schrift über.

Anna: Danke, dass du die Geschichte geteilt hast. Jetzt wünsche ich dir noch viel Spaß hier auf dem Festival!

Ariel: Gerne doch, dir auch!

Wenn ihr es nicht schon längst getan habt, könnt ihr euch hier „Keine Blumen“ von Oehl anhören. Habt ihr schon einen Liebling auf dem Album? Meiner ist momentan „Schönland„, knapp gefolgt von „Weitergehen„.

Und ihr eure Emotionen zu den Oehl Songs jetzt auch genauso wenig im Zaum halten könnt, dann lest doch auch gerne Anna’s (nein, nicht ich) Review zu „100% Hoffnung“ und sichert euch als Sahne-Häubchen obendrauf auch einfach schon Tickets für die Tour im Herbst.

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Fotocredit: Tim Cavadin

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